SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

10MAI2020
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Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen[1]. So lautet ein berühmter Satz aus dem Johannesevangelium. Er wird heute in den katholischen Gottesdiensten gelesen. Soweit diese wegen Corona stattfinden und man einen Platz dort bekommt. Die irdischen Wohnungen des himmlischen Vaters stehen gerade ja nicht so offen, wie es normalerweise der Fall ist. Auch nach den ersten Lockerungen sind wir weit von dem entfernt, was wir gewohnt sind. Deshalb bekommt der schöne Satz einen bitteren Beigeschmack. Viele Menschen würden gern an einem Gottesdienst teilnehmen, aber sie dürfen nicht. Weil die Plätze in den Kirchen begrenzt sind, weil sie zu einer Risikogruppe gehören, weil sie alt oder krank sind und es deshalb klug ist, wenn sie zuhause bleiben. Was für Jesus selbstverständlich zu sein scheint, ist bei uns im Moment nicht der Normalfall. Was Christen glauben und wie die Realität aussieht - das prallt an dieser Stelle ziemlich aufeinander. Trotzdem bleibt der berühmte Bibelvers bestehen: Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Und es ist tröstlich, wenn man ihn richtig versteht.

Der Zusammenhang, in dem der Satz von Jesus gesagt wird, macht klar: Es geht nicht um irdische Behausungen. Jesus versucht seine Jünger zu trösten. Wenn er einmal nicht mehr bei ihnen sein wird, brauchen sie sich keine Sorgen zu machen. Er wird einen anderen Platz finden, wo es ihm gut geht. Eben eine passende Wohnung. Einen Ort, wo er geborgen ist, aufgehoben. Nach dem Tod fällt er, fällt niemand ins Bodenlose. Es gibt auch danach einen sicheren Ort, eine Heimat. Jesus geht sogar noch einen Schritt weiter. Er verspricht seinen Jüngern, die zurückbleiben, dass er auch für sie sorgen wird bei Gott. Für jede und jeden wird es die passende Wohnung geben, wenn sie ihr irdischen Leben beenden. Bei Gott findet jeder seinen Platz. Auch wenn er zu Lebzeiten rast- und ruhelos war. Das ist die Botschaft dieses Bibelverses. Die deshalb auch gerne bei Beerdigungen zum Einsatz kommt und wie ich finde, tatsächlich eine schöne Perspektive eröffnet.

Sie birgt aber auch eine Gefahr in sich. Die der Vertröstung aufs Jenseits. Wenn es schon hier - auf der Erde, zu Lebzeiten - nicht gut war, dann halte durch und warte, bis es Dir bei Gott einmal gut gehen wird. Ich finde: Das wäre ein schwacher Trost, wenn man damit beiseite wischt, was schlecht ist, statt etwas dagegen zu unternehmen. Ich halte es sogar für gefährlich, weil es den Menschen klein macht. Mehr noch: Es ist eine Gotteslästerung. Gott hat uns nämlich so geschaffen, dass wir etwas Gutes machen - aus unserem Leben und für andere. Nicht die Hände in den Schoß legen, und auf ein besseres Leben im Himmel warten.

 

Jesus verspricht jedem eine Wohnung im Himmel, bei Gott. Aber was heißt das für unsere irdischen Behausungen? Wo finden wir hier die Heimat, die wir suchen und brauchen? Darüber denke ich heute in den SWR4-Sonntagsgedanken nach.

Es ist immer ein schlechter Rat, sich aufs Jenseits zu verlegen, um hier und heute nichts tun zu müssen. Das gilt im Besonderen auch für die Wohnungs-Frage. Einem, der für sich und seine Familie eine Wohnung sucht und keine findet, nützt es nichts, wenn ich ihm sage, dass Gott eine für ihn bereithält. Im Gegenteil: Die himmlische Wohnung braucht eine Entsprechung, solange man lebt. Ich kann mir jedenfalls nur vorstellen, wie es für mich bei Gott einmal aussehen wird, wenn ich davon schon in meinem Leben einen Eindruck habe. Ich brauche so etwas, wie einen Vorgeschmack aufs Paradies. Ich muss spüren, wie es sich anfühlt. Ich muss sehen, schmecken und riechen, wie gut es dort sein könnte. Deshalb achte ich darauf, dass es in meiner Wohnung schön ist. Ich öffne meine Tür für andere und bemühe mich, ein guter Gastgeber zu sein. Und ich mache mir Sorgen, wenn ich höre, wie viele Menschen eine Wohnung suchen und keine finden. Wo immer ich die Möglichkeit habe, setze ich mich für sie ein.

Und für die momentane Corona-Zeit gibt mir der berühmte Jesus-Satz noch mehr zu denken. Es stimmt schon: Unsere Kirchen sollen Heimat sein, Orte auf Erden, in denen wir etwas vom Himmel ahnen. Besonders in den Gottesdiensten. Aber das ist nicht alles. Der Gottesdienst am Sonntag ist nicht das Einzige, was uns mit Gott in Kontakt bringt. Solange wir leben, nimmt Gott seine Wohnung an vielen und unterschiedlichen Orten bei uns. Oft auch dort, wo wir es weder sehen noch vermuten. Die Einschränkungen, die die Corona-Pandemie uns auferlegt, behindert Gott nicht. Der Gottesdienst spielt sich zur Zeit eher wo anders ab als in den Gebäuden, die einmal dafür gebaut worden sind. Gottesdienst ist auch Singen und Beten, aber nicht nur. Gottesdienst ist mehr!

Ich glaube: Gott wohnt dort, wo echte Liebe ist. Wo Paare sich zusammenraufen; auch wenn es anstrengend ist, so viel und so lange dicht aufeinander zu sitzen. Wo in Pflegeheimen alte Menschen nicht total vereinsamen. Wo Mütter nicht allein gelassen werden mit ihren kleinen Kindern, sondern unterstützt werden. Das alles ist Gottesdienst. Auch dort nimmt Gott seine Wohnung.

 

[1]Johannes 14,2

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30887
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