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ICE von Stuttgart nach Berlin. Kurz vor dem Berliner Ostbahnhof geht ein Zugbegleiter schonmal durch und schaut, ob irgendwo etwas liegengeblieben ist. Neben mir bleibt er stehen und starrt in die Sitzreihe neben mir. Dann höre ich: „Nein, oder? Das glaub ich jetzt nicht. Das gibt´s doch nicht. Das ist bestickt.“ Dann reißt er das kleine hellblaue Bahnkissen für den Kopf vom Sitz ab und zeigt es uns. Da ist total ordentlich und ganz schön ein Herz mit Blumenranken gestickt. In blau-pink-grün Tönen. Richtig farbenfroh. Unglaublich, wie jemand so schön sticken kann. Und: da hatte jemand viiiel Zeit.
Ich muss herzlich lachen. Aber während ich mich über die kleine Abwechslung im sonst eher tristen Bahnalltag freue, zieht der Zugbegleiter wutschnaubend mit dem bestickten Kissen ab.
Ja klar, sowas macht Arbeit. Und natürlich ist die Frage, was wäre, wenn das Kreise zieht, und plötzlich alle Kissen bestickt oder bemalt wären. Sicher können das nicht alle so schön und ordentlich wie die Person, die dieses Kissen so akkurat bestickt hat.
Und trotzdem: ich hätte es klasse gefunden, wenn der Zugbegleiter einfach so getan hätte, als hätte er nichts gesehen. Wenn er ohne ein Wort einfach weitergegangen wäre. Ich bin sicher, die nächste Person auf diesem Platz hätte erstmal gelächelt. Und viele danach auch. Das können wir doch alle gut gebrauchen. Vor allem dann, wenn man so gar nicht damit rechnet.
In unserem Sommerurlaub in England waren ganz viele Postkästen komplett umhäkelt. Und obendrauf immer irgendein nettes Tier, z.B. eine Ente mit Schwimmreifen. Da hab ich jedes Mal gelacht. Es hat wirklich witzig ausgesehen.
Oder eine Aufkleberaktion meiner Freundin während Corona. Sie hat Aufkleber drucken lassen, auf denen stand: „Leute, die Zeiten sind schon schwer genug. Seid wenigstens nett zueinander.“ Die hat sie dann überall verteilt und jedes Mal, wenn ich einen Aufkleber irgendwo gesehen habe, musste ich lächeln.
Zurück in den ICE von Stuttgart nach Berlin: Ich hätte mir gewünscht, dass der Zugbegleiter an diesem Punkt beide Augen zugedrückt und ein kleines bisschen Raum gelassen hätte für was Anderes, was Buntes, für was Schönes. Für sowas Kleines, das Menschen zum Lächeln bringt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43241Beerdigungen müssen schön sein. Davon bin ich fest überzeugt. Auch wenn der Todesfall dramatisch ist, die Beerdigung muss schön sein. Unsere anderen Feste im Leben sind auch schön: Geburtstage, Taufen, Hochzeiten, Jubiläen. Also auch das letzte Fest!
Seit vielen Jahren feiere ich Beerdigungen, und diese Feiern sind für mich eine echte Bereicherung. Weil jedes Leben gefeiert gehört.
Ich erzähle Ihnen von Dennis Beerdigung. Dennis ist der Partner meiner Cousine Doro und vor einem Jahr gestorben. Mit 42. Er hatte lange starke Schmerzen, dann einen Schlaganfall und die Grunddiagnose Krebs hat so viele schwerwiegende Folgen nach sich gezogen, dass es keine Rettung mehr gab. Es war schrecklich. Irgendwann war der Weg klar und der Anruf, dass Dennis gestorben ist, kam nicht überraschend.
Die Beerdigung war für mich eine der schönsten, die ich je gefeiert habe. Zusammen mit meiner Cousine und Dennis Familie haben wir es geschafft, die Feier so zu gestalten, dass sie wirklich zu Dennis, aber auch zu den Liebsten und zum traurigen Abschied von ihm gepasst hat. Die Bibeltexte, die Lieder, viele Freundinnen und Freunde, die sich eingebracht haben.
Aber vor allem dieser Moment: Dennis hatte sich ein Lied gewünscht. „Auf gute Freunde“ von den Bösen Onkelz. Ich hab erstmal geschluckt. Die Bösen Onkelz... Die sind umstritten und ich teile ihre Positionen nicht. „Auf gute Freunde“ war aber Dennis Lied auf jeder Party, und er hat gesagt: „Das will ich mal auf meiner Beerdigung haben.“ Wir wollten ihm gerecht werden - und uns auch. Also haben wir den Text des Refrains minimal verändert, und es hieß dann: „Auf gute Freunde. Auf die Liebe. Auf den ganz normalen Wahnsinn. Auf das, was einmal war. Darauf, dass alles endet - und anders weitergeht.“
Ganz zum Schluss hat ein Freund das Lied mit der Gitarre angestimmt und beim Refrain sind fast alle miteingestiegen. Erst ganz vorsichtig, eher ein Summen, und nach und nach haben wir das Lied leise zusammen gesungen. Für Dennis - und für uns.
Das war der Moment. Es war alles drin: wir waren so traurig und wütend über Dennis frühen Tod. Wir hatten uns und haben uns getragen. Und wir hatten gemeinsam die Hoffnung, die das Lied besingt. „Darauf, dass es weitergeht.“ Dass es gut weitergeht für Dennis bei Gott.
Bei uns im Dorf gibt es immer mehr Stimmen, die sagen: „Ich lass mein Kind nicht alleine mit dem Fahrrad fahren.“ Oder eine Nachricht Sonntagsmorgens: „Im Park sitzt so ein Betrunkener auf der Bank. Schick wohl besser Deine Tochter heute nicht zum Brötchen holen.“ Oder: „Ich fahre kein Zug mehr. Da wird man ja doch nur abgestochen.“
Ich habe den Eindruck: unser Vertrauen ineinander geht Flöten. Und ich sage das bewusst in der wir-Form.
Wie es sich gerade zwischen uns Menschen in Deutschland entwickelt, das macht mir Angst.
Ich wohne in einem Dorf mit 8000 Einwohnenden. Es geht uns wirklich gut, wir haben alle Möglichkeiten, sogar ein kleines Schwimmbad, das erhalten werden kann. Viele Kitas und Schulen. Dieses Grundmisstrauen beunruhigt mich. Grundsätzlich gilt: die anderen wollen mir erstmal was. Aber: Betrunkene auf der Parkbank hat es bei uns schon gegeben, als ich klein war und es fahren sooo viel mehr Züge, in denen nichts passiert. Ich will nichts relativieren. Dass Menschen andere angreifen oder einzelne sich mit Mord und Totschlag an der Gesellschaft rächen, ist furchtbar und darf niemals geduldet werden. Wir haben Regeln, damit es zusammen funktioniert, und die müssen eingehalten werden.
Aber ich will vertrauen! Ich weigere mich, aufgrund der vergleichsweise wenigen Taten mein Vertrauen in die Menschen zu verlieren. Ich will immer erst vom Besten ausgehen. Und ich will auch, dass meine Kinder so aufwachsen. Nicht in einer heilen Welt und auch nicht, ohne dass sie wissen, dass man vorsichtig sein muss. Aber nicht von vorneherein misstrauisch.
Statistiken zeigen, dass es in Deutschland noch nie so sicher war. Die Kriminalität nimmt ab. Mit Ausnahme einiger Großstädte. In den Sozialen Medien und bei einzelnen habe ich aber das Gefühl, das Gegenteil ist der Fall. Wir scheinen im gefährlichsten Teil der Erde zu leben und müssen uns voreinander fürchten. Hochrangige Politiker tragen durch ihre unvorsichtig gewählten Worte zu dieser Angst bei. Das alles stresst mich, und es beeinflusst tatsächlich mein Lebensgefühl. Ich bin manchmal nicht misstrauisch, aber genervt von anderen Menschen. Und das will ich auch nicht sein. Ich will frei sein allen gegenüber und vertrauen. Und mich freuen, dass wir vielfältig leben können und voneinander profitieren. Völlig egal, wie wir aussehen, zu wem wir beten oder wen wir lieben.
Dazu ein uralter Satz aus der Bibel, aus dem Buch der Sprichwörter. „Was ich dir jetzt rate, ist wichtiger als alles andere: Achte auf deine Gedanken, denn sie entscheiden über dein Leben! Verbreite keine Lügen, vermeide jede Art von falschem Gerede! Halte dir immer vor Augen, was gut und richtig ist, und geh geradlinig darauf zu.“ So wahre Worte. „Halte dir immer vor Augen, was gut und richtig ist, und geh geradlinig darauf zu“ - damit ist sicher Gott gemeint. Und wir im nächsten Schritt dann auch, denn wir Menschen sind seine Ebenbilder.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43239„Nein, ich bereue nichts. Ich würde alles wieder genauso machen." Wenn Prominente in einem Interview so antworten, klingt das richtig cool. Vielleicht ist es auch ein wenig trotzig gemeint, wenn alle wissen, dass die Person schon viele Bruchlandungen hinter sich hat.
Doch mal im Ernst: Wäre es nicht schrecklich, wenn wir nichts bereuen würden? Ich will heute eine Lanze für das Gefühl der Reue brechen.
Zugegeben: Es fühlt sich nicht gut an, wenn ich etwas bereue. Ich muss erkennen, dass ich etwas hätte verhindern oder anders machen können. Vielleicht habe ich eine große Chance verpasst, die so schnell nicht wiederkommt.
Zum Beispiel hatten Freunde von mir eine große Reise geplant. Mit dem Schiff übers Meer in fremde Länder segeln. Doch ich hatte gerade die Schule abgeschlossen und wollte erst einmal sehen, welchen Weg ich nun einschlage. Deshalb habe ich abgesagt und mich auf Studienplätze beworben. Ja, und jetzt bereue ich damals nicht mutig mit an Bord gegangen zu sein.
Reue ist etwas anderes als Ärger oder Trauer. Wenn zum Beispiel bei einer Gartenparty ein Gewitter aufzieht, ist das ärgerlich, klar. Aber selbst die beste Planung kann nicht verhindern, dass mal ein Fest ins Wasser fällt.
Reue spüre ich nur, wenn ich mir bewusst mache, dass es Konsequenzen hat, wie ich entscheide – nicht nur für mich selbst, sondern auch für andere. Ich bereue zum Beispiel, dass ich mich damals mit Matthias nicht ausgesöhnt habe. Zum Ende der Schulzeit hätten wir unseren Streit beenden können, doch so ist alles ungeklärt zwischen uns geblieben.
Wer niemals Reue empfindet, läuft Gefahr, die Augen vor der Realität zu verschließen. Reue zu empfinden ist ein Zeichen dafür, dass wir aufmerksam sind. Es zeigt, dass wir fähig sind, uns zu reflektieren und zu verstehen, wie wir mit anderen Menschen oder uns selbst umgehen. Es braucht feine Antennen, um wahrzunehmen: Es gibt Alternativen zu dem, wie ich es gemacht habe.
Für mich ist die Reue wie eine kluge Freundin: Sie schenkt mir reinen Wein ein und spricht auch meine Fehler an. So hält sie mich davon ab, dieselben Fehler immer wieder zu begehen. Manchmal kann ich sogar noch umschwenken und etwas wiedergutmachen. Dann sage ich: Ich bereue, dass ich mein Versprechen nicht gehalten habe. Können wir noch einmal neu anfangen?
Und die Reue zeigt mir, was mir am Herzen liegt. Ich bereue nur Dinge, wenn es um etwas Wichtiges geht. So lerne ich dazu. Und das Schöne daran: Wenn wir unsere eigenen Fehler sehen, fällt es uns leichter, auch anderen ihre Fehler zu verzeihen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43238„Wie bitte? Du glaubst an Gott? Wie kann das denn sein? Das ist doch nur ein Märchen!"
Diese Fragen und solche Kommentare habe ich seit der Schulzeit immer wieder gehört. Ich versuche dann zu erklären, zu begründen. Oft fühlt es sich an, als müsste ich mich rechtfertigen. Anscheinend bin ich derjenige, der eine sonderbare Position vertritt. Oder ist es genau umgekehrt? Müssten diejenigen, die nicht an Gott glauben, erklären, wie sie dazu kommen?
Auf diese Idee hat mich der Philosoph Markus Gabriel gebracht. Er arbeitet als Professor in Bonn, und seine Bücher faszinieren mich. Gabriel argumentiert so: Millionen Menschen glauben in unserem Land an Gott. Und auch die großen Philosophen der letzten Jahrtausende haben die Frage nach Gott ernst genommen und nach Antworten gesucht. Es kann sich also nicht einfach um ein Märchen handeln, das sich überholt hat.
Auf die Frage „Wieso glauben Menschen an Gott?" würde Markus Gabriel antworten: Weil sie Momente erlebt haben, die sie tief berührt haben. Die Geburt eines Kindes, die Liebe zum Partner, aber auch der Verlust eines geliebten Menschen. In solchen Momenten erleben viele, dass es etwas gibt, das uns übersteigt. Da spüren Menschen: Wir bestehen nicht nur aus Molekülen und Alltagssorgen, sondern es gibt etwas, das tiefer geht. Etwas Göttliches.
Die meisten Atheisten sehen das anders. Viele von ihnen sagen: Die ganze Welt bedeutet eigentlich gar nichts. Denn im Universum regiert der Zufall. Es wird von ein paar Naturgesetzen zusammengehalten, doch eines Tages verschwindet alles in einem schwarzen Loch. Und mein eigenes Leben? Das ist auch nur eine kurze Episode, die bald niemanden mehr interessiert. So wie die Liebe ergibt sich alles aus der chemischen Reaktion bestimmter Hormone.
Markus Gabriel nennt das: Nihilismus. Kein höherer Sinn, den ich entdecken könnte. Diesem Nihilismus stimmen seit Jahrzehnten immer mehr Menschen zu. Denn es klingt modern und aufgeklärt.
Die Frage nach Gott ist aus philosophischer Sicht die Frage nach dem tieferen Sinn hinter allen Dingen. Die Frage, was mein Leben über den Alltag hinaus bedeutet. Und diese Frage, sagt Markus Gabriel, müssen wir beantworten – jeder auf seine Weise.
Bei Markus Gabriel geht es nicht um die Bibel oder die Kirche. Er fragt als Philosoph, was wir unter Gott verstehen. Mich hat er bestärkt: Von der Suche nach Gott lasse ich mich nicht abbringen. Und von nun an stelle ich die Frage auch umgekehrt: Was glaubst du eigentlich, wenn du nicht an Gott glaubst?
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43237Als Kind habe ich davon geträumt, ein Held zu werden. Drachen besiegen, Abenteuer erleben – immer bereit, für andere durchs Feuer zu gehen.
Es ist anders gekommen. Ich lebe in Freiburg, fahre morgens mit dem Fahrrad ins Büro. Wenn abends noch Zeit bleibt, lese ich ein paar Seiten. Manchmal bin ich froh, dass mein Leben nicht so aufregend und anstrengend ist wie das eines Helden.
Trotzdem begegnen mir immer wieder Ratgeber, die mir erzählen: Sieh dein Leben doch mal als Heldengeschichte! Die Idee dahinter? Jeder von uns ist auf seine Weise ein Held.
Laut Ratgeber soll ich von meiner persönlichen Heldenreise erzählen: Wie ich mich als Kind auf dem Schulhof gegen Größere behaupten musste. Oder wie ich mich durch die Schulzeit gekämpft habe – trotz Pubertät und Ärger mit den Eltern.
Wenn ich mein Leben durch diese Brille betrachte, entdecke ich meine Stärken. Denn hat nicht jeder Mensch schon Abenteuer durchgestanden? Die Geburt eines Kindes – ist das nicht eine heldenhafte Leistung? Wer jahrelang unter einem schwierigen Chef ausgeharrt hat, hat sich eine Medaille verdient. Oder meine Bekannte Uschi, die viele Jahre ihre Mutter gepflegt hat. Sie hat dafür gekämpft, dass ihre Mutter auch im hohen Alter zuhause bleiben konnte, und hat auf vieles verzichtet, um ihr beizustehen. Das sind für mich die stillen Helden von nebenan.
Aus Heldengeschichten lässt sich noch mehr lernen: Wahre Helden sind nicht makellos. Sie scheitern, werden krank, müssen Niederlagen hinnehmen. Ihre Narben erzählen Geschichten – manche sind auf der Haut sichtbar, andere bleiben unsichtbar.
Natürlich sollten wir das Wort "Held" nicht inflationär verwenden. Es gibt die großen Namen wie Sophie Scholl, Nelson Mandela oder Dietrich Bonhoeffer, die alles riskiert haben. An ihnen können wir uns orientieren. Sie zeigen: Helden geht es um mehr als ihr eigenes Glück.
Egal ob große oder kleine Helden: Was denken Sie? Welche Momente in Ihrem Leben würden Sie als heldenhaft bezeichnen? Wofür haben Sie gekämpft?
Diese Perspektive kann überraschen. Vielleicht blicken Sie mit anderen Augen auf Ihre eigene Geschichte – und auf die anderer. Vielleicht sagen Sie demnächst zu jemandem: "Wie du das geschafft hast, das war wirklich heldenhaft!"
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43236Als Kind habe ich diesen Tag immer herbeigesehnt. Jedes Jahr habe ich an diesem Tag meine kleine Spardose zur Bank gebracht. Viel war es nie, was ich da im Laufe eines Jahres zusammengespart hatte. Aber mir ging‘s ja vor allem um das Geschenk von der Frau am Schalter. Den kleinen Kalender mit den Landkarten wollte ich jedes Mal unbedingt haben. Auch das Spiel oder das Mäppchen mit den Buntstiften. Meist war ich sehr zufrieden mit dem, was ich als kleines Geschenk mitnehmen konnte. Am 31. Oktober, dem Weltspartag.
Ein Geschenk als kleiner Dank für meine Sparanstrengungen. Das ist wie ein kleines Spiegelbild einer ganz anderen Sparanstrengung, die auch mit dem 31. Oktober zu tun hat, dem Gedenktag der Reformation. An diesem Tag hat Martin Luther vor mittlerweile fünfhundertacht Jahren seine berühmten 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen. Auch da ging’s um das Thema Sparen, wenn auch in ganz anderer Hinsicht. Sparen meint ja ursprünglich etwas bewahren oder verschonen. Im Zusammenhang mit Geld wird dieses also davor verschont, gleich ausgegeben zu werden. Wenn Gott spart, bewahrt er den Menschen davor, sich zu überfordern, ein fehlerloses, makelloses Leben zu führen. Ich bekomme mein Leben und seinen Wert einfach wie ein Geschenk zugesprochen. Wie das Kind, das seine Ersparnisse zur Bank bringt.
Der Gedenktag der Reformation, den wir heute begehen, ist also auch so etwas wie ein Weltspartag. Wenn der Mensch sein Vertrauen in Gott setzt, dann spart er sich den Versuch, es Gott allein mit seinem Verhalten recht machen zu wollen. Und mein Geschenk darf ich am Ende trotzdem mitnehmen, auch wenn ich nichts auf das Konto meiner guten Taten eingezahlt habe. Mitnehmen darf ich die Zusage, dass ich Zukunft habe. Dass ich mich einfach so meines Lebens freuen kann. Weil ich verschont bin. Ausgespart. In einem Lied heißt es im Blick auf Gott: „Weil du reichlich gibst, müssen wir nicht sparen!“ Anders gesagt: Weil Gott gespart und uns beschenkt hat, können wir großzügig mit uns und unseren Mitmenschen umgehen. Können wir großzügig unsere Gaben und Möglichkeiten einsetzen.
Ich feiere den 31. Oktober heute deshalb als doppelten Weltspartag.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43138Meine dreijährige Enkeltochter hat mir zum ersten Mal ein Bild geschenkt. Sie war richtig stolz. Ich übrigens auch. „Was hast du denn da gemalt?“, habe ich gefragt. „Kreise“, hat sie gesagt. Und tatsächlich waren auf dem Blatt Papier mit verschiedenen Farben eine Reihe von Kreisen übereinander gemalt. Das Bild hängt jetzt erst einmal an der Wand neben meinem Schreibtisch.
Für mich ist dieses Bild richtig wertvoll. Und beim Betrachten habe ich über die Frage nachgedacht: „Was macht denn eigentlich den Wert eines Bildes aus?“ Ist es die Kunstfertigkeit? Ist es der prominente Name des Malers oder der Malerin? Oder ist es am Ende die Beziehung zwischen Künstlerin und Betrachter – wie im Fall meiner Enkeltochter? Wahrscheinlich fließt in den Wert eines Bildes immer von allem etwas ein. Und je nachdem, was überwiegt, wird das Bild mit Stecknadeln an die Wand gepinnt. Oder es landet gut gesichert in einem Museum und lockt zahlreiche Menschen an.
Gleich das erste der Zehn Gebote verhält sich gegenüber Bildern sehr kritisch. Zumindest gegenüber all den Versuchen, Gott bildhaft oder figürlich darzustellen. „Du sollst dir kein Bildnis machen!“, heißt es da. Die irrige Vorstellung, dass hier Bilder im Allgemeinen gemeint sind, hat dazu geführt, dass Menschen im 16. Jahrhundert viele Kunstwerke in Kirchen kurz und klein geschlagen haben. Gemeint ist mit dem Satz aber etwas anderes. „Du sollst keinen Vorstellungen oder Darstellungen von Gott Raum geben, die du dann an seiner Stelle verehrst!“ Natürlich gibt es heute keine Götterstatuen mehr, die wir anbeten. Aber es gibt schon etliche Platzhalter für etwas, dem Menschen göttliche Verehrung zukommen lassen.
Es geht dabei um Abhängigkeiten, die nicht guttun, die gewissermaßen den Platz Gottes einnehmen. Deshalb kann ein Künstler sehr wohl seine inneren Bilder von Gott bildhaft darstellen. Im Bibelzyklus von Salvador Dalí ist mir das vor kurzem sehr eindrücklich vor Augen gestellt worden. Da tauchen in Andeutungen immer wieder seine Gottesvorstellungen auf – dunkle Schatten, aber auch ganz leuchtende Anteile. Und wer weiß: Vielleicht taucht Gott bald auch in einem Bild meiner Enkeltochter auf, wenn sie im Kindergarten eine Geschichte aus der Bibel erzählt bekommt. Ihre bunten Kreisformen, die ans Unendliche erinnern, könnten ja schon ein Anfang sein.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43137„Ich glaube an Gott.“ Das kann man so oder so sagen: Wie ein persönliches Statement: „Ich glaube an Gott...“ - und gebe damit zu erkennen:
Das ist m e i n Ding. Das erwarte ich nicht von Anderen.
Es geht aber freilich auch im Brustton der Überzeugung: „I c h glaube an G o t t !“Soll heißen: Schaut her! So ist es recht! Und Andere sollten das auch tun! Mein Gegenüber! Oder Abwesende. Am besten der Rest der Welt.Es kommt schon sehr drauf an, wie das rüberkommt: „Ich glaube an Gott...“
Einmal ist jemand nach dem Gottesdienst auf mich zugegangen.Und ich habe gleich gespürt: Da liegt Ärger in der Luft. Was ich mir denn einfallen würde - das Glaubensbekenntnis wegzulassen:
„Das ist hier fester Bestandteil des Gottesdienstes. kein Pfarrer kann aus persönlichen Gründen daran rütteln.“ Wollte ich auch gar nicht. Ich wusste nur nicht, was in dieser Gemeinde üblich ist.
Und in andren Gemeinden kommt es immer seltener vor, dass das Glaubensbekenntnis gesprochen wird. Manche halten das nämlich für zu exklusiv. Das könnten nicht alle mitsprechen.
Da würden Zweifelnde rausgedrängt. Und zB das mit der Jungfrauengeburt sei doch so ein Anstoß. Manche haben mir gesagt: Das spreche ich nicht mit. Warum auch?
Das Glaubensbekenntnis ist kein religiöser Appell.
Das Glaubensbekenntnis ist keine Verpflichtung.
Schon gar nicht im Kollektiv.
Ich weiß: Viele kirchliche Bekenntnisse beginnen mit dem „Wir“:
„Wir bekennen, wir stimmen darin überein...“
Aber eben nicht das sogenannte »Apostolische Glaubensbekenntnis« - das beginnt subjektiv: Und genau das gefällt mir immer besser: Das »Ich glaube« in der ersten Person! Ich glaube an Gott ... Ich spreche für mich - persönlich!
In den Aussagen, die dann folgen, über Gott und Jesus und den Heiligen Geist, stecken die christlichen Essentials, die mich stärken und hoffen und nicht verzweifeln lassen. Gottes großes Ja zu dieser Welt.
Und wenn sich beim Sprechen der Worte meine Stimme mit anderen verbindet – noch schöner. Ich spüre: Ich bin da nicht allein. Aber: Ich habe keine Erwartungen an Andere. Es ist eher wie Angebot – man kann mich darauf ansprechen: „Das glaubst Du wirklich? Ist ja allerhand. Warum nur?“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43196»Die Meile der Religionen«: Seit einigen Jahren führt sie einmal im Jahr mitten durch die Mannheimer Innenstadt. Alle sind eingeladen an eine lange Tafel. Zum Austausch, zum miteinander Essen und Trinken. Viele machen mit: Christen, Juden, Muslime und andere Religionsgemeinschaften. Bewirtet auch von Vereinen und Schülergruppen. Ein prächtiges Zeichen des Miteianders.
Doch in diesem Sommer hat das »Forum der Religionen« die Veranstaltung abgesagt aus Angst vor Spannungen und Übergriffen.
Der Dialog der Religionen stockt - ist da und dort sogar ganz erloschen. Es knirscht in den in den sog. »Räten der Religionen«. Seit die Spannungen im Nahen Osten so unerträglich geworden sind. Seit Feindschaft gegen jüdische Bürger offen zu Tage tritt.
Schaue ich auf Fotos aus den ´90er Jahren, werde ich richtig wehmütig:
Ich sehe Muslime, die kommen auf Einladung unserer Gemeinde zur Kirche und zum Mittagessen. Wir sprechen miteinander – von unserem Glauben und unserem Leben.
Ich konnte unbeschwert mit Jugendlichen zum Besuch in die Moschee gehen.
Und heute? Ich hoffe auf Frieden und Verständigung – auf eine Wiederbelebung des Dialogs.
Ein Wort könnte dabei helfen. Es stammt vom II. Vatikanischen Konzil.
Auf den Tag genau heute vor 60 Jahren hat das Konzil erklärt:
„Nostra aetate“ - zu Deutsch „in unserer Zeit“ – kommt es auf Dialog und geschwisterliche Anerkennung aller religiösen Überzeugungen an.
Ausdrücklich werden Muslime und Juden erwähnt.
Und auch die Schuld, die Christen zu tragen haben, die diesen Dialog behindert und in manchen Jahrhunderten mit Verfolgungen zerstört haben.
Zum Schluss heißt es da:
(5.) „Wir können (...) Gott, (...) , nicht anrufen, wenn wir irgendwelchen Menschen, die ja nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, die brüderliche Haltung verweigern. (...) die Schrift sagt: "Wer nicht liebt, kennt Gott nicht" (1 Joh 4,8).
Und weiter:
„So wird (...) jeder Theorie oder Praxis das Fundament entzogen, die zwischen Mensch und Mensch, zwischen Volk und Volk bezüglich der Menschenwürde und der daraus fließenden Rechte einen Unterschied macht.“
Dieses Wort ist auch nach 60 Jahren für mich eine Motivation, hier und heute weiter für den Dialog einzutreten.
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