SWR4 Sonntagsgedanken

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Gott begegnet mir - was erwarte ich von ihm?

Vor Kurzem habe ich mit jugendlichen Firmanden über Gott gesprochen; darüber wie sie sich ihn vorstellen. Für einige ist Gott ein alter Mann von gestern. Er sitzt mit Rauschebart auf einer Wolke und guckt runter - viel erwarten kann man von ihm nicht. Andere haben Gott mit einem Buchhalter verglichen: Er taucht selten auf, notiert aber alles. Und am Ende kommt die große Abrechnung. Die Jugendlichen haben viele Bilder gefunden. Aber egal welches: für sie ist Gott weit weg. Sie rechnen nicht wirklich mit ihm.

Ich habe mich gefragt, wie das bei mir ist. Dabei ist mir ein Liedtext eingefallen, den ich einmal gehört habe: Was wäre, wenn Gott einer von uns wäre - heißt es da. Irgend so ein unscheinbarer Typ im Bus neben mir. Würde ich ihn erkennen? Wenn Jesus auf der Straße daherkäme, wäre ich mutig genug, ihn anzusprechen? Was würde ich ihm sagen? Vielleicht könnte er ja was für mich tun. Aber würde ich es ihm wirklich zutrauen?

Dieser Gedanke lässt mich nicht mehr los. Vor allem, weil Gott ja tatsächlich Mensch war - das jedenfalls glaube ich. Die Bibel erzählt von Menschen, die ihm begegnet sind. Bartimäus zum Beispiel. Er ist blind und bettelt am Straßenrand. Als er hört, dass Jesus vorbeikommt, spricht er ihn an: „Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir."

Jetzt könnte man meinen, Jesus sieht den Blinden und heilt ihn. Macht er aber nicht - jedenfalls nicht sofort. Er stellt ihm eine entscheidende Frage: „Was soll ich dir tun?"
Jesus bohrt also nach. Er fragt nach dem Glauben von Bartimäus. Was traust du mir denn zu, das ich dir tun kann? Und der Blinde geht aufs Ganze: „Ich möchte wieder sehen können", sagt er. Ich möchte wieder gesund sein und am Leben teilnehmen.
„Geh, dein Glaube hat dir geholfen", heißt es dann weiter in der Bibel. Und das Wunder ist geschehen.

Wie wäre es, wenn ich wie Bartimäus Jesus begegnen würde? Würde ich ihn erkennen? Und wenn ja, würde auch ich aufs Ganze gehen und ihn ansprechen? Vermutlich nicht. Ich wäre bestimmt verunsichert: Kann mir Gott wirklich so nahe sein?
Vielleicht würde das Gespräch dann so verlaufen: „Was soll ich dir tun?" „Ach, Herr, nicht der Rede wert. Tut mir leid, wenn ich dich belästigt habe..."
Ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich wie meine Firmanden gar nicht wirklich mit Gott rechne. Damit, dass er mir tatsächlich begegnet. Ich gebe mich damit zufrieden, dass er weit weg ist.

„Was soll ich dir tun?" Meine Antwort hängt davon ab, wie viel ich Gott zutraue. Ich kann mich mit wenig zufrieden geben und Gott Gott sein lassen. Ich kann aber auch wie der blinde Bartimäus ein Wunder erhoffen - was auch immer das für mich sein mag: geheilt werden an Leib oder Seele, gerettet werden aus Einsamkeit oder vielleicht einer finanziellen Not...

 

Ich begegne Gott - was erwartet er von mir?

Die Bibel erzählt vom blinden Bartimäus. Er hat damit gerechnet, dass Gott nicht irgendwo auf einer Wolke thront und den Menschen Mensch sein lässt. Er hat darauf vertraut, dass Gott ihm nahe ist und hilft. Und tatsächlich geschieht ein Wunder: er begegnet Jesus, spricht ihn an und kann plötzlich sehen. Sein Glaube hat ihm geholfen - heißt es in der Bibel.

Nun hat Jesus selbst gesagt, dass er erst am Ende der Zeit wiederkommen wird. Dass ich ihm also wie Bartimäus direkt auf der Straße begegne, ist unwahrscheinlich. Ganz abgesehen davon, ob ich mich trauen würde, ihn anzusprechen. Jesus hat aber noch etwas gesagt: Er wird immer unter den Menschen wohnen - nämlich in den Menschen selbst. „Was ihr einem meiner geringsten Brüder und Schwestern tut, das tut ihr mir", hat er seinen Jüngern prophezeit.

Für mich wirft das ein neues Licht auf die Bartimäus-Geschichte. Ich kann sie anders deuten: Angenommen, ich rechne wie er damit, dass Gott vorbeikommt - nicht als die Person Jesus von vor 2000 Jahren, sondern als normaler Passant auf der Straße. Dann müsste ich mich doch entsprechend verhalten. Das fängt schon damit an, dass ich den anderen freundlich grüße. Vielleicht habe ich sogar ein nettes Wort für den Mann übrig, der mich nach dem Weg fragt. Wie Bartimäus würde ich die Welt auf einmal mit neuen Augen sehen und Wunderbares würde geschehen: die Welt würde menschlicher - nur weil ich mit Gott rechne.

Wenn ich Jesus in meinem Gegenüber sehe, dann passiert aber noch weit mehr! Ich erkenne nämlich, dass die Hungernden das Brot brauchen könnten, das ich wegwerfe, die Frierenden dankbar wären um das Hemd, das bei mir überflüssig im Schrank hängt, und dem barfüßigen Bettler auf der Straße die Schuhe passen könnten, die bei mir vor sich hingammeln. Und auf einmal besteht echter Handlungsbedarf!

Genau auf diesen Handlungsbedarf weist der heutige Sonntag der Weltmission hin. In vielen Kirchen hängen Missio-Plakate. Auf ihnen ist Schwester Cecilia zu sehen. Sie ist oft tagelang im dichten Dschungel von Papua-Neuguinea unterwegs, um Menschen zu besuchen und ihnen zu helfen. Schon an ihrem Ordensgewand kann man sehen, dass sie zu Jesus gehört. Sie ist davon überzeugt, dass sie Jesus in anderen Menschen, vor allem in den ärmsten treffen kann. Deshalb ist sie für sie da. „Was soll ich dir tun" - hat Jesus Bartimäus gefragt. Und das fragt auch sie als Missionsschwester die Menschen. Manche von ihnen sind arm und obdachlos, andere krank. Schwester Cecilia hilft ihnen so gut sie kann, denn sie weiß: Was sie diesen Menschen Gutes tut, das tut sie Jesus.

Gott ist mir näher, als ich es vielleicht vermute, denn Jesus wollte unter den Menschen wohnen. Wenn ich daran glaube, sehe ich die Welt mit anderen Augen und das wirkt sich auf mein Handeln aus. Ob ich netter mit anderen umgehe, Menschen oder Missionare weltweit unterstütze - es bricht etwas auf. Die Welt wird menschlicher. Und das ist etwas Wunderbares, ja, vielleicht sogar ein Wunder.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14090
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