SWR2 Wort zum Tag

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Verzeihen, das sei Gottes Handwerk, hat der Spötter Voltaire gemeint, und auf den harmlosen und nur „lieben“ Gott gezielt, von dem die Bibel allerdings nichts weiß. Heine soll nach einer vielleicht gut erfundenen Anekdote sterbend und auf seiner „Matratzengruft“, nach seinem Verhältnis zu Gott gefragt, dieses Wort aufgegriffen und gesagt haben: Er wird mir verzeihen; Verzeihen ist sein Geschäft. Und er hat das dann nicht nur spöttisch gemeint! Bei Gott ist viel Vergebung, sagt auch die Bibel. Allerdings geht dieser Erkenntnis die andere voraus: dass der Gottlose umkehren soll und so Erbarmen erfährt. Bei Gott ist viel Vergebung, aber die gibt es offenbar nicht bedingungslos.
Oder doch? Wie soll man mit all dem, was man schuldig geblieben ist und immer wieder schuldig bleibt, an Vergebung glauben können, wenn zuvor Bedingungen erfüllt werden müssen? Bleibt da nicht die quälende Frage, ob man denn wirklich alle Bedingungen erfüllt hat? Wird so die Gewissheit, Verzeihung erfahren zu haben und wirklich angenommen zu sein, nicht unmöglich? Ist nicht die einzige „Bedingung“, dass Gott vergibt, dass man sie braucht und sie haben will und sich Gott zuwendet wie ein Bettler, der seine leere Hand ausstreckt? Jesus hat jedenfalls keine Bedingungen gestellt, wenn er einem Menschen gesagt hat: Dir sind deine Sünden vergeben. Er hat schuldige Menschen bedingungslos geliebt und angenommen – und gezeigt: Gott vergibt bedingungslos.
Gottes Vergebung ist bedingungslos, aber nicht folgenlos. Man kann zu ihm kommen, wie man ist; man soll aber nicht bleiben, wie man ist. Vergebung bedeutet ja: Eine zerbrochene Beziehung wird wieder hergestellt, Vertrauen neu begründet. In einer Beziehung bleibt man nicht, wie man ist, in einer Liebesbeziehung schon gar nicht. Der Mensch, den man liebt und von dem man geliebt wird, gehört jetzt zum eigenen Leben, ist immer wieder „Bezugspunkt“. Das Leben richtet sich auf ihn aus. Es ist so ähnlich in der Beziehung zu Gott, die durch seine Vergebung erneuert wird: Gott wird Bezugspunkt im Leben, im Handeln; er bestimmt das Leben. Das macht aus uns keine vollkommenen Menschen. Was Gottes Vergebung bei uns bewirkt, bleibt, wie das ganze Leben, Fragment. Aber neue Anfänge werden möglich, ein Wachsen im Glauben - durch Gottes Vergebung, die er bedingungslos gewährt.
Es ist gar nicht so falsch: Verzeihen ist Gottes Geschäft! Allerdings ein schweres. Es hat Jesus das Leben gekostet, als er Gottes bedingungslose Liebe lebte und zu uns brachte. Wie sollte eine solche Liebe nicht Vieles bei uns möglich machen – z.B. dass wir verzeihen!

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