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06JUL2025
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Peter Annweiler trifft Denise Mawila 

Teil 1: Ein stilles und freies Leben mitten in Frankfurt

Manchmal ist mir alles zu viel: Zu viel Kontakt. Zu viel Anforderung. Zu viel Krisen in der Welt. Da will ich mich nur noch zurückziehen und sehne mich danach, dass es mal so richtig still wird um mich und in mir. Nur: Wenn es außen mal still wird, dann merke ich leider oft, wie laut es in mir ist – und wie viele Dinge mich antreiben.
Genau deswegen will ich Denise Mawila treffen. Die 55-Jährige hat nämlich Stille und Zurückgezogenheit zum Kompass ihres Lebens gemacht. Krass finde ich, dass sie das mitten in Frankfurt übt.

Für mich bedeutet die Zurückgezogenheit auch eine Fähigkeit, mit sich alleine sein zu können, sich selbst aushalten zu können, sich auch mit sich selbst zu konfrontieren. Das als was sehr Lebendiges zu erleben. Also ich bin gerne mit mir alleine und kann das sehr gut und brauche das eben auch für mich.

Denise Mawila ist alles andere als isoliert oder einsam. Sie ist verheiratet, sie ist in ihrer evangelischen Kirche engagiert und arbeitet als ehrenamtliche Seelsorgerin in einem Krankenhaus. Und sie wirkt auch nicht streng mit sich und anderen. Alles was sie versucht, ist: In der Stille verwurzelt sein. Sie will „eremitisch“ leben.

Wie sieht mein Alltag aus? Eben dass ich sehr viel Zeit alleine verbringe, ich auch nicht so viel soziale Kontakte habe, dass ich auch zum Beispiel kein Mobiltelefon habe. Ich habe jetzt nicht wie andere vielleicht, die sich Eremiten nennen, nen ganz strikten Tagesablauf. Ich sitze in der Regel 25 Minuten. Ja und Phasen, wo das aber auch ganz hinten runterfällt, sage ich mal, weil ganz andere Dinge mich mehr in die Stille bringen.

Eremiten – die habe ich mir bisher vorgestellt als Einsiedler in der Wüste. Denise Mawila lebt dagegen mitten in der Großstadt.  Sie übt sich ganz stimmig darin, „nichts“ zu tun und im Moment zu sein. Deshalb schweigt, sitzt und betet sie viel.
In der Begegnung mit ihr lerne ich: „Eremitisch“ – das ist: Aussteigen aus dem Haben, Machen und Müssen. Einsteigen in ein „einfaches“ Sein und Wirken. Und diese spirituelle Sehnsucht haben in meinen Augen heute viele. Denise Mawila beeindruckt mich, weil sie dieser Sehnsucht so undogmatisch nachgeht.

Ich könnte das natürlich jetzt auch vielleicht in ähnlicher Weise praktizieren und sagen, dass es jetzt meine Erholung oder Selbstoptimierung oder so. Aber für mich ist es eine Entscheidung einfach gewesen, zu sagen: Ich nehme dieses spirituelle Angebot meinem Tun gegenüber, weil es ist nicht so gewesen bei mir, dass ich mir überlegt habe: ‚Ach, ja,  ich würde gerne eine Eremitin sein. Oder ich möchte gerne irgendwie einen kontemplativen Weg gehen.‘ Sondern ich bin auf diesen Weg geraten.

Teil 2: Ein zurückgezogenes und zugewandtes Leben als Schwarze Deutsche

Ich habe mich irgendwann konfirmieren lassen und war da ganz klar: Das ist mein Glaube! -Diese Klarheit hat sich dann auch irgendwie verflüchtigt, sowie das häufig der Fall ist … Aber ich bin dann wieder dahin zurückgekommen. Wenn ich das irgendwann mal gewählt habe, dann setze ich mich jetzt damit auseinander – und beiß mir daran die Zähne aus. So ist das einfach wie ich gestrickt bin, würde ich sagen.

Auf ihrem Weg hat sie ihr Wirken als Kreative und Lehrende für Tanz in eine innere Bewegung verwandelt und sich dabei besonders an einer christlichen „Landkarte“ orientiert.

Also das Mystische ist das, wo ich mich wiederfinde, und da vor allen Dingen, dass in der christlichen Mystik eben auch viele Frauen vertreten sind. Also ja, das ist für mich sehr -ja – „beheimatend“.

In der Mystik ist sie zu Hause. Das Mystische verbindet Gotteserfahrung mit dem Alltäglichen. Und in dieser Verbindung hat Denise Mawila auch gespürt, wer sie ist und welche Lebensaufgabe ihr zukommt.

Auch tatsächlich dadurch, dass ich eine schwarze deutsche Person bin, ein ungefragter unerbetener Auftrag, sich mit Vielem auseinandersetzen zu müssen und konfrontiert zu sein und letztlich daraus aber auch eine erweiterte Liebesfähigkeit entwickelt zu haben. Man ist da konfrontiert mit Zuschreibungen, mit Entmenschlichung. Ich sag jetzt mal so krass, wenn man nicht daran stirbt, wächst man darüber hinaus: Sich immer wieder trauen zu müssen und immer wieder rausgehen zu müssen. Also ne Stärke,eine größere Umarmung letztlich zu vollziehen.

Auch an schwierigen Erfahrungen zu wachsen - so, dass sie nicht dauerhaft bitter und aggressiv wird. Was für ein Richtungswechsel!  - Ich stelle mir vor: Er ist das Ergebnis von viel Rückzug und Stille. Von viel Gottes- und Selbsterkenntnis. Und dabei hat Denise Mawila  in ihrem eremitischen Leben womöglich  „ganz einfach“ gespürt, Gottes Ebenbild zu sein.
Ganz und einfach sein. Und darin gottbezogen leben. Denise Mawila hat mir eine Ahnung davon gegeben, wie erfüllend das sein kann. Als ich nach Hause fahre, ist es stiller in mir und ich fühle mich mit einer großen Umarmung beschenkt.

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29JUN2025
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Arne Friedrich Copyright: Privatfoto

Christopher Hoffmann trifft den ehemaligen Fußballnationalspieler Arne Friedrich.

Legendär bleibt sein Tor im Viertelfinale der WM 2010 gegen Argentinien. Er spielte 246 Bundesliga-Partien, die meisten für Hertha BSC. Aber wie war das als seine Karriere endete?

Wenn man als Fußballer aufhört, dann endet irgendwo ein Leben und dann endet irgendwo auch eine Identität. Was man am liebsten gemacht hat, was man am besten konnte – das ist dann ja vorbei und sich dann wieder neu zu entdecken von einer unglaublichen Flughöhe kommend!  Ich hatte erst mit einigen Verletzungen zu tun, das war schon eine sehr, sehr schwere Zeit, ne Trennung kam dazu nach 14 Jahren mit meiner Partnerin. Und sich dann wieder neu zu erfinden war durchaus herausfordernd aber auch super interessant.

Denn so sehr Arne Friedrich Sport und Wettkampf bis heute liebt. Er weiß: Es gibt im Leben mehr als Fußball. Schon auf dem Höhepunkt seiner Karriere war er ein Sinnsucher - da ist er Kapitän bei Hertha BSC, trägt als Stammspieler das deutsche Nationaltrikot. Und erzählt mir, dass er trotzdem eine innere Leere gespürt hat, dass ihm etwas fehlte. Dann wird er angefragt, ob er als populärer Profifußballer mal eine Kinderstation im Krankenhaus besuchen kann…

Ich bin dann ins deutsche Herzzentrum der Charité in Berlin, hab die Kinderstation besucht und das hat mir irgendwie die Augen geöffnet, weil: Ich hab die Möglichkeit ins Krankenhaus zu gehen, Menschen zu besuchen, wieder in mein Leben zurückzukehren, und : Es gibt teilweise Familien, die wirklich sehr, sehr viel durchmachen müssen, die teilweise Jahre auf Station leben müssen, das muss man sich mal vorstellen – wirklich Jahre! –und das hat mich zum Reflektieren gebracht und da ist bei mir zum ersten Mal der Groschen gefallen.

Diese Erfahrung ist für ihn die Initialzündung eine Stiftung zu gründen und sich vom Leid anderer nicht abzuwenden, sondern ansprechen zu lassen- das gibt seinem Leben bis heute Sinn.

Für mich ist es einfach so schön auch diese Zeit nach dem Fußball in vollen Zügen zu leben und damit meine ich nicht immer an den Strand und hoch die Tassen, überhaupt nicht, sondern alle Aspekte des Lebens versuchen mitzunehmen, die schönen, aber auch dann die ganz schweren Momente und sich mit Menschen auseinanderzusetzen und ihnen Unterstützung anzubieten, die vielleicht nicht auf der Sonnenseite sind.

Menschen wie Luca, 21 Jahre alt, er hat eine sehr seltene Erkrankung, starke Schmerzen, sitzt im Rollstuhl. Arne Friedrich lernt ihn vor einigen Jahren im Kinderhospiz der Caritas Berlin kennen. Die Begegnung und das, was Luca ihm sagt, geht ihm unter die Haut:

Durch die vielen Begegnungen, die wir hatten und auch Telefonate, dass in dem Fall Luca, aber ich spreche da wahrscheinlich auch für viele andere, die sich im Hospiz befinden, dass die sich nicht als Teil der Gesellschaft fühlen. Das ist wirklich schlimm, das hat mein Herz gebrochen und ich habe dann mit Luca gesprochen und hab dann auch wirklich sehr, sehr viel Stärke und Optimismus in ihm wiedergefunden durch unsere Gespräche und dann hab ich gesagt: Luca, ich würde dir super gerne helfen mal deine Geschichte zu erzählen.

Und so plant er eine Veranstaltung, bei der Luca vor Publikum seinen Blick auf das Leben schildert. Aktuell arbeitet Arne Friedrich mit seiner Stiftung an einem Kinderbuch, in dem Menschen aus dem Hospiz ihre Geschichte erzählen. Es will kranken Kindern und deren Eltern eine Stimme geben. Und auch in seinem eigenen Podcast „From done to dare“ gibt Arne Friedrich regelmäßig Themen einen Platz, die sonst zu oft tabuisiert werden.

Ich treffe Arne Friedrich in Berlin, wo er lebt. Von hier aus reist er auch immer wieder in die Welt. Zuletzt nach Ruanda, wo er eine von Frauen geleitete Kaffeefarm besucht. Die Bohnen von dort lässt er rösten und verkauft den Kaffee, von dem die Produzentinnen gut leben können. Warum ist ihm fairer Handel wichtig?

Fair trade ist ein Thema, das sehr, sehr wichtig ist, ich meine jetzt nicht nur was die Arbeitsbedingungen angeht, sondern auch was Ökologie angeht. Die Klimathemen, das interessiert die Menschen nicht mehr so: wenn man so denkt, ist es komplett falsch aus meiner Sicht.

Nachhaltig handeln, die Erderwärmung begrenzen. Das liegt Arne Friedrich am Herzen. Und dann ist er noch als Sportbotschafter unterwegs - etwa in Kiew in der Ukraine, wo er den Menschen zeigen will: Wir haben euch nicht vergessen. Woher nimmt der 46-Jährige die Kraft für sein Engagement? Er hat da ein ganz eigenes Morgenritual: Erst geht er nach dem Aufstehen in die Stille. Dann hüpft er in die Eistonne, diesen Tipp hat er von seinem Kumpel und früheren Kollegen André Schürrle bekommen. Aber er tut nicht nur was für seinen Körper, denn:

Was ist der Mensch? Woraus besteht der Mensch? Wir bestehen ja nicht nur aus der Hardware, wir bestehen ja nicht nur aus dem Körper, sondern wir bestehen auch aus dem Geist, aus der Seele.

Und deshalb liest er jeden Morgen in der Bibel. Am liebsten in den Weisheitsbüchern Salomos. Und dann aber auch im Neuen Testament. Warum?

Ich glaube schon – das größte in dieser Welt , das ist meine persönliche Meinung, ist die Liebe – und dass man sich untereinander unterstützt. Wenn man die Lehre oder das Leben von Jesus betrachtet es geht ja darum zu lieben. Auch die ersten beiden Gebote –die wichtigsten Gebote: liebe Gott über alles und liebe deinen Nächsten über alles, das fasst ja alles zusammen. Und ich glaube die Kirche hat ein ganz großes Problem mit der Institution an sich, es ist ganz, ganz viel Mist betrieben worden, muss ich auch ganz klar sagen, davon nehme ich auch absolut Abstand, das find ich ganz schlimm. Aber diese christlichen Werte find ich sind unglaublich toll und da versuch ich mich dran zu halten. Ich muss auch dazu sagen: ich bin auch kein Heiliger, ich bin auch ganz normal ein Mensch, aber zumindest ist es für mich so die Leitlinie.

Und ganz besonders wichtig ist ihm ein Vers aus dem Buch der Sprichwörter im Alten Testament:

 „Trust in the Lord with all your heart“, also „Vertraue in deinen Gott mit deinem ganzen Herzen“ (Spr 3,5) – als Sportler ist es ja immer so: ich möchte ja immer kontrollieren - das ist ja etwas, was ich über Jahre kultiviert habe und das loszulassen ist echt schwer und sich mal fallen zu lassen und zu sagen: ich vertraue jetzt einfach mal, das ist eine ganz große Herausforderung, der ich mich immer wieder stellen musste aber, mittlerweile ist es ein bisschen besser geworden.

Gottvertrauen- ein lebenslanger Prozess. Und damit er immer wieder daran erinnert wird, hat sich der ehemalige Fußballer, der anders als viele seiner Kollegen bisher keine Tattoos auf seinem Körper trug, nun zwei Symbole ausgesucht, einen Smiley und ein Kreuz:

Der Smiley an meinem Handgelenk soll mich immer daran erinnern einfach auch mal Quatsch zu machen und Kind zu sein , nicht immer alles so verkopft, sondern einfach mal nicht so viel nachdenken.  Und das Kreuz an meinem linken Knöchel, das heißt: Ich bin geliebt, auch wenn ich nichts leiste. 

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22JUN2025
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Traugott Fünfgeld Bild: Uli Glasemann

Martina Steinbrecher trifft den Offenburger Kirchenmusiker Traugott Fünfgeld

„Inmitten von Leben“ heißt sein neues Chorstück. Ein Auftragswerk zum Albert-Schweitzer-Gedenkjahr, aber auch eine ganz persönliche Hommage an den berühmten Arzt, Theologen und Musiker. Am 4. Juli wird es im Rahmen des badischen Chorfests uraufgeführt. Zwei Jahre Arbeit hat der Komponist in sein Werk gesteckt: 

Ich habe manchmal das Gefühl, es ist, wie wenn man einen Krimi schreibt. Man muss auf Seite 50 wissen, was auf Seite zwei war. Ich muss wissen, welcher Bläser wie lange schon gespielt hat, wie hoch er gespielt hat, um mit seiner Kraft umzugehen; hat es auch eine Entwicklung, dass man nicht am Anfang schon alles Pulver verschießt, gibt’s einen Fluss im Stück, gibt es Kontraste, dass es auch beim Zuhören wirkt? Es ist so, wie wenn man ein Gedicht schreibt: Man hat eine Idee, und das Gute ist, dadurch dass ich einfach viel Orgel spiele und viel Klavier spiele, höre ich die Töne wirklich eins zu eins im Kopf und kann dann direkt in den Computer reinschreiben.

Ich habe mich bei diesem Stück zum Mitsingen im sogenannten Massenchor angemeldet. Gerade mal drei Proben stehen auf dem Plan, dann sollen die vierstimmigen Chorsätze aufführungsreif sein. Ganz schön ambitioniert! Was hat man dem jungen Mozart einmal vorgeworfen? Sein Singspiel hätte „vielleicht a bissl viele Noten“. So kommt es mir auch vor beim Blättern im umfangreichen Chorheft. Aber vielleicht habe ich auch nur „a bissl zu wenig geübt!“ Der Komponist gibt sich zuversichtlich:

Ich habe den Anspruch - der ist zwar hoch gesetzt - aber ich versuche, das immer so zu halten, dass jeder, der eine Chorprobe bei mir besucht die Chance hat, besser rauszukommen als er reingekommen ist. Und wenn man miteinander musiziert und singt und atmet, ist eine große Chance dabei.

20 Teile umfasst die Komposition; darunter auch fünf Sprechtexte, die das Leben von Albert Schweitzer von seiner Kindheit im Elsass bis zur Verleihung des Friedensnobelpreises im Jahr 1953 nachzeichnen.

Es geht auch immer um die Frage: Ist Albert Schweitzer ein Vorbild für uns? Ich glaube, wir müssen uns im Leben an vielen Wendepunkten, entscheiden für Dinge. Wir müssen sagen, wie wir uns ausrichten, wofür wir stehen. Und da kann Albert Schweitzer ein Beispiel dafür sein.

In der Familie von Traugott Fünfgeld saß Albert Schweitzer als unsichtbarer Gast quasi immer mit am Küchentisch. Denn Großvater Fünfgeld hat Anfang des 20. Jahrhunderts bei Albert Schweitzer in Straßburg Theologie studiert. 

Bei vielen Dingen, wenn wir in der Natur waren, dass wir, wie Albert Schweitzer in seinen Lebenserinnerungen schreibt, Regenwürmer von der Straße in den Dreck gesetzt haben und einfach, Ehrfurcht vor dem Leben: Dass wirklich jedes Tier, jeder Baum seine Berechtigung hat. Und natürlich auch jeder Mensch zählt.

Die Ehrfurcht vor dem Leben: einer der großen Begriffe, die Albert Schweitzer geprägt hat. Schon im Eingangschor klingen solche Themen an. Thomas Weiß, ein badischer Pfarrer und Lyriker, hat sie für das Werk in Reime und Strophen gebracht. Und ja, schon im Verlauf der ersten Chorprobe verdichten sich die vielen Töne zu einem hartnäckigen Ohrwurm – hier aus dem letzten Chorsatz des Werks: „Töne des Friedens, Stimmen und Schall, Friedenstöne: Klingt überall! Dass Menschen sich finden, dass Menschen sich sehn, in Frieden verbinden, einander verstehn …“

Für seine Arbeit hat Traugott Fünfgeld sich durch Biographien, Predigten und Briefe von Albert Schweitzer gelesen. Und war immer wieder aufs Neue überrascht von den klaren Gedanken und Aussagen. Aber wie kann jetzt ein Singspiel dazu beitragen, dass die Welt anders aussieht? Macht Musik Frieden und Völkerverständigung möglich, führt sie am Ende zu mehr Ehrfurcht vor dem Leben?

Ich kann mich entscheiden, eine Haltung einzunehmen und kann hoffen, dass andere Menschen das auch sehen und dann diesen Weg mitgehen. Da habe ich als Kirchenmusiker die Gelegenheit, Stücke zu schreiben. Das ist die Chance, die ich habe. Ich bin nicht gut im Auf-die-Straße-Gehen und irgendwie meine Arme kraftvoll irgendjemand anders gegenüber zu halten.

Was nicht heißt, dass Traugott Fünfgeld das für sich ausschließen würde, wenn’s drauf ankommt. Aber zuerst wird er seine Arme nun bald nutzen, um zehn Blechbläser, ein Klavier, ein Cello, Pauken und Vibraphon, zwei Solisten und Hunderte von Sängerinnen und Sängern bei der Uraufführung zu dirigieren. Das alles unter freiem Himmel. Und vielleicht ist es ja genau das, was Musik schon immer sehr gut vermocht hat: Menschen zusammenzubringen und ihnen die Erfahrung zu vermitteln, dass aus vielen unterschiedlichen Stimmen am Ende ein großes Gesamtkunstwerk entsteht.

Ich sehe mich da schon in der Tradition von ganz vielen Musikern, die ganz bewusst völkerverständigend arbeiten, europaweit, weltweit zu denken und nicht dem Drängen nachzugeben, dass man sich selbst in den Mittelpunkt stellt, sondern dass wir mit anderen Menschen agieren müssen, auch in anderen Ländern.

Zunächst aber bleiben wir im Land. Im Ländle. Und bringen die Botschaft von der Ehrfurcht vor dem Leben zum Klingen. Inzwischen singe ich die meisten Stücke mühelos vor mich hin: Chortöne auf Spuren Albert Schweitzers. Von und mit Traugott Fünfgeld. Am 4. Juli in Emmendingen.

 

Chorfest Baden 2025

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19JUN2025
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Tanya Raab (links) und Sabine Winkler copyright: Sabine Winkler

Fronleichnam – ein Fest, an dem ich als Christin durch die Straßen ziehe und zeige: Mein Glaube gehört in die Welt. In den Alltag. Dorthin, wo ich lebe, liebe und Verantwortung trage, auch als Mutter.

Tanya Raab tut das auch: als Mutter, als Jüdin – und auf Instagram:

Hey, ich zeige euch, wie ich mein jüdisches Leben lebe.

Auf ihrem Profil „oy_jewish_mamma“ macht sie sichtbar, was sonst oft verborgen bleibt: jüdischer Alltag in Deutschland.

Tanya ist Influencerin und Buchautorin – und eben auch Mutter. Wie ich. Unsere Töchter sind im gleichen Alter. Und wir fragen uns beide: Wie geben wir unseren Kindern etwas mit, das uns selbst trägt? Unseren Glauben. Etwas, das hält – in einer Welt, die oft unübersichtlich ist.

erarbeitet:

„Ich persönlich bin ja in einem nichtreligiösen Haushalt aufgewachsen und fand das immer schade. Ich hätte mir mehr Glaubenspraxis irgendwie gewünscht.“

Als Kind spürt Tanya, wie sehr sie für Spiritualität offen ist – bei ihren christlichen Freunden erlebt sie zum ersten Mal, wie sich gelebter Glaube anfühlen kann.

"diese Rituale, auch zusammen beten und in die Kirche gehen. Und ich habe sie immer sehr darum beneidet, weil ich wusste, es ist nicht meine Religion."

Und dann erzählt sie, wie sie mit 16 Jahren mit ihrem Großvater nach Israel gereist ist:

 „Überall jüdische Gegenstände, Leute mit Kippa, auch Frauen – ich war so: Wow. Krass. Ich bin im Paradies.“

Damals beschloss sie, sich das, was sie vermisste, selbst aufzubauen:

„Wenn ich von zuhause ausziehe, mache ich mir meine kleine jüdische Oase in meiner Wohnung. So einen kleinen jüdischen Safe Space. Eben, dass mein Kind auch damit groß wird.“

Tanya Raab erzählt mir, wie ihre Tochter kleine Rituale lernt. Shabbatkerzen, die Mesusa an der Tür zum Kinderzimmer – diese kleine Holzkapsel, die an die Gebote Gottes erinnert – sie hängt dort auf Augenhöhe, damit ihre Tochter sie selbst berühren kann. Sie sagt:

 „Das Judentum ist so eine Religion des Machens. Es geht viel um Rituale, um Tradition – die so einfach im Alltag gemacht werden.“

Auch nichtreligiöse jüdische Familien zünden Shabbatkerzen an oder stellen eine Chanukkia, einen achtarmigen Leuchter, ins Fenster. Weil es ein Teil von ihnen ist.

Vielleicht unterscheiden wir uns hier: Als Christin spreche ich eher über den Glauben. Tanya macht ihn – in kleinen Gesten, im Alltag ganz selbstverständlich.

 „Wir machen jeden Freitagabend, das hat sich bei uns einfach als Tradition etabliert, machen wir einen Pizzaabend. Und für meine Tochter ist mittlerweile so mit dieser Pizza und diesen Kerzen verbunden, dass wenn wir außerhalb dieses Rahmens Pizza machen, dass sie sagt, die Kerzen fehlen.“

Für Tanya ist das mehr als ein Pizzaabend. Es ist ein Ritual. Ein Zeichen. Und ein Anfang.

Auf ihrem Instagram-Kanal zeigt Tanya nicht nur, wie ihr jüdischer Glaube im Alltag Platz findet – sie erklärt auch, warum das nicht selbstverständlich ist. Jüdisch zu leben, sichtbar und offen, ist in Deutschland alles andere als leicht.

 „In jede Kirche kannst du halt einfach reingehen. Das ist bei einer Synagoge dann doch eher schwierig.“

Hohe Sicherheitsauflagen bei Veranstaltungen führen dazu, dass viele ihr Jüdischsein nicht offen zeigen.

„Viele jüdische Leute, die sind halt nicht so scharf drauf, dass man Fotos von denen macht, weil zum Beispiel niemand in deren Umfeld weiß, dass sie jüdisch sind.“

Aus Selbstschutz ziehen sich viele jüdische Menschen zurück. Sie zeigen sich nicht. Und wenn Jüdischsein nicht sichtbar ist, dann bleibt es für viele fremd. Und was fremd wirkt, macht oft Angst – oder lässt Raum für Vorurteile und Antisemitismus…

In ihrem Buch „Shalom zusammen“ will Tanya Raab Vorurteile abbauen. Den Untertitel hat sie bewusst gewählt:

"Warum wir falsche Vorstellungen von jüdischem Leben haben und           das gemeinsam ändern sollten".  

Sie zeigt, wie ihr jüdischer Alltag aussieht, erzählt von Erfahrungen mit Antisemitismus und von der Angst vor dem Unbekannten.

Das war auch einer der Gründe, warum ich mein Buch geschrieben habe – um das halt so ein bisschen aufzubrechen. Anfangs haben wir oft darüber diskutiert, ob wir schreiben: ‚was ihr ändern solltet‘ – oder ‚was wir ändern sollten‘. Dann habe ich gesagt: Natürlich schreiben wir: Wir. Denn wir sind ja eine Gesellschaft. Es gibt kein Ihr und Wir.“

Und doch: Das jüdische „Wir“ bringt eine Geschichte mit, die anders ist – geprägt durch Verfolgung und Schmerz:  


Jüdische Identität ist eben immer zwangsläufig mit Antisemitismus und mit diesem Leid jüdischer Menschen über Generationen hinweg einfach verbunden. Die Geschichten unserer Familien sind immer von Vertreibung, von Flucht, Holocaust usw. geprägt.“

Und deshalb ist für Tanya auch der Kampf gegen Antisemitismus so wichtig. 

Ich glaube, das ist der Punkt, den wir betonen müssen, dass jüdische Menschen trotz dieses Leidens immer noch da sind, immer noch ihre Traditionen leben und jüdische Menschen haben das immer geschafft, da raus zukommen und diese Selbstermächtigung zu haben.“

Es sind zwei Welten, in denen Tanya und ich leben, zwei unterschiedliche Erfahrungen, die wir als Glaubende erleben: Als Christin bin ich Teil einer Religion, die in Deutschland weithin sichtbar ist. Tanya gehört zu einer, deren Spuren man oft nur dann erkennt, wenn man genau hinschaut.

Und wir beide sind Mütter.

Ich denke an meine Kinder. An das, was sie einmal fragen werden. Und an das, was sie heute schon spüren – durch uns Erwachsene. 

Vielleicht ist genau das unsere Aufgabe - als Mütter, als Gesellschaft, als Christen: Räume zu schaffen, in denen Menschen sein dürfen, wer sie sind.

Fronleichnam erinnert uns daran: Glaube gehört in die Welt. Auch bei jüdischen Menschen in Deutschland. 

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15JUN2025
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Gabi Sauer

Seit 20 Jahren ist Gabi Sauer die Mesnerin der evangelischen Veitskirche in Nehren, einem Dorf bei Tübingen. In anderen Gegenden würde man sagen: Sie ist Kirchendienerin oder Küsterin. Ich würde sagen: Sie ist die gute Seele ihres Kirchleins mit dem markanten Fachwerkturm, sie für frische Blumen auf dem Altar sorgt, die die Glocken läutet und sich darum kümmert, dass sich bei einem Hochzeitsgottesdienst alle wohl fühlen. Nur durch einen Zufall hatte sie damals erfahren, dass händeringend jemand für die Betreuung des Kirchengebäudes und der Gottesdienste gesucht wurde.

Wir sind (...) in die Kirche. Da stand der Pfarrer da. Und er hat mir leid getan: Wenn Sie jemand wissen, der jemand weiß, der jemanden kennt, der gerne Mesner werden würde, dann schicken Sie den doch bitte zu mir.

Ein, zwei Wochen hat Gabi Sauer das in sich gären lassen. Und ist dann zum Pfarrer hin und hat gemeint: 

Also ich weiß jemand, aber das Problem ist, Sie sehen es. Ich bin schwanger und - katholisch bin ich auch. Und Sie sind ja evangelischer Pfarrer.

Der stellte aber sofort klar, dass beides kein Hinderungsgrund war, Gabi Sauer als Mesnerin für die evangelische Kirche anzustellen.

Das ist kein Problem. Das eine vergeht und das andere ist kein Problem.

Seither, also seither sicher über 1000 Mal, beginnt Gabi Sauer den Sonntagmorgen erst einmal mit einer Tasse Kaffee und etwas Ruhe:

Bei einem normalen Gottesdienst ohne Taufe, ohne irgendwas mache ich mich um viertel nach neun auf den Weg zur Kirche. Ich schließ die Kirche auf, mach die Lichter an, zünde die Kerzen an, begrüß den Pfarrer meistens, die Organistin. Die Glocken läuten. Die Gottesdienstbesucher kommen und ich freue mich über jeden, der kommt. Man darf jeden herzlich willkommen heißen. Wir feiern Gottesdienst. Anschließend das Ganze wieder rückwärts, Kerzen aus: Türen zu und der Rest wird am Montag dann erledigt oder am Dienstag... (lacht)

Die 46-Jährige liebt das, was sie tut. Das spürt man. Deshalb ist sie auch „die Mesnerin der Kirch‘“ außerhalb der Gottesdienste.

Ich schließ‘ mich beim Putzen nicht ein. Meine Kirche ist immer wagenweit offen, wenn ich am Putzen bin. Und dann kann man auch mal kommen. Und wenn man dann ins Gespräch kommt, dann kommt da manchmal... ja, die Nöte, die Sorgen der Menschen zur Sprache.

Gabi Sauer ist „die“ Mesnerin ihrer Kirche. Und wenn die Leute zum Gottesdienst kommen, dann kommen sie manchmal eher zu ihr als zum Pfarrer. Als Hausfrau und als Mutter zweier Kinder ist sie außerdem im Sportverein mit dabei. Mit einem Wort, sie ist bekannt und fester Bestandteil eines Dorflebens, wie man es sich vorstellt.

Das Dorfleben hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Und Gabi Sauer erlebt auch die wachsenden Vorbehalte gegenüber Kirche und Glaube, wenn andere erfahren, was sie nebenberuflich macht:

Wie? Du schaffst bei der Kirch‘? Bist du so gläubig? Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Dann sag ich: Also die Bibel, die kann ich nicht auswendig. Aber deswegen kann man trotzdem bei der Kirch‘ schaffen und den Mesnerdienst verrichten.

Mittlerweile ist Gabi Sauer auch als evangelische Kirchengemeinderätin engagiert. Und auch hier erlebt sie live mit, wie stark sich das kirchliche Leben verändert hat und welche Konsequenzen das für sie und den Dienst ihrer Mesner-Kolleginnen und -Kollegen haben könnte.

Ich befürchte, dass es irgendwann das als Bezahltes nicht mehr gibt -  dass man das versucht mit Ehrenamtlichen. Und wenn man jetzt sieht, wie viele Pfarrstellen gestrichen werden, wie viele Gemeinden zusammengelegt werden. Ich weiß es nicht. Ich bin irgendwie skeptisch, wie lange es uns überhaupt noch gibt.

Aber noch gibt es sie, die Mesnerinnen und Mesner, die liebevoll ihre Kirchengebäude betreuen und die Menschen, die hierherkommen, gleich mit. Und – Mesnerinnen und Mesner werden weiterhin händeringend gesucht! Gabi Sauer kann ihren Beruf jedenfalls nur wärmsten weiterempfehlen, auch die Gottesdienste jeden Sonntagmorgen:

Das ist eine wunderschöne Zeit. Das ist für mich nicht arbeiten, sondern fast wie Urlaub. Es tut einfach gut. Ich höre nicht immer der Predigt zu, muss ich ganz ehrlich gestehen. (…) Aber es tut einfach der Seele gut, mal nichts zu hören, (...) die gelernten Lieder einfach zu singen und nichts zu denken und nix tun zu müssen.

In ihrer Kirche erlebt Gabi Sauer gelebte Verbundenheit. Und mir wird klar, wie viel sie selbst entscheidend dazu beiträgt, als sie mir folgende kleine Anekdote erzählt von einer Frau, die sich bei ihr entschuldigt hat, weil sie einmal sonntags nicht in die Kirche kommen konnte. Die alte Dame sagte damals zu ihr:

Ich konnte nicht in den Gottesdienst kommen. Weißt, ich musste Kartoffelsalat mache. Beim Gesangverein habet mer Hockete. Die kann ich die doch nicht im Stich lassen. Aber ich konnte zu dir nicht in die Kirche komme.(lacht)

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09JUN2025
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Malu Dreyer copyright: Staatskanzlei Rheinland-Pfalz

Christopher Hoffmann trifft Malu Dreyer
Für die ehemalige Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz ist Pfingsten nicht irgendein Feiertag – als Christin kann sie sich für dieses Fest im wahrsten Sinne des Wortes begeistern. Denn ihr Glaube schenkt ihr Lebensmut. Ganz viel davon brauchte Malu Dreyer, als bei ihr 1995 die Krankheit Multiple Sklerose diagnostiziert wurde. Ihr half und ihr hilft: Gottvertrauen.
Also für mich ist es so, dass Gott irgendwie immer da ist, auch in Situationen, die sehr schwer sind. Und wenn man eine Diagnose erhält wie Multiple Sklerose - aber es gilt glaub ich für alle Schicksalsschläge oder schwere Erkrankungen – dann verliert man ja erst mal den Boden komplett unter den Füßen und man hat auch wenig Orientierung. Und das ist ein sehr schönes Gefühl zu wissen: Auch wenn man sich völlig verloren fühlt und vor allem die Gewissheiten des Lebens verliert, die Unbeschwertheit im Leben verliert, dass da einer ist oder etwas ist, was viel größer ist, viel umfassender ist, dass eben Gott da ist.
Die neue Realität aushalten und akzeptieren – das war auch für Malu Dreyer damals alles andere als einfach:
Dazu gehört ja ganz viel – man muss trauern, man darf auch wütend sein, diese berühmten Fragen, die zu nichts führen: „Warum ich? Warum jetzt?“ - auch das ist alles legitim und richtig in einem solchen Moment, viel weinen, viel der Wut auch Ausdruck geben - und irgendwann – ich zumindest kam dann zu einem Punkt – ich nenn es immer so: Wo ich dann den Schalter umlege und sage: Ok, es nutzt nichts gegen die Krankheit anzukämpfen- ich muss die Krankheit annehmen und mit dem Annehmen beginnt dann auch der Weg in die Zuversicht neu.
Das heißt aber auch: Hilfe annehmen. z.B. durch einen Rollstuhl. Ein Urlaub auf Lanzarote wurde für sie zum Schlüsselerlebnis.
An der Rezeption des Hotels lag ein Zettel rum, da konnte man alles Mögliche leihen vom Tauchsieder bis zum Rollstuhl und mein Mann sagte: „Hier kennt uns keiner, sollen wir das nicht mal ausprobieren?“ Ich war damals schon Ministerin. Und dann haben wir das ausprobiert und mein Mann ist mit mir wirklich quer durch Lanzarote mit diesem Rollstuhl bergauf, bergab und das war so ein tolles Erlebnis für mich, wieder die Freiheit zu haben mich über 100 Meter hinweg bewegen zu können und dann hab ich damals erkannt: Hilfsmittel sind etwas sehr, sehr Hilfreiches und Gutes. Auch für die Angehörigen übrigens.
Heute an Pfingsten feiern wir den Heiligen Geist. Und der wird ja auch oft der „Tröstergeist“ genannt. Gibt es für Malu Dreyer eine Bibelstelle, die Ihr besonders Trost spendet?
Für mich ist dieser Psalm 91 immer total wichtig, weil er irgendwie auch zu dieser Krankheit passt. Es heißt ja: „Er befiehlt seinen Engeln dich zu behüten auf all deinen Wegen – sie tragen dich auf Händen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt“. Und diese Stelle hat mich immer unheimlich berührt. Die Menschen, die MS haben oder eine ähnliche Erkrankung, wissen: Es ist wirklich schwer durch eine Fußgängerzone zu gehen und nicht an einen Stein zu stoßen, der einen selbst ins Stolpern bringt – also das hatte immer so eine doppelte Botschaft an mich, dieser Psalm –aber tatsächlich ist es dieser behütende Gott, dieser sorgende Gott, der tatsächlich dann auch eine große Rolle spielt.
Ich treffe Malu Dreyer in Trier. Hier lebt sie seit über 25 Jahren im so genannten „Schammatdorf“, einem Wohnprojekt, das Menschen mit und ohne Behinderung zusammenbringt. Gelebte Nächstenliebe ganz konkret – das hat für die Katholikin viel mit der Botschaft Jesu zu tun:
Und darum geht es ja glaube ich schon auch sehr stark im Leben eines Christen, einer Christin, trotz aller Probleme, Sorgen auch mit großer Zuversicht und Hoffnung nach vorne zu gehen und im Vertrauen auf Gott wirklich auch zu wissen: Man kann sehr viel bewegen.
Sie findet, dass wir als Gesellschaft auch wieder mehr auf das schauen müssen, was gelingt.
Ich glaube wirklich an die Kraft der Vielen. Wenn wir uns zusammentun, können wir auch in der Gesellschaft ganz viel bewegen. Ich glaube auch an das kollektive Gebet, da lächeln ja viele drüber, aber das ist tatsächlich etwas, wovon ich überzeugt bin, dass es auch eine Kraft hat in sich.
Kirche ist für sie deshalb Ruheort und Glaubensgemeinschaft. Soll sich die Kirche auch in politische Fragen einmischen?
Kirche muss sich zu politischen Fragen äußern – warum? Weil aus meiner Sicht die christliche Botschaft eine total politische Botschaft ist. Für Liebe und Nächstenliebe, für Solidarität sorgen - für mich ist das miteinander wirklich verwoben und verbunden. Und es wäre so schade und die Welt wäre ein ganzes Stück auch politisch ärmer, wenn Kirche und Christinnen und Christen sich nicht politisch äußern würden. Wir brauchen auch da die Kraft der Kirche im positivsten Sinne. Das ist nicht parteipolitisch, es ist politisch.
Auch Pfingsten kann Impulse setzen, woran es unserer Gesellschaft aktuell fehlt, findet Malu Dreyer:
Pfingsten ist für mich so ein schönes, freudiges, ermutigendes Fest -weil dieser Geist steht für mich wirklich für diese Kraft gebende Energie und auch die Sprache, die natürlich ne ganz große Rolle spielt, die auch vieles überwindet an Pfingsten: Plötzlich verstehen alle alles- das ist ja das, was wir uns in der Gesellschaft auch wünschen, dass wir nicht ständig aneinander vorbeireden, sondern uns einfach verstehen. Das ist auch etwas sehr Zuversichtliches, finde ich ganz persönlich und wir dürfen darauf vertrauen, dass dieser Geist, dass diese Energie auch in der Gegenwart da ist.
Und gibt es Momente und Situationen, in denen Malu Dreyer ganz persönlich gespürt hat, da hat der Heilige Geist in ihrem Leben gewirkt?
Viele haben mich ja oft gefragt im Amt: „Was gibt dir eigentlich so Kraft und Zuversicht?“ Und ich kann das wirklich: Mich mal fünf Minuten auf mich besinnen und diese Kraft und diese Energie auch echt spüren. Und da geht es mir dann so ein bisschen wie den Jüngern an Pfingsten, dass ich dann plötzlich so eine Klarheit habe und so eine Zuversicht in mir verspüre und das hat ganz viel glaub ich mit dieser göttlichen Energie zu tun.

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08JUN2025
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Stephanie Hecke Foto: Tobias Bugala

Felix Weise trifft Stephanie Hecke

Ein Mensch stirbt – und niemand ist da. Keine Familie, keine Freunde. Niemand, der sich verabschieden will. Stille. Einsamkeit. Spürbar. Pfarrerin Stephanie Hecke hat solche „einsamen“ Beerdigungen begleitet. Als sie Freunden davon erzählt, ist schnell klar: Das Thema „Einsamkeit“ trifft ins Herz. Es bewegt viele Menschen. Stephanie Hecke beschäftigt sich immer intensiver damit und hat schließlich ein Buch über die Einsamkeit geschrieben: „Die stille Gefährtin“.

Der Begriff der Gefährtin ist erst mal ein Paradox, weil genau das, was man sich ja wünscht, wenn man einsam ist, dass man von irgendjemand begleitet wird, dass man ein Gefährte oder eine Gefährtin hat. Genau das trifft ja nicht zu in der Einsamkeit. […] Und ich habe mich da ganz bewusst dazu entschieden, die Einsamkeit als Person, also als Gefährtin zu beschreiben, um eben genau das zum Ausdruck zu bringen. Also dieser Wunsch, eigentlich ein ganz positiver Wunsch, steckt hinter der Einsamkeit. Wir sind angewiesen auf Beziehungen und jeder Mensch hat dieses Bedürfnis danach. Und gleichzeitig hat die Gefährtin aber auch den Charakter, dass viele Menschen von ihrer Einsamkeit wie begleitet werden.

Erschreckend viele Menschen fühlen sich einsam – zumindest lässt sich das Vermuten, wenn man die Statistiken anschaut. Trotzdem wird im Freundeskreis oder der Familie nicht viel darüber geredet. Auch ein Grund, warum Stephanie Heckes Buch den Titel „Die Stille Gefährtin“ trägt.

Und die Stille? Die kommt daher, dass ich in den vielen Menschen, denen ich begegnet bin, in meinem Buch wahrgenommen habe, dass Einsamkeit Menschen verstummen lässt. Also Menschen werden unsichtbar. Sie ziehen sich zurück, physisch, aber auch vor allem in emotionale Weise.

Einsamkeit ist etwas Stilles. Und wird von der Umgebung oft nicht bemerkt. Das wird im Gespräch mit Stephanie Hecke deutlich. Vor allem aber verstehe ich, dass es nicht unbedingt, um das allein sein geht. Einsamkeit kommt auch vor, obwohl Menschen ein Netz an sozialen Beziehungen haben.  

Einsamkeit ist nämlich was ganz anderes, als allein zu sein, was man auf den ersten Blick so denkt. Ich gehe davon aus, Einsamkeit entsteht immer dann, wenn wir uns soziale Kontakte, Beziehungen wünschen in einer tiefen Form und die aber nicht bekommen.

Was ich tun kann gegen Einsamkeit? Gegen meine eigene oder die meines Gegenübers? Es fängt wohl damit an, von der „stillen Gefährtin“ an meiner Seite zu sprechen. Worte für sie zu finden:

Also zuerst einmal ist es ja gar nicht so leicht, das Gefühl von Einsamkeit auszudrücken. Wir können viel eher sagen, ich bin traurig, ich bin fröhlich. Ich bin einsam - das sind wir nicht gewohnt zu sagen. Es wird eher tabuisiert. Ein Grund dafür ist sicher der, dass damit so ein Manko einhergeht. Dass man sich also fragt ja, was ist denn an mir? Oder was fehlt mir denn?

Menschen aus der Einsamkeit zu holen, bedeutet also auch: Eine Lösung zu finden, mit der Scham, die Einsamkeit auslöst, umzugehen. Ein erster Schritt:

Mir klarzumachen, dass ich damit nicht allein bin. Das ist vor allem, wenn es eine vorübergehende Phase ist, total normal ist, weil ich in meinem Leben ja auch mal traurig bin und auch mal frustriert bin und auch dann glücklich bin. Und dass Einsamkeit ein ganz normales Gefühl in dieser Gefühlspalette ist. Das erstmal zu akzeptieren, das hilft mir.

Und wenn es nicht ein vorübergehendes Gefühl ist, hilft es, wenn da jemand ist, der von außen nachfragt. Aber wer, wenn man doch einsam ist?

Es gibt andere europäische Länder, die Fragen über den Hausarzt standardmäßig ab, ob sie sich einsam fühlen, also haben so eine mentale Dimension auch bei der Gesundheitsversorgung. Da überlegt man, ob so was eine Möglichkeit wäre, um das mehr abzufragen. Weil bis jetzt sind alle Möglichkeiten, um Einsamkeit zu überwinden, basieren darauf, dass die Menschen von sich aus sagen Ich bin einsam und ich wünsche mir Unterstützung von dir.

Noch schwieriger wird es, wenn das Geld nicht reicht für den Mitgliedsbeitrag im Sportverein oder regelmäßige Besuche in der Kneipe. Und für Menschen ohne Arbeitsplatz. Da  ist eine weitere Möglichkeit, mit Einsamkeit umzugehen eigentlich naheliegend:

Und ein ganz großer Punkt, der vielleicht überraschend ist, ist Arbeit. Also Menschen in Arbeit zu bringen, weil sie dort die Möglichkeit haben, soziale Kontakte zu knüpfen.

Eigentlich logisch: Mehr soziale Kontakte bedeutet mehr Chancen aus der Einsamkeit zu entkommen. Als Pfarrerin ist für Stephanie Hecke auch die Kirche ein Ort, wo Menschen ihrer Einsamkeit entkommen können. Worin liegt gerade das Potenzial der Kirchen, um Einsamkeit zu begegnen?

Zum einen inhaltlich. Die Kirche hat eine Botschaft, die sagt, wir glauben an einen Gott, der jeden Einzelnen geschaffen hat, der jeden Einzelnen sieht und liebt und mit jedem Einzelnen eine Beziehung führen möchte. Also das ist das optimale Gegenmittel gegen Einsamkeit. Das zweite ist, die Kirche ist in ihren Handlungsfeldern Kirche und Diakonie überall an der Schnittstelle, genau an den Menschen, die auch in der Gefahr stehen, einsam zu werden. Egal, ob das Pflegedienste sind, Nachbarschaftshilfe, Schulsozialarbeit.

Der christliche Glaube kann helfen, Zeiten der Einsamkeit zu überstehen:

Auf jeden Fall ist der Glaube an Gott und auch die Vorstellung der heiligen Geisteskraft. Also eine Vorstellung, die ganz viel Kraft geben kann in Phasen von Einsamkeit. Weil man eben ganz unabhängig von der Situation, in der man gerade lebt, eine Ansprechperson hat, also eine innere Heimat findet. In einem vertrauten Gebet, in einem Lied, in einem Gefühl, das einen überkommt.

 

Zum Buch „Die Stille Gefährtin“ von Stephanie Hecke: https://www.adeo-verlag.de/die-stille-gefaehrtin.html
Stephanie Hecke auf Instagram: https://www.instagram.com/stephanie_hecke/

 

 

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01JUN2025
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Holger Eschmann Copyright: Manuela Pfann

Ich bin Manuela Pfann und ich möchte mehr wissen über den Trost und das Trösten. Ich beschäftige mich gerade viel mit dem Thema Abschiednehmen und trauern – und da gehört der Trost mit dazu, weil er so wichtig ist. Was kann uns gut trösten?

Auf der Suche nach Antworten, lande ich in der theologischen Hochschule Reutlingen bei Prof. Holger Eschmann. Er ist mittlerweile im Ruhestand und hat sich viele Jahre intensiv mit dem Thema Trost und trösten beschäftigt. Als Lehrer, aber natürlich auch als Pastor und Seelsorger.

Gibt es etwas, das immer hilft, wenn man mit Menschen zu tun hat, die Trost brauchen?

Also Nähe und Verständnis. Ich glaube, das kann man generell sagen. Es gibt keinen Trost, ohne sich in die Situation des Gegenübers einzufühlen. Das ist immer ein guter Anfang, aber dann ist es sehr individuell verschieden. Manchen hilft es, sich in der Natur zu bewegen, einen Spaziergang zu machen und dadurch wieder die Fülle der Schöpfung wahrzunehmen. Manchen hilft es, mit anderen zusammen Nächte durchzureden. Aber ich glaube tatsächlich immer hilft Zuwendung; und nie besserwisserisch sein, sondern sensibel auf das Gegenüber eingehen.

Holger Eschmann warnt aber gleich, das Trösten nicht falsch zu verstehen und dann womöglich ganz schnell beim Ver-trösten zu landen.

Es gibt ja so leichte Trostpflaster, dass Menschen sagen: Ach, wird schon wieder oder ist nicht so schlimm. Oder habe ich alles auch schon und viel schlimmer erlebt als du. Das kann tatsächlich in so kleinen alltäglichen Situationen, wo man sich nicht gut fühlt, auch mal helfen. Aber in einer wirklich trostlosen Situation, wo ein Mensch leidet, an was auch immer, an einer Diagnose, einer Krankheit, dem Verlust einer Person oder ähnlichem, da hilft das dann nicht weiter, sondern kann zynisch wirken, sodass die Person denkt, der hat gut reden.

Deswegen ist für Holger Eschmann beim Stichwort Trost, das biblische Verständnis dieses Begriffs ganz zentral – und da gehört beides zusammen, reden und handeln. 

Ich kann nicht einfach so einen tröstlichen Satz hinschmeißen und ansonsten kümmert mich die Situation des Gegenübers nicht. Sondern dann sollte ich auch mithelfen, wenn was zu helfen ist.

Und so verstehe ich auch eines der sogenannten „Werke der Barmherzigkeit“. Die sind sowas wie die Kernaufgaben der Christen. Und eine davon lautet eben: „Trauernde trösten“.

Als Trost wird etwas empfunden, wenn ich vorher in einem Tief bin, welcher Art auch immer und dann etwas Tröstendes erfahre, erlebe, höre, sehe, schmecke.

Holger Eschmann versteht Trost also bei weitem nicht nur religiös oder spirituell.

Christlicher Trost ist für mich Essen und Trinken genauso. Oder eine gute Musik oder auch philosophische Gedanken, die trösten. Eine stille, stumme Umarmung ist manchmal viel mehr Trost als wohlgemeinte fromme Bibelworte.

Als ich ihn frage, an welcher Stelle in der Bibel ich etwas über den Trost lernen kann, da gibt er mir eine überraschende Antwort. Er nennt die Klagepsalmen. Einen mag er besonders gern, Psalm 13, wo es heißt:

„Warum, Herr, schweigst du so lange? Warum hast du mich vergessen? Wie lange soll ich noch mich ängstigen in meiner Seele, täglich?“ Da kommen schon sehr starke Ängste zum Vorschein, die dann tatsächlich in dem Psalm erst ganz am Schluss durch einen Zuspruch noch gelindert werden. Aber wichtig ist, dass sie erst mal rauskommt die Klage.

Ist das also schon Trost, wenn ich zunächst mal nur schimpfe, wütend bin und zetere wegen der Situation, in der ich gerade bin? Ja, sagt Holger Eschmann, auf jeden Fall. Weil klagen auch psychologisch betrachtet wichtig ist.

Diese Klage findet also heraus aus einem Selbstgespräch hin zu einem Dialog, zu einem Gebet, wenn man so will. Weil das, was an Gefühlen in einem steckt und einen bewegt bekommt durch das Aussprechen in der Klage eine Struktur. Man kann die Sachverhalte, die einen plagen, besser anschauen dadurch, dass man sie ausspricht.

Wo sind denn für ihn Orte oder Situationen, wo er Trost spürt, möchte ich wissen?

Wenn ich in ein Konzert von Bob Dylan gehe, da geht mir das Herz auf und ich gehe getröstet raus. Aber auch ein Gottesdienst könnte mich sehr trösten.

Ich verstehe es als Plädoyer dafür, sich einfach trösten zu lassen, wovon und von wem auch immer; und nicht alles aus eigener Kraft bewältigen zu wollen. Mir hilft manchmal, mit jemandem Essen zu gehen; ein anderes Mal ein ausführliches Gespräch. Und mich stärkt tatsächlich auch der Bibelvers: „Fürchte Dich nicht, denn ich bin bei Dir.“ Weil ich Gott da an meiner Seite spüre, auch bei Schwierigkeiten.

Holger Eschmann sagt, es ist schon gut, wenn man Kraft hat und Vieles selbst bewältigen kann …

… aber wenn man nur darauf vertraut, dann kann man doch trostlos werden in Situationen, wo man merkt, das hebt nicht mehr, wie der Schwabe sagt, das hält nicht mehr, das trägt nicht mehr.

Und auch deshalb schreibt Holger Eschmann gerne Trostkarten an Menschen in schwierigen Situationen, zum Beispiel vor einer Operation. Er schickt ihnen einen Zuspruch – egal ob der Adressat etwas mit der Kirche anfangen kann oder nicht.

Denn schon allein, dass einem etwas zugeschickt wird, dass ich die Karte bekomme, nährt den Aspekt: Da ist einer, der denkt an mich. Die Frommeren unter diesen Menschen sagen: ach ja, der betet für mich. Und die vielleicht weniger Frommen, die da religiös etwas unmusikalischer sind, die freuen sich trotzdem. Das ist Verbundenheit.

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29MAI2025
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Prof. Dr. Christian Volkmar Witt

Martina Steinbrecher trifft Professor Christian Witt

Der Kirchenhistoriker aus Tübingen kennt sich aus mit dem wohl berühmtesten protestantischen Promipaar des 16. Jahrhunderts: Martin Luther und Katharina von Bora. Die Hochzeit der beiden am 13. Juni 1525 jährt sich bald zum 500. Mal. Dass der ehemalige Mönch eine entlaufene Nonne geheiratet hat, war für viele seiner Zeitgenossen ein echter Skandal. Und allzu viel Romantik, verrät Christian Witt, war dabei auch nicht im Spiel.

Katharina von Bora war einfach übrig. Es sind ja insgesamt zwölf Nonnen aus dem Kloster Marienthron herausgeschmuggelt worden. Luther fühlte sich nach dieser Befreiungsaktion ein Stück weit verpflichtet. Er konnte jetzt nicht sagen: Ich hab‘ sie aus dem Kloster geholt, und jetzt bleibt sie sozusagen sitzen und muss sehen, wo sie bleibt. Und wir wissen von Luther selbst, dass er auch ganz andere der damals in Wittenberg vorfindlichen Nonnen im Auge hatte. Die wollten ihn aber nicht.

Hat Luther Torschlusspanik? Plagt ihn ein schlechtes Gewissen? Oder geht er halt eine Vernunftehe ein? Wahrscheinlich von allem ein bisschen. Die Eheschließung der beiden ist aber viel mehr als eine rein persönliche Angelegenheit. Denn der Reformator bricht nicht einfach mit den Konventionen seiner Zeit, sondern stellt das jahrhundertelang vorherrschende Lebensideal der Ehelosigkeit infrage. Und rüttelt damit einmal mehr an den Grundfesten der Kirche.

Für Luther ist das eigentliche Lebensideal eben gerade die Ehe. Es ist Teil der guten Ordnung Gottes, dass wir miteinander in die Ehe treten, miteinander schlafen, Sexualität leben, miteinander Evangelium in Wort und Tat eben verkündigen.

Geht das so einfach? Vom enthaltsamen Mönch zum Partner und Familienvater? Im Luther-Film der Regisseurin Julia von Heinz aus dem Jahr 2017 ist es Katharina, die in der Hochzeitsnacht die Initiative ergreift und ihren unbeholfenen Ehemann selbstbewusst in die Geheimnisse der körperlichen Liebe einführt. Das mag ein feministischer Blick auf die beiden ist, aber in anderer Hinsicht gleicht die Ehe von Martin und Katharina durchaus modernen Vorstellungen von einer Beziehung auf Augenhöhe

Die beiden waren ein gutes Team. Luther fasst Vertrauen. Er verehrt seine Frau, er hat regelmäßig auch Angst um seine Frau er kümmert sich, er lässt ihr aber auch ihre eigenen Zuständigkeitsbereiche, und bei Katharina von Bora ist es umgekehrt genauso. Luther kannte sich schlicht mit Geld nicht aus, hatte dazu ein katastrophales Verhältnis, da lagen die Talente eben ganz klar auf der Seite seiner Frau. Er wusste das zu schätzen und ließ ihr entsprechend die Räume. Die hatten ein tiefes inneres Verständnis füreinander. Sie wusste mit ihrem Martin umzugehen, und Martin wusste eben auch mit seinem „Herrn Käthe“ umzugehen.

Martin Luther und Katharina von Bora haben ein neues Lebensmodell erprobt. Denn nicht in einer Klosterzelle, sondern in ihrer Beziehung und in ihrer Familie wollen sie ein gottgefälliges Leben führen mit allen Höhen und Tiefen. 

Von einer innovativen Lebensform hat sich die Ehe im 21. Jahrhundert längst fortentwickelt. Vielen gilt sie als ein eigentlich überholtes bürgerliches Relikt. Können Luthers Gedanken da noch etwas zur aktuellen Diskussion über Lebensformen beitragen? Christian Witt führt mindestens zwei Punkte an, die Luthers Überlegungen auch für Christen im 21. Jahrhundert anschlussfähig machen:

Luther kann die Scheidung einer vollgültigen Ehe denken. Wenn die Eheleute sich selber das Evangelium nicht mehr verkündigen oder einander stabilisierend zusprechen können in Wort und Tat, und das meint nicht, aus der Bibel vorlesen, das meint, wie gesagt, Glauben und Vertrauen einander schenken und Leben miteinander, dann ist die Ehe zu scheiden und eine Neuverheiratung zu ermöglichen.

So viel seelsorglichen Realismus im Umgang mit scheiternden Lebensentwürfen hätte man sich in den letzten Jahrzehnten auch in der evangelischen Kirche viel häufiger gewünscht. Und denkt man Luthers Eheverständnis konsequent weiter, meint Christian Witt, dann wäre er heute auch ein Befürworter für die kirchliche Trauung gleichgeschlechtlicher Paare. Denn die Ehe …

…sie ist ja gerade nicht auf Fortpflanzung primär angelegt. Schön, wenn es dazu kommt, muss aber gar nicht sein. Sie hat ihren gottgewollten Sinn und Zweck in der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat. Und dafür muss man jetzt nicht verschiedenen Geschlechts sein.

In einer vertrauensvollen Zweierbeziehung können Menschen erfahren, was Liebe ist, und zugleich eine Ahnung davon bekommen, was es heißt, dass Gott den Menschen in Liebe zugewandt ist. Deshalb sieht Christian Witt die bleibende Aufgabe der Kirche darin, Menschen immer wieder neu nahezubringen ….

… warum es ein schöner Gedanke sein kann, die Liebe, auf die man bei Gott vertrauen darf, auch in dem Menschen zu sehen und dem Menschen selbst zu gewähren, der mir da oder die mir da jeden Tag wieder gegenübersitzt, mit mir Alltag gestaltet, die mich hält, die mich birgt, die mir vertraut und der ich vertrauen darf. Ich finde, das ist ein bezaubernder Gedanke!

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25MAI2025
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Mariann Edgar Budde, Bischöfin von Washington und Christopher Hoffmann Copyright: Christopher Hoffmann

Christopher Hoffmann trifft die Bischöfin von Washington, Mariann Edgar Budde, auf dem Evangelischen Kirchentag Anfang Mai in Hannover.

Am Tag nach der Amtseinführung von Donald Trump hatte sie sich in ihrer Predigt direkt an den Präsidenten gewandt mit den Worten: „Mr. President, […] I ask you to have mercy“ - das Video, in dem sie um Erbarmen für Migranten und Minderheiten bittet - und die verachtenden Blicke Trumps währenddessen, gingen millionenfach um die Welt. Was für ein Mut! Warum hat sie das gemacht?

Also es war nicht so, dass ich aufstand und dachte „So, jetzt bin ich mal mutig“. Ich trage Verantwortung. Ich habe eine Berufung. Mir ist klar: Jedes Mal, wenn ich etwas auf der Kanzel äußere, ist es ein Risiko. Man weiß nie, wie die Worte ankommen und aufgefasst werden. Aber ich fühlte, dass es das ist, was Gott von mir möchte. Ich musste es einfach tun.

Mit ihrer Predigt, auf die sie sich intensiv und lange vorbereitet hatte, machte sie ein uraltes, theologisches Wort wieder hochaktuell: Mercy – auf deutsch: Erbarmen. Warum dieses Wort?

Erbarmen -religiös verstanden - basiert darauf, dass wir alle nicht perfekt sind, versagen und Fehler machen, manchmal richtig schlimme Fehler. Und dann müssen wir einen Weg zurück zu uns und den Mitmenschen finden. Wir alle brauchen Barmherzigkeit. Heute bin ich vielleicht in der Lage, sie Ihnen zu geben. Morgen sind Sie barmherzig zu mir. Und wir brauchen es von Gott.  Und Gott möchte, dass wir miteinander gnädig sind.

Wenn sich der Präsident, der spaltet, lügt und hetzt, hinstellt und sagt: „Ich wurde von Gott beschützt um Amerika wieder groß zu machen“, empfinde ich das als scheinheilig. Was denkt Bischöfin Budde in diesen Momenten?

Ich verstehe die Auffassung des Präsidenten so, dass er meint, er würde von Gott geschützt, um das zu tun, was er für das Beste hält - was meiner Meinung nach eine große Gefahr ist. Immer, wenn jemand von uns denkt alles, was er oder sie tue, ist von Gott gewollt, ist das ein gefährlicher Weg. So wie er und seine Partei sich derzeit verhalten - da ist es schwer, das Gesicht Jesu Christi in den Handlungen dieser Regierung zu sehen. 

Bischöfin Budde vertritt ein gänzlich anderes Menschenbild, das darauf aufbaut, dass jeder Mensch ein einmaliges Geschöpf Gottes ist – mit unantastbarer Würde:

Wir alle sind nach dem Bild Gottes geschaffen – in unserer Vielfalt! Und wenn wir sagen, wir glauben das, behandeln Menschen aber unmenschlich, oder – noch schlimmer – wenn wir sagen „Wir sind doch keine Rassisten“, aber unsere Gesellschaft weiterhin rassistische Strukturen aufrechterhält, dann haben wir eine Diskrepanz zwischen unseren Worten und unseren Taten – und damit müssen wir uns befassen. 

Die Kraft dazu gibt ihr der Glaube – wer ist Gott für Sie?

Gott ist unser Fels und unser fester Halt und unser Fundament. Das finde ich sehr tröstlich – und dass Gott in Jesus Mensch geworden ist und dass er uns im Geist weiterhin durchströmt und in uns wirkt.

In diesem Geist Jesu Christi möchte sie mit ihrem Besuch in Deutschland zeigen, dass es nicht an der Zeit ist zu resignieren. Sie will jenem Amerika, das Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz repräsentiert hat, etwas anderes entgegensetzen:

Als unser Vizepräsident hier zu Besuch war und all diese schrecklichen Dinge gesagt hat, da dachte ich: Ich wollte eine andere Stimme sein, die hierherkommt und sagt: Wir sind eure Freunde. Wir sind alle immer noch da! 

Ich treffe Mariann Edgar Budde, die Bischöfin von Washington, auf dem Evangelischen Kirchentag. Die zierliche 65-Jährige mit der zarten Stimme wurde dort von Zehntausenden gefeiert - für ihren Mut, mit dem sie in ihrer Predigt Präsident Trump die Stirn geboten hat. Aber schon lange setzt sie sich für die Rechte, insbesondere Schwarzer Menschen, ein. Hatte sich nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bereits mit Trump angelegt und Gerechtigkeit gefordert. Wie blickt Sie auf Amerika fünf Jahre nachdem die Black Lives Matter-Bewegung zu den größten Protesten in den USA seit Martin Luther King geführt hatten?

Damals gab es eine Suche, die Wurzeln des modernen Rassismus zu verstehen, und es gab viele Gespräche über Inklusion, Vielfalt und Gleichberechtigung.  Es gab Studien über Wiedergutmachungen für die Sünden der Sklaverei und die wirtschaftlichen Vorteile daraus. Aber mittlerweile gibt es eine Art Zurückschwingen des Pendels und in der aktuellen Regierung wurden die Gespräche auf nationaler Ebene grundsätzlich gestoppt. 

Auch für die Rechte von schwulen, lesbischen und Trans*- Menschen erhob sie in der Predigt ihre Stimme – auch hier sieht sie Rückschritte in ihrem Land:

Hassrede wird mittlerweile eher von der Öffentlichkeit akzeptiert, und das macht es für diese Menschen so schlimm. Es gibt ein großes Gefühl der Unsicherheit und der Angst.

Und sie kritisiert, dass Trump die Gelder der Behörde für Entwicklungszusammenarbeit „USAID“ dramatisch gekürzt hat – laut Prognosen werden zwei bis vier Millionen Menschen weltweit deshalb an Hunger und vermeidbaren Krankheiten sterben. Als ich Bischöfin Budde darauf anspreche, schweigt sie lange:

Dafür gibt es keine Worte. Das ist so schrecklich - und überhaupt nicht notwendig. Das Geld ist nur ein ganz geringer Teil unseres nationalen Budgets. Wir sollten uns nicht aus der Verantwortung stehlen. Wir haben Geld. Wir müssen es tun.

Trotz aller Bedrängnis schaut sie nach vorne. In ihrem aktuellen Buch „Mutig sein“ schreibt sie über Zivilcourage: „Welche Bedeutung ein solcher Moment letztlich hat, hängt davon ab, wie wir danach weiterleben.“* Wie geht es nun weiter, Bischöfin Budde?

Das ist für mich die entscheidende Frage! Ich denke, es kommt nicht so sehr darauf an, was wir sagen, sondern wie wir leben, wie wir miteinander umgehen. Sehen Menschen anhand unseres Handelns die Liebe Gottes, die Wege der Hoffnung und des Guten? Das ist das Wichtigste!

 

* Quelle: Mariann Edgar Budde: Mutig sein, aus dem Englischen von Anja Lerz, Oliver Lingner, Elsbeth Ranke und Karin Schuler, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2025, S.31.

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