Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR1

     

SWR2

    

SWR3

  

SWR4

      

Autor*in

 

Archiv

30DEZ2012
DruckenAutor*in

Liebe Hörerinnen und Hörer,

der Sonntag nach Weihnachten wird in der Katholischen Kirche als Fest der Heiligen Familie begangen. Beim Blick auf die Krippe haben wir die Keimzelle des Glaubens, der Kirche und unserer Gesellschaft vor Augen. Es ist das Miteinander von Mann und Frau, das zum Füreinander wird. Es ist das Ja zum Kind, aus dem allen Menschen Zukunft wird. Das Zueinander der Personen an der Krippe vermittelt den Geist, ohne den eine Gesellschaft keine Perspektive hat. Der französische Dichter Antoine de Saint Exupéry bringt ihn ins Wort: „Eine Gemeinschaft ist nicht die Summe an Interessen, sondern an Hingabe." 

Solche Worte haben es außerhalb der Weihnachtskrippe schwer in unserer Gesellschaft. Wir sagen zwar, dass Weihnachten das Fest der Familie ist, im Alltag aber sieht die Wertschätzung oft anders aus. Der Beschaulichkeit an der Krippe mit der geschenkten Zeit füreinander steht der Druck gegenüber, unter dem Familien in unserer Gesellschaft stehen.

Mobilität und Flexibilität wird von vielen beruflich erwartet. Wo Familien den Erwartungen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes zu entsprechen haben, bleibt Wesentliches auf der Strecke. Die in unserem Land in den letzten Monaten oft heftig und emotional geführte Debatte um das Betreuungsgeld hat bewusst gemacht, dass Familien mehr öffentliche und materielle Unterstützung brauchen; im letzen aber das wirklich Wesentliche unbezahlbar bleibt. An der weihnachtlichen Krippe kommt in den Blick, dass die Zeit, die Menschen füreinander aufbringen und haben, die Beschaulichkeit, die aus einer bewusst gesuchten Ruhe und Stille kommt, auf die notwendige Entschleunigung verweist, die unsere Gesellschaft braucht. Die Reaktion Marias auf die Worte der Hirten zeugt von einer Kontemplation, die ergründet und ergreift, was wirklich wichtig ist. Der Evangelist Lukas beschreibt diese Beschaulichkeit als eine Innerlichkeit, aus der im Leben das wirklich Große erwächst: „Maria bewahrte alles, was geschehen war in ihrem Herzen und dachte darüber nach." (Lk 2,19)

Die Zeit, die Eltern Kindern schenken, wecken in einem jungen Menschen Vertrauen und Zuversicht, Gelassenheit und Geduld, Beständigkeit und die Bereitschaft, sich einzubringen. Unsere Gesellschaft lebt im Tiefsten von diesen Investitionen, die mehr sind und wollen als finanzielle Unterstützung. Der Blick in die Krippe von Bethlehem kann zu einem Bewusstseinswandel bewegen, den unsere Gesellschaft so dringend braucht, wenn es um Bedingungen für mehr Gerechtigkeit geht. Wir brauchen eine Verständigung auf das, was vorrangig ist, wenn es um die Vermittlung von Werten und wirklichem Wachstum geht. 

Zukunft kommt mehr aus der Beschaulichkeit der weihnachtlichen Krippe als aus der Geschäftigkeit einer Gesellschaft, die den Blick für das Unbezahlbare zu verlieren droht, wo Ökonomisierung Familien immer mehr Zeit und Raum nimmt. Miteinander und Zueinander in Ehe und Familie erwachsen aus der Verbundenheit und Verbindlichkeit, die im Stall von Bethlehem aufleuchten. Unser Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden und hat eine menschliche Familie gewählt, um zu zeigen,

aus welcher Zelle wirklich Zeugen seiner Liebe erwachsen. Familien, die sich Zeit nehmen füreinander, lernen für andere da zu sein. Sie sind dann das, was Papst Benedikt XVI. vor einigen Wochen bei der Eröffnung der Weltbischofssynode über Ehe und Familie sagte: „Ein Evangelium, eine frohe Botschaft für die Welt von heute."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14512
weiterlesen...
16DEZ2012
DruckenAutor*in

Er ist 18 cm hoch, besteht aus Schokolade und steht auf meinem Schreibtisch. Ein Schokoladen-Nikolaus. Dieser kleine Nikolaus ist Teil einer großen Kampagne: „Vorfahrt für den Nikolaus“ organisiert vom BDKJ, dem Bund der deutschen katholischen Jugend in den Bistümern Trier und Speyer. Die jungen Leute wollen damit zum einen darauf aufmerksam machen, dass der Heilige Nikolaus nicht der Weihnachtsmann ist. Deshalb trägt der kleine Kerl auf meinem Schreibtisch auch eine Mitra, einen Bischofshut, und keine Zipfelmütze wie der Weihnachtsmann. Und zum andern trägt er das Fairtrade Siegel. Dieses Siegel steht für Produkte, die aus Fairem Handel stammen, für Produkte, die unter menschenwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen hergestellt wurden. Bei diesem Nikolaus kann ich davon ausgehen, dass die Bauern für ihre Kakaobohnen einen gerechten Preis bekommen haben. Einen Preis, von dem sie sich selbst und ihre Familien ernähren können. Der BDKJ will mit diesen kleinen Nikoläusen zu einem kritischen Konsum auffordern. Kritischer Konsum bedeutet, nicht immer das Billigste zu kaufen. Denn das so genannte Schnäppchen geht oft auf Kosten anderer. Ein genauer Blick hinter die Kulissen verrät, wie diese günstigen Preise zustande kommen und wer letztlich die Zeche bezahlt. Oft bekommen die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Fabriken nur Hungerlöhne und müssen unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten. Ökologische Standards werden  nicht eingehalten. Auch Kinderarbeit spielt nicht selten eine Rolle. Bei Schokolade etwa wissen wir, dass rund um die Elfenbeinküste Kinder entführt und versklavt werden und auf Kakaoplantagen arbeiten müssen.

Der kleine Nikolaus mit dem Fairtrade-Siegel auf meinem Schreibtisch erinnert mich daran, dass ich als Verbraucher Einfluss nehmen kann auf die großen Zusammenhänge der Wirtschaft. Wenn immer mehr Menschen Wert legen auf das Fairtrade-Siegel, muss sich die Wirtschaft umstellen. Denn der „Kunde ist König“, die Wirtschaft richtet sich nach dem Kaufverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Ungerechtigkeiten auf dem Weltmarkt kein gottgegebenes Geschehen, sondern von Menschen gemacht und damit veränderbar. Es liegt auch an mir.

In den biblischen Lesungen der katholischen Gottesdienste geht es heute um die Person von Johannes dem Täufer. Er war ein Bußprediger, der seine Zuhörer mit drastischen Worten zur Umkehr, zur Änderung ihres Lebensstils, aufforderte: „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Gericht entrinnen könnt? Bringt Früchte hervor, die eure Umkehr zeigen…“ (Lk 3,7b-8a) So Originalton Johannes.  

Zu deutsch: Wenn ihr euch nicht ändert, wird es ein schlimmes Ende mit euch nehmen. Seine Predigt hat Erfolg, denn die Zuhörer fragen ihn: „Was sollen wir tun?“ Die Antwort des Johannes: „Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso.“ (Lk 3,10-11) Mit einfachen Worten fordert er die Menschen auf zu teilen, einen Ausgleich zu schaffen zwischen arm und reich, für Gerechtigkeit zu sorgen.  Eine Forderung die bis heute leider nichts an Aktualität verloren hat.

Im Advent und an Weihnachten sind viele Menschen bereit zu teilen. Sie spenden bewusst einen Teil ihres Geldes für soziale Zwecke. Das ist gut und wichtig. Die Arbeit vieler wohltätiger Organisationen hängt von diesen Spenden ab. Der kleine Schokoladennikolaus auf meinem Schreibtisch sagt mir, dass es noch eine zweite Möglichkeit gibt, für Gerechtigkeit zu sorgen: Nämlich die des „Kritischen Konsums“, was bedeutet beim Einkauf ganz bewusst und immer wieder auf das Fairtrade-Siegel zu achten.

Bis Weihnachten ist es noch eine gute Woche, noch viel Zeit für diese Achtsamkeit. Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Dritten Adventssonntag.

 

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14368
weiterlesen...

Leider wissen wir so wenig über das Leben Jesu. Gewiss, wir haben die biblischen Evangelien. Doch die geben mehr das wieder, was Menschen in Jesus gesehen haben, die ihn als Christus, als Messias verehrten. Die Evangelien sind Zeugnisse des Glaubens an Jesus als den Christus, nicht protokollierte Augenzeugenberichte und auch nicht Biografien, die auf der Basis von Quellen recherchiert wurden.
Schon gar nichts wissen wir über Jesu Kindheit und Jugend. Das wenige, was das Neue Testament dazu andeutet, ist sicher nicht historisch so gewesen - auch wenn Josef Ratzinger in seinen Jesusbüchern die biblischen Quellen historisierend deutet.
Für meinen persönlichen Glauben an Jesus als den Christus empfinde ich die historische Nachfrage auch als ziemlich belanglos. Mich interessiert es, wie andere Menschen, ob sie sich nun als Christen bezeichnen oder nicht, diesen Jesus von Nazareth verstehen - und vor allem, wie sie es verstehen, dass in ihm Gott in einer besonderen, ja einzigartigen Weise erschienen sei.
Hier hat mich die Lektüre des jüngsten Buches von Klaas Huizing „Mein Süßkind" geradezu in Bann geschlagen. Huizing ist Theologieprofessor in Würzburg, aber mit „Mein Süßkind" hat er keine wissenschaftliche Abhandlung über Jesus geschrieben, sondern - wie er selbst es nennt - einen „Jesus-Roman". Wie ein Schriftsteller erzählt Huizing die Kindheit und die Jugendjahre Jesu beziehungsweise „Jeschuas", wie Jesus in Huizings Roman heißt.
„Süßkind" - das ist der Kosename, mit dem Mirjam, die Mutter Jesu, ihren Erstgeborenen nennt. Sie hat von Anfang an, wie vielleicht nur Mütter dies können, gespürt, was für ein eigenartiger Charakter ihr Jeschua ist.
Huizing erzählt nun die Kindheit und Jugend Jeschuas so, wie eine Kindheit zur damaligen Zeit im römisch besetzten und jüdisch geprägten Palästina ausgesehen haben könnte. Er schreibt die frühe Geschichte des Jesus von Nazareth auf ganz unauffällige Weise dieser Gesellschaft und ihrer Zeit ein. Dabei bedient sich Huizing nicht nur zahlreicher Kenntnisse des jüdischen Lebens und Brauchtums zu der Zeit Jesu, sondern flicht auch eine Vielzahl von biblischen Geschichten hinein - anspielungsreich und mit Augenzwinkern: so erlegt Jeschua bei einer nächtlichen Wanderung einen Löwen, greift zur Beruhigung seines griesgrämigen Vaters in die Saiten und hält den Verführungskünsten einer reichen Beamtenfrau stand, als er mit seinem Vater als Bauhandwerkerlehrling unterwegs ist.
Was ist daran faszinierend oder gar gewinnbringend für den Glauben? Für mich ist es dies: Es gelingt Huizing, mich als Leser auf eine Lebensreise mitzunehmen, in deren Verlauf sich langsam und behutsam das Profil Jesu entwickelt, wie wir es aus den Evangelien kennen. Ein Beispiel: Als junger Mann hat Jeschua seinem Vater bei Bauhandwerkerarbeiten in einer anderen Stadt geholfen. Sein Vater zahlt ihm seinen Lohn aus. Auf dem Nachhauseweg wird Jeschua von Räubern überfallen und niedergeschlagen. Ein römischer Hauptmann findet ihn, versorgt seine Wunden und bringt ihn in eine Herberge. Die Erfahrung beeindruckt den jungen Mann: „Ausgerechnet ein Römer erbarmt sich seiner? Musste er nun nicht künftig auch das tun, was er von keinem Römer je erwartet hätte?" Später folgt Jeschua dem Beispiel des Römers und er wird diese Geschichte als Gleichnis unbegrenzter Nächstenliebe erzählen.
Eine Fiktion, sicher! Aber auch eine wunderbare Auslegung: In Huizings Buch wächst die weihnachtliche Botschaft von Gottes Liebe, die in menschlicher Gestalt erschienen ist, ganz langsam und behutsam heran wie das Gedeihen einer Pflanze, wie das Aufgehen einer Saat. Gottes Liebe geht auf im Leben eines Menschen. Anschaulich, konkret, nachvollziehbar. Ein weihnachtliches Thema, aber auch ein Thema für alle Tage.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14316
weiterlesen...

Worauf können wir vertrauen? Das ist eine der Grundfragen der Menschen. Wie können wir frei und ohne Angst in die Zukunft schauen? Wie können wir gelassen bleiben, wenn die Probleme in der Gesellschaft, in der Politik und auch in der Kirche so unüberschaubar werden, dass nur noch Verwirrung übrig bleibt? 
Das Wort „Vertrauen" steht wie eine Generalüberschrift über dem heutigen 1. Adventssonntag und dem beginnenden Kirchenjahr: „Mein Gott, dir vertraue ich. Lass mich nicht scheitern", so wird die Liturgie mit einem Wort aus den Psalmen eröffnet. Und weiter heißt es: „Niemand, der auf dich hofft, wird zuschanden." (Psalm 25,1-3) 
Ich möchte dieses Wort gerne auch über das „Jahr des Glaubens" stellen, das Papst Benedikt XVI. ausgerufen hat. Es hat gerade begonnen. „Mein Gott, dir vertraue ich". Eine Art Kurzform von Glaubensbekenntnis. Natürlich, das Glaubensbekenntnis der Kirche ist umfangreicher. Und es ist sicher wichtig, sich des Reichtums unseres Glaubens immer wieder zu vergewissern und diesen Glauben zu vertiefen. Aber beim Vertrauen geht es doch zuerst und zuletzt um das, was Glaube ganz ursprünglich meint: dass wir uns mit allem, was unser Leben bestimmt, erfreut, ängstigt, hoffen lässt, an Gott hängen, der treu ist und auf den wir uns verlassen können. Es geht darum, dass wir unser Vertrauen auf Gott, der unendlich viel größer ist als unser oft so kleingläubiges Herz, anderen Menschen weiter schenken, damit sie Mut für ihr Leben finden. Ich erhoffe mir von einem Jahr des Glaubens, dass möglichst viele Menschen mehr Vertrauen ins Leben bekommen. 
Ich sage dies auch im Hinblick auf das Zweite Vatikanische Konzil. Auch an den Beginn des Konzils vor 50 Jahren soll mit diesem Jahr des Glaubens erinnert werden. Es schmerzt mich, dass dieses größte und schönste Ereignis der neueren Kirchengeschichte heute, sofern es nicht schon in Vergessenheit geraten ist, so sehr im Streit der Deutungen zerrieben wird. Uns, die Theologen meiner Generation, die wir als junge Menschen das Konzil erlebt haben, hat dieses Konzil begeistert und in unserem Glauben ermutigt: Die Kirche hat Türen und Fenster weit geöffnet - damit nach Generationen währender Erstarrung frischer Wind herein kommen kann und vor allem, dass sie offen wird für die Menschen. Auch für Menschen außerhalb der Kirche. [Dass die Menschen sich ernst genommen sehen in dem, was ihr Leben ausmacht; dass sie sich in ihren Sorgen wahrgenommen wissen; dass sie in den Entscheidungen ihres Gewissens verstanden und ihrem religiösen Bekenntnis respektiert werden.]Wie viel Hoffnung haben wir auf den ökumenischen Dialog gerichtet, auf die Achtung der nicht christlichen Religionen und besonders auf die Versöhnung mit den Juden! Und wie viel Hoffnung auch auf einen neuen kollegialen, geschwisterlichen Umgang in der katholischen Kirche selbst! 
All das ist ein Vermächtnis des Konzils, das bleibt und das gilt. Dabei geht es nicht darum, ob die Kirche mehr oder weniger konservativ oder mehr oder weniger progressiv ist. Es geht darum, dass in der Kirche das Vertrauen auf den stets größeren Gott die Enge und die Angst überwindet. Dass der Glaube uns frei macht. Es geht darum, dass die Kirche transparent ist auf den treuen Gott hin und auf Jesus Christus, den Immanuel, den Gott-mit-uns. Das Wunder Gottes möge in der Kirche aufscheinen. Das Wunder Gottes, der unendlich viel weiter ist als alle Worte und Bilder, die ihn zu fassen versuchen. Und der doch so unendlich nahe ist, dass Menschen sich ihm anvertrauen können. Und dass sie mit IHM, ihrem Leben und der Zukunft trauen können, auch wenn  vieles so schwer und undurchschaubar ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13765
weiterlesen...

Dieser Satz stammt aus dem Hohen Lied, dem Lied der Lieder, einem kleinen poetischen Buch über die Liebe in der hebräischen Bibel (HL 8,6).
Es ist ein tröstlicher Satz, besonders heute am Totensonntag. In den evangelischen Kirchen werden die Namen der Toten verlesen, die im letzten Jahr gestorben sind. Und in vielen Kirchen ist es Brauch, für jeden Gestorbenen eine Kerze anzuzünden. Nebeneinander Dunkles und Licht, der Tod und die Liebe. Man gedenkt der Toten, sei es aus jüngster Zeit, sei es vor längerer Zeit, und immer ist es so, als sei es gestern gewesen.
Liebe ist stark wie der Tod.
Kann die Liebe den Tod besiegen?
Wenn der Mensch stirbt, den ich geliebt habe, dann erfahre ich die Härte und Bitterkeit des Todes. Ein Mensch, der eben noch neben mir war, ist nicht mehr. Es bestimmen mich Schmerz, Leere und Verlassen-sein. Ich erfahre den Tod als die radikalste Distanz, die ich denken kann. Es ist ein Abschied für immer.
Klagen und Trauern. Untröstlich sein. Wege der Trauer gehen müssen.
Diese Trauerwege sind oft Friedhofsgänge, am Grab stehen und fragen: Wo bist du?
Für mich gleichen diese Trauerwege den Wüstenwegen, wo ich in keinem Weg mehr einen Weg sehe. Auch die gutgemeinte Nähe, der Trost von Menschen erspart mir nicht die Erfahrung der Wüste. Die Wüstenzeit kann eine Zeit der Lebensgefährdung sein, aber auch zu einer Zeit werden, wo mir neue Kräfte zuwachsen. Es ist Schwerstarbeit, der Gewalt des Schmerzes standzuhalten. Undes braucht viel Zeit und Raum, es braucht Stille, das Zurückgezogen-sein, die Wüstenwege zu gehen, um zum Leben zurückkehren zu können.
Liebe ist stark wie der Tod.
Nach dieser Erfahrung der Wüste kann ich begreifen, dass mir etwas bleibt. Es ist die Liebe, die nicht stirbt. Ich kann leben, dass der Mensch in seinem Reichtum mehr ist als die sterbliche Hülle. Weil das so ist, gibt es Glück und Schmerz des Erinnerns. Weil das so ist, endet unser Gespräch nicht mit dem Tod. Weil das so ist, nimmt mir der Tod zwar viel, unsagbar viel - aber er kann mir nie meine Liebe zu dem geliebten Menschen nehmen, nie meine Verbundenheit mit ihm. Es geht nicht verloren, was ein Mensch für mich war. Die Wunde bleibt, aber die Liebe kann den Tod überdauern.
Denn: Liebe ist stark wie der Tod.
Aus der Dunkelheit des Todes kann die Liebe Kraft geben, mein Leben neu zu sehen und zu verstehen.
Im Erzählen, im Erinnern, im Nach-denken kann langsam etwas licht werden, was der Tod mir nicht nehmen kann: die gemeinsame Lebensgeschichte. Erinnern heißt: das Gespräch mit dem Toten in mir fortsetzen. Und es heißt: Im Gespräch über sein Leben ihn in der Erinnerung bei mir leben lassen. So bleibe ich mit dem Menschen, der mir Weg und Begleitung war, verbunden, so bleiben wir beieinander. Und langsam kann etwas hell werden, was Auferstehung meint: ein Weiterleben in und mit mir.
Hans Jürgen Schultz sagt es so:
Tod nimmt, Liebe gibt. Sie verbindet und eint, er löst und entzweit. Ohne die Liebe verstummen wir vor dem Tod. Allein die Liebe, die ohne Anbeginn ist und ewig ihre Flügel schlägt, kann die Kraft haben, sogar in die Vergänglichkeit, in diese schwerste Erfahrung unserer Existenz, einzuwilligen."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14223
weiterlesen...

Zu einem menschenwürdigen Zusammenleben gehört das freie Wort. Jeder Mensch muss auch öffentlich das sagen können, was ihn besonders im Blick auf die Gestaltung unseres Gemeinwesens bewegt. Dass hier die Grenzen des Anstandes gegenüber den Mitmenschen beachtet werden müssen und auch Klugheit nötig ist, versteht sich fast von selbst. Gerade die Demokratie als Form unseres gesellschaftlich-politischen Zusammenlebens braucht dieses freie Wort. Darum gehören die Kunst des Redens und die Auseinandersetzung um den besseren Weg in einer Gesellschaft bereits im vorchristlichen Griechenland zu den Grundpfeilern der Demokratie.
Es ist nicht überraschend, dass dieses freie Wort auch missbraucht werden kann. Die Kunst der Rede,die Rhetorik, ist schon seit alter Zeit nicht nur die Kunst der Beredsamkeit im Sinne einer auch ästhetisch schönen und gefälligen Rede; auch bei Verhandlungen, ob vor Gericht oder im Zusammenhang von Verträgen, ist die Redekunst wichtig. Aber wir wissen auch, wie rasch der legitime Versuch, jemand von etwas zu überzeugen, zum Überreden wird. Mit Kunstgriffen kann man auch bei den Hörern ein bestimmtes Ziel erreichen. Wir wissen alle, wie viel Gewicht das „Pathos" in der Rede gewinnen kann. Schon die Antike wusste sehr gut, wie man ein „schwaches" zu einem „starken" Wort machen kann. Der Weg zur Manipulation ist nicht weit. Im Zeitalter der Massenmedien lassen sich solche Künste der Beeinflussung noch sehr viel wirkmächtiger benutzen. 
In Zeiten, wo es um politische Mehrheitsentscheidungen geht, kommt es in besonderer Weise auf die Art und Weise an, wie man bei strittigen Dingen das freie Wort benutzt. Es gibt dabei nicht nur psychologisch raffinierte Überredungskünste. Man kann auch geschickt über weniger offenkundige Probleme hinwegreden. Man kann auch das Schweigen für seine eigenen Ziele einsetzen. Eine neue Stufe erreicht der Gebrauch des freien Wortes freilich dann, wenn man Halbwahrheiten verkündet, andere Programme schief darstellt und vor allem nicht bloß gegnerische Positionen, sondern auch alternative Herausforderer in ein schlechtes Licht rückt. In solchen Fällen können Worte nicht nur sehr verletzend und ehrabschneidend sein, sondern sie können den guten Ruf anderer Menschen total in Frage stellen. In diesem Sinne können Worte auch regelrecht töten.
Man konnte in den Auseinandersetzungen aus jüngster Zeit leicht bei umstrittenen Themen solchen Missbrauch feststellen, z. B. in der Auseinandersetzung um die Umbaupläne des Stuttgarter Hauptbahnhofs, in der Debatte um den Ausbau des Nürburgringes, in manchen Zwischenrufen zum Thema „Beschneidung", erst kürzlich wieder in der Auseinandersetzung um das so genannte „Betreuungsgeld", als ob dieses nur für das „Heimchen am Herd" oder gar „schwachsinnig" sei.
In diesem Zusammenhang ist es gut, auf sehr nüchterne Worte der Bibel zu achten. Man kann sie auch in anderen Sprachen und Kulturen finden. Ich wähle den Brief des Jakobus aus dem Neuen Testament, wo es heißt: „Jeder Mensch soll schnell bereit sein zu hören, aber zurückhaltend im Reden und nicht schnell zum Zorn bereit; denn im Zorn tut der Mensch nicht das, was vor Gott recht ist." (1,19f.) „Wer meint, er diene Gott, aber seine Zunge nicht im Zaun hält, der betrügt sich selbst, und sein Gottesdienst ist wertlos." (1,26) „So ist auch die Zunge nur ein kleines Körperglied und rühmt sich doch großer Dinge. Und wie klein kann ein Feuer sein, das einen großen Wald in Brand steckt. Auch die Zunge ist ein Feuer, eine Welt voll Ungerechtigkeit. Die Zunge ist der Teil, der den ganzen Menschen verdirbt und das Rad des Lebens in Brand setzt." (3,5ff.) Wäre es nicht dem Frieden auf allen Ebenen förderlich, wenn wir diese Worte mehr beachten würden, gerade auch wenn ein Jahr mit mehreren politischen Wahlen auf uns zukommt?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14216
weiterlesen...

Was macht die Seele Europas aus? Angesichts dieser vielschichtigen Vergangenheit, die unser Europa in sich trägt.
Um dieser Frage nachzugehen, lohnt heute am 11. November, ein Blick nach Frankreich. Auf zwei Gedenktage, die in Frankreich ihren Ort haben:
Der eine Gedenktag erinnert an das Ende des 1. Weltkrieges und der zweite an den Tod des Heiligen Martin von Tours.
Zeitlich liegen die beiden Ereignisse über 1 ½ Jahrtausende auseinander. Aber sachlich gehören sie für mich zusammen.
Der erste Gedenktag: Am 11. November 1918, vor 94 Jahren, wurde in Compiègne der Waffenstillstand zwischen Deutschland und Frankreich unterzeichnet. Der Erste Weltkrieg war zu Ende. Meine Großeltern - alle 4 waren so um die 20 - haben damals gehofft, dass ihnen ihr 20. Jahrhundert doch noch Frieden bringen könnte. Obwohl es so furchtbar angefangen hatte. Mit dem ersten Krieg, in den beinahe die ganze Menschheit verstrickt war. Geführt mit allen technischen Errungenschaften der Moderne. Nicht nur gegen Soldaten, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung. Sogar ein Krieg gegen die Natur: Bis heute kann man in den südlichen Vogesen die Wunden sehen, die er ihr geschlagen hat.
Heute vor 94 Jahren sah es so aus, als wäre Frieden möglich. Aber es ist anders gekommen. Obwohl der Krieg so schrecklich war, haben die Menschen ihn nicht verlernt. Im Gegenteil. Gerade mal 20 Jahre später ging er weiter. Noch moderner, noch effizienter, noch schlimmer. Eine Spirale, die mich erschauern lässt. Welche Abgründe.
Wir sind zurecht stolz auf die Moderne, aber diese dunklen Seiten gehören auch zu ihr. Die Aufklärung haben sie nicht verhindern können. Weil sie ein Teil von uns Menschen sind? Zusammenzuleben ohne Krieg, ich glaube, das muss jede Generation neu lernen. Und dafür finde ich Sankt Martin ein bleibendes Vorbild.
Auch an ihn wird heute erinnert. Am 11. November 397 wurde er beerdigt. Seine Zeitgenossen haben ihn sehr bald verehrt, weil er sein Christsein so überzeugend gelebt hat. Martin ist der erste Heilige der Christentumsgeschichte, der nicht als Märtyrer gestorben ist. Zugespitzt könnte man sagen: Er ist der erste, der nicht seines Todes, sondern seines Lebens wegen zum Heiligen geworden ist. Legendär ist die Szene, als er vor der Stadt Amiens im Winter seinen Soldatenmantel halbiert und mit einem Armen teilt.
Es ist kein Zufall, dass Martin so dargestellt wird. Die Szene bringt seine Lebenswende als Momentaufnahme auf den Punkt, obwohl er seine Wende erst einige Zeit später wirklich vollzogen und auf Dauer gestellt hat. Denn vor Amiens war Martin noch das, was er durch Geburt geworden ist: Römischer Soldat. Chaos und Krieg gegen Germanen war damals Normalzustand. Er ist nicht als Mensch des Friedens auf die Welt gekommen. Er hat Frieden gelernt.
Geboren ist er als Sohn eines römischen Offiziers. Mit 15 tritt er auf Druck seines Vaters in die Armee ein. Dient viele Jahre im unmittelbaren Umfeld des Kaisers. Kurz nach der Begegnung von Amiens lässt er sich taufen. Und zwei Jahre später vollzieht er seine Lebenswende auch klar nach außen:
Am Vorabend einer Schlacht in der Nähe von Worms bittet er um seine Demission. Krieg zu führen steht inzwischen völlig konträr zu der christlichen Überzeugung, die in ihm gewachsen ist. Die restlichen 40 Jahre seines Lebens, auch als Bischof, lebt er sehr einfach, asketisch.
Vor allem zwei Grundhaltungen prägen ihn und dafür wird er in vielen Ländern Europas verehrt:
Martins Christentum ist diakonisch, geprägt vom Einsatz gegen Armut und für Arme. Und sein Christentum bedeutet die Absage an Krieg als politisches Machtmittel.
Ein Heiliger von vor 1600 Jahren. Und trotzdem: Bei ihm finde ich den geistigen und moralischen Reichtum, auf den wir Europäer uns auch heute noch beziehen können, 94 Jahre nach dem 1. Weltkrieg.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14150
weiterlesen...
04NOV2012
DruckenAutor*in

Liebe Hörerinnen und Hörer!

Aus aller Herren Länder sind sie gekommen. Nahezu 300 Bischöfe waren im Oktober drei Wochen zusammen in Rom. Auf Einladung von Papst Benedikt, haben sie darüber nachgedacht, wie der Glaube heute neu verkündet werden kann. Bei solchen Bischofssynoden geht es um Fragen des Glaubens und der Kirche, die die ganze Welt betreffen. Diesmal war ich selber dabei und bin mit vielen Eindrücken zurückgekommen. Um es vorweg zu sagen: der Einsatz hat sich gelohnt. Zum einen, weil es spannend ist, zu sehen, wie vielfältig der Glaube weltweit gelebt wird und wie viel wir voneinander lernen können. Und dann auch, weil wir intensiv beraten haben, wie wir in unserer Zeit das Evangelium verkünden können. Das ist für das Christentum von entscheidender Bedeutung. Jesus hat seine Jünger damit beauftragt. Und jeder, der erfahren hat, wie befreiend der Glaube an Jesus Christus ist, will doch andere daran teilhaben lassen. Und da haben wir uns zu fragen, ob wir als Kirche dies in der richtigen Weise tun. Wo wir neu lernen müssen, dafür die richtigen Wege zu gehen.

Nach den drei Wochen, die wir miteinander im Gespräch und im Gebet in Rom verbracht haben, komme ich natürlich auch nicht mit dem einen Lösungsweg im Gepäck zurück, den wir nur noch beschreiten müssen. Das wäre viel zu leicht.

Doch zahlreiche Impulse haben mich bestärkt. Sie machen mir Mut, den Weg weiter zu gehen, den wir in Deutschland bereits eingeschlagen haben. Vor zwei Jahren habe ich einen Dialogprozess angestoßen, in dem wir, so hoffe ich, neu erkennen, dass wir als Kirche aufeinander und auf Gott zu hören haben. Bei der Synode durften wir das konkret erfahren: im Austausch haben wir die Vielfalt erlebt, die bereichert. Im Hören aufeinander Spuren entdeckt, die Gott uns zeigen will. Wir haben neu erkannt: Kirche besteht nicht für sich selbst. Sie erfüllt ihre Aufgabe nur dann, wenn sie nah bei den Menschen ist, wenn sie die Nähe zu den Menschen sucht. Und wenn sie in den Fragen, die die Menschen umtreiben, bereits Ansätze für die Antwort auf diese Fragen findet.

Viele Teilnehmer der Synode haben etwa der Familie in ihren Überlegungen breiten Raum gegeben. In den Familien wird Kirche lebendig; zugleich wird deutlich: Kirche, das sind nicht nur offizielle Vertreter. Jeder Christ und jede Christin können die Frohe Botschaft Jesu verkünden und auch mit ihrem Leben bezeugen. Dafür braucht es kein Studium, dafür benötigt man ein brennendes Herz! Und in der Familie zeigt sich als Erstes: Glauben können wir nur gemeinsam. Ich brauche den Bruder, die Schwester, die mich durch ihren Glauben mittragen. Und bisweilen kann ich selbst es anderen ermöglichen, in meinem Glauben mitzuglauben. Das Feuer des einen steckt den anderen an. Das Feuer des Glaubens wärmt uns gegenseitig.

Ein Zweites ist wichtig: die Lebenswirklichkeit der Menschen ernst zu nehmen. Das Evangelium richtet sich an Menschen, die in der Welt leben. Die Kirche muss ihnen helfen, in der Welt und über diese Welt zu Gott, zum Schöpfer zu finden. Lehren wir sie das Staunen, helfen wir ihnen, die Augen für das grandiose Werk der Schöpfung zu öffnen! Es gibt so viele Wege, die in unserer Welt zu Gott führen! Aufgabe der Kirche und Aufgabe glaubender Menschen ist es, dies zu zeigen.

Liebe Hörerinnen und Hörer, vieles wäre aus den vergangenen Wochen der Synode noch zu sagen. Sie hat mir vor allem eines gezeigt: es ist beeindruckend zu erleben, wie lebendig Kirche wird, wo wir uns gegenseitig austauschen und uns Anteil schenken an dem, was uns bewegt und trägt. Diesen Weg dürfen wir voller Freude und Hoffnung weiter gehen!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14128
weiterlesen...

Mir fällt in letzter Zeit auf: Immer häufiger prallen entschiedener Atheismus und vollmundiges Bekenntnis zu Gott aufeinander - Gottleugner hier - Gottverehrer da.
Bisweilen stehen sie sich verbissen gegenüber.
(Religiöse Lebensdeutung und areligiöse Lebensdeutung geraten in Konfrontation zueinander.)
Nicht nur in Deutschland..
Gibt es Brückenmenschen, die diese heftigen Reaktionen verstehen helfen?
Der Schriftsteller Martin Walser ist für mein Empfinden zu so einem Brückenmenschen geworden - für Atheisten.
Er äußerte unlängst: "Wenn ich von einem Atheisten, und sei es von einem „bekennenden", höre, dass es Gott nicht gebe, fällt mir ein: Aber er fehlt. Mir." „Gott ist nicht tot, er fehlt mir." (Luzern, 27.8.12 - zit. n. : kipa)
Kein vollmundiges Bekenntnis ist das. Kein Glaubensinhaber spricht hier. Martin Walser gibt auf diese Weise erst einmal eine Verlustanzeige auf. Seine erste Aufgabe beschreibt Walser so: Wie fehlt Gott mir?
(In: Über Rechtfertigung, Eine Versuchung, Hamburg 2012, S.33)
Sich über den Inhalt der Verlustanzeige klar zu werden. Das ist das erste. Erspüren: Inwiefern fehlt mir Gott? Was habe ich verloren?
Was schmerzt? Woher rührt mein Verlustschmerz?
Meine erste Begegnung mit einem Menschen, der Gott verloren hat, geht zurück in meine Kindheit. Es war ein Schulfreund - wir waren beide 12 Jahre alt - er hatte seinen Vater verloren, für den er so sehr gebetet hatte. Und so war er Atheist geworden, aus Erfahrung, aus tiefer, schmerzensreicher Erfahrung. Respekt für Atheisten aus Erfahrung. Respekt für Gottleugner, das habe ich in dieser Begegnung für mein Leben gelernt.
Eine Verlustanzeige, wie sie Martin Walser ausspricht, habe ich damals von meinem Freund nicht gehört. Das war nicht dran. Und braucht mitunter viel Zeit, Jahre und Jahrzehnte.
Genau das wäre, wie es Martin Walser für sich sagt, ein erster Schritt: Die Empfindung zulassen: Gott fehlt mir.
Erst dann könnte eine intensive Suche beginnen - eine, die vom Verlangen getrieben ist, Gott zu finden. Denn wer nach Gott nicht verlangt, wer ihn nicht braucht, wer ihn als überflüssig empfindet, wer ihn ablehnt, der sucht, wenn er überhaupt sucht, mit Vorliebe überall dort, wo er nicht zu finden ist. Um sich wieder und wieder zu beweisen: Gott gibt es nicht!
Darum: Nur wo ich Gott vermisse, mache ich mich auf die Suche und kann ihn womöglich finden, wieder neu finden.
Genau diesen Weg beschreibt der Prophet Jeremia in seinem Brief an die religiös ortlos Gewordenen, die ihre religiöse Heimat, ihr Zuhause, ihre innere Mitte verloren haben, die zu Fremden geworden sind.
Er schreibt von der Einladung Gottes, IHN zu suchen:
„Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet,
so will ich mich von euch finden lassen ... „ (Jeremia 29,13b+14a)
Gott lädt ein, ihn zu suchen - und - mehr noch - er kommt Suchenden offfenbar auch ein Stück weit entgegen. Heißt es doch: „Ich will mich von euch finden lassen."
Das ist ein wunderbarer Ausdruck, finde ich:
Gott will sich finden lassen.
Das kommt mir vor wie bei einem Versteckspiel mit Kindern.
Wenn ein kleines Kind sucht und sucht und sucht und den Versteckten nicht findet, dann lässt der sich finden, dann raschelt er im Gebüsch, dann streckt er einen Fuß oder eine Hand vor, dann gibt er etwas von sich zu erkennen, damit die Suche ein Ende und Erfolg hat.
Suchen nicht mit kühlem, berechenden Kopf - sondern mit Empathie, mit Schmerz und Freude - mit dem Herzen.
Ich wollte als Jugendlicher mit brennendem Herzen ein Teil der Schöpfung sein, mich als Gottes Geschöpf entdecken.
Ich werde den Ort und das Licht niemals vergessen, da mir dies zur Gewissheit wurde.
Meine Suche geht weiter.
Manchmal unter Schmerzen und Fragen - wenn ich nicht mehr weiß, wo tröstet, wo begleitet mich Gott, wie steht er mir bei - Jetzt.
Dann fehlt er mir.
Ich will aber auch das Schwere nicht ohne Gott verstehen/erleben.
Darum suche ich weiter - ermutigt von seinem Versprechen:
„Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet,
so will ich mich von euch finden lassen ...
„ (Jeremia 29,13b+14a)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14077
weiterlesen...

„Die Würde der menschlichen Person kommt den Menschen unserer Zeit immer mehr zum Bewusstsein." Mit diesen Worten beginnt eines der zukunftweisenden Dokumente des II. Vatikanischen Konzils, das vor 50 Jahren eröffnet wurde. Es handelt sich um die Erklärung über die Religionsfreiheit, die in einigen Kreisen bis heute abgelehnt wird und von anderen als entscheidender „Paradigmenwechsel", ja als „kopernikanische Wende" in der Kirchengeschichte bezeichnet wird. Worum geht es?
„Das II. Vatikanische Konzil erklärt, dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang ... wie jeglicher Gewalt, so dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als einzelner oder in Verbindung mit anderen ... nach seinem Gewissen zu handeln." (DH 2) Dieses Recht, so das Konzil, gründe auf der Würde der menschlichen Person selbst und müsse in der Gesellschaft als fest verankertes bürgerliches Recht anerkannt werden. Es ist das Wesensmerkmal des echten religiösen Glaubens, dass er in Freiheit angenommen wird. Dieser Freiheit muss der Mensch auch nach außen in die Gesellschaft hinein Ausdruck verleihen können. Dazu gehört dem Konzil zu Folge insbesondere auch, dass die Eltern das Recht haben, „die Art der religiösen Erziehung gemäß ihrer eigenen religiösen Überzeugung zu bestimmen" und „in wahrer Freiheit Schulen und andere Erziehungseinrichtungen zu wählen." (DH 5) Eine verordnete Neutralität in öffentlichen Bereichen, insbesondere im Erziehungswesen, wäre ein direkter Eingriff in dieses Freiheitsrecht.
Das Konzil weiß auch um die Grenzen der Religionsfreiheit. Die personale und soziale Verantwortung darf nicht aus scheinbar religiösen Gründen ausgehebelt werden. So hat die bürgerliche Gesellschaft das Recht, „sich gegen Missbräuche zu schützen, die unter dem Vorwand der Religionsfreiheit vorkommen können." Die Freiheit hat ihre Grenze, wo das gerechte Zusammenleben aller Bürger miteinander, der öffentliche Frieden und die Wahrung der öffentlichen Sittlichkeit gefährdet sind. Das bedeutet aber zugleich eine klare Zurückhaltung des Staates im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionen und religiösen Gemeinschaften. Die wiederum werden vom Konzil aufgefordert, aus eigenem Antrieb heraus Freiheit und Würde der Menschen fördern. Bei der Verbreitung des Glaubens und der Einführung von Gebräuchen müsse alles vermieden werden, was „den Anschein erweckt, als handle es sich um Zwang oder um unehrenhafte und ungehörige Überredung, besonders wenn es weniger Gebildete oder Arme betrifft." (DH 4)
Es tut gut, diese klare und ausgewogene Erklärung des Konzils heute fast 50 Jahre danach aufmerksam zu lesen, inmitten einer neuen Religionsdebatte in unserer Gesellschaft. Längst kommen die Gegner der Religionsfreiheit nicht mehr hauptsächlich aus der fundamentalistischen Ecke, die eine solche Freiheitsauffassung als Verrat an der Wahrheit ansehen. Dazu hat das Konzil eindeutig erklärt, dass das Menschenrecht der Religionsfreiheit die Wahrheit des Glaubens in keiner Weise relativiert. Es ist nicht gleichgültig, woran ich glaube. Und die katholische Kirche ist im Konzil auch nicht davon abgewichen, dass sie davon überzeugt ist, das Jesus Christus „der Weg, die Wahrheit und das Leben" ist und die Kirche unverfälscht von ihm durch die Jahrhunderte Zeugnis gibt. Aber es ist eben gerade dem christlichen Glauben zutiefst zu eigen, dass die „Freiheit der Kinder Gottes" niemals durch Zwang verwirklicht werden kann.
Heute wird die Religionsfreiheit auch durch einen offensiven und zuweilen aggressiven Laizismus in Frage gestellt. So manche Stellungnahme und Forderung etwa im Zusammenhang mit der jüngsten Debatte um das Ritual der Beschneidung müssen uns aufhorchen lassen. Manches klingt da nach den alten unversöhnten Konfrontationsstellungen des 19. Jahrhunderts. Das Konzil hat der Welt von heute einen Weg zur Versöhnung gewiesen. Er ist für uns in Deutschland und Europa so nötig, damit wir versöhnt mit unserer Geschichte aus unseren starken Wurzeln heraus, die immer auch religiös geprägt waren und sind, in eine gute, friedliche und humane Zukunft gehen können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14026
weiterlesen...