SWR2 Wort zum Tag

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17OKT2020
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Ich finde, das Vater Unser ist ein spannendes Gebet. Es ist ein Gebet, das direkt aus dem Mund Jesu überliefert ist. Er hat dazu gesagt: „So sollt ihr beten.“ Quasi ein Gebet mit persönlicher Empfehlung vom Chef. Was mich immer wieder erstaunt: Es lässt sich auch nach vielen Vater Unsern immer wieder was Neues darin entdecken. Ich bin gerade wieder auf etwas gestoßen. 

Das Vater Unser stellt keine großen Ansprüche. Von uns Menschen wird darin kaum etwas verlangt. Das meiste soll Gott bringen: „Unser tägliches Brot gib uns heute“, heißt es zum Beispiel. Oder „Führe uns nicht in Versuchung, erlöse uns von dem Bösen“. Alles Aufträge an den lieben Gott: er soll uns mit dem Nötigsten versorgen, er soll uns das Böse vom Leib halten. Der einzige Auftrag an uns heißt: „wir vergeben unseren Schuldigern“. Für mich heißt das: wir müssen einfach nur vergeben, fast alles andere kommt von Gott. 

Aber so einfach ist diese Aufgabe meistens nicht – „vergeben“. Manchmal reicht ja eine Umarmung oder ein „Ist schon gut“. Aber meistens ist es damit nicht getan. Wenn zwischen zwei Menschen etwas Schlimmes vorgefallen ist, dann kann das Vergeben zu einer gewaltigen Aufgabe werden, für manche sogar zur Aufgabe fürs ganze Leben. 

Es gibt mittlerweile eine „Forgiveness-Bewegung“, die sich damit beschäftigt, wie man gut vergeben kann. Sie schlägt den folgenden Vier-Punkte-Plan vor: 

Zuerst muss ich mich dem stellen was passiert ist, den Ärger und den Schmerz ergründen: Was genau hat mich wie verletzt? Das tut oft nochmal weh. 

Als zweites muss ich mich aktiv dafür entscheiden zu vergeben – das ist oft am schwierigsten. Denn es reicht eben kein beifällig gemurmeltes „schon gut“, sondern es braucht eine echte Entscheidung, und ich muss es aufrichtig wollen. 

Wenn ich mich entschieden habe, sollte ich - drittens - dranbleiben, Schritt für Schritt den Ärger loswerden. Dabei muss ich auch einen neuen Weg finden, an den Streitpartner zu denken ohne in die Luft zu gehen. Gar nicht so einfach. 

Und zu guter Letzt: Ich darf mich über die Erleichterung freuen. So anstrengend der Weg sein mag, am Ende ist nicht nur derjenige erleichtert, dem ich vergebe, sondern ich selbst auch. Das ist ein riesen Gewinn für mich. 

Vergeben lohnt sich. Das sagt nicht nur die Forgiveness-Bewegung, sondern das ist auch die Botschaft von Jesus in seinem berühmtesten Gebet – dem Vater Unser. Und der Rest, so heißt es im Gebet, den gibt Gott dazu.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31874
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