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03NOV2024
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Novemberstimmung.

Regenschwere Tage in grau, fallende Blätter und zum Nachmittagskaffee fängt es bereits an dunkel zu werden.

Der November ist ein Monat, in dem alles ein bisschen stiller wird, ein bisschen ernster und ein bisschen weniger bunt, ein Monat in Molltönen. Diese Stimmung greift auch das heutige Lied zum Sonntag auf. Es wirkt fast schon wehmütig und melancholisch, schmerzlich und schön zugleich.

 

  1. Strophe

Noch ehe die Sonne am Himmel stand,
die Nacht ein Ende fand,
noch ehe sich ein Berg erhob,
zu scheiden Meer und Land,
bist du Gott, unser Gott,
die Zuflucht für und für.
Dir leben wir, dir sterben wir,
wir gehen von dir zu dir.

 

Ja, es gibt sie die Regentage des Lebens voller undurchsichtigem Nebel und matschigem Laub unter den Füßen.

Tage an denen ich einfach scheitere und mich ungenügend fühle. Oder an denen ich mich frage, warum vieles in der Welt so ist, wie es ist?

Eugen Eckert, Stadionpfarrer in Frankfurt, hat 1991 den Text des Liedes verfasst. Als Grundlage dient ihm Psalm 90 aus der Bibel. Dieser Psalm ist ein Klagepsalm. Mir macht das deutlich, dass Zeiten der Krise und des Fragens dazu gehören und sein dürfen. Und der Mensch, damals wie heute, Gott seine Klage vor die Füße werfen darf.

 

  1. Strophe

Der du allem Leben den Atem schenkst,
hab mit uns noch Geduld;
wo wir versagen, irre gehn,
vergib uns unsre Schuld.
Du bist Gott, unser Gott, …

 

Der November ist auch ein Monat, der mich daran erinnert, dass ich endlich bin. Das Lied lässt mich spüren, dass dies kein Grund ist zu verzweifeln.

Im Psalm 90 heißt es:

Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz.

Ich verstehe das so, dass jeder Tag zählt. Und zwar nicht als Aufforderung nach dem Motto, also mach jetzt gefälligst was draus, verschwende dein Leben nicht, denn morgen könnte es vielleicht zu spät sein. Nein, es ist vielmehr ein tröstendes Versprechen. Dass Gott da ist. Am Anfang und am Ende und zwischendrin. Wie ein Ort, an dem man sich zu Hause fühlen darf. Von dem man kommt und wo man jederzeit wieder hin kann.

Jeder Tag zählt, heißt: dein Leben zählt - auch an grauen Novembertagen.

 

  1. Strophe

Der du deine Kinder sterben lässt,
gib Weisheit, unserer Zeit
in Lob und Klage zu bestehn,
und sei im Tod nicht weit.
Du bist Gott, unser Gott,

die Zuflucht für und für.

Dir leben wir, dir sterben wir,

wir gehen von dir zu dir.

Komponist

Text: Eugen Eckert 1991 nach Ps 90

Musik: Sergej Andrewitsch Bazuk (1910-1973)

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27OKT2024
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Schon längst sind die Tage kürzer geworden und die Nächte länger. Und heute endet nun auch die Sommerzeit. Die Uhren werden um eine Stunde zurückgestellt. Ich finde, ein guter Anlass, um danach zu schauen, was in dunkleren Zeiten Licht spenden kann...

Jesus ist das schönste Licht,
Jesus ist des Vaters Freude,
so er aus sich selber spricht:
Er ist meine Lust und Weide.
Jesus ist die süße Kraft,
die mit Liebe mich entzündet,
da mein Herz alleine findet,
was mir Ruh und Freude schafft.

„Jesus ist das schönste Licht“ ist ein geistliches Lied aus dem Gesangbuch Georg Christian Schemellis. Schemelli war Kantor und Verfasser eines Gesangbuches, an dem auch Johann Sebastian Bach mitgearbeitet hat. Bachs typischer Sound ist in diesem Lied leicht zu erkennen. Schlicht ist es und doch kunstvoll komponiert.
Zudem ist das Lied mit Worten versehen, die einem in der kälter werdenden Jahreszeit das Herz erwärmen können. Denn es geht um Freundschaft. Um eine innige Beziehung zu Jesus.
Sicher, die Sprache ist barock und nicht mehr die unsere. Aber, worum es geht, das verstehe ich auch heute: Die Begegnung mit Jesus macht es hell im Leben. Was ich von ihm lese oder höre, kann trösten und Zuversicht schenken.

Jesus ist die Lieblichkeit
und der Seelen Lustspiel worden,
er verzehret alles Leid,
er erleuchtet seinen Orden.
Jesus ist mein Freudenspiel,
ich bin ganz in ihm entzündet,
weil man alles in ihm findet,
was man wünscht und was man will.

Seit zweitausend Jahren haben Menschen ihre Beziehung zu Jesus in ganz unterschiedlicher Weise verstanden.
In diesem Lied ist Jesus der Freund. Die Freundschaft zu ihm wird in geradezu erotischen Bildern beschrieben. Das mag heute manchmal befremdlich klingen. Ich sehe darin vor allem die poetische Beschreibung einer Suche nach Nähe und Vertrautheit.

Nenne mich nur deine Braut,
nenne mich nur deine Taube,
mache mich dir recht vertraut,
mache, dass ich an dich glaube.
Jesu, Jesu, nimm mich auf!
Ich will dein alleine heißen,
mich von allen Dingen reißen,
so verhindern meinen Lauf.

Worin besteht Freundschaft? Doch vor allem darin, dass man einander Zeit schenkt. Einander zuhört. Dass ich mich von den Worten meines Gegenübers anrühren und bewegen lasse. Und damit ausdrücke: ich bin für dich da. „Jesus, werde mir zur Sonne“, heißt es in dem Lied. Ein gutes Motto, finde ich, für die Zeit kürzer werdender Tage und längerer Nächte. Und eine Anregung, Helles und auch Dunkles miteinander zu teilen.  

Oft hast du mich angeblickt
und gelabt mit deinen Gaben
doch bin ich nicht gnug erquickt,
ach! ich muss dich selber haben.
Jesu, brich in mir herfür!
Jesu, werde mir zur Sonne,
Jesu! Jesu! Meine Wonne,
Jesu, ach! ergib dich mir!

----------------------------------

 CD: Johann Sebastian Bach, Schemellis “Musikalisches Gesangbuch“, II,
Track 28, classic produktion osnabrück, 1998, LC 8492

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20OKT2024
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Wie kann ich Gott finden und mit ihm in Beziehung kommen? Um diese Frage geht es im heutigen Lied, das ich im Gotteslob, dem katholischen Gesangbuch, entdeckt habe.

Liedtext:
Meine Augen finden deine Himmel nicht.

Kann ich Schritte wagen vor dein Angesicht?

Deine Berge geben leis den Blick zurück.

Suchen will ich dich, finden wirst du mich.

Interessant ist, dass es im Lied heißt: Meine Augen finden deine Himmel nicht. Es klingt darin das alte hebräische Wort für Himmel an: Ha schamajim – die Himmel. Dieses Wort gibt es in der alten Sprache der Bibel nur im Plural. Denn hinter dem sichtbaren Himmel vermutete man noch viele weitere himmlische Sphären. Schon immer haben Menschen wohl gespürt, dass Gott ihnen entzogen ist. Nicht zu fassen. Transzendent. Und gleichzeitig haben sie in dem sichtbaren, weiten Himmel und in den mächtig aufragenden Bergen Gottes Größe erahnt. Die ganze Welt ist Gottes Schöpfung. Könnte das die Spur sein, in der ich auch heute noch Gott näher kommen kann?

Liedtext:
Meine Füße brauchen deinen festen Grund

gleiten oft und schwanken auf der Erde Rund.

Deine Schöpfung schweigt noch, singt nicht deinen Klang

Suchen will ich dich, finden wirst du mich.

„Deine Schöpfung schweigt noch, singt nicht deinen Klang“ so heißt es in unserem Lied. Aber eigentlich möchte sie uns etwas sagen, davon bin ich überzeugt. Nur unser moderner, aufgeklärter Umgang mit der Welt hat uns taub gemacht für ihre feineren Töne. Wie kann ich neu lernen, sensibel zu werden für die Botschaften Gottes in seiner Schöpfung?

Es beginnt damit, dass ich mich erst mal zurücknehme. Dass ich absichtslos da bin, ohne etwas zu wollen und wahrnehme, was ist. Ich kann das gut üben, wenn ich spazieren gehe, gerne auch alleine. Manchmal fällt mir dann etwas besonders ins Auge. So habe ich neulich einen großen vermoderten Baumstumpf entdeckt, aus dem ein neues Tännchen gewachsen ist. Es ist mir wie eine Antwort auf das vorgekommen, was mich gerade beschäftigt hat. So vieles, was früher sicher schien und Halt gegeben hat, bricht zusammen und löst sich auf. Wie der Baum, der hier einmal stand. Woher soll da noch Vertrauen in die Zukunft kommen? Und zugleich war da dieses kleine, noch etwas zerzauste Tännchen. Ein Hoffnungsbild, dass etwas Neues kommt und weiterwachsen wird.

Liedtext:
Suchen will ich dich, finden wirst du mich.

Der Refrain am Ende jeder Strophe ermutigt mich, die Suche nach Gott nicht aufzugeben. Er ist nicht nur entzogen in unerreichbaren Sphären, er wendet sich mir zu. Das kann in kleinen Zeichen sein, zum Beispiel in Erlebnissen, die mich berühren. Sei es in der Schöpfung oder mit anderen Menschen. Es gibt eine Resonanz. Wenn ich Gott suche, findet er mich. Ich kann das nicht erzwingen, aber es ereignet sich. Oft in Zeiten, in denen ich voller Fragen bin. In solchen Momenten, in denen ich wieder Vertrauen und Zuversicht schöpfen kann, kommt mir Gott nah und ich spüre seinen Segen.

Liedtext:
Meine Sehnsucht lockt mich, führt mich weit hinaus.

Stark in deinem Segen komme ich nach Haus.

Deine Güte hebt mich in dein Angesicht.

Suchen will ich dich, finden wirst du mich.

 

Lied: Aus der CD: Glaube zieht an, Verlag Singende Gemeinde, www.vsg-wuppertal.de Kleine Kantorei des Christlichen Sängerbundes. Ltg. Horst Krüger

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13OKT2024
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„Gott! Höre mein Gebet! Entzieh dich meinem Flehen nicht! Angstvoll schlägt das Herz in mir!“

Worte aus einem uralten Gebet. Als 55. Psalm steht es in der Bibel, hier übersetzt vom großen jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn. Bei seinem Enkel, dem Komponisten Felix Mendelssohn, klang das vor 180 Jahren so:

Musik:
Ich irre ohne Pfad in dunkler Nacht!
Hör mein Bitten, Herr, neige dich zu mir,
auf deines Kindes Stimme habe Acht!

Als Felix Mendelssohn sieben Jahre alt war, wurde er evangelisch getauft. Er wurde ein überzeugter Christ. Aber das schützte ihn zeitlebens nicht vor Antisemitismus. Vor dem Zehnjährigen spuckte ein Mitglied der königlichen Familie auf der Straße aus und beleidigte ihn antisemitisch. Richard Wagner, der von Mendelssohn gefördert worden war, fiel ihm in den Rücken mit einer anonymen Hetzschrift über das „Judentum in der Musik“. Wagners abfällige Urteile über Mendelssohns Musik wirkten lange nach, auch noch lange nach dem Dritten Reich.

Musik:
Die Feinde, sie droh'n, sie stellen uns nach
und halten die Frommen in Knechtschaft und Schmach.

Sie stellen uns nach: Das hat Felix Mendelssohn am eigenen Leib erfahren. Und nach ihm Millionen jüdische Menschen, die vertrieben und ermordet wurden. Bis heute ist dieser Hass eine reale Bedrohung. Wie sehr, das wurde vor einem Jahr bei dem Pogrom der Hamas deutlich. Es ist beschämend und furchtbar, dass Juden und Jüdinnen auch in Deutschland wieder in Angst leben. Dem Land von Felix und Moses Mendelssohn.

So spotten die Verfolger: Wo ist jetzt euer Gott?
Und die Verfolgten schreien zum Himmel: Gott, hör unser Flehn! Kämpfe für uns!

Musik:
Mich fasst des Todes Furcht bei ihrem Dräu'n!
Sie sind unzählige, ich bin allein.
Mit meiner Kraft kann ich nicht widerstehn.
Herr, kämpfe du für mich, Gott, hör mein Flehn!

Das Gebet des Bedrängten geht in einen sehnsüchtigen Wunsch über: Hätte ich doch Flügel und könnte fliehen! Fände Ruhe an einem schattigen Ort! Ein sicherer Ort. Wo ich auf Gottes Nähe vertrauen kann. Möge das Wirklichkeit werden! Für alle, die jetzt wieder ausgegrenzt werden. Für die Menschen, die seit einem Jahr in Tunneln oder anderswo gefangen gehalten werden. Bring them home!

Ich denke jetzt an den Juden Jesus, der ebenso verzweifelt zu Gott gebetet hat. Auch er wurde verhöhnt: Wo ist jetzt dein Gott? Jesus wusste wie der Psalmbeter: Gott ist da. Ich bete und finde Ruhe in Gottes Nähe. Auch wenn ich nicht fliehen kann. Ich bin bei Gott geborgen.

Musik:
… fände Ruhe am schattigen Ort.

------

Musik:
"Hör mein Bitten“ (Felix Mendelssohn)
Komponist
M: Mendelssohn Bartholdy, Felix
T: Bartholomew, William (nach Ps 55,2-8)
Musik: M0013465(AMS); Hör mein Bitten Hymnus für Sopran, gemischten Chor und Orgel; Chormusik; 01-007; Bojack-Weber, Regina; Collegium Iuvenum Stuttgart; Keck, Friedemann

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06OKT2024
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Mein erstes Konzert, bei dem ich im Chor mitgesungen habe, war das Requiem von John Rutter. 14 Jahre war ich damals, und ein Requiem nicht unbedingt das, was andere in meinem Alter hoch und runter gehört haben. Doch die Musik hatte mich gepackt. Ich weiß noch gut, wie ich in die Klänge abgetaucht bin. Wie tröstlich ich die Musik fand und wie kraftvoll.
John Rutters Musik hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Weihnachten ist für mich ohne seine Weihnachtslieder fast nicht vorstellbar. Und ich kann kaum mehr zählen, wie oft ich im Chor das Segenslied „The Lord bless you and keep you“ gesungen habe.

Auch unser Lied zum Sonntag ist von John Rutter. Es heißt „For the beauty of the earth“ also „Für die Schönheit dieser Welt“ und passt ganz wunderbar zum heutigen Erntedankfest:

Musik 1

„Unser Herr, zu dir erheben wir unsern frohen Dank im Lied.“
Mit dieser Zeile endet jede Strophe dieses großen Lobgesangs. Den Text hat vor 160 Jahren Folliot Pierpoint geschrieben, und John Rutter hat ihn 1980 vertont. Strophe für Strophe besingen die Sängerinnen und Sänger Berg und Tal, Baum und Blumen, Sonne, Mond und Sternenlicht. Dann stehen wir Menschen im Fokus des Dankes und die Liebe, die uns untereinander verbindet. Der Liedtext zählt Brüder, Schwestern, Eltern und Kinder auf. Und er dankt für die Freunde. Für die, die hier auf der Erde sind und, so heißt es im Text, für die Freunde dort. Also für die, die bereits gestorben sind. Bei John Rutter klingt das so:

Musik 2

John Rutter hat einmal gesagt: „Als ich mit dem Komponieren begann, sagte ich mir, dass es sehr wichtig ist, den Text, den man vertonen will, nicht nur im Kopf zu verstehen, sondern ihn ins Herz zu nehmen.“ Ich finde, das hört man seiner Musik an. Sie ist ein Glaubenszeugnis. Sie kommt von Herzen und sie geht zu Herzen. Für manche mag sie dadurch ein wenig kitschig sein, doch mich trägt und umhüllt seine Musik. Gerade, wenn Schweres mein Leben zudeckt.

Und heute ermutigt sie mich, bewusst nach dem Ausschau zu halten, wofür ich dankbar bin. Und wie das Lied fange ich mit dem an, was mich umgibt: die Weite des Himmels, der herrliche Duft von Herbst, von Trauben und Laub, und die Musik aus dem Radio. Und ich bin ganz fasziniert: einmal mit dem Danken angefangen, entdecke ich viel leichter immer Neues, wofür ich danken kann.

 

Aufnahme

Titel: For the beauty of the earth.

Hymnus für vierstimmigen gemischten Chor und Klavier oder Orgel, Fassung für Chor, Flöte, Oboe und Harfe

Komponist: John Rutter

Interpret: Chamber Choir of Europe, Leitung: John Rutter

Festkonzert anlässlich der Verleihung des Preises der Europäischen Kirchenmusik 2019 an John Rutter

Übersetzung (deutsch): Karl Rathgeber

SWR Archiv-Nummer: M0572283

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29SEP2024
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Heute ist der „Tag des Erzengels Michael und aller Engel“. Es ist ein komischer Feiertag, denn wie schade für Michael, dass er seinen Namenstag mit allen anderen Engeln teilen muss. Und wie bedauerlich erst für die große Zahl an Engeln, von denen es anscheinend so viele gibt, dass nicht jeder mit einem eigenen Gedenktag gewürdigt werden kann. Einem dieser namenlosen Engel hat der Dichter Hugo Ball zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Trost wenigstens ein kleines Gedicht gewidmet. Und der zeitgenössische Komponist Peter Schindler hat es in Töne gesetzt. Es heißt Morgenengel:

Früh, eh der Tag seine Schwingen noch regt,
alles noch schlummert und träumet und ruht,
Blümchen noch nickt in der Winde Hut,
eh noch im Forste ein Vogel anschlägt,
schreitet ein Engel durchs tauweiße Land,
streut aus den Segen mit schimmernder Hand.

Dieser Morgenengel bleibt nicht nur ohne Namen, er wirkt auch im Verborgenen. Die Morgendämmerung ist seine Zeit, früh, eh der Tag seine Schwingen noch regt. Noch nicht einmal ein Vogel ist wach, der doch lange schon vor irgendeiner menschlichen Seele das Licht eines neuen Tages heraufziehen spürt. Ein Engel schreitet durchs tauweiße Land, womöglich barfuß, aber das stört ihn nicht, denn er widmet sich mit Hingabe seiner Aufgabe: „Streut aus den Segen mit schimmernder Hand.“ Als hätte die Welt den ganzen Segen vom gestrigen Tag schon wieder aufgebraucht und müsste nun auf’s Neue damit überschüttet werden. Und dann erwacht die Schöpfung aus ihrem Schlummer:

Und es erwachet die Au und der Wald.
Blumen bunt reiben die Äuglein sich klar,
staunen und flüstern in seliger Schar.
Aufstrahlt die Sonne, ein Amselruf schallt.
Aber der Engel zog längst schon landaus.
Flog wieder heim in sein Vaterhaus.

Kein Mensch betritt die Szenerie dieses Gedichts. Nur die Vögel sind schon da, und die Au und der Wald und die Blumen regen sich im ersten Sonnenlicht. Aber auch sie sind dem Morgenengel nicht begegnet. Ehe ein Geschöpf ihn bemerken kann, ist er schon wieder weitergezogen. Was für eine schöne Vorstellung, dass die Welt ganz ohne mein Zutun jeden Morgen neu gesegnet wird. Von Engeln, die sich dafür zwischen Tau und Tag an die Arbeit machen. Mit schimmernden Händen Segen ausstreun, damit ich morgens in einer gesegneten Welt aufwachen kann.

Musikangaben:
Text: Hugo Ball (1868-1927)
Komposition: Peter Schindler (geb. 1960), Nr. 2 aus dem Zyklus „Engel-Lieder“ (2019)
Aufnahme: Anja Petersen (Sopran) und Peter Schindler (Piano) (31.01.2021), Youtube

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22SEP2024
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Darf ich vorstellen: eine Grille. Mit ihrem Zirpen hat sie gleich einen großen Auftritt im heutigen Lied zum Sonntag. Aber das kleine Tierchen ist nicht allein auf unserer imaginären Bühne. Da ist noch einer, der ihr zuhört: der heilige Franz von Assisi, der im 13. Jahrhundert gelebt und gewirkt hat. Was mit der Grille und dem heiligen Franziskus passiert sein soll, das steht in einem Gedicht aus der Feder des Konstanzer Kirchenmannes Ignaz Heinrich von Wessenberg, geschrieben vor etwa 200 Jahren. Es beginnt so: „Franziskus einst, der heilge saß vor seiner Zell und Psalmen las. Der Abend durch die Wipfel glüht, als durch der Dämmrung Stille mit hellem Flügelschlag ihr Lied ertönen lässt die Grille.“ Diese kleine Story wird sogar zur Musik, wenn der romantische Komponist Carl Loewe sie als Lied mit Klavierbegleitung vertont.

 

Musik 2: Legende „Der heilige Franziskus” von Ignaz Heinrich von Wessenberg (unter dem Titel „Das Lob Gottes”) und Carl Loewe; mit Dietrich Fischer-Dieskau (Bariton) und Jörg Demus (Klavier)

 

Franziskus einst, der Heilge saß

vor seiner Zell und Psalmen las.

Der Abend durch die Wipfel glüht,

als durch der Dämmrung Stille 

mit hellem Flügelschlag

ihr Lied ertönen lässt die Grille.

 

Jetzt könnte sich Franz von Assisi gestört fühlen in seinem Psalmengebet, von einer Grille. Aber er hat die Tiere ja hoch geschätzt und sogar den Vögeln gepredigt. Deshalb fühlt er sich im Gedicht von Wessenberg auch gar nicht gestört, sondern inspiriert. Ohne lange zu überlegen, schlägt er sein Gebetbuch zu und betet einfach mit der Grille mit.

 

Musik 3: „Der heilige Franziskus” (Fortsetzung)

 

Gott preist das Grillchen für den Tau,

der es erquickt auf grüner Au.

Der Heilge schlägt den Psalter zu,

denn schöner, wollts ihm scheinen,

ruf’ ihm das fromme Grillchen zu:

Wie groß ist Gott, wie groß ist Gott,

wie groß ist Gott im Kleinen!

 

„Wie groß ist Gott im Kleinen!“ Das ist doch ein schönes Motto für den heutigen Sonntag. Vielleicht höre oder sehe ich Heiliges und Göttliches in manchen kleinen Dingen: in einem Lied, in einem glücklichen Moment. Vielleicht sehe ich etwas Schönes in der Natur: die Wolken oder einen imposanten Baum im Wald beim Spazierengehen. Oder ich höre den Gesang der Vögel mit ganz neuen Ohren. Franz von Assisi macht es uns vor: Er war aufmerksam und konnte über das Kleine staunen. Nicht nur über den wunderbaren Gesang einer Nachtigall, sondern auch über das Zirpen einer Grille.

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15SEP2024
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Ein bisschen Wehmut schwingt schon mit: Nun sind die Sommerferien vorbei. Und überall im Land hat wieder der normale Arbeitsalltag angefangen. Auch wer keine Kinder oder Enkel im schulpflichtigen Alter hat, konnte in den letzten Wochen von der entspannteren Stimmung profitieren: auf Straßen, in Geschäften, bei der Arbeit. Jetzt müssen sich alle wieder ins Zeug legen. Da heißt es, sich einen Ruck geben. Vielleicht auch mit einem Lied:  

In Gottes Namen fang ich an, was mir zu tun gebühret;
mit Gott wird alles wohlgetan und glücklich ausgeführet.
Was man in Gottes Namen tut, ist allenthalben recht und gut
und kann uns auch gedeihen.

Eigentlich erstaunlich: Nur vier Lieder finde ich im Evangelischen Gesangbuch in der Rubrik „Arbeit“. Und im katholischen Gotteslob suche ich das Stichwort vergeblich. Dabei verbringt der Mensch doch nicht erst im 21. Jahrhundert einen Großteil seiner Zeit mit Arbeiten: Mit Erwerbsarbeit, Care-Arbeit, Hausarbeit, Erziehungsarbeit. Und es gibt sogar eine eigene protestantische Arbeitsethik. Vor allem in den auf Calvin zurückgehenden Kirchen der Reformation wird da Erfolg im Beruf auch als Zeichen göttlicher Gnade und Zuwendung verstanden. Etwas davon klingt auch in diesem Lied an:

Gott ist’s, der das Vermögen schafft, was Gutes zu vollbringen;
Er gibt uns Segen, Mut und Kraft und lässt das Werk gelingen;
Ist er mit uns und sein Gedeihn, so muss der Zug gesegnet sein,
dass wir die Fülle haben. 

Lebens-Fülle wird heute aber vermehrt in den Zeiten gesucht, die nicht der Arbeit gewidmet sind. In der Generation meiner Kinder ist es recht selbstverständlich, sich auch nach einem langen Studium nicht mit vollem Elan ins Arbeitsleben zu stürzen. Viele jungen Menschen wollen keinen 100% Job annehmen, um möglichst schnell Karriere zu machen, sondern lieber ihre Zeit mit anderen sinnvollen Dingen füllen: Sie möchten Zeit mit anderen verbringen, Zeit für eigene Interessen haben, Zeit zum Entspannen und ja, auch Zeit für ehrenamtliches gesellschaftliches Engagement. Denn die eigene Arbeit soll auch denen zugutekommen, die mit wirtschaftlichem Erfolg nicht gesegnet sind – auch davon singt unser Lied:

Wer erst nach Gottes Reiche tracht‘ und bleibt auf seinen Wegen,
der wird von ihm gar reich gemacht durch seinen milden Segen.
Da wird der Fromme froh und satt, dass er von seiner Arbeit hat
auch Armen Brot zu geben. 

Wenn also ab sofort wieder überall im Land fleißig in die Hände gespuckt wird, dann wünsche ich Ihnen, dass sich dadurch nicht nur das Bruttosozialprodukt steigert, sondern dass Sie Freude haben an ihrer Arbeit und Segen erfahren:

Drum komm, Herr Jesu, stärke mich, hilf mir in meinen Werken,
lass du mit deiner Gnade dich bei meiner Arbeit merken;
gib dein Gedeihen selbst dazu, dass ich in allem, was ich tu,
ererbe deinen Segen.

Fangen Sie es morgen in Gottes Namen gut an!

-------------------------------

Musikangaben:
Text: Salomo Liscow (vor 1672), 1674
Melodie: Johann Crüger (1653)
Aufnahme: Detlev Korsen am 27.09.2018 in der St. Johannis-Kirche in Verden an der Aller(Youtube)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40659
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08SEP2024
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1) Orgelmusik

Dieses Lied geht ans Maximum. Denn das „Großer Gott, wir loben dich“ strotzt nur so von der Überzeugung, dass Gott der Allergrößte ist. Dass er es immer schon war und für ewige Zeiten bleiben wird. Gott als Maximum, in jeder Kategorie.

2)

Großer Gott, wir loben dich;

Herr, wir preisen deine Stärke.

Vor dir neigt die Erde sich

und bewundert deine Werke.

wie du warst vor aller Zeit,

so bleibst du in Ewigkeit.

 

Ganze elf Strophen zählt dieses Lied. So als ob es sich selbst nicht an diesem einen Gedanken sattsingen könnte, dass alles, aber auch wirklich alles, Gott nur loben kann. Die Engel zum Beispiel, der Himmel und die Luft, alle möglichen Heiligen und die, die jetzt gerade leben. Weil Gott so groß ist, ist Loben einfach das Allerbeste.

 

3) Spieldosenmusik

 

Ehrlich gesagt bröckelt die Sicherheit dieses Liedes für mich. Ich zweifle daran, ob Gott wirklich für immer und ewig der Allergrößte ist. Ich zweifle nicht an ihm, aber an diesem Bild, das ich mir von ihm gemacht habe.

 

(während nächsten Abschnitt beginnt Musik 4)

Eine Kollegin hat mich darauf gebracht. Sie hat mich gefragt: „Wie wäre es, wenn Gott nicht der Größte und der Mächtigste ist? Was, wenn er eher so klein ist wie ein winziger Gedanke? Wenn Gott so klein ist, dass er überall dazwischen passt?“

Die Idee meiner Kollegin spricht mich inzwischen sehr an. Mich fasziniert dieser Gedanke, dass Gott vielleicht so winzig ist, dass er zum Beispiel zwischen zwei zündende Ideen passt, die ich gerade habe. Oder so klein, dass er sich verstecken kann in der Sehnsucht, die mich plötzlich packt.

Jahrelang habe ich so nicht gedacht. Aber eigentlich ist es doch naheliegend. Immerhin hat sich Gott ja auch sehr klein gemacht, als er in Jesus einmal in der Geschichte Mensch geworden ist.

Gott ist ganz sicher mit keinem Größenverhältnis zu fassen. Gott als der maximal Größte oder Gott als kleiner Gott. Vielleicht ist beides gleich falsch, oder gleich richtig.

 

Im katholischen Gotteslob steht unter den langen elf Strophen des Liedes ein einziger Satz. Da steht: „Glauben heißt: ich halte ein Leben lang aus, dass ich Gott niemals begreifen werde.“

In all den Gedankenspielen rund um Gott kann ich mich verlieren, denn ich werde wohl immer an Grenzen meiner Vorstellungskraft stoßen. Dann möchte ich weiter vertrauen, oder eben trotzdem an Gott festhalten. In der elften Strophe unseres Liedes ist dieses Vertrauen ganz eng mit einer Sehnsucht verknüpft: Dass Gott uns – trotz seiner Größe oder Winzigkeit – nicht allein lässt: „Auf dich hoffen wir allein: lass uns nicht verloren sein.“

 

5) Herr, erbarm, erbarme dich.

Lass uns deine Güte schauen;

deine Treue zeige sich, wie wir fest auf dich vertrauen.

Auf dich hoffen wir allein:

Lass uns nicht verloren sein.

 

 

1) Max Reger, Großer Gott wir loben dich op. 135a, Nr. 10 Rosalinde Haas, M0012586(AMS)

 2) Das Solisten-Ensemble, Gerhard Schnitter, M0598485(AMS)

3) Polyphon-Spieldose, Großer Gott wir loben dich M0547004(AMS)

4) Großer Gott wir loben dich, German Songbook, Dieter Falk 0730780(AMS)

5) Großer Gott wir loben dich, Choral: gut!, Arno Schneider, Uwe Steinmetz, Lilienfelder Canotorei; Athesinus Consort Berlin; Klaus-Martin Bressgott, M0345565(AMS)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40534
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01SEP2024
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Eine beschwingte, tänzerische Melodie hat unser Lied heute. Kein Wunder, sie stammt ja auch ursprünglich von einem Liebeslied:

Strophe 1 Kreuzchor

Die beschwingte Melodie passt aber auch wunderbar zu dem geistlichen Text, den Johann Gramann dem Lied im 16. Jahrhundert gegeben hat: Nun lob, mein Seel den Herren. Eine Nachdichtung des 103. Psalms.

Beschwingt – das heißt ja eigentlich: wie auf Schwingen. Und gleich zu Beginn des Psalms und des Liedes ist genau davon die Rede: Du wirst wieder jung wie ein Adler. Weil Gottes Trost dir Flügel verleiht. Ein schönes Bild – aber vielleicht auch ein bisschen übertrieben?

Nein, mit Gott hebt man nicht automatisch ab, schwingt sich nicht leichtfüßig über alles Erdenschwere hinweg. Aber das legt der Psalm auch nicht nahe. Da ist nämlich auch von den Niederungen des Lebens die Rede: von Schuld und Gebrechlichkeit. Und von Gott, der dann da ist: Errett‘ dein armes Leben, nimmt dich in seinen Schoß, dichtet Johann Gramann. Mit Nachdruck werden diese Verse in der Motette von Heinrich Schütz wiederholt:

Schütz, Motette

Das väterlicher und mütterliche Bild von Gott, auf dessen Schoß ich mich verkriechen kann mit allem, was ich mitbringe – das berührt mich. Auch weil die weiche, liebevolle Seite Gottes im Psalm 103 eine besondere Begründung erfährt: Gott erbarmt sich über uns wie ein Vater über seine Kinder, weil er weiß: Wir sind schwache, vergängliche Geschöpfe.

Strophe 3 solo Mertens

Ja, unser Leben ist vergänglich. Und doch – oder gerade deshalb – sind wir von Gott geliebt und geachtet. Daran hält der Psalm fest.

Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat, heißt es gleich zu Beginn. Diesen Satz nehme mit in den Tag – und die beschwingte Melodie unseres Liedes dazu. In der Hoffnung, dass sie mir und auch Ihnen heute tatsächlich Flügel verleiht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40617
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