SWR1 Begegnungen

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„Mein Großvater wird als Apostel verehrt!“

Ich treffe Tillmann Prüfer. Der Journalist hat ein Buch über seinen Urgroßvater geschrieben. Der hieß Bruno Gutmann und war Anfang des 20. Jahrhunderts Missionar im heutigen Tansania. Grund genug, ihm gleich ein ganzes Buch zu widmen, denn Tillmann Prüfer hat bei seinem Projekt nicht nur viel über seinen Urgroßvater gelernt, sondern auch viel über sich selbst.

Ich treffe den Redakteur des ZEIT-Magazins in den Berliner Räumen der Redaktion und will wissen, wie er dazu kam, sich mit seinem Urgroßvater auseinanderzusetzen.

Er erzählt, dass seine Mutter die Idee hatte, als Familie nach Tansania zu reisen, um zu sehen, wo der Missionar Bruno Gutmann gewirkt hat. Er war bei der Leipziger Mission und als Tillmann Prüfer da nachgefragt hat, bekam er überraschende Antwort:

Sie dürfen da auf keinen Fall hinfahren, ohne sich vorher anzukündigen. Das ist eine schwere Beleidigung. Ihr Urgroßvater ist dort noch ein sehr bekannter Mann und wird als großer Apostel verehrt. Sie müssen dort einen offiziellen Besuch machen. Und da dachte ich mir "oh ha". Da scheint ja etwas über meinen Urgroßvater bekannt zu sein, was mir nicht bekannt ist. Da scheinen ja Menschen mit ihm noch zu tun zu haben. Und das hat mich neugierig gemacht. Und deswegen habe ich angefangen, für dieses Buch zu recherchieren.

Als ich höre, wie es der Familie auf ihrer Reise in die eigene Vergangenheit ging, bekomme ich Gänsehaut.

Welcome home! Wir kamen dort unten an und ich war völlig überwältigt von der Gastfreundlichkeit. Für die Menschen dort war es, die Familie Gutmann kommt zurück. Sie sind wieder da. Das heißt für die Menschen dort waren wir dort beheimatet und gehörten zu diesem Land dazu. Gehörten zu dieser Gemeinde dazu.

Diese Herzlichkeit hat in dem 41-Jährigen etwas bewegt.

Was sich in mir dann verändert hat dort ist, dass ich mit der Weile begriffen habe, dass ich dort auch eine Rolle spiele, dass ich nicht einfach dort zu Gast bin, sondern dass etwas von mir erwartet wird auch. Dass ich als Urenkel von Bruno Gutmann einfach ein sehr sehr frommer Mensch sein muss.

Dass die Menschen dort sowas von ihm erwarten, fällt ihm gar nicht so leicht.

Ich würde mich eher so als sympathischen Agnostiker bezeichnen, der sagt: ja, das kann alles sein, das muss aber nicht sein. Aber wenn man dann am Kilimandscharo in Moshi bei den Chagga war, war für die alle klar, das ist kein Agnostiker, das ist ein sehr frommer Mensch. Und so haben sie mich behandelt und so habe ich gebetet und so wurde ich auch dann dazu gezwungen mich mit meinen eigenen Glaubenswurzeln zu beschäftigen. Und auch damit zu beschäftigen, was doch da in mir ist. Und was doch da an einer Gottverbundenheit und einem Gottvertrauen ist. Und ich wurde dazu gezwungen auch darüber zu reden.

Der Berliner Journalist Tillmann Prüfer hat in seinem Buch „Der Heilige Bruno - Die unglaubliche Geschichte meines Urgroßvaters am Kilimandscharo“ nicht nur die Geschichte seines Urgroßvaters erkundet, er ist sich dabei auch selbst näher gekommen. Vor allem was Glaube und Kirche betrifft, hat sich seine Sicht verändert.

Klar, unsere Gottesdienste in Deutschland sind von der Atmosphäre und Stimmung nicht mit denen in Tansania zu vergleichen. Schade eigentlich, denn Tillmann Prüfer hat sich dort sehr wohl gefühlt und er sieht seitdem, was in unseren christlichen Gottesdiensten fehlt.

Wenn man hier in einen Gottesdienst kommt, wird einem sehr oft erzählt, in welcher Weise man falsch fühlt, in welcher Weise man zu undankbar ist, in welcher Weise man nicht an den und den und den denkt.

In Moshi ist nicht die Rede davon, dass man egoistisch und arrogant ist und nicht an das Leid anderer Menschen denkt. Weil das Leid ist dort immer präsent. Dort ist man viel dankbarer für das, was man am Leben hat. Eigentlich wurde dort das Leben gefeiert und die Gemeinschaft gefeiert.

Und das war auch das, was meinem Urgroßvater sehr wichtig war. Also auf seinem Grabstein steht geschrieben: Zwischen uns ist Gott. Gott findet zwischen den Menschen statt.

Das hat der Missionar Bruno Gutmann verstanden. Und das hat er aufgegriffen. Deshalb ist er für viele in Moshi eben ein Heiliger. Bruno Gutmann hat nicht mit der Keule missioniert. Er hat die Sprache der Chagga gelernt und ihnen zugehört. Er hat alle Geschichten, Märchen und das ganze Rechtssystem aufgeschrieben. Das heißt, das was heute über das Volk der Chagga bekannt ist, ist Bruno Gutmann zu verdanken.

Tillmann Prüfer ist fasziniert davon, dass ein einzelner Mensch in der Lage ist, in einer völlig fremden Gegend so viel Gutes zu tun. Besonders beeindruckt hat ihn während seiner Reise:

Zu was Nächstenliebe eigentlich fähig ist und was Nächstenliebe konkret ist, was für´n ganz direktes Gefühl, was man sofort einem Menschen sagen kann und aussprechen kann und erleben kann, das war das Beeindruckendste.

Heute wird in vielen Kirchen Erntedank gefeiert. Tillmann Prüfer hat seit seiner Reise einen besonderen Bezug zu diesem Fest - durch seinen Urgroßvater, den „Heiligen Bruno“.

Dort war ich auch zur Zeit, als dort Erntedank gefeiert wurde. Und der Pfarrer sagte in der Predigt sehr einfache Dinge. Er sagte: wir wissen eines, wir kommen mit nichts auf die Erde und wir verlassen diese Welt mit nichts. Das heißt alles was wir hier haben, ob es viel ist oder wenig ist, alles ist nur geliehen an uns damit wir etwas daraus machen.

Dass Tillmann Prüfer dieses Geschenk von Gott annimmt und wirklich dankbar dafür ist, das merke ich ihm deutlich an. Die Reise nach Tansania war besonders: es war eine Reise zu seiner Familie, zu sich selbst und auch zu Gott.

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20637
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