SWR4 Sonntagsgedanken

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09AUG2020
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Bin ich Jesus?

Bin ich Jesus? Eine stehende Redewendung. Eine Frage, mit der ich deutlich mache: Ich weiß etwas nicht, kann etwas nicht, mache was nicht. Etwas ist einfach unmöglich. Niemand kann alles wissen, schließlich ist kein Mensch perfekt. Ich bin schließlich nicht Jesus.

Bin ich Jesus? Das spielt auch auf die biblischen Geschichten an, in denen Jesus Unmögliches zugeschrieben wird. Mit fünf Broten und zwei Fischen fünftausend Menschen satt machen, mit Worten heilen, nach drei Tagen auferstehen. Kann ich alles nicht, ich bin ja nicht Jesus.

Aber wenn ich mir diese Geschichten genau ansehe, dann geht es um mehr, als nur darum, unmögliche Dinge zu tun oder gar zu zaubern. Das zeigt etwa die Erzählung, in der Jesus übers Wasser geht. Die Situation: Jesus hat sich zurückgezogen, will für sich alleine sein. Seine Freunde steigen schon mal in ein Boot, fahren ans andere Ufer. Aber ein Sturm zieht auf. Da macht sich Jesus auf, geht über das Wasser zum Boot. Will seinen Freunden beistehen. Und beruhigt nebenher den Sturm.

Alles unmöglich und märchenhaft. Wer kann schon übers Wasser gehen? Ich nicht. Ich bin ja nicht Jesus. Aber die Geschichte macht auch kein Aufheben um diesen Gang übers Wasser. Ganz lapidar sagt der Erzähler „Jesus ging auf dem See.“ Entscheidender ist vielmehr, warum er zu seinen Freunden geht. Weil die nämlich in Not sind, weit entfernt vom sicheren Ufer, von den Wellen hin und her geworfen, mitten im Gegenwind. Da steht Jesus ihnen bei.

Das Bild passt für mich auf viele Lebenssituationen. Da spüre ich auf der Arbeit Gegenwind, werde kritisiert, muss mich rechtfertigen. Ich habe vielleicht auch etwas schlechter gemacht, als es möglich gewesen wäre. Oder im privaten Bereich: Krankheit, Trennung, finanzielle Sorgen. Da werde ich ganz schön durchgerüttelt.

Ich erfahre: Es tut dann besonders gut, wenn jemand zu mir hält und im Sturm für mich da ist. Sozusagen für mich übers Wasser geht und zu mir kommt. Und sich dann mit mir gegen den Wind stellt und versucht, die Wellen zu beruhigen. Und ich erlebe: In solchen Situationen bin ich nicht Jesus – aber jemand anderes kann es für mich sein. 

 

Unmögliches möglich machen

Bin ich Jesus? Sicher nicht. Aber ich brauche Menschen, die wie Jesus handeln. Die übers Wasser gehen und unmöglich scheinende Dinge möglich machen. Darum geht es heute in den Sonntagsgedanken.

Eine wilde, tobende See, die kenne ich nur aus Filmen und aus dem Urlaub. Dass das Wasser lebendig wird, sich gewaltige Wellen auftürmen, dass der Wind durch die Luft peitscht. Da ist es am besten, wenn man zu Hause bleibt oder sich ins Innere eines Schiffes verkriecht und hofft, dass der Sturm vorüberzieht.

Das tobende Wasser steht in vielen Kulturen für das Chaos. Wenn Gott, wie es die Schöpfungsgeschichten erzählen, Land und Wasser trennt, dann schafft er sozusagen Ordnung. Zähmt die unbändige Wucht des Wassers.

So lese ich auch die Geschichte von Jesus, der übers Wasser geht. Sie will allen deutlich machen: Jesus ist jemand, der alle Gewalten zähmen kann. Aber die Geschichte erzählt auch davon, dass jeder Mensch übers Wasser gehen kann.

Jesus fordert nämlich seinen Freund Petrus auf, aus dem Boot zu steigen und übers Wasser zu laufen. Petrus vertraut ihm, macht ein paar Schritte, dann aber bekommt er Angst, droht unterzugehen. Jesus reicht ihm seine Hand und gemeinsam steigen sie in das Boot.

Petrus ist in dieser Erzählung in der Lage, übers Wasser zu laufen. Was einen schon verwundern kann. Ausgerechnet Petrus. Der ist nämlich eine schillernde Gestalt in der Jesusgeschichte. Der sagenhafte erste Papst, aber auch einer, der wenn es drauf ankommt, seinen Freund verrät. Petrus, alles andere als ein Heiliger. Eher ein Mensch wie du und ich. Und dieser Petrus kann scheinbar Unmögliches. Er kann es, weil es ihm zugetraut wird – und weil er es sich selbst zutraut. Petrus entdeckt in sich eine Kraft, die ihn bildlich gesprochen übers Wasser gehen lässt. Die ihn das Chaos bezwingen lässt. Petrus erfährt: Ich darf mir etwas zutrauen, darf das scheinbar Unmögliche in Angriff nehmen – und ich kann es schaffen.

Bin ich Jesus? Sicher nicht. Aber die Petrus-Geschichte zeigt: Man muss nicht Jesus sein, um bildlich gesprochen übers Wasser zu gehen. Mut und Zutrauen reichen dafür aus. Und sicher auch Menschen, die einen dabei unterstützen. 

 

Biblischer Text: Mt 14,22-33)

22 Nachdem Jesus die Menge gespeist hatte, drängte er die Jünger, ins Boot zu steigen und an das andere Ufer vorauszufahren. Inzwischen wollte er die Leute nach Hause schicken. 23 Nachdem er sie weggeschickt hatte, stieg er auf einen Berg, um für sich allein zu beten. Als es Abend wurde, war er allein dort. 24 Das Boot aber war schon viele Stadien vom Land entfernt und wurde von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten Gegenwind. 25 In der vierten Nachtwache kam er zu ihnen; er ging auf dem See. 26 Als ihn die Jünger über den See kommen sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und sie schrien vor Angst. 27 Doch sogleich sprach Jesus zu ihnen und sagte: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht! 28 Petrus erwiderte ihm und sagte: Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme! 29 Jesus sagte: Komm! Da stieg Petrus aus dem Boot und kam über das Wasser zu Jesus. 30 Als er aber den heftigen Wind bemerkte, bekam er Angst. Und als er begann unterzugehen, schrie er: Herr, rette mich! 31 Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? 32 Und als sie ins Boot gestiegen waren, legte sich der Wind. 33 Die Jünger im Boot aber fielen vor Jesus nieder und sagten: Wahrhaftig, Gottes Sohn bist du.

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