SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

28JUN2020
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Es gibt Sätze in der Bibel, die schwer zu akzeptieren sind. Manche entfalten sogar eine unheilvolle Geschichte. Weil sie verdreht und missbraucht werden können. Einer von ihnen steht heute im katholischen Gottesdienst auf dem Programm. Er lautet: Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert[1]. Jesus sagt diesen Satz zu seinen Jüngerinnen und Jüngern. Es geht Jesus darum, dass die, die glauben, etwas aus ihrem Glauben machen. Konsequenzen ziehen. Dem, was sie von Gott verstehen, Taten folgen lassen. Jesus macht das im gleichen Zusammenhang sehr konkret. Er wählt als Beispiel die Liebe und die Beziehungen, in denen man steckt, die eigene Familie. Wer Gott wirklich liebt, sagt Jesus, muss ihn über alles andere stellen. Gott ist dann am wichtigsten. Für Eltern wichtiger als die eigenen Kinder. Für die Kinder wichtiger als die Eltern. An Gott zu glauben, ist radikal. Entweder-oder. Wenn man Gott nahekommt, und damit dem, was echt rein und schön ist, dann gibt es keine Kompromisse mehr. Ich glaube, damit hat Jesus recht. Wer daran glaubt, dass Gott der sicherste Boden ist, auf dem man hier auf der Erde stehen kann, der kann das nicht halbherzig tun und im nächsten Augenblick an Mutters Rockzipfel zurückflüchten. Das werden verständlicherweise viele nicht gern hören. Und an dieser Stelle beginnt auch das Problem. Wenn so radikale Gedanken missbraucht werden, dann wird’s gefährlich. Wenn eigene, allzu menschliche Interessen dahinterstehen. Um Macht auszuüben, um Menschen gefügig zu machen, um sie geschickt zu manipulieren.

Jesus ging es darum, ernst genommen zu werden. Deshalb spricht er von Nachfolge und Kreuz. Und bindet die Menschen, die an ihn glauben an sich. Es heißt: Mir nachfolgen, mein Kreuz. Was aber haben Vertreter der Kirche daraus gemacht? Sie haben den Leuten Lasten auferlegt. Sie haben die Gläubigen unter Druck gesetzt mit moralischen Forderungen nach einem keuschen und reinen Leben. Bis heute ist das so. Sie haben den Leuten eingeredet, es sei gottgefällig, sein Schicksal anzunehmen - eine schwere Krankheit, den frühen Tod eines Kindes.

Nein, wer das aus der Kreuzesnachfolge ableitet, tut Jesus Gewalt an. Radikalität für Gott ja, aber kein Kadavergehorsam an Menschen. Für mich ist der schwierige Satz aus der Bibel an diesem Sonntag deshalb ein Appell: Vorsichtig zu sein, wenn Menschen zu genau wissen, was Gott von einem verlangt.

 

[1]Mt 10,38

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31191
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