Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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18AUG2020
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„Ihre Beiträge im Radio sind zu politisch!“ schreibt mir manchmal jemand, „kein Wunder, dass die Menschen aus der Kirche austreten. Die Kirche ist für die Seele zuständig, nicht für die Politik.“

„Ihre Beiträge sind zu unpolitisch-fromm!“ schreiben andere, „kein Wunder, dass so viele aus der Kirche austreten. So eine belanglose Kirche braucht niemand.“

Es ist wahr: im vergangenen Jahr sind über eine halbe Million Menschen aus den Kirchen ausgetreten. Sicher nicht alle wegen mir. Aber natürlich ist das für jemanden wie mich erschreckend. Ich weiß natürlich auch: Der Missbrauchsskandal ist unerträglich. Und in meiner Kirche geht manches schrecklich langsam und vieles ist rückwärtsgewandt. Viele möchten, dass alles so bleibt, wie es immer war. Das geht auch mir manchmal auf die Nerven. Denn: war früher wirklich alles besser?

Trotzdem meine ich: Weglaufen ist eigentlich nie eine Lösung, auch wenn es gerade im Trend liegt, aus der Kirche auszutreten, besonders für junge Leute. Trotzdem: Nur wer bleibt und sich kritisch engagiert, kann die Kirche verändern: dass sie engagierter wird in Fragen unseres Miteinanders. Oder innerlicher und spiritueller – vielleicht am besten beides. Manchmal ist das eine nötig, manchmal das andere.

Warum sollte ich, fragen da manche. Warum soll ich mich engagieren und die Kirche verändern? Sicher ist: Viele Ausgetretene glauben auch. Aber ich meine, damit man sich nicht gefangen bleibt, in dem, was man sich so denkt, braucht man andere. Eine möglichst bunte und vielfältige Gemeinschaft, in der Fragen gestellt werden. In der auch der eigene Glaube manchmal hinterfragt wird, damit man sich nicht in Sektengeheimwissen und Verschwörungstheorien verrennt.

Und außerdem: Es gibt viele Hilfsprojekte im In- und Ausland, die die Kirchen betreuen: für Obdachlose und für Prostituierte, für Behinderte, für viele, die sonst allein wären. Die Kirchen haben Besuchsdienste für Alte und in Altenheimen, Unterstützung für Flüchtlinge und noch  viel mehr, das unsere Welt ein bisschen menschlicher macht. Das unterstütze ich mit meiner Kirchensteuer. Auch darum bin ich in der Kirche.

Glauben braucht für mich auch das Gefühl, nicht allein zu sein. Glauben braucht Unterstützung. Jemanden, der für mich betet, wenn ich es nicht mehr kann. Der mich tröstet und mir von der Welt erzählt, die Gott ‚sehr gut‘ findet, damit ich an die Zukunft glauben kann. Jemanden, der mich aufrichtet mit Musik, mit klugen Worten, mit einem schönen Gottesdienst. Solche Menschen finde ich in der Kirche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31496
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