Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

10OKT2020
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Manchmal wünsche ich mir einen Ort, wo ich absolut geborgen bin. Einen Platz, an dem ich nichts zu befürchten habe. Niemand sucht Streit. Keiner will mit mir seine Kräfte messen. Es gibt kein Gerangel um Titel oder Geld. Wie sagt man so schön: Ich darf dort der sein, der ich bin. Und muss keine Anstrengungen unternehmen, um anderen zu gefallen.

Auch Jesus wünscht sich so einen geschützten Bereich. Vielleicht ist es das, was er sich am meisten wünscht. Seine größte Sehnsucht. Aber – und das ist ein entscheidender Unterschied – er will das nicht nur für sich persönlich, sondern für alle, für jeden einzelnen Menschen. So einen Raum zu schaffen, ist das Ziel von dem, was Jesus in seinen Predigten sagt und was er für andere tut. Und auch um was er Gott bittet, oft und immer wieder. So wie in der kleinen Bitte am Beginn des Vaterunsers: Dein Reich komme. Ich halte den so unscheinbar daherkommenden Wunsch in Wahrheit für einen Stoßseufzer. Jesus wendet sich an seinen Vater im Himmel, und das ist das Erste, was ihm einfällt: dass ER doch bitte einen Raum schafft, in dem keiner mehr Angst zu haben braucht, sondern sich in Sicherheit weiß. Ein Reich, das anders ist als all die Reiche, die es sonst auf der Welt gibt. Eines, in dem die Spielregeln gelten, die Gott aufstellt.

Eine der Spielregeln, die es mir besonders angetan hat, ist die der Vergebung. Bei Gott, sagt Jesus, gibt es die ohne jedes Kalkül. Nicht wie bei uns, wo einer vielleicht einmal eine Entschuldigung akzeptiert und wenn’s hoch kommt, noch ein zweites Mal, aber dann ist Schluss. Und noch eine Spielregel ist mir ganz wichtig. Gott rechnet nicht. Wer bei ihm anklopft, muss keinen Leistungsnachweis vorlegen und er braucht auch keine Versicherungskarte. Das Klopfen reicht, der ehrliche Wunsch, zu Gott zu gehören. Schon tut sich die Tür zu einem Bereich auf, in dem man sich nicht dauernd vergleichen muss. Wer ist der Größte, der Schnellste, der Wichtigste?

Jesus weiß: Das wird es so nie auf dieser Welt geben. Aber das schreckt ihn nicht ab, davon zu erzählen. Und mehr noch: Daran zu arbeiten, dass schon etwas davon entsteht. Und uns sollte das auch nicht abschrecken. Für den Rest darf die Bitte des Vaterunsers bleiben. Dein Reich komme. Als Entlastung. Und als Ansporn.

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