SWR2 Zum Feiertag

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21MAI2020
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Frieder Bernius Foto: "Musikpodium"

Beethovens Missa Solemnis – Universaler Gott und Lebensweg Christi

Steinmann:
Herr Bernius, Sie sind für mich „der“ Gesprächspartner heute. Weil ich gern 2 Dinge zusammen bedenken möchte: Einmal das Beethoven Jahr 2020 und den Feiertag Christi Himmelfahrt.
Sie haben Beethovens Missa Solemnis eingespielt mit dem Stuttgarter Kammerchor und der Hofkapelle. Beinahe in der Mitte dieser Messe stehen Ostern und Himmelfahrt. Wie passt das für Sie? Beethoven und heute?

Bernius:
Da muss ich ein bisschen ausholen: Im christlichen Jahresfestkreis da habe ich mich seit meiner Jugend mich bewegt. Dafür habe ich auch schon einige Werke aufgeführt und festgehalten.
Wenn es jetzt aber um Ludwig van Beethoven geht, müssen wir uns fragen:
wie ist es mit ihm und diesem Festkreis?
Er kommt aus einem katholischen Umfeld in Bonn und war schon als Jugendlicher mit kirchenmusikalischen Aufgaben betraut. Er hat danach sein Leben in Wien als freier Komponist und Dirigent verbracht, also war er nicht aufgrund seines Amtes verpflichtet, für die katholische Liturgie zu schreiben. Er hat aber zwei Messen geschrieben. Und diese beiden einzigen Messen, die er komponiert hat, die zeigen, dass das kein Nachteil sein muss. Sie erreichen nämlich Dimensionen, die über eine bloße musikalische Umrahmung der katholischen Liturgie hinausgehen.
Er wollte seine ganz eigenen Vorstellungen darüber zum Erklingen zu bringen.
Und diese orientieren sich nicht in erster Linie an den kirchlichen Dogmen, sondern sie gehen von einem Gottesbegriff aus, der die Existenz Gottes in der Natur erfahrbar macht, ohne sie grundsätzlich zu hinterfragen. Sie kennen sein Lied "Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre". Das ist ein Text von Gellert und der bringt das treffend zur Sprache. Seine "Missa solemnis" ist charakterisiert worden als ein "künstlerischer Reflex seiner universalen Suche nach Gott". Die dogmatische Einheit von Gott und Christus lehnt Beethoven ab. Dafür identifiziert er sich hörbar mit dem Lebensweg Jesu.
In der "Missa solemnis" hören wir, wie er daran bewegt Anteil nimmt. Nehmen Sie zB den Abschnitt des Credo von "Qui propter nos homines ..." über "et homo factus est" bis zu "crucifixus etiam pro nobis, passus et sepultus est". Aber er sieht auch Parallelen zwischen dem Lebensweg von Christus und seiner eigenen Taubheit, die für einen Musiker ja das größte Unglück ist.

Steinmann:
Also Herr Bernius, Beethoven macht eher stark, Christus wurde gekreuzigt, hat gelitten, ist begraben worden. Dann folgen im christlichen Glaubensbekenntnis, Auferstehung und Himmelfahrt. Auf lateinisch: „Et ascendit in caelum.“ Welche Bedeutung hat diese Passage dann speziell in der Missa solemnis?

Bernius:
Also wir haben da schon mitgelitten wie er das cruxifixus komponiert und das passus und auch das sepultus est. Das ist ein langer Textabschnitt und die Frage ist, kann man aus der Länge einzelner Textabschnitte entnehmen, ob und wie ein Komponist davon gepackt ist? Also ich glaube das ist so, denn es lässt sich aus der Länge dieser Passage von etwa hundert Takten - aber von den nachfolgenden, die Sie jetzt genannt haben: "et resurrexit" und "et ascendit in caelum" - da lässt sich herauslesen, dass das kürzere Abschnitte sind, dass das Mitleiden ihn mehr herausfordert als die Dogmen des Glaubens.

Musik

Das „et resurrexit“ „er ist auferstanden“, ist zwar dadurch, dass es a cappella gesungen wird, ein wirkungsvoller Kontrast zum vorhergehenden „sepultus est“. Dennoch lässt sich durch seine Kürze und dem ebenfalls sehr kurz gestreiften Abschnitt des „er ist in den Himmel gefahren“ doch vielleicht ablesen, dass er mit diesen Dogmen seine Schwierigkeiten hatte. Und Beethoven symbolisiert dabei das „ascendit“ mit Tonleitern nach oben und das „in caelum“ „bis in den Himmel“ mit den höchsten Lagen der Sängerinnen und Sänger. Und das sind aber eher Affekte konventionellen Charakters, wie es Komponisten vor ihm bereits gemacht haben. Es folgt dann aber ein besonderer Abschnitt, das "et vitam venturi", wo es um das Leben nach dem Tod geht. Da glauben wir wieder ein besonderes persönliches Interesse an dieser Frage zu hören: zuerst zögernd, unsicher „et vi-tam ven-tu-ri“, aber bis zum Amen immer mehr bis zu einer rauschhaften Gewissheit sich steigernd.
Das ist ein sehr beeindruckendes Ende des Glaubensbekenntnisses, zugleich eines,
das vieles von Beethovens Denken und seinen Erwartungen verrät.

Beethovens Deutung verstehen

Steinmann:
Dass Sie das heute nicht „live“ musizieren können. Das tut weh, oder?

Bernius:
Ja, das ist wahr, und wir wissen nicht, wie es weitergeht. Eigentlich hilft manchmal schon, das Herauskommen aus dem normalen Betrieb, aber in dem Fall, wenn es so ungewiss ist, ist das schwierig. Es trifft uns Künstler ja auch besonders, und es nimmt uns auch manchmal den Boden unter den Füßen weg.

Steinmann:
Wenn Sie hätten die Möglichkeit gehabt hätten, heute, die Missa aufzuführen. Wo hätten Sie es gern gemacht?

Bernius:
Ich würde nicht sagen, dass es unbedingt nur immer in einer Kirche sein muss. Denn ich möchte Folgendes erreichen, dass wir die Textdeutung eines Werks verstehen, also nicht nur den Text, sondern auch die Deutung des Komponisten. Und dann gehört es dazu, dass auch die Akustik dazu beitragen muss.

Steinmann
Und was möchten Sie Ihren Zuhörern und Zuhörerinnen damit vor allem „gönnen“ ?

Bernius:
Es geht um die persönliche Sicht eines außergewöhnlichen Komponisten und auch Menschen. Und das möchte ich meinen Zuhörerinnen und Zuhörern eindringlich vor Ohren führen. Sie müssen nachher verstehen, was das für eine außergewöhnliche Komposition und außergewöhnliche Auffassung von dem Text ist.

Steinmann:
Was geht Sie seine Musik an? Als Musiker?

Ja, schon in der Schule ist mir gesagt worden, dass Beethoven der größte Komponist ist und ich habe lange gebraucht, bis ich das verstanden habe. Es ist manchmal schon sehr kompliziert, ihn zu verstehen. Und grade, um die Missa Solemnis habe ich lange einen Bogen gemacht. Habe erst mit 60 die erste Aufführung gemacht und jetzt habe ich es zum zweiten Mal hervorgeholt. Es muss mir gelingen, davon überzeugt zu sein, wenn ich damit andere fesseln will, sonst wäre das nicht möglich.

Steinmann:
Zurück zu Beethoven selbst: was „interessiert“ ihn an einer Messe? „Musste“ man Kirchenmusik komponieren oder ist da mehr?

Bernius:
Ja, zuerst war die "Missa Solemnis" als ein Auftragswerk für die Inthronisation von Erzherzog Rudolph, gedacht. Das war ein Freund und Gönner von Beethoven. Dann hat Beethoven aber gemerkt, dass es nicht reicht. Dass er seine Vorstellungen da nicht in einer gewöhnlichen Messgottesdienstlänge unterbringen kann.
Er hat dann sogar 5 Jahre daran gearbeitet. Man hört, dass es ihm zu einem persönlichen Anliegen geworden ist.
Nach seiner Beendigung hat er es als sein "größtes Werk" bezeichnet.
Und das hat sicherlich nicht nur mit der Werklänge und der dadurch verbrachten Arbeitszeit zu tun.

Ewiges Werk, das die Gegenwart ertragen hilft

Steinmann:
200 Jahre sind seither fast ins Land gegangen. Also ich empfinde heute Christi Himmelfahrt fast den „schwierigsten“ Feiertag um ihn sich irgendwie anzueignen mit einem Bewusstsein von heute. Insofern ist auch der unmittelbare Zugang zu Beethovens Messe schwierig. Gibt Sie Ihnen dennoch etwas als Mensch von heute, auch in einem geistig-geistlichen Sinne?

Bernius:
Mich fasziniert alles, was so ein schöpferisches Genie wie Beethoven gedacht und was er empfunden hat. Er hat einmal begeisternd vom "gestirnten Himmel über uns" gesprochen und dessen für niemanden fassbare Weite. Und von der Empathie für Christus habe ich schon gesprochen. Und das gehört für ihn dann doch alles zusammen. Diese Begeisterung und diese Empathie, die haben jetzt ein Kunstwerk hervorgebracht, das für alle Ewigkeit erhalten bleiben wird. Und für mich ist das ein Glück und das hilft mir, Gegenwart zu verstehen und sie zu ertragen und - wenn es geht - noch lange, mein Bestes zu geben.

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Musik
„credo“ track 3 aus Ludwig v Beethoven, Missa Solemnis, Kammerchor Stuttgart, Hofkapelle Stuttgart. Leitung Frieder Bernius.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30954
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