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Seit unserem letzten Urlaub hat mich das Fahrradfieber gepackt. Auch zuhause fahre ich seitdem viel öfter Fahrrad. Am Anfang wurden vor allem die Wege, die ich sonst zu Fuß zurücklege durchs Radfahren ersetzt. Mein Auto steht bereits die meiste Zeit in der Garage. Doch einmal in der Woche mache ich einen Großeinkauf – mit dem Auto. Diesen wöchentlichen Großeinkauf mit dem Fahrrad zu erledigen – das wäre eine echte Veränderung.
Doch ganz ehrlich: ich bin kein Mensch, dem Veränderungen leichtfallen. Trotzdem wage ich gern Neues. Sozusagen um mich selbst herauszufordern. Und Schritt für Schritt klappt es dann meistens doch ganz gut. So auch bei diesem Vorsatz: Zunächst habe ich mir eigene Fahrradtaschen genäht. Da ich super gern nähe, habe ich mich so ein stückweit selbst überlistet. Denn nachdem die Taschen fertig waren, wollte ich sie natürlich auch nutzen. Seitdem war ich schon einige Male damit einkaufen. Ich habe schnell gelernt, was ich an den Taschen noch nachbessern muss oder wie ein Einkauf mit dem Rad am entspanntesten abläuft. Mittlerweile ist diese Veränderung langsam in meinem Leben angekommen und ich bin stolz, dass ich Neues gewagt habe.
Und ich bin damit nicht allein: In der Bibel gibt es unzählige Geschichten von Veränderungen. Denn Gott verändert Menschen und ihr Handeln, indem er sie befähigt. Ihnen etwas zutraut. Wie zum Beispiel bei Mose. Er wird von Gott erwählt, das Volk Gottes aus der Sklaverei zu führen. Als junger Mann soll er plötzlich ein großes Volk quer durch die Wüste führen. Das ist keine leichte Aufgabe. Doch mit Gottes Hilfe gelingt die Mission. Und schließlich landen sie gemeinsam im gelobten Land. Schritt für Schritt.
Solche Beispiele helfen mir, wenn sich in meinem Leben Dinge verändern. Denn sie zeigen mir: Veränderungen sind wichtig und gehören zum Leben dazu. Doch gleichzeitig weiß ich: ich muss sie nicht allein meistern. Meine Freunde, meine Familie oder Kollegen unterstützen mich oft. Doch manchmal reicht diese Hilfe nicht. Ich bin dankbar zu wissen: ich bin nicht allein. Gott geht mit. Ermutigt und befähigt mich. So kann ich mich Schritt für Schritt an das Neue gewöhnen, ohne mich selbst zu überfordern.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38425In meinem Umfeld bin ich dafür bekannt, dass ich sehr viel rede. Und ausgerechnet ich habe mich zu einem Schweigekurs im Kloster angemeldet. Dieser Kurs war meine persönliche Challenge: ich wollte schon immer mal wissen, wie es ist, als geistliche Übung zu schweigen. Fünf Tage haben wir gemeinsam in einer Gruppe geschwiegen. Zunächst fiel es mir leicht, doch je mehr Zeit verging, desto schwerer und herausfordernder wurde es. Die Stille war ohrenbetäubend laut. So viel spukte in meinem Kopf herum. Vieles, was ich im normalen Alltag beiseitegeschoben oder verdrängt hatte. Jetzt hatte ich Zeit alles zu bedenken – es zu Ende zu denken.
Mich erinnert das an den Propheten Elija aus der Bibel. Er lebte als Eremit in der Wüste. Allerdings nicht freiwillig. Elija wurde von Gott berufen als sein Botschafter in der Welt zu wirken. Elija nimmt diese Berufung ernst. Und gleich der erste Auftrag hat es so richtig in sich: im Auftrag Gottes soll er dem mächtigen König Ahab eine Dürrekatastrophe ankündigen. Elija tut wie ihm geheißen. Das kommt beim König gar nicht gut an und so muss er sich verstecken. Das bringt Elija an seine Grenzen. Er wünscht sich sogar zu sterben. Doch es kommt anders: Elija erlebt Gottes Nähe: Gott zeigt sich ihm. Nicht in einem großen Sturm, Erdbeben oder im Feuer, sondern in einem leisen Flüstern. Gott begegnet Elija in seiner Schwäche, Müdigkeit und im Erschöpft-Sein. Und in der Stille!
Mir ging es im Kloster ähnlich: Die Stille und das Schweigen haben etwas mit mir gemacht: Ich habe alles intensiver wahrgenommen. Alltägliches wurde mir neu bewusst. Ich habe Dinge entdeckt, die ich noch nie bemerkt habe. Und ich habe bewusst auf meine innere Stimme gehört oder anders gesagt: ich wurde offen auf Gott zu hören. Auf das, was er mir sagen will. Durch einen Gedanken, ein Lied oder eine Idee, die einfach plötzlich da war. Und mir wurde klar: indem ich mich neu auf Gott ausrichten und mir Zeit für meinen Glauben nehme, werde ich gestärkt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38424155 Zentimeter – so „groß“ bin ich. Ich habe deshalb schon früh gelernt, gewisse Tricks anzuwenden, um an die oberen Dinge im Schrank zu kommen oder gar allein Möbel zu rücken. Es kommt schlicht auf die Taktik an: meistens braucht man nicht viel Kraft, sondern eher Köpfchen… Mal hilft mir ein Kochlöffel als Armverlängerung, um an die oberen Dinge ranzukommen. Mal hilft es mein komplettes Körpergewicht gegen ein Regal zu lehnen, um es zu verschieben… Anders gesagt: es liegt an mir, ob ich meine Kleinheit als Schwäche oder Benachteiligung sehe, oder ob ich sie zur wahren Stärke ausbaue – und darin dann sozusagen meine eigene Kraft entdecke.
Doch meine eigene Kraft zu entdecken, kann auch im übertragenen Sinn verstanden werden. Um diese Kraft zu finden, braucht es mehr als eine gute Taktik. Innere Kraft lässt sich nicht durch Muskelaufbau trainieren, dazu braucht es etwas anderes: »Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Denn meine Kraft kommt gerade in der Schwäche voll zur Geltung.« (2. Kor 12,9) So bringt es der Apostel Paulus auf den Punkt. Er schreibt diese Worte im zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth. Paulus will die Gemeinde ermutigen, sich ganz auf Gott zu verlassen. Denn Paulus hat selbst erlebt, dass es sich lohnt, auf Gott zu bauen. Paulus Leben war turbulent. Zunächst hat er die Christen verfolgt, doch nach einer Gottesbegegnung kehrt sich sein Leben komplett um. Er wird vom Saulus zum Paulus. Ab da erlebt Paulus immer wieder, wie Gott ihn stärkt. Gerade in Momenten, in denen er sich besonders schwach fühlt.
Ich verstehe, was Paulus damit meint: Wenn meine Kräfte am Ende sind, fällt mir erst auf, dass Gott es ist, der mir meine Kraft schenkt. Es ist seine Kraft, die in mir wirkt. Sie kommt nicht von mir allein. Meine eigene Kraft entdecken heißt deshalb für mich, mir bewusst zu sein, dass meine Kraft Gottes Kraft in mir ist. Denn er gibt mir jeden Tag die Kraft, die ich brauche, um meinen Alltag zu meistern.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38423„Komm, lass uns abhauen!“ Manchmal sag ich diese Worte zu meinem Mann. Wenn mir in meinem Leben alles zu viel ist. Wenn Konflikte den Alltag beherrschen. Wenn alles nur noch ätzend, nervig und belastend ist. Dann würde ich am liebsten flüchten. Doch gleichzeitig weiß ich natürlich: das geht nicht. Da muss ich jetzt durch.
Hagar geht es ähnlich. Sie ist die Magd von Abraham und Sara, die kinderlos waren. In der damaligen Zeit eine Katastrophe. Die beiden warten und hoffen auf Gott, doch nichts geschieht. Ganz menschlich wollen sie selbst nachhelfen. Und Sara kommt auf die Idee, dass ihre Magd Hagar, sozusagen als Leihmutter, schwanger werden soll. Denn nach damaligem Verständnis gilt: wird das Kind der Leihmagd auf dem Schoß der Herrin geboren, gilt das Kind als rechtmäßiger Nachkomme. Abraham lässt sich darauf ein und Hagar wird schwanger. Doch jetzt wird es richtig kompliziert: Hagar lässt Sara spüren, dass sie die bessere Frau ist, weil sie fruchtbar ist. Im Gegenzug unterdrückt Sara Hagar.
Hagar, deren Name „Flucht“ bedeutet, hält es nicht mehr aus und flüchtet in die Wüste. An einer Wasserquelle bricht sie erschöpft zusammen. Ihr begegnet ein Engel. Dieser Bote Gottes nimmt sie wahr. Sieht sie an und ermutigt sie umzukehren und sich der Situation zu stellen. Doch er schickt sie nicht ohne Versprechen zurück. Im Gegenteil, er verheißt ihr Segen und gibt ihr zu verstehen: Hagar, du bist nicht allein, „denn der HERR hat dein Elend erhört.“ (V11) Darauf antwortet Hagar mit den Worten „Du bist ein Gott, der mich sieht“. Noch ist das Leid Hagars nicht beendet. Sie muss zurück zu Sara und Abraham. Sie muss sich dieser komplexen Situation erneut stellen; doch gleichzeitig ist sie gewiss, als von Gott Gesehene zurückzukehren.
Mich ermutigt diese Geschichte, mich komplexen Situationen zu stellen. Und ich vertraue darauf, dass Gott mich sieht und mir darin beisteht.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38422„Himmel“ steht auf dem Schlüsselanhänger, den ich an unserer Ferienwohnung aus dem Schlüsselsafe entnehme. Ich muss schmunzeln. Jetzt kann unser Urlaub starten – mit dem Schlüssel zum Himmel in der Hand. Mir gefällt dieses Wortspiel, das sich unsere Vermieter hier erlaubt haben, denn die Ferienwohnung im Dachgeschoss wurde liebevoll als „Grachtenhimmel“ im Internet angeboten. Passend also auf dem Haustürschlüssel nur „Himmel“ zu schreiben. Da die Wohnung im Dachgeschoss liegt, fühle ich mich dem Himmel gleich näher. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und ich kann dort den Stress der Arbeit und des Alltags hinter mir lassen. Es ist dieses typische Urlaubsgefühl, das im Alltag so oft fehlt. Irgendwie himmlisch eben.
Und vielleicht meinte Jesus genau so ein Gefühl, wenn er zu einigen jüdischen Theologen in der Bibel sagt: „Das Reich Gottes ist schon da – mitten unter euch.“ Die Theologen wollten es nämlich ganz genau von Jesus wissen und fragen ihn deshalb: »Wann kommt denn das Reich Gottes?« Und Jesus antwortet ihnen: »Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äußeren Anzeichen erkennen kann. Man wird auch nicht sagen: ›Schau her, hier ist es!‹, oder: ›Dort ist es!‹ Nein, das Reich Gottes ist schon da – mitten unter euch.« (Lukas 17,20-21)
In meinem Alltag schaue ich oft kritisch auf die Welt. Der Fokus liegt auf den Negativschlagzeilen. Vor lauter Weltuntergangsstimmung fällt es mir dann schwer, das Reich Gottes oder das Himmelreich zu erkennen. Doch im Urlaub bin ich zumeist viel positiver gestimmt. Ich habe das Gefühl, genau am richtigen Platz zu sein. Die Welt scheint perfekt und ich nehme vor allem die schönen Dinge des Lebens wahr: die schöne Natur. Entspannte Menschen. Gute Gespräche. Zeit für meinen Partner und mich. In dieser Urlaubsstimmung kann ich dieser Aussage Jesu gleich viel leichter zustimmen. Ja, das Himmelreich ist mitten unter uns.
Schade, dass ich das im Alltag so oft vergesse. Deshalb hoffe ich, dass ich zukünftig immer mal wieder Momente erlebe, wo ich sagen kann: Ich fühl mich wie im Himmel, denn das Reich Gottes ist mitten unter uns. Und das nicht nur im Urlaub.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38421Jesus hat ein Gleichnis erzählt, das immer wieder für Empörung sorgt. „Das ist doch ungerecht!“, sagen die Leute. Jesus und ungerecht? Das passt doch irgendwie nicht, oder?
Das vermeintlich ungerechte Gleichnis geht so: Ein Gutsherr geht auf Reisen und vertraut sein Geld drei seiner Dienern an. Einem gibt er fünf, einem zwei und dem letzten ein Talent Silber. Das war damals ein Haufen Geld. Ein Talent entspricht ungefähr 60 Kilo Silber, heute wären das um die 25.000 Euro pro Talent.
Der erste Diener erwirtschaftet zu den fünf Talenten noch weitere fünf dazu. Auch der zweite kann das Kapital verdoppeln und macht aus zwei Talenten vier. Der Dritte scheut das Risiko. Er gräbt ein Loch und versteckt das Geld darin.
Nach seiner Reise kommt der Gutsherr zurück und will wissen, was mit seinem Geld geschehen ist. Voller stolz präsentieren die ersten beiden Diener ihre 100 % Dividende und ernten reichlich Lob dafür. Der dritte Diener stammelt etwas kleinlaut: „Herr, ich wusste, dass du streng sein wirst, wenn das Geld weniger wird. Deshalb bin ich auf Nummer sicher gegangen und habe das Geld vergraben. Aber immerhin: Hier hat du alles unbeschadet wieder.“ Der Herr ist daraufhin stinksauer und sagt: „Du bist schlecht und faul. Ich nehme dir das Talent weg und gebe es dem ersten Diener, der am meisten erwirtschaftet hat.“
Puh, hört sich nach schlimmstem Kapitalismus an: Der am wenigsten bekommen hat, muss es auch noch an den Reichsten abgeben. Will Gott etwa, dass die berühmte Schere zwischen arm und reich noch größer wird? Eigentlich hat sich Jesus doch für das Gegenteil eingesetzt: die Schwachen stark machen.
Deshalb deute ich das Gleichnis so: Reichtum verpflichtet. Wer viel hat, der soll auch viel geben. Und das nicht nur in Bezug auf Geld, sondern auf viel mehr. Jesus wollte vielleicht damit sagen: Wenn du viele Fähigkeiten hast, dann ist das ein Hinweis darauf, dass Gott dir besonders viel zutraut: Gehe gewinnbringend mit allem um, was Gott dir gegeben hat und was du selbst in dir entwickeln durftest. Ob du ein Talent hast oder viele – setzte sie auf jeden Fall ein - zum Wohl der Menschen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38247Ein Ringkampf kann spannend sein. Ein Ringkampf mit Gott wohl eher nicht, denn Gott schlägt alle - könnte man meine, er ist stark und übermächtig, lässt beim Kräftemessen nichts anbrennen. In der Bibel wird von so einem Kampf erzählt, der aber völlig unerwartet ausgeht.
Jakob hat vor Jahren seinen Bruder übers Ohr gehauen. Es war so schlimm, dass sein Bruder ihn dafür umbringen wollte. Jakob konnte gerade noch ins Ausland fliehen und ist dadurch mit dem Leben davongekommen. Aber nach vielen Jahren zieht es ihn zurück in seine Heimat. Er hat zwar Angst vor seinem vielleicht immer noch zornigen Bruder, aber die Sehnsucht nach zuhause ist einfach größer.
In der Abenddämmerung kommt Jakob an den Fluss Jabbok, der ihn noch von seiner Heimat trennt. Und plötzlich – wie aus dem Nichts – ist da ein Mann der ihn angreift. Jakob wehrt sich, die beiden schenken sich nichts. Sie kämpfen und kämpfen - die ganze Nacht geht das so. Als der Morgen bereits dämmert stehen die beiden immer noch fest umklammert da. Da sagt der Angreifer zu Jakob: „Jetzt lass mich endlich los“. Mit diesen Worten gibt ihm voll einen aufs Hüftgelenk mit. Jakob stöhnt laut auf und presst einen eigenartigen Satz hervor: „Ich lasse dich nicht los, erst musst du mich segnen.“ Jakob muss wohl während des Kampfes eine Ahnung beschlichen haben, mit wem er es da zu tun hat.
Schließlich löst der Angreifer die Situation auf und sagt: „Jakob, du sollst ab jetzt „Gottesstreiter“ heißen, denn mit Gott und Mensch hast du gestritten und gesiegt.“ Und dann segnet er Jakob tatsächlich. Jakob ist fix und fertig und vor allem froh, dass es rum ist, denn es hätte auch anders laufen können. Er macht sich selbst klar: „Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin doch mit dem Leben davongekommen.“ Dann zieht er hinkend der aufgehenden Sonne und seiner Heimat entgegen.
Was für eine Geschichte! Sie steht dafür, wie es ist, wenn man mit Gott ringt. Oft ist es ein Suchen, ein Hadern, es kann lange dauern und anstrengend sein. Und manche werden dabei auch enttäuscht oder tragen Blessuren davon. Ich nehme aus der Geschichte mit: Es lohnt sich zu kämpfen und zu ringen, es lohnt sich zu zweifeln und sich seinen Zweifeln zu stellen. Und vielleicht lohnt es sich auch, verletzt oder enttäuscht zu werden. Denn in all dem kann Gott sich zeigen. Manchmal als ein zäher Partner, manchmal kompromissbereit. Aber am Ende – da steht der Segen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38246Ein Freund hat mich um Rat gefragt. Er hat eine tolle Stelle angeboten bekommen, bei der fast alles gepasst hat: ein sympathischer Chef, eine reizvolle und überschaubare Aufgabe, ein schöner Arbeitsplatz und ein nettes Team. Nur eine Sache hat ihn gestört: die weite Entfernung zu seinem Wohnort. Fast eine dreiviertel Stunde im Auto pro Weg.
Für die Mönche von früher wäre das kein Problem gewesen. Sie haben ihre Wege sogar extra verlängert, obwohl in so einem Kloster doch alles schön eng beieinander liegt. Die Mönchszelle, die Kirche, der Speisesaal – meistens ist alles in einem Gebäudekomplex untergebracht. Aber genau deshalb haben die alten Mönche den Kreuzgang erfunden. Der liegt meistens im Zentrum eines Klosters - eine Art quadratisch angelegte überdachte Wandelhalle, in der Mitte befindet sich meistens ein Garten oder ein Brunnen.
Wenn ich als Mönch von meiner Zelle in die Kirche möchte - und das ist auch heute noch so - dann muss ich einfach durch den Kreuzgang. Möchte ich von der Kirche in den Speisesaal, muss ich wieder durch den Kreuzgang. Der Kreuzgang war so etwas wie eine künstlich angelegte Extrastrecke. Auf heute übertragen ein extra langer Pendelweg.
Als mein Freund davon gehört hat, hat er sich etwas unschlüssig am Kopf gekratzt und gesagt: „Die sind aber schön blöd. Die machen sich ja unnötig das Leben schwer.“
Die meisten Mönche früher haben das wohl anders empfunden. Sie haben den Kreuzgang ja bewusst so angelegt. Denn sie wollten eben nicht hopplahopp vom Studieren zum Beten übergehen oder vom Beten zum Essen. Sondern sie haben den Weg zwischen den Gebäudeteilen für etwas genutzt: Sie haben sich von der einen Situation gedanklich verabschieden können und sie noch einmal Revue passieren lassen. Und dann haben sie sich auf die neue Aufgabe, die vor ihnen lag, eingestellt. Sie waren überzeugt, dass man so bewusster leben kann.
Auf meinen Freund übertragen könnte das heißen: Nutze die Fahrstrecke, um dich morgens gedanklich von deiner Familie zu verabschieden. Lass dir nochmal deine Frau und Kinder durch den Kopf gehen, wünsche ihnen vielleicht alles Gute für das, was heute für sie ansteht. Und dann beschäftige dich schon einmal mit dem, was dich im Büro erwartet. Hol dir die Gesichter deiner Kolleginnen vors innere Auge, überlege dir, welches deine ersten Aufgaben heute sind, und was du heute Abend geschafft haben möchtest.
Das Pendeln dazu nutzen, um bewusster zu leben - darauf muss man erst mal kommen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38245Kleine Testfrage: Welche Farbe hat ihre Unterhose – ohne zu gucken. Ich bin über die Frage in einem Buch mit Wahrnehmungsübungen gestolpert. Es waren einfach ein paar Fragen zum bisherigen Tag. Es hat Spaß gemacht, mich an bestimmte Dinge zu erinnern. Und als ich versucht habe, mich ganz bewusst an ein paar Dinge zu erinnern, da ist mir immer mehr eingefallen, was meinen bisherigen Tag zu einem ziemlich schönen Tag gemacht hat.
Die erste Frage in dem Buch hieß: Welche Tiere hast du heute gesehen? Ich habe mich an einen Hund mit Maulkorb erinnert, als ich meine Kinder zur Bushaltestelle gebracht habe. Und später habe ich eine Taube gesehen, die einen Balztanz aufgeführt hat.
In der zweiten Frage ging´s um besondere Gerüche. Da hatte ich den Duft von Kaffee am Frühstückstisch in der Nase und von frischem Brot, als ich an der Bäckerei vorbeigegangen bin. Und später dann diese typische abgestandene Bahnhofsluft.
„Hat dich heute die Sonne beschienen?“ war die nächste Frage. Kurz bevor ich die Frage gelesen hatte, war ich noch auf dem Bahnsteig gestanden und bin extra ein Stück aus dem Schatten in die Sonne gerückt, und sie hat mir wunderbar den Rücken gewärmt. „Hast du irgendwo Musik gehört?“ hieß es als nächstes. Und zu guter Letzt: „Wer hat dir heute zugelächelt?“
Auf den ersten Blick banale Fragen. Aber ich habe gemerkt: Man muss sich Zeit nehmen, um sie beantworten zu können. Denn eigentlich rauscht das Leben meistens Vollgas an mir vorüber. Manches, oder besser gesagt fast alles, nehme ich gar nicht mehr wahr. Schade eigentlich, denn ohne diese Fragen wären mir viele Momente gar nicht bewusst geworden und verloren gegangen. Und da gehören gar nicht nur die schönen Erfahrungen dazu. Auch Unangenehmes oder Sperriges lohnt es sich oft noch einmal genauer zu betrachten. Warum wohl hat der Herr am Schalter so gereizt reagiert? Und warum war die Stimmung so mies, als ich ins Büro gekommen bin?
Dinge wieder bewusster wahrnehmen, sie mir nochmal durch den Kopf gehen lassen – wie in Zeitlupe. Sie bedenken, wertschätzen oder mit gutem Grund zur Seite legen. In dem Buch mit den Wahrnehmungsfragen hieß es, dass man das ganz gut üben kann, das bewusste Wahrnehmen. Und dann wirkt es wie eine sanfte Bremse im Leben, und die tut mir fast immer gut.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38244Zu berechnen, wie viel ein Mensch wert ist – das erscheint auf den ersten Blick fast unmoralisch. Denn den eigentlichen Wert eines Menschen kann man nicht in Euros ausdrücken. Wie will man all das berechnen, was er kann, welche speziellen Fertigkeiten er hat; aber auch was ihn ausmacht, wie er andere zum Lachen bringt, welche Power er hat, wie hartnäckig er sein kann, wie liebevoll, fürsorglich, erfinderisch und kreativ er ist.
Und trotzdem wird immer wieder am puren Materialwert von uns rumgerechnet. Das Technologiemagazin „Wired“ hat das einmal genau zusammengezählt: Wie viel würde man für unsere Organe bekommen, wie viel für Haut und Knochen, für die vielen unterschiedlichen Körperflüssigkeiten und Chemikalien, die der Körper produziert. Und siehe da: allein die zwölf Gramm Thyrotropin – ein Hormon, das im Gehirn vorkommt – sind schon über eine halbe Million Euro wert. Und der ganze Mensch fast 40 Millionen – purer Materialwert, da sind die nicht-materiellen Dinge noch gar nicht eingerechnet. Das fühlt sich doch gut an!
Jammerschade ist nur, dass viele Menschen - außer Fußballstars vielleicht - nicht so behandelt werden, als wären sie 40 Millionen wert. Ich denke dabei besonders an diejenigen, die auf der Flucht sind oder in Kriegsgebieten leben. An Minderheiten, an misshandelte Kinder, an Obdachlose, an hart schuftende Frauen oder an Gefangene.
Aber ich erlebe es auch hier in meinem Alltag. Mit teuren Autos zum Beispiel wird oft besser umgegangen als mit Menschen. Autos werden poliert, es wird ihnen gut zugeredet, sie werden gewaschen und gesaugt, und ab und zu gibt´s einen Ausflug ins Grüne. Sie bekommen feinstes Öl und auch mal Schmuck geschenkt – Duftbäume für den Rückspiegel oder Designer-Radkappen für die Räder. Und die Menschen? Ich erlebe immer wieder, dass sie ignoriert werden, dass sie angeschrien, abgespeist oder übers Ohr gehauen werden, dass sie verlassen, entlassen oder einfach links liegen gelassen werden.
Ich weiß nicht, ob´s helfen würde: ein kleines Preisschild, auf dem draufsteht „Minimum 40 Millionen“ – und das bei wirklich allen Menschen. Und vielleicht noch ein Aufkleber dazu, auf dem steht „keine Massenware, individuell mit viel Liebe gefertigtes Einzelexemplar“.
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