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Ich kann mich noch gut an meine Zeit im Kindergottesdienst erinnern. Erntedank war immer ein besonderer Sonntag: Wir durften zu den Erwachsenen in den Gottesdienst. Und nicht nur das: Wir brachten allerlei Früchte mit. Kürbisse, Zucchini, Auberginen und Berge von Trauben. „Mit Gaben den Altar schmücken“ – so hieß das damals. Und in unseren Augen war klar: Mit den Gaben sah die Kirche gleich nochmal so schön aus.
Danach wurden die Gaben zu Gunsten eines Kinderheims unter den Gottesdienstfeiernden versteigert. Ob irgendjemand dann aus unseren Gaben um den Altar herum etwas gekocht hat, weiß ich nicht. Für uns war das Schmücken das Schöne. Ich habe aber auch noch im Ohr, was der Pfarrer damals zu uns sagte: „Dank Gott dafür, dass wir Essen haben.“ Damals haben wir das noch nicht so verstanden. Aber wir haben eine erste Ahnung davon bekommen, wie abhängig wir sind von dem Wunder, dass auf der Erde etwas wächst.
Heutzutage gibt es so ein Brauchtum an den Altären immer noch. Aber die Gespräche über den Wert von Feldfrüchten haben sich, meine ich, verlagert. Vom Altar, dem Tisch in einer Kirche, zum Esszimmertisch in der Familie oder bei Freundinnen und Freunden.
Mein Eindruck ist: In meinem Bekanntenkreis regen die zubereiteten Nahrungsmittel erstmal nicht zum Dank an, sondern zu einer hitzigen Diskussion. Der eine lebt vegan, der nächste vegetarisch, die dritte ist Flexitarierin. Sie isst also ab und zu Fleisch. Und der vierte teilt mit: Ich lasse mir mein Schnitzel nicht verbieten! Manchmal bedaure ich das schon. Alle vier könnten schön beisammen sitzen. Aber die Frage, wer „am richtigsten“ isst, steht dem wohl im Wege.
Ich stelle mir diese vier nur mal als Experiment an Erntedank in einer Kirche vor. Wahrscheinlich schmücken sie den Altar nicht zusammen. Sondern bauen sich eigene Altäre in den Ecken der Kirche. Die Lebensmittel der anderen kommen nur in Auswahl vor. Wenn überhaupt.
Eigentlich könnte das Erntedankfest einmal als Chance gedacht werden, miteinander darüber zu sprechen, wie gut wir es hier haben. Gerade auch im Vergleich zu Ländern, in denen Menschen hungern. Ich finde: Das Erntedankfest mit seinen buntgeschmückten Altären sollte wieder ein zentraler Ort werden, um über Nahrungsmittel zu sprechen. Und zwar ohne verhärtete Meinung. #
Decken wir also gedanklich den Tisch. In einer Ecke steht ein veganes Gericht. In der zweiten ein vegetarisches. In der dritten steht ein Braten und in der vierten Ecke liegt ein Zettel aus der Bibel, auf dem steht: Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet (1. Tim 4, 4f).
Das ist doch für die drei Esser an diesem Tisch ein echtes Friedensangebot. Mindestens aber eine Aufforderung, mal miteinander zu sprechen. Denn zumindest in christlich-biblischer Perspektive haben alle drei einen gemeinsamen Nenner: Das, was sie essen, können sie dankbar empfangen. Beschenkt sind also alle drei. Und deshalb können alle drei gemeinsam mit Danksagung empfangen, wie es in der Bibel steht. Typisch wäre zum Beispiel ein kurzes Dankgebet vor dem Essen. Menschen haben schon immer ihre Danksagung im Gebet artikuliert.
Ich spüre diese Dankbarkeit gerne in mir. Und ich vermute, so dankbar können sich nicht nur wir Menschen fühlen. Wenn nämlich zum Beispiel eine Kuh genüsslich auf der Weide kaut, dann empfängt sie das Gras mit wiederkäuender Danksagung. Wenn ein Schwein den Erdboden umgräbt, empfängt es Wurzeln und Knollen mit schnüffelnder Danksagung.
Und mir gefällt der Gedanke, dass Gott gerade irgendwo eine Kuh mit Futter beschenkt und sie ihm was vormuht. Oder ein Schwein ihm was grunzt, weil beide gerade nicht auf meinem Teller liegen.
Je älter ich werde, desto mehr, sehe ich das Wunder, dass auf dieser Erde Nahrung wächst für alles, was lebt. Und ich sehe, dass es sich lohnt daran zu erinnern, für dieses Wunder zu danken. Heute, an Erntedank ist der beste Tag, um das mit anderen gemeinsam zu tun. Der gemeinsame Boden: wir sind alle beschenkt.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Erntedanksonntag und eine gute Woche.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40780Vor fast 25 Jahren, da habe ich das erste Mal „Weltuntergangsstimmung“ erlebt. Das war vor dem Jahreswechsel 1999 – 2000: Jahrtausendwechsel! Für die meisten war das Brimborium da rundherum ein Spaß. Aber es gab auch Menschen, die tatsächlich Angst hatten, dass die Welt untergehen könnte. Ein beängstigendes Gefühl, und ich finde, das muss man ernst nehmen. Und wie gemein, dass Betrüger damals ganz schnell eine Masche daraus gestrickt haben, um den verunsicherten Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, frei nach dem Motto: „Die Welt geht doch unter – da brauchst du dein Geld doch gar nicht mehr…“
Später habe ich gelesen, dass im Jahr 1910 wohl etwas Ähnliches passiert ist. Da ist ein Komet in der Nähe der Erde vorbeigeflogen, und manche Menschen dachten, sein Schweif würde die Erdatmosphäre vergiften und sie würden dann alle ersticken. Produzenten von Gasmasken sind damals angeblich reich geworden. Und es müssen tolle Feste gefeiert worden sein – Kometen-Parties. Ein letztes Mal feiern – bevor eben die Welt untergeht.
Jetzt gerade spüre ich manchmal wieder so etwas wie „Weltuntergangsstimmung“ in meiner Umgebung. Aber anders als beim Jahrtausendwechsel. Ich denke, sie ist den die vielen Krisen der letzten Jahre geschuldet: Kriege, das Wetter ändert sich… ich will sie gar nicht schon wieder alle aufzählen. Und wenn jetzt im Herbst auch noch die Tage dunkler und regnerisch werden, dann ist das belastend für Seele und Gemüt.
Andererseits – könnte unsere Weltuntergangsstimmung heute auch eine positive Seite haben? Der Gedanke ist mir gekommen, als ich den Bibeltext gelesen habe, über den heute in vielen evangelischen Gottesdiensten gepredigt wird. Es ist ein Abschnitt aus dem ersten Petrusbrief. Und da heißt es:
Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet. Vor allen Dingen habt untereinander beharrliche Liebe; denn „Liebe deckt der Sünden Menge zu“ (Sprüche 10,12). Seid gastfrei untereinander ohne Murren. Und dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes: (1.Petrus 4, 7-9)
Die Christen damals waren überzeugt, dass tatsächlich sehr bald die Welt untergehen würde – dass wirklich Zeit und Raum aufhören würde und Jesus Christus zurückkehren würde als Richter über die Welt. Und der Rat, den der Briefschreiber deshalb gibt, der ist wirklich bemerkenswert!
Er sagt: Betet – konzentriert euch auf Gott. Das ist wichtiger als so manches, was euch gestern noch Kopfzerbrechen gemacht hat. Und: Seid beharrlich in der Liebe! Vergesst den Streit oder den Ärger, den ihr gestern noch für so wichtig gehalten habt. Die Welt geht bald unter. Was also soll das noch? Begegnet einander liebevoll – lasst niemand allein.
Und so zugewandt, ganz und gar auf den Zusammenhalt der Menschen bedacht geht es in dem Brief weiter: Seid gastfrei untereinander – ladet euch gegenseitig ein, zum Essen, zum Übernachten. Umsonst! Niemand sollte jetzt hungern müssen und ohne Dach über dem Kopf sein. Das ist wirklich wichtiger als Geld. Morgen geht schließlich die Welt unter – da kann man mit seinen Reichtümern eh nichts mehr anfangen.
Liebe Hörerinnen und Hörer, ich will nicht zynisch sein. Es geht mir nicht darum zu sagen: Wenn morgen alles vorbei ist, dann ist heute eh alles egal. Und in unseren Tagen wissen viele Menschen ja tatsächlich nicht, ob sie den morgigen Tag noch erleben werden. Ob ihre Welt nicht tatsächlich gerade untergeht – und das hat keine positive Seite.
Allerdings habe ich beim Lesen dieser Bibelstelle gemerkt, wie wichtig es ist, sich das klarzumachen: Wir leben in Krisenzeiten. Und das Leben könnte sich auch bei uns unerwartet ändern – auch wenn nicht gleich die ganze Welt untergeht. Was ist da wirklich wichtig? Geld? Recht zu behalten, wenn ich mich mit meinem Nachbarn streite oder irgendjemand anderen nicht leiden kann? Die Pläne, die ich für meine Zukunft gemacht habe?
Für den Autor des Bibeltextes ist wichtig: zu beten und mit Gott zu sprechen – der Kraft, die ihn mit seinem Leben beschenkt hat. Liebevoll mit seinen Mitmenschen umzugehen, ob sie ihm nun sympathisch sind oder nicht. Und gastfrei zu sein und großzügig, soweit seine Mittel reichen und ihm das möglich ist. Ich finde seinen Rat und seine Haltung bemerkenswert. Und wenn Weltuntergangsstimmung eine solche Haltung auslöst, dann ist das tatsächlich eine positive Sache.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40778Ganz schön aufgeregt war ich bei der Hochzeit meines Sohnes vor Tagen. Mit dem Vater der Braut hatte ich vereinbart, mit ihmzusammen etwas beim Fest zu sagen. Keine Rede sollte es werden. Kein Manuskript sollte es geben. Wir wollten ohne viel Pathos vor den Gästen miteinander ins Gespräch kommen. Erzählen, wie stolz wir auf unsere Kinder sind. Welche Erinnerungen wir haben, wenn wir sie so vor uns sehen. Alles mit ganz kleinen Anekdoten aus der Kindheit. Die Vorbereitung war einfach. Wie im Brennglas eingefangen erinnerte ich mich ganz schnell an Geschichten mit meinem Sohn. Die Bilder von damals wurden lebendig als sei das alles gestern noch gewesen.
Immer war er draußen. Oft bis es dunkel wurde. Mit seinen vielen Freunden. Wir lebten damals in einer ländlichen Region im Saarland. Der Garten um unser großes Haus war wie im Bilderbuch. Ein Spielplatz der besonderen Art. Da gab es einen Bach. Eine kleine Schlucht zum sich verstecken. Zwei Schafe auf einer Wiese. Und auf vielen Bäumen seine ganz große Leidenschaft, meist hoch oben hinter Ästen und Blättern versteckt. Die Baumhäuser. Uneinnehmbar für den Feind. Mit Brettern, Nägeln und Paletten errichtet. Nur über Hängeleitern zu erreichen. Dort konnte man schlafen, Hausaufgaben machen, essen und sich zurückziehen. Mein Sohn im Baumhaus. Das ist für mich das Bild seiner Kindheit.
Wir Menschen brauchen solche Geschichten, um uns zu beschreiben. Wir erzählen dann mit ganz einfachen Worten und Bildern, wer wir sind. Was uns begeistert. Wie wir uns und auch unsere Mitmenschen sehen. Solche Geschichten sagen viel mehr als viele Worte oder lange Biografien. Und das war auch bei der Hochzeit meines Sohnes so.
Heute wird im katholischen Gottesdienst eine Geschichte erzählt, die der Evangelist Markus über Jesus schreibt. Auch wenn uns aus dem Leben Jesu nichts weitergesagt worden wäre, als diese Stelle der Bibel, wir würden ganz schnell verstehen, wer dieser Jesus war und was er wollte. Die Geschichte ist schnell erzählt. Jesus hat sich einmal in die Mitte seiner Jünger gestellt. Da war ein kleines Kind. Das hat er in seine Arme genommen und nur gesagt. Schaut her. Vergesst nicht: Wer von euch der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein. Das ist ein starkes Bild: Jesus und das kleine Kind. Im Kreis drumherum seine Jünger.
Jesus stellt ein kleines Kind in die Mitte und damit all die Vorstellungen seiner Jünger auf den Kopf. Ein Kind in der Mitte von Erwachsenen. Klein. Ohne Stimme. Schutzlos und wehrlos. Jesus nimmt es in seine Arme. Gibt ihm Sicherheit und Halt. Nimmt ihm die Angst. Ohne große Worte zeigt er, was ihm wichtig ist. Seine Botschaft ist klar. So sollt auch ihr euch verhalten!
Ich stelle mir vor, wie sich die Jünger vor Verwunderung die Augen reiben. Denn nur langsam begreifen sie, um was es diesem Mann aus Nazareth geht. Markus lässt seine Geschichte vom Kind auf dem Weg nach Jerusalem spielen. Dorthin ist Jesus mit seinen Freunden unterwegs. Dort im Zentrum der Macht aber wird er gehasst. Nicht wenige meinen, sein Sprechen über Gott sei unerträglich. So ganz anders als die übliche Lehre. Hier wird man ihn womöglich verhaften. Er ahnt jedenfalls nichts Gutes und versucht die kleine Schar seiner Jünger darauf vorzubereiten. Wenigstens die sollen doch begreifen, um was es ihm in Gottes Namen geht: Der Erste soll der Letzte sein. Buchstäblich Diener soll er werden. Groß ist eben nicht, wer reich ist, schöne Kleider hat und ein teures Auto fährt. Groß machen uns nicht gut bezahlte und hochangesehene Posten. Groß bin ich auch nicht, wenn alle mir zujubeln und mich bewundern. Groß bin ich nach Jesu Logik, wenn ich das Kleine und Schwache achte und nicht verachte. Groß bin ich, wenn mir meine Mitmenschen nicht egal sind. Wenn ich die kleinen Leute nicht vergesse. Die Kinder. Die Menschen auf der Flucht. Die Alten. Die Kranken und Einsamen. Sie in die Mitte stelle. Ihnen eine Stimme gebe.
Das Bild vom Kind ist tröstlich auch für mich selbst. Es gibt mir Kraft, wenn ich mich schwach fühle und darauf angewiesen bin, dass andere mich tragen und halten. Mich in den Arm nehmen. In Therapien geht es oft um unser inneres Kind. Um die heilenden Kräfte, die sich entfalten, wenn ich mich darauf einlasse. Auf meine Grenzen und Schwächen. Mein Angewiesensein auf die Liebe anderer Menschen. Erst wenn ich mein inneres Kind in seiner Schwäche und Hilfsbedürftigkeit akzeptiere und annehme, kann ich groß werden. Verantwortungsvoll und wertschätzend. Buchstäblich wachsen wie ein Baum.
Kleine Geschichten brauchen wir, die davon erzählen, wer wir sind und was uns am Herzen liegt. Sie tun gut, wenn wir sie erzählen. Und helfen uns dann so ganz langsam zu verstehen, was uns und unsere Mitmenschen so ganz besonders macht. So stark und so verletzlich. Kurt Marti, ein Schweizer Pfarrer hat einmal ganz einfach zusammengefasst, was die Botschaft Jesu war. Wie er mir einen Spiegel vorhält und von Gott so ganz anders spricht. Er bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: Mensch gerne groß. Gott gerne klein.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40705Es muss gegen Ende der Sommerferien gewesen sein, denn ich erinnere mich noch genau an den großen Blumenstrauß aus Dahlien und Sonnenblumen, der neben dem Telefon stand, als dieser Anruf kam. Die Frau am anderen Ende der Leitung klang verzweifelt. Unter Tränen hat sie mir erzählt, dass ihr Vater im Sterben liege; jeden Moment könne es zu Ende gehen, und sie könne einfach keinen katholischen Priester für eine Krankensalbung erreichen. Überall nur die freundlichen, aber nutzlosen Stimmen auf Anrufbeantwortern. Ob ich nicht kommen könnte? In der Not würde sie, würde wohl auch der Vater, auch mit einer evangelischen Pfarrerin vorliebnehmen. Ich versicherte ihr, dass ich mich sofort auf den Weg machen würde. Und während ich mein Buch mit Gebeten am Sterbebett suchte, ratterten in mir die Gedanken. Ob ich einfach so eine Krankensalbung vollziehen könnte? Und wie ging das überhaupt? Was war wichtig dabei? Wem würde ich helfen und wen damit vielleicht in Schwierigkeiten bringen? Und warum, habe ich mich damals gefragt, ist man auf das richtige Leben eigentlich immer so schlecht vorbereitet?
Der Weg zum Haus, in dem gestorben wurde, war nicht weit; ich klingelte und wurde eingelassen. In der Wohnung hat mich schier der Schlag getroffen. Ein gutes Dutzend Menschen hatte sich da versammelt, alle wuselten hektisch hin und her. Mein erster spontaner Gedanke: Mein Gott, wie soll man hier sterben können bei diesem Betrieb? Vorsichtig habe ich versucht, einen Teil der vielen Leute aus dem Schlafzimmer zu bugsieren. Ein Sohn blieb am Bett sitzen, um einen Psalm, ein Gebet nach dem anderen vorzulesen. Sein Vater sei ein gläubiger Mensch; es würde ihm gefallen. Ich blieb einen Moment bei ihm, hörte die vertrauten Worte eines biblischen Psalms: „Du wirst meine Seele nicht dem Tod überlassen und nicht zugeben, dass dein Geschöpf für immer in die Grube muss. Auch mein Leib wird sicher wohnen.“ Dann habe ich ihn alleingelassen, bin den anderen ins Wohnzimmer gefolgt. Einige weinten, andere rauchten; alle redeten durcheinander und wollten nur das Beste, nur waren sie sich uneins, was in dieser Situation wohl das Beste war. Nun, wer weiß das schon; ich wusste es jedenfalls auch nicht, habe sie erzählen lassen, nachgefragt, versucht, die vielen Gesprächsfaden zu entwirren und nicht abreißen zu lassen. Zwischendurch ging ich nach nebenan, um nach dem Sterbenden zu sehen. Ich habe ihm die Hand auf die Stirn gelegt, seine Handrücken gestreichelt. Ich hatte keine Ahnung, ob der Mann wirklich in seinen letzten Zügen lag.
Endlich hat es an der Tür geklingelt und ein Priester ist aufgetaucht. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen, aber er wusste, was zu tun war.
An den genauen Ablauf oder den Wortlaut der Gebete kann ich mich nicht mehr erinnern; sehr wohl aber an die Ruhe, die sich plötzlich auf alle Anwesenden übertragen hat. Alle Verzweiflung, alle Hektik war mit einem Mal wie weggeblasen. Auch ich konnte mich einfach dem Ritual überlassen und musste nicht mehr nachdenken, was denn nun zu tun wäre. Mit den andern sah ich zu, wie der Priester den Sterbenden an denselben Stellen berührte, die auch ich zuvor intuitiv gewählt hatte, auf der Stirn und an den Händen; nur dass er dazu noch ein extra Salböl verwendete. Schön war das.
Als der Mann etwa eine Stunde später tatsächlich starb, war nur die Tochter bei ihm im Zimmer, die mich angerufen hatte. Gefasst kam sie herüber, bat uns hinein, die wir noch im Zimmer nebenan ausharrten. Sie hatte das Fenster geöffnet, damit, wie sie sagte, die Seele sich nun auf den Weg machen konnte. Und noch einmal fielen mir die Worte aus dem Psalm ein, die ich kurz zuvor gehört hatte: „Du wirst meine Seele nicht dem Tod überlassen. Du wirst nicht zugeben, dass dein Geschöpf für immer in die Grube muss. Auch mein Leib wird sicher wohnen.“ Die schlichte Zuversicht dieser Worte schien sich auf die Anwesenden übertragen zu haben in dem Moment, als der Priester sie dem Sterbenden quasi auf den Leib geschrieben hatte. Als hätte er damit einen Weg geöffnet, auf dem nun alles seinen geregelten Gang gehen, seine natürliche Bestimmung finden konnte. Ein Leben ging zu Ende, und andere Leben gingen weiter, und der Vollzug eines alten Rituals hat dafür gesorgt, dass alle ihren Platz gefunden haben.
Ich habe das nie vergessen. Und es hat mir auch ein bisschen die Angst genommen vor vielen weiteren Begegnungen an Sterbebetten. Immer wieder habe ich die Erfahrung gemacht, wie liebevolle Segensgesten, Berührungen, die gemeinsame Feier eines Abendmahls oder biblische Worte, die so viel älter sind als die Lebenden und die Toten im Raum, eine ruhige Zuversicht vermittelt haben, dass alles sich fügen wird. Ganz so, wie der Psalm es verspricht: „Du wirst meine Seele nicht dem Tod überlassen. Du wirst nicht zugeben, dass dein Geschöpf für immer in die Grube muss. Auch mein Leib wird sicher wohnen.“
Wenn es so weit ist, wünsche ich Ihnen das auch. Und haben Sie keine Scheu, einen Priester zu rufen oder eine Pfarrerin. Rituale tun der Seele gut.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40660Heute ist der letzte Ferientag in Baden-Württemberg. Ab morgen geht es wieder rund. Selten hat mich dieser Übergang so umgetrieben wie in diesem Jahr.
Das letzte Jahr hatte es ganz schön in sich. Die Kinder hatten in der Schule Klausuren und Projekte zu stemmen, die die ganze Familie auf Trab gehalten haben. Mein Sohn ist zur Erstkommunion gegangen. Ich habe seine Gruppe begleitet, obwohl auch im Büro echt viel los und meine Zeit knapp war. Eine Tante ist gestorben und wir haben über Monate ihre Wohnung ausgeräumt. Und dann ist auch noch ein Bekannter verunglückt; bis heute kämpft er sich ins Leben zurück. Das alles hat mich ziemlich mitgenommen und viel Kraft gekostet. Ich habe richtig Bauchweh davor, dass es nach den Ferien so weitergeht.
Ich habe mich gefragt, wie wir das als Familie durchhalten konnten. Das zu wissen hilft ja manchmal, zuversichtlicher nach vorne zu schauen. Dabei bin ich an der Bibelstelle hängen geblieben, die heute in den Gottesdiensten gelesen wird. Sie erzählt, wie Jesus einen Taubstummen heilt. Das war mir gleich sympathisch. Ein Taubstummer … Wie oft hat es auch mir im letzten Jahr die Sprache verschlagen und wie oft ist mir Hören und Sehen vergangen.
Mir sind in der Geschichte kleine Details aufgefallen. Es heißt da zum Beispiel ganz beiläufig: „Man brachte einen Taubstummen zu Jesus.“ Das klingt banal. Aber offenbar gibt es Leute, die für den Mann da sind, sich kümmern und tun, wofür seine Kraft nicht ausreicht.
Wie ist das bei mir? Da hat es doch auch Leute gegeben, die im letzten Jahr da waren, die mitgedacht und mich und unsere Familie unterstützt haben; ohne viel Aufhebens: unsere Eltern, die nach den Kindern geschaut haben; die Kommunionmutter, die Termine koordiniert hat, sodass ich mich nicht kümmern musste; eine Nachbarin, die geholfen hat, die Wohnung aufzulösen; und Kollegen, die geduldig waren, als ich eine Frist nicht einhalten konnte.
Die Geschichte vom Taubstummen berichtet dann weiter, wie Jesus den Mann heilt: Er berührt seine Zunge und Ohren mit Spucke. Das klingt eklig. Aber es ist auch eine sehr intime Geste: Jesus ist dem Mann so nahe, wie kein anderer. Das hilft ihm, wieder Worte zu finden und den Lärm des Alltags zu sortieren.
Auch für mich war Jesus da; da bin ich sicher. Als der Bekannte verunglückt ist, war ich total sprachlos. Ich konnte nur noch eine Kerze anzünden. Stumm. Es war eigenartig und vielleicht kann das nicht jeder nachvollziehen, aber ich habe gespürt, dass Gott nahe ist. Ich konnte ihm wortlos anvertrauen, was mich fast zerrissen hat: all meinen Zorn und meine Wut, aber auch meine Hoffnung und Zuversicht.
Vielleicht fühlt es sich im Alltag manchmal so an, als ob ich ganz auf mich gestellt bin. Aber ich glaube, das ist gar nicht so. Ich bin nicht alleine – gerade wenn es richtig rund geht.
„Effata! Öffne dich!“
In der Geschichte vom Taubstummen gibt es ein weiteres Detail, das mir wichtig ist. Jesus sagt zu dem Mann: „Effata! Öffne dich!“ Und sogleich kann er hören und sprechen. Bis heute wird dieser Ruf bei der Taufe verwendet. Wenn der Priester dabei Mund und Ohren berührt, betet er darum, dass der Täufling fähig wird, im Lärm des Alltags das zu hören, was wirklich wichtig ist. Er soll sich öffnen können für Gott und anderen von ihm erzählen.
Dieses „Öffne dich!“ klingt für mich aber nach mehr; fast wie ein Lebenstipp. Auch ich habe den bei der Taufe mitbekommen und will jetzt mal sehen, ob er mir im Alltag hilft. Sich zu öffnen, kann ja vieles bedeuten:
Mir Dinge von der Seele reden zum Beispiel. Wer das tut, muss nicht alles mit sich selber ausmachen. Das nimmt Druck und befreit. Ich tu mich oft schwer damit, über meine Gefühle zu sprechen. Aber gerade, wenn es um Konflikte geht, ich verletzt worden bin oder mit etwas klarkommen muss, das mir nahe geht, ist das wichtig! Also, Thomas: "'Effata!' Versuche wenigstens, dich zu öffnen" – gerade in diesen Situationen!
Offen zu sein, kann auch heißen, Hilfe oder einen Rat anzunehmen. Ich habe Kinder und meine Frau und ich überlegen oft, welche Regeln wir aufstellen und wie streng wir sie durchsetzen sollten. Da hilft es uns manchmal, mit Freunden darüber zu sprechen oder mit den eigenen Eltern, die uns ja damals großgezogen haben. Ähnlich ist es im Büro: Teamwork und Feedback heißt das dort. Es tut manchmal weh, sich und das, was man erarbeitet hat, dem Urteil der anderen zu stellen. Aber am Ende entlastet es mich, denn ich muss nicht alles alleine schaffen. Im Team ist vieles leichter und wenn ich etwas respektvoll und konstruktiv rückgemeldet bekomme, bringt mich das weiter.
„Öffne dich“ kann auch bedeuten, ohne Scheu auf andere Menschen zuzugehen. Das habe ich gerade im Urlaub erlebt. Meine Tochter hat zum ersten Mal ihr Englisch ausprobiert und hat sich getraut, auf dem Campingplatz direkt unsere britischen Nachbarn anzusprechen. Schnell ist ein herzliches Verhältnis gewachsen. Ich werde bald einen neuen Kollegen bekommen und im Büro wird sich einiges ändern. Wie genial wäre es, wenn auch ich mich so vorbehaltlos auf ihn und die neue Situation einlassen könnte.
Wenn das mal keine Tipps sind, die den Alltag leichter machen und mit denen ich morgen gut durchstarten kann. Ich bin froh, zu wissen, dass ich nicht alleine dastehe. Und wenn es mir dann noch gelingt, mit den anderen über das zu sprechen, was mich beschäftigt, Hilfe anzunehmen und mich offen auf Menschen und neue Situationen einzulassen, dann sollte das doch passen. Also dann: Effata. Auf geht’s – guten Mutes ins neue Schuljahr.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40635Wissen Sie eigentlich, welch Geistes Kind Sie sind? Die Jünger Jesu haben das nämlich einmal nicht gewusst. Sie waren mit Jesus unterwegs. Doch in einem Dorf, da wollten die Leute nichts mit ihnen zu tun haben. Die Jünger waren sauer. Gott sollte diese Leute bestrafen! Er sollte Feuer vom Himmel regnen lassen!
Jesus hat seine Jünger scharf zurechtgewiesen: „Wisst ihr denn nicht, welch Geistes Kinder ihr seid!?“ Die Jünger haben sich geschämt. Klar, sie wussten: Wir sind Kinder vom Geist Gottes. Wir sind Gottes Kinder. So hat der Apostel Paulus das einmal ganz direkt geschrieben: Die sich vom Geist Gottes leiten lassen, die sind Kinder Gottes.
Darüber muss ich jetzt nachdenken. Ich bin ein Kind Gottes. Und für ein Kind Gottes gehören sich bestimmte Dinge nicht. Die tut man dann einfach nicht.
Also, dass Feuer vom Himmel fällt – das habe ich noch nie jemandem gewünscht! Tod und Vernichtung – soweit bin ich noch nie gegangen. Aber wie oft habe ich schon hinterm Steuer gesessen und geschrien: Du blöder … Na ja, und so weiter. Was man eben so am Steuer schreit. Wenn da einer so dicht auffährt, ständig mit der Lichthupe!
Doch die Raser und Drängler, die waren nicht das Problem von den Jüngern. Sondern Leute, die etwas anderes dachten und glaubten. Und die deswegen nichts mit ihnen zu tun haben wollten. Auf aggressives Drängeln mit Schimpfen zu reagieren, ist das eine. Aber Menschen, die anders denken, Tod und Vernichtung zu wünschen – das ist schon eine andere Nummer. Wobei ich die Jünger auch verstehen kann: Diese anderen, die wollten einfach nichts mit ihnen zu tun haben! Denen war nicht einmal die Gastfreundschaft heilig.
Was mache ich mit Menschen, die mich komplett ablehnen? Denen nichts mehr heilig ist? Was Jesus und Paulus dazu sagen, das macht mich ehrlich gesagt etwas ratlos. Weißt du nicht, welch Geistes Kind du bist? Du bist ein Kind Gottes.
Das klingt so schön. Aber das hat eben Folgen, ganz konkret, in meinem Alltag. Schaffe ich das? Kann ich das: wie ein Kind Gottes leben? Wie ein Kind Gottes mit anderen umgehen, denen das völlig egal ist? Und wenn ich das nicht so richtig kann: Wie kann ich es üben?
Was habe ich als Kind geübt, bis ich Fahrrad fahren konnte! Und dann noch freihändig – das war dann schon sehr für Fortgeschrittene! Und die Vokabeln, die ich in der Schule pauken musste. Etwas üben, bis man es kann. Und wenn ich etwas nicht kann, dann bewundere ich, wenn andere das können. Und freue mich, wenn mir jemand zeigt, wie es geht. Dann kann ich es lernen.
Als Kind Gottes durch die Welt gehen: Das ist schon anspruchsvoll. So wie eine längere Strecke freihändig Fahrrad zu fahren. Aber ich will es üben.
Woran erkennt man ein Kind Gottes? Ich glaube, die beiden wichtigsten Merkmale sind Vertrauen und Hingabe. Grundvertrauen ins Leben haben. Voller Hingabe nach Gott suchen – gerade bei den anderen Menschen. Das klingt so leicht, so kinderleicht. Doch es muss geübt werden.
Vielleicht ist das so ein bisschen wie beim Seiltanz. Das war etwas, was ich als Kind besonders bewundert habe! Meine Lieblingsnummer, wenn ich den Zirkus besucht habe.
So eine Seiltänzerin – die hat hart geübt. Geübt, damit es ganz leicht aussieht. Vertrauen: darin steckt das Wort trauen. Wer vertraut, der traut sich etwas. Wie eine Seiltänzerin: Sie hat lange daran gearbeitet. Sie weiß, dass sie es kann. Aber ohne das entscheidende Stück Vertrauen würde sie nicht losgehen. Und da kommt die Hingabe ins Spiel. Ich habe getan, was ich konnte. Ich kann etwas. Ich habe es tausendmal geübt. Und jetzt gehe ich los. Auf dem schmalen Seil über dem Abgrund. Ich gebe mich völlig hin. Denn sonst könnte ich gar nicht losgehen.
So macht ein Kind Gottes das im Leben, in der Welt. Alles spricht gegen Vertrauen. Vertrauensselig – das ist fast ein Schimpfwort! Über jemanden, der so ist, schütteln alle den Kopf. Der ist doch zu gut für diese Welt!
Wer ein Kind Gottes ist, der muss das abkönnen. Der ist nicht immun gegen die Kritik anderer. Aber er ist schon einen Schritt weiter. Er ist schon auf dem Seil. Konzentriert balanciert er durch die Welt, die für ihn Spott, Geringschätzung, Verachtung und Gleichgültigkeit übrig hat.
„Ihr Christen glaubt ja noch an Märchen!“, heißt es da etwa. Na ja. Die so reden, die glauben meistens jeden Unsinn, der irgendwo im Internet steht. Aber ich wünsche ihnen nicht, dass ein Feuer vom Himmel sie verbrennt. Ich will ihnen als Kind Gottes begegnen. Nicht vertrauensselig – aber voller Vertrauen auf Gott, der Lust daran hat, dass wir leben. Wir alle.
Das ist schon mal wie ein Balanceakt auf dem Hochseil. Ich kann das auch noch nicht so gut, wie ich gerne möchte. Aber ich übe. Voller Vertrauen und Hingabe.
Man soll ruhig merken, welch Geistes Kind ich bin! Manchmal schäme ich mich, weil es wieder nicht geklappt hat. Aber nicht lange. Ich übe weiter. Ich will ein guter Seiltänzer im Glauben werden! Und zum Glück kenne ich Menschen, die mir beim Lernen und Üben helfen. Die wünsche ich Ihnen auch! Und einen gesegneten Sonntag!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40580Die Kirche und die Frauen. Ein ziemlich schwieriges Verhältnis. Dabei können Frauen in der Gesellschaft heute ja alles erreichen, theoretisch zumindest: Konzernchefin, Bundeskanzlerin und bald vielleicht sogar US-Präsidentin. Nur meine katholische Kirche ist die wohl letzte große Institution, in der nach wie vor die höchsten Leitungsämter kategorisch Männern vorbehalten sind. Die Diskussion darüber kocht seit Jahren. Und alle Versuche, das Thema von oben herab für beendet zu erklären, sind krachend gescheitert. Die Argumente überzeugen einfach nicht mehr. Vielen modernen, selbstbewussten Frauen in der Kirche allerdings langt es. Sie fühlen sich degradiert, bloß weil sie Frauen sind und nicht wenige haben sich inzwischen frustriert abgewandt. Einige von ihnen kenne ich selbst.
Deshalb ist es umso heikler, wenn die Bibel ein überholtes Frauenbild auch noch mit höchster Autorität zu bestätigen scheint. Den Text, der heute in manchen katholischen Gottesdiensten zu hören sein wird, möchten einige deshalb am liebsten im Giftschrank sehen. Sperrig und für Ohren von heute geradezu empörend klingt manches, was der Apostel Paulus vor fast 2000 Jahren geschrieben haben soll.
Einer ordne sich dem andern unter in der gemeinsamen Furcht Christi! Ihr Frauen euren Männern wie dem Herrn; denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist.
Und etwas weiter heißt es dann: Wie aber die Kirche sich Christus unterordnet, so sollen sich auch die Frauen in allem ihren Männern unterordnen. (Eph 5,21ff.)
Ob das wirklich von Paulus stammt ist fraglich. Aber wer auch immer es war: Die Empörung, vor allem natürlich unter Frauen, verstehe ich gut. Das ist vorgestrig, passt schlicht nicht mehr in unsere Zeit. Dabei ist die Haltung, die sich hinter den Zeilen verbirgt, auch bei uns noch gar nicht so lange her. Von anderen Kulturen ganz zu schweigen. Mehr noch: In der katholischen Kirche fanden sich solche Gedanken lange noch im Ritus der Trauung wieder – bevor die Texte gründlich modernisiert und Mann und Frau gleichberechtigt angesprochen wurden. Meine Eltern, die beide verstorben sind, hatten 1960 geheiratet. Ich erinnere mich, dass meine Mutter mir vor vielen Jahren erzählt hat, dass sie einzelne Formulierungen damals rundweg abgelehnt habe. Sie wollte so einem Frauenbild nicht entsprechen. Und auch mein Vater wollte das nicht. Und so habe ich die Beziehung meiner Eltern auch in Erinnerung - im weitesten Sinne gleichberechtigt und auf Augenhöhe. Bei vielen Paaren ihrer Generation dürfte das auch vor 60 Jahren schon die Regel gewesen sein. Der Mann als „Haupt der Frau“? In weiten Teilen der Gesellschaft war und ist das jedenfalls schon lange kein Thema mehr.
Die Kirche solle sich Christus unterordnen und ebenso auch die Frauen ihren Männern. Diese Forderung aus der Bibel, die heute in katholischen Kirchen zu hören ist, bringt Gläubige seit Jahrzehnten auf die Palme. Zu Recht. Mehr noch: Sie scheint etwas zu bestätigen, was viele dem Christentum ja insgeheim oft unterstellt haben. Dass es im letzten doch darum gehe, sich klein zu machen. Sich unterzuordnen. Immer mit dem Gefühl, unwürdig und nie gut genug zu sein vor den Augen Gottes? Übersehen wird da, dass der Schreiber aber noch mehr verlangt:
Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, heißt es da. Und etwas weiter: Darum sind die Männer verpflichtet, ihre Frauen so zu lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst.
Wer will da ernsthaft widersprechen? Und doch: das Ärgernis bleibt. Eine Unterordnung von Frauen, die in der patriarchalen Umwelt damals selbstverständlich erschienen, hat in unserer Welt hier und heute einfach keinen Platz mehr. Kurz: Es sind Sätze, die den ganzen Bibeltext verdunkeln.
Und deshalb ist es gut, wenn ich die Bibel nicht naiv, sondern immer auch kritisch lese. Wer immer ihre Texte geschrieben hat, war eben auch ein Kind seiner Zeit. Einer ganz anderen Zeit als heute. Und so finden sich in biblischen Texten manchmal Vorstellungen, die gesellschaftlich längst überholt sind. Aber eben auch solche, die noch heute wie für die Ewigkeit erscheinen. Sie stehen da wie Leuchttürme: Liebt eure Feinde und tut Gutes denen, die euch hassen etwa. Oder: Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben. Und eben auch: Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt ein Mensch in Christus Jesus. Sätze, die niemanden abwerten oder klein machen. Zu denen ich aber aufblicken und an denen ich wachsen kann, wenn ich es will.
Deshalb gehören Sätze wie die, dass die Frauen sich den Männern unterordnen sollen, nicht in den Giftschrank. Aber sie spiegeln das Denken einer anderen Zeit und Kultur. Sie zeigen, wie die Bibel entstanden ist. Nicht wortwörtlich von Gott diktiert. Sondern geschrieben von Menschen, die von Gott begeistert und gepackt waren. Und die darum auch kritisch zu lesen und zu hinterfragen sind. Gotteswort neben menschlichen, manchmal allzu menschlichen Worten. Es ist gut, das eine vom anderen zu unterscheiden.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40537Von meinen Enkelkindern lerne ich nochmals neu, wie einfach und schön „Leben“ und „Glauben“ geht.
Es war am ersten Sonntag im August: Meine Frau und ich haben mit den beiden Kleinsten einen Ausflug in den Höhenpark Killesberg in Stuttgart gemacht. Und auf der Heimfahrt fragt die Vierjährige ihren kleineren Bruder, der im Kindersitz neben ihr sitzt: „Sag mal Eli, findest du die Blumen auf dem Killesberg schön?“ Der Zweijährige will erst nicht antworten. Also bohrt sie nach: „Findest du die Blumen schön.“ Darauf vom kleinen Bruder ein knappes Ja. Sie weiter: „Und sag mal Eli, findest du das Bähnle dort schön?“ Nochmals ein knappes Ja. Dann die dritte Frage: „Sag mal Eli, findest du das Leben schön?“
Diese Frage hat mich ehrlich überrascht. Ob der kleine Eli geantwortet hat, habe ich gar nicht mitbekommen, denn ich habe mich im Stillen unwillkürlich selbst gefragt: „Findest du das Leben eigentlich schön?“ Und kann man darauf so einfach mit Ja oder Nein antworten? Wie schnell bin ich beim „Ja,aber…“. Das Leben und mein Alltag sind eben nicht immer nur leicht. Ich spüre, dass ich allmählich älter werde - auch nicht gerade schön. Und wer weiß, was die Zukunft für mein Leben und das meiner Enkel bringen wird… So manches lastet fast dauerhaft auf der Seele und den Gedanken.
Meine Enkelin dagegen hat einfach den Ausflug schön gefunden. Sie hat ihn genossen. Und nicht an den Tag gestern im Kindergarten gedacht. Und schon gar nicht daran, wie es später – in ein paar Jahren - in der Schule für sie sein wird. Oder ob, was sie einmal arbeiten wird. Was wir heute erlebt haben, war gut und schön. Die Fahrt mit dem Killesberg-Bähnle, die vielen Blumen, das alte Karussell, sie und ihr Bruder auf den Holzpferden, das Eis und jetzt gemütlich noch ein bisschen etwas im Auto snacken.
Das Leben ist schön. So drückt sich natürliche Dankbarkeit aus. Einfach mal einen Moment zufrieden sein. Der kleine Bruder sollte natürlich auch miteinstimmen. Und dann passt und stimmte das Leben für diesen Abend.
Die Frage meiner Enkelin klingt bei mir immer noch nach: „Findest Du das Leben schön?“ Ja, ich finde das Leben schön und lasse heute das „Aber“ ganz beiseite. Es kann warten bis Morgen. Und den schönen Tag heute, den nehme ich mit. Den halte ich fest. Dafür bin ich Gott dankbar.
So einfach geht „Leben“ für mich heute. Und so einfach kann ich heute auch beten: Danke, Herr, für diesen schönen Tag. Danke für mein Leben. Danke für die Menschen, die dazu beigetragen haben. Viele sind das. Und jetzt auch meine Enkel. Am meisten aber du, lieber Gott, der du mir das Leben geschenkt hast.
Unsere Enkel haben mir und meiner Frau auf dem Killesberg aber auch gezeigt, wie gut es uns tut, wenn wir unbeschwert und voller Vertrauen zusammen in den Tag gehen.
Es war am selben Tag auf dem Killesberg. Endlich hatten wir es ohne Kinderwagen mit den beiden Enkeln geschafft auf die Anhöhe zu kommen und standen dann am Fuße des eindrucksvollen Aussichtsturms. Da wollten wir unbedingt hoch.
Bis zur vierten und obersten Aussichtsplattform gibt es aber nur eine Metalltreppe, um hochzukommen. Keinen Lift. Außerdem muss man unbedingt schwindelfrei sein, denn der grobmaschige Stahldrahtzaun behindert an keiner Stelle die wunderbare Aussicht.
Da standen wir nun mit den beiden Kindern. Die Vierjährige wollte gleich allein hochrennen, was natürlich nicht ging, und den kleinen Bruder musste ich auf den Arm nehmen, ihn Stufe für Stufe hochtragen. Früher wären die 16 zusätzlichen Kilo sicher kein Problem gewesen, aber jetzt musste ich doch auf jeder Ebene erst einmal den Burschen kurz absetzen und tief Luft holen.
Ich kann eben nicht mehr so, wie früher. Aber meine Enkelin konnte ja auch nicht einfach, weil sie wollte und einfach losrennen. Aber ist das schlimm, wenn man aufeinander mehr achten und manchmal auch warten muss?
Miteinander hatten wir richtig viel Spaß und wir waren alle super stolz, als wir endlich oben angekommen sind, mit vereinten Kräften. Und haben wir die herrliche Aus- und Weitsicht einfach genossen.
Fast genauso glücklich waren wir, als wir die vielen Treppenstufen auch wieder gut hinuntergekommen sind. Unsere Enkel und wir. Die Enkel, die einfach vertraut haben, dass wir es schaffen, wenn wir sie an der Hand führen oder sie auf dem Arm tragen, mit dem uns möglichen Tempo vorwärtsgehen.
Ein kleines Erlebnis, fast sinnbildlich für das Leben und auch für den Glauben. Wie oft haben mich andere geführt und getragen, meine Eltern, gute Freunde, meine Frau. Wie oft hat wohl Gott meine Schritte in die richtige Richtung gelenkt, mich bewahrt, mich zurückgehalten oder im richtigen Moment vorwärtsgebracht, letztlich immer zu meinem Besten.
Dafür bin ich dankbar, unendlich dankbar. Das Leben ist schön. Nicht nur im Rückblick, sondern auch im zuversichtlichen Vertrauen auf Jesus Christus, der – in Person – die ausgestreckte Hand Gottes ist.
Seine Hand zu ergreifen, das wünsche ich Ihnen und einen gesegneten Sonntag.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40535Zur Zeit werden mir an vielen Ecken und Enden alle möglichen Ernährungsstrategien angeboten: Low carb, high protein, bio, rohköstlich, vegan, paläo... All diese Ernährungsformen versprechen Gesundheit und gutes Leben. Und spätestens, seit ich von verschiedenen Nahrungsmittelunverträglichkeiten betroffen bin, weiß ich: Es ist wichtig, auf meine Ernährung zu achten. Was tut mir gut, und was lasse ich lieber? Wie kann ich mich ernähren, so dass ich mich lebendig fühle und nicht völlig energielos herumhänge?
So verschieden die auf dem Markt angebotenen Ernährungsstrategien sind – eines haben sie wohl gemeinsam: Keine ist für alle gut. Ich muss ganz individuell schauen, was mir und meinem Körper guttut. Niemand kann das für mich entscheiden, auch nicht die geschickteste Marketing-Strategie.
Die Bibeltexte an diesem Sonntag drehen sich in katholischen Gottesdiensten um Nahrung, die Kraft gibt. Ganz schlicht: Wasser und Brot. Da wird vom Propheten Elias erzählt. Er hat alles gegeben im Einsatz für seinen Gott. Und nun soll es ihm gehen wie anderen Propheten vor ihm, die den Menschen unangenehm wurden: Man will ihn töten. Er flieht in die Wüste, um sein Leben zu retten. Aber Leben und Tod liegen manchmal sehr nah beieinander. Nur zwei Verse später wünscht sich Elias den Tod. Er hat sich total ausgepowert und sieht keinen Sinn mehr in seinem Tun. Er sagt zu Gott: „Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben!“ Und er legt sich unter einen Ginsterstrauch, um zu schlafen.
Einem Freund von mir ging es vor ein paar Jahren ähnlich. Er hatte schon mehrere Jahre als Pilot gearbeitet. Und hat dann angefangen, Theologie zu studieren, weil er dem Himmel nochmal auf andere Weise nah sein wollte. Erst am Ende des Studiums, für das er viel Kraft und Energie aufgebracht hatte, fiel ihm auf: Es ist doch nicht das Richtige, ich kann diesen Weg nicht gehen! In seinen alten Job kam er nur noch in eine viel schlechtere Stellung zurück, und nichts lief mehr so richtig rund. Das war eine sehr schwere Zeit für ihn.
Zu Elias kommt in diesem Krisenmoment ein Engel. Er bringt ihm geröstetes Brot und einen Krug Wasser. Zweimal sagt der Engel zu ihm: „Steh auf und iss!“ Und beim zweiten Mal fügt er hinzu: „Sonst ist der Weg zu weit für dich.“ Denn der Engel weiß: Elias hat noch eine Durststrecke vor sich, eine Wüstenwanderung von vierzig Tagen und Nächten bis zum Berg Horeb. Erst dort wird ihm Gott begegnen und ihm Mut zu neuen Taten geben.
Was mich wirklich nährt
Vor Krisen und Durststrecken ist wohl kein Leben gefeit. Und gerade dann, in der Krise, wenn ich lange Durststrecken durchzustehen habe, wenn ich keinen Sinn sehe und nicht spüre, dass sich etwas verändert: Gerade dann brauche ich etwas, das mich wirklich nährt. Etwas, das mir die Kraft gibt, meinen Weg weiterzugehen – auch wenn ich nicht weiß, wann und wie ich aus dieser Phase herauskommen werde.
Der Engel bringt Elias Brot. Ganz handfest braucht es in solchen Zeiten eine gute Ernährung, nach Art und Maß für mich zugeschnitten, sodass ich mich körperlich ganz lebendig fühlen kann. Aber mindestens ebenso wichtig ist es für mich, tief in mich hineinzuhören: Was nährt mich wirklich, was sind Kraftquellen, aus denen ich leben kann in solchen Phasen? Da kann mir auch die Erinnerung helfen: Was hat mir in ähnlichen Situationen gutgetan? Welcher Engel ist vielleicht im richtigen Moment um die Ecke gekommen, um mir den entscheidenden Anstoß zu geben?
Ähnlich wie in Fragen der Ernährung gibt es auch hier kein Patentrezept, das für alle funktionieren würde. Da muss für jeden etwas Maßgeschneidertes her. Vielleicht hilft jemandem besonders ein Spaziergang in der Natur; jemand anderes tankt Kraft, wenn er Tiere um sich herum hat; ich setze mich manchmal gern in eine Kirche oder Kapelle für eine stille Zeit; und auch ein Gespräch mit einem Freund oder einer Seelsorgerin kann total guttun, wo ich einfach so dasein und mich zeigen darf, wie ich nun einmal gerade bin.
Jesus sagt von sich selber heute im Evangelium: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.“ Er bietet sich mir an als einer, der mir so nah sein will wie jemand, den ich „zum Fressen gern habe“.
Ich glaube, das hat auch dem Freund von mir damals geholfen in seiner Krise. Dass er mit Gott im Gespräch geblieben ist. Dass er ihm – und so macht es auch Elias – wieder und wieder sein Leid geklagt hat. Und dabei tief in sich hineingehört hat, was ihn wirklich nährt und zum Leben führt. Auch der Austausch mit anderen Menschen war ihm dabei ganz wichtig, und der eine oder die andere ist ihm vielleicht zum Engel geworden. Schritt für Schritt hat er so mit Gott seinen Weg aus der schweren Zeit herausgefunden – hinein in ein Leben, das beide Arten von Himmelsberührung vereint.
Ich kann für mich den Sonntag heute nutzen für ein kleines Gebet – denn Gott hat mich ja geschaffen und kennt darum meine tiefsten Sehnsüchte. Und dann überlege ich einmal: Woraus lebe ich? Was wird mir zum Brot, das mich wirklich nährt – buchstäblich und im übertragenen Sinne? Und etwas von dem, was mir dabei einfällt, gönne ich mir heute.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40462Vor ein paar Jahren war ich bei einem ausgelassenen Fest in Pforzheim dabei. Es war im Dezember, und wir haben Advent und Chanukka gemeinsam gefeiert. Jüdinnen und Juden, Christinnen und Christen aus Baden-Württemberg haben die Kerzen am Chanukkaleuchter ebenso entzündet wie die Kerzen am Adventskranz. Wir haben gefeiert, dass es schon über 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gibt. Und nach dem feierlichen Teil und einem wunderbaren Festessen haben wir alle zusammen getanzt. Fröhlich und ausgelassen, in großen Kreisen. Alle haben sich anstecken lassen.
Ich denke in den letzten Wochen oft an diesen ausgelassenen Abend. Und ich vermisse die Leichtigkeit und die Zuversicht, die damals in der Luft gelegen hat. Seit der Krieg in Israel und Gaza ausgebrochen ist, liegt auch bei uns eine Schwere in der Luft. Die Verbindung zu meinen jüdischen Freundinnen und Freunden ist mir deshalb in den vergangenen Monaten noch wichtiger geworden. Ihr Schmerz und ihre Angst davor, erkennbar auf den Straßen unterwegs zu sein, tut auch mir weh.
Heute feiern wir in den evangelischen Gottesdiensten – wie jedes Jahr - den Israelsonntag. Er erinnert mich daran, dass ich auch als Christin Wurzeln im jüdischen Glauben habe. Auch ich glaube daran, dass Gott einmal Frieden schaffen wird unter allen Völkern und Nationen. Ich denke an die hoffnungsvolle Zukunfts-Vision, von denen die jüdischen Propheten in der Bibel immer wieder erzählen: dass eines Tages alle Menschen zusammenkommen, auf den Zion, nach Jerusalem.
Sacharja ist einer dieser Propheten. Gott verheißt ihm eine Zeit, in der die Bürger aller Städte und Nationen der Welt nach Jerusalem kommen werden – auf der Suche nach Frieden und nach Gott. Und wörtlich heißt es bei Sacharja:
Zu jener Zeit werden zehn Männer aus allen Sprachen der Völker einen jüdischen Mann beim Zipfel seines Gewandes ergreifen und sagen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist.
Bei diesen alten Prophetenworten denke ich daran, wie ich mit unseren jüdischen Freunden getanzt habe bei unserem gemeinsamen großen Fest. Da sind wir nicht nur miteinander gegangen, sondern haben sogar miteinander getanzt. Wir haben gespürt, dass Gott mit uns allen ist und dass wir untrennbar verbunden sind. Und dass wir alle miteinander teilhaben an Gottes Verheißung, die er einst seinem auserwählten Volk, den Jüdinnen und Juden gegeben hat. Das ist die Wurzel aller Hoffnung auf Frieden, auf Shalom, die ich habe. Auch in diesen Tagen.
Diese Hoffnung trägt das Gewand von fröhlich Tanzenden und sieht vor sich das Bild von den Völkern, die sich in Jerusalem treffen und nach Gott und der Wahrheit suchen.
Irgendwann einmal werden die Menschen in Jerusalem Frieden finden. Und heute schon suchen die Menschen danach. In vielen Liedern und Texten wird Jerusalem besungen – als Ort mit diesem besonderen Zauber, an dem sie alle aufeinandertreffen: die Suchenden und die Hoffenden, Menschen aus allen Nationen und Religionen. Der jüdische Dichter Jehuda Amichai hat solch einen Text geschrieben. Er wählt dabei ein überraschendes Bild. Er schreibt:
Jerusalem ist ein Karussell, das sich dreht und dreht,von der Altstadt auf die neuen Viertel zu, von dort zurück zur Altstadt. Anstelle von Elefanten und bunten Pferden, um darauf zu reiten, gibt es auf dem Karussell Religionen, die aufsteigen und absteigen und sich drehen an ihrem Scharnier zur Stimme der fetten Melodien aus den Gebetshäusern.
So viele haben sich schon auf den Weg nach Jerusalem gemacht, um den Frieden zu finden, einen Zipfel davon wenigstens. Der Autor Jehuda Amichai selbst auch. 1924 wurde er in Würzburg geboren und musste als Kind 1934 mit seiner Familie aus Deutschland nach Israel fliehen. In Jerusalem hat er eine neue Heimat gefunden, wo er im Jahr 2000 gestorben ist.
Auch er ist also auf das Karussell aufgesprungen, und er weiß: Wer nach Jerusalem kommt, spürt das Vibrieren und das Drehen des Religionskarussells. Vor allem aber spüre ich, dass dort die Wurzeln unserer gemeinsamen Hoffnung auf Frieden sind – die Hoffnung, die Juden und Christen und auch Muslime teilen. Gerade jetzt sehen wir hier aber auch, wie brüchig der Friede ist. Heute wird in den Gottesdiensten um Frieden für Jerusalem gebetet. Wir stimmen als Christen ein in den Psalm – das Gebet, das wir mit den jüdischen Geschwistern teilen.
Wünschet Jerusalem Frieden! Es möge wohlgehen denen, die dich lieben! Es möge Friede sein in deinen Mauern.
Wünschen wir Jerusalem Frieden – und Gaza und Tel Aviv, und Rafah, Bethlehem und den Kibbuzim. Und bleiben wir dran an der Hoffnung auf Frieden und Versöhnung, damit auch hier bei uns niemand Angst haben muss vor Hass und Gewalt. Ich jedenfalls möchte als Christin gern wieder feiern und tanzen mit meinen jüdischen Freunden. Und alle willkommen heißen, die mitfeiern möchten. Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und einen Zipfel der Zuversicht, dass der Friede siegt.
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