Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

17AUG2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Ich lasse mir meine Freiheit nicht nehmen. Ich will tun und lassen, was ich will.“ Seitdem der erste Schrecken der Corona-Pandemie vorbei ist, hört man das oft. Jetzt gab und gibt es große Demonstrationen gegen Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen. Und inzwischen, wo alles lockerer geworden ist, gibt es am Wochenende große Partys in den Grünanlagen und immer mehr Menschen sind ohne Maske unterwegs. Ich sehe nicht ein, warum das nötig ist, sagen sie. Ich will tun und lassen, was ich will.

Vor 500 Jahren hat Martin Luther etwas Ähnliches geschrieben,. Im Sommer 1520 kam seine Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ unter die Leute. Bis heute ist das eine der Hauptschriften der Reformation. Was Luther da geschrieben hat, verbreitete sich wie ein Lauffeuer: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan“. Luther hat damals von der Freiheit im Glauben geredet. Wer auf Gott vertraut, der muss sich keinem Menschen unterwerfen. Gott hält sein Schicksal in der Hand und kein Mensch kann daran etwas ändern. Luther hatte das in der Bibel gelesen: „Nichts auf der Welt kann uns von Gottes Liebe trennen“ (Rö 8, 38f) Dieser Glaube hat ihn stark und frei gemacht sogar gegen den Kaiser und den Papst aufzustehen und zu sagen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge“: Für Luther hieß das aber ganz und gar nicht: Ich will tun und lassen, was ich will. Er hat in seiner Freiheitsschrift nämlich noch einen anderen Satz daneben gestellt. „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Freiheit hat nämlich mit Verantwortung zu tun und mit Nächstenliebe. Christen tun, was dem Nächsten nützt. Christen tun, was das Zusammenleben besser und das Leben der anderen leichter macht. Dazu nutzen sie ihre Freiheit. Christen sind frei. Aber wenn es für andere wichtig und gut ist, dann sind sie bereit, ihre Freiheit einzuschränken. Denn meine Freiheit endet da, wo die des anderen anfängt. Wenn es für Alte und Kranke, wenn es für das Gesundheitssystem besser ist, dann bin ich bereit, Abstand zu halten und die Hände zu waschen und eine Maske anzuziehen.

Wer das nicht will: Nutzt der nicht die Macht der Starken, die meinen, sie beträfe dieses Virus nicht? Ein berühmter Philosoph des vorigen Jahrhunderts (Theodor W. Adorno[1]) hat das „unverschämt“ genannt. Freiheit, die nicht an die Schwachen denkt, ist irgendwie asozial. Oder was meinen Sie?

 

[1] Theodor W. Adorno, Minima Moralia: „Bei manchen Menschen ist es schon eine Unverschämtheit, wenn sie ich sagen“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31495
weiterlesen...