Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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20AUG2020
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„Einer trage des anderen Last!“ so beschreibt der Apostel Paulus, wie Menschen sich verhalten sollen. An die christliche Gemeinde hat er das geschrieben, ganz am Anfang: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen!“ Also: Die unterstützen, die allein nicht zurecht kommen. Denen beistehen, die nicht mehr weiter wissen, weil ihre Probleme wie ein Berg vor ihnen stehen.

Oft geht es um ganz einfache Dinge. Der alten Nachbarin ab und zu geduldig zuhören zum Beispiel. Sie hat niemanden, dem sie erzählen kann, was sie in 50 Jahren in diesem Haus erlebt hat. Oder beim Konzert in der Kirche oder bei der kostenlosen Open-Air-Theatervorstellung am Schluss reichlich geben. Die Künstler sind in dieser Zeit auf Unterstützung angewiesen. Sie haben keine Möglichkeit, im normalen Betrieb ausreichend zu verdienen. Eine reichliche Spende hilft ihnen, ihre Last zu tragen.

Man könnte noch viel mehr nennen. Ich finde: So schwer ist das nicht, die Last des anderen mitzutragen. Und das Zusammenleben wird leichter. Die Nachbarin ist freundlicher, seitdem ich mich manchmal mit ihr unterhalte. Und wenn die Künstler nicht pleitegehen, haben wir auch im nächsten Jahr noch Unterhaltung und Anregung durch ihre Kunst.

So schwer ist das alles nicht. Deshalb wundere ich mich immer wieder, dass manche es als Zumutung empfinden. Ich habe mit mir selbst genug zu tun, sagen sie. Und in meiner Freizeit will ich frei sein und nicht irgendwelche Forderungen erfüllen. Auch nicht „das Gesetz Christi“.

Ich verstehe das: Es belastet einen, wenn man merkt, wie schwer andere es haben. Davon wollen manche einfach nichts sehen und nichts hören.

Natürlich steht es jedem frei, ganz für sich allein zu leben. Das „Gesetz Christi“ findet sich ja auch in keiner Gesetzessammlung. Es ist mehr eine Frage von Moral und Ethik. Und manche finden auch „einer trage des anderen Last“, das gilt nur für Christen.

Ich habe von einem Schaffner gelesen, der hat das anders gesehen. Immer, wenn er ein Abteil betrat, hat er erlebt, wie die Reisenden erst einmal ihre Masken hochgezogen haben. Von den Gesichtsmasken fühlen sich ja viele in ihrer Freiheit eingeschränkt. Dieser Schaffner hat schließlich gesagt:

"Wegen mir müssen Sie Ihre Masken nicht aufsetzen. Es geht hier nicht um irgendeine bescheuerte Schikane der Deutschen Bahn, sondern um Ethik. Sie schützen Ihre Mitmenschen und sich selbst. Das nicht zu tun, ist asozial." Ich finde: Genauso ist es.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31498
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