SWR4 Sonntagsgedanken

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25OKT2020
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Menschen gehen vor. Menschen sind wichtiger. Wichtiger als Prinzipien, wichtiger als staatliche Gesetze und wichtiger als religiöse Vorschriften. Auch wenn die alt und heilig sind. Menschen sind wichtiger. Jedenfalls wenn es nach Jesus geht. Einmal hat er sich für Menschen sogar über religiöse Vorschriften hinweggesetzt. Obwohl er selbst ja Religionslehrer war. Er hat zuerst an die Not von Menschen gedacht.

Das klingt jetzt vielleicht theoretisch. Aber es war ganz praktisch. Wie praktisch, merkt man an der Geschichte aus der Bibel, in der davon erzählt wird. Heute ist die Geschichte in den evangelischen Kirchen als Predigttext dran. Damals ging es um „Mundraub - am Heiligen Feiertag“.

Am Heiligen Feiertag ist Jesus mit seinen Freunden unterwegs gewesen, wird erzählt. Allein das ist schon ein bisschen komisch: dass sie überhaupt unterwegs waren. Eigentlich war der Feiertag dafür da, dass man zur Ruhe kommt, isst und trinkt, sich auf Gott besinnt. Zu sich kommt. Jesus und seine Jünger sind stattdessen durch ein Getreidefeld gelaufen, kurz vor der Ernte und die Jünger hatten Hunger. Und was haben sie gemacht? Ähren abgerissen, die Körner ausgepuhlt und sie gegessen. Mundraub am Heiligen Feiertag. Und Jesus? Hat nichts gesagt. Anscheinend war das für ihn in Ordnung.

Aber, man hatte sie beobachtet und einige Leute haben Jesus prompt zur Rede gestellt: „Warum machen Deine Jünger so was“, haben sie ihn gefragt. „Du weißt, dass das am Feiertag verboten ist. Ist Dir die Feiertagsruhe nicht heilig? Den Feiertag zu ehren, das ist kein Spiel. Wer den Feiertag hochhält, der hält Gott hoch. Und wer nicht…“

Der Konflikt war da. Wie sollte Jesus da wieder rauskommen?
Er hätte versuchen können, ihn zu entschärfen. Sich entschuldigen, dafür dass seine Jünger den Feiertag verletzt haben. Aber das hat er nicht gemacht, steht in der Bibel. Im Gegenteil: Er hat eine Gegenfrage gestellt und den Konflikt eigentlich noch schärfer gemacht.

Zwei Gegenargumente hat Jesus seinen Kritikern entgegengehalten: Als erstes hat er stark gemacht: meine Jünger haben Hunger und wer Hunger hat, der darf sich für den Eigenbedarf versorgen. Oder etwa nicht?

Ich versteh Jesus so: die Not von Menschen geht vor. Menschen gehen vor, vor allem die, die leiden müssen. Gott will, dass Menschen geholfen wird, den Armen, den Hungernden, Witwen und Waisen.

Mit dem zweiten Argument ist Jesus noch weitergegangen: Der Feiertag ist für diese Menschen da, nicht umgekehrt. Der Feiertag wird gehalten, damit Menschen, die in Not und unter Druck sind, aufatmen können. Gott befreit aus Elend. Dafür steht Jesus ein, weil Gott dafür steht.

Menschen gehen vor. Wobei, so pauschal gesagt stimmt das nicht ganz. Man muss genau hingucken. Für wen Jesus eintritt. Nicht für die, die immer schon wichtig genommen werden und sich selbst wichtig nehmen. Ihm lagen vor allem die am Herzen, die im Schatten stehen, die hungern, krank sind oder sozial zu kurz kommen. Für die ist er eingestanden.

Was kann das für heute bedeuten. Ich versuche mal 2 Beispiele:
In Frühjahr als Corona angefangen hat, da durften bald alte Menschen in Pflegeheimen nicht mehr besucht werden. Nicht mal von Sohn oder Tochter. Und auch nicht von Seelsorgern und Seelsorgerinnen. Andere Bewohner und Pflegekräfte zu schützen stand über allem. Das war auch richtig. Aber darunter haben viele alte Menschen sehr gelitten. Seelisch und sozial. Wir Menschen haben ja nicht nur Hunger nach Essen. Einsame oder Menschen mit Demenz haben Hunger nach anderen Menschen und nach Berührung. Ihre Seelen brauchen Nahrung. Darum finde ich, sollte das nicht wieder passieren in der zweiten Welle. So werden sie nicht wichtig genug genommen. Alte Menschen sollen nicht seelisch verhungern. Gerade auf der letzten Strecke des Lebens müsste es möglich sein, dass wenigstens ein lieber Mensch zu Besuch kommen darf. Und auch berühren. Ich finde das menschlich und im Sinne Jesu.

In diesen Zeiten, wo vieles nicht „normal“ sein kann, ist es wichtig, dass Sie und ich uns Gutes einfallen lassen, wie wir einander schützen und einander guttun können. Und unseren Seelen.

Ein zweites Beispiel: wo ich finde, da muss man Menschen in Not doch wichtiger nehmen als Vorschriften oder politisches Kalkül. Ich denke an Geflüchtete in den Lagern in Griechenland. „Nein wir können bei uns nicht mehr aufnehmen, solange es keine europäische Lösung gibt,“ heißt es immer. Aber die gibt es halt nicht. Und das heißt dann, wir nehmen politische Prinzipien wichtiger als Menschen in Not. Das tut menschlich weh und christlich ist es auch nicht. Ich möchte nicht wissen, was Jesus dazu sagen würde. Vielleicht würde er sagen. „Nehmt eure unsozialen Masken vom Gesicht, zeigt euch menschlich. Den Menschen gegenüber, die in Not und Elend leben müssen.“

Ihnen fällt bestimmt auch manches ein, wo Menschen wichtiger sind als Vorschriften. Auch wenn die gut gemeint sind. Manchmal muss man sie überschreiten. In diesem Sinn einen schönen Sonntag und eine gute Woche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31906
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