SWR2 Wort zum Tag

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05SEP2020
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Der Bogen liegt fest in meiner Hand. Ich lege einen Pfeil auf die Sehne. Die Zielscheibe 15 Meter von mir entfernt. Dann spanne ich den Bogen. Jetzt heißt es ruhig atmen und zielen. Und dann, wenn der richtige Moment gekommen ist, lasse ich los. Überraschend schnell schießt der Pfeil durch die Luft und bleibt in der Scheibe stecken.

Mit meinem Sohn habe ich vor einigen Wochen bei einem Workshop mitgemacht: Intuitives Bogenschießen. Es war eine inspirierende Erfahrung.

Die Trainerin hat uns erklärt, dass man in jedem Alter mit dem Bogenschießen anfangen könne. Man braucht dafür einfach nur einen Bogen, den man mit der eigenen Muskelkraft gut spannen kann. Alles Weitere lernt man dann mit der Zeit dazu.

Am Anfang war ich skeptisch: Soll ich wirklich eine Waffe in die Hand nehmen, wenn ich doch eigentlich friedlich leben will?

Klar, ein Bogen kann zu einer Waffe werden, er muss es aber nicht.

Wer sich auf das intuitive Bogenschießen einlässt merkt schnell, dass es nichts mit gewalttätigem Drauflosschießen zu tun hat. Im Gegenteil. Bogenschießen ist für viele, die es regelmäßig tun eine Art der Meditation.

Pfeil und Bogen können Hilfsmittel sein, auf dem Weg sich spirituell weiterzuentwickeln. Denn wer intuitiv Bogen schießt der berechnet nicht wie weit das Ziel entfernt ist und um wieviel Grad er den Bogen ausrichten muss. Es geht mehr darum in sich hineinzuspüren und zur eigenen Mitte zu kommen.

Das passiert zum Beispiel über die bewusste Körperhaltung. Ich spüre ganz bewusst, wie ich auf dem Boden stehe und wie mein Körper ausgerichtet ist. Ganz intuitiv nehme ich mich im hier und jetzt wahr. Ich bin fokussiert auf das Ziel. Und zwar ohne tausend andere Gedanken im Kopf zu haben. Es kommt sogar vor, dass Bogenschützen erleben, dass sie eins werden mit dem Pfeil den man schießt und sogar mit dem Ziel.

Pfeil und Bogen können ein Weg zur inneren Sammlung sein. Weil ich aus meinem Gedankenkarussell rauskomme. Weil mein Ego etwas zurücktreten kann. Viel was mich im Alltag beschäftigt, wird nebensächlich. Mein Körper und Geist werden ruhiger, weil ich mich auf das Ziel konzentriere. Ich fühle mich dabei innerlich freier. 

Für mich hat das auch viel mit meinem Glauben zu tun. Ich richte mich als gläubiger Mensch auf Gott aus, wie ein Schütze auf sein Ziel. Es mag noch so weit entfernt erscheinen. Aber wenn ich bete, meditiere und meinen Glauben lebe, dann nehme ich dieses Ziel in den Blick. Und ich versuche mich mit dem Ziel innerlich zu verbinden.

Der christliche Bogenschütze Kurt Österle sagt: „Bogenschießen ist Lebenskunst. Und das Geheimnis besteht nicht einfach darin, besser zu treffen, sondern leichter loszulassen.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31494
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