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16APR2024
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Keine sportliche Veranstaltung beeindruckt mich so sehr wie ein Marathonlauf. Ich weiß, ich werde nie 42 Kilometer am Stück laufen können. Schon gar nicht mit der Geschwindigkeit eines Marathonläufers. Aber es sind immer Tausende, die bei einem Marathonlauf mitmachen. So wie unlängst wieder in Freiburg. Die Strecke hat ganz nah an unserem Haus vorbeigeführt. Kein Wunder, dass meine Frau und ich auch am Rand der Strecke gestanden und die Läuferinnen und Läufer unterstützt haben.

Am Anfang kommen die Schnellen, denen es ums Gewinnen geht. Die weitaus meisten gehören aber zu denen, die einfach stolz sind, den Lauf durchzuhalten. Wir haben unterschiedslos alle angefeuert. Das Schöne war: Es haben sich auch alle gefreut. Und gestrahlt. Viele haben „Danke“ gerufen. Andere haben uns abgeklatscht. Hinterher haben uns manche der Teilnehmenden dann erzählt, wie wichtig die Menschen an der Strecke für sie sind, um den Lauf durchzuhalten. Läuferinnen und Läufer und die, die am Rand stehen und anfeuern – beide gehören sie zu einem Marathonlauf dazu. Und machen ihn nicht nur für die, die mitlaufen, zu einem besonderen Ereignis.

Wie schon am Beginn der Jesus-Bewegung habe ich gedacht. Da waren auf der einen Seite die, die mit Jesus durchs Land gezogen sind. Die alles zurückgelassen haben. Ihren Beruf. Ihre Umgebung. Die vertrauten Menschen. Sie haben sich auf etwas eingelassen, von dem sie nicht gewusst haben, ob sie es wirklich durchhalten. Ein Marathonlauf der besonderen Art. Aber da gab’s dann eben auch die Sympathisantinnen und Sympathisanten. Menschen, die die anderen mit allem Lebensnotwendigen versorgt haben. Mit Essen. Mit einem Dach über dem Kopf. Es hat also beide gebraucht: Die einen, die das Wagnis eingegangen sind, mit Jesus die besonderen Herausforderungen seines Lebens zu teilen. Und die anderen, die für deren Versorgung nötig gewesen sind. (Lukas 8,1-3)

Für mich heißt das: Ich kann im Leben verschiedene Rollen einnehmen. Ich muss gar nicht der Marathonläufer sein. Manchmal genügt es, einfach an der Strecke zu stehen. Auch dann bin ich dabei und mache mit.  Ich kann mich um Menschen in Not kümmern. Möglichkeiten gibt es genug. Manchmal genügt aber auch schon ein mutiger Widerspruch. Wenn über Menschen schlecht geredet wird. Beides gehört zusammen. Bei beidem kann ich wichtig sein.

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15APR2024
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Ich hab‘ richtig den Atem angehalten! Mit einem Mal ist meine Enkeltochter quer durch den Raum gelaufen. Von einer Ecke zur anderen. Wenige Tage ist das erst her. Für mich war das irgendwie schon ein besonderer Augenblick. Für alle anderen, die dabei gewesen sind, auch. Und das Glück und der Stolz – sie standen auch der Kleinen ins Gesicht geschrieben. Am Ende ist sie stehen geblieben. Und hat sich selbst beklatscht.

Warum ist das so faszinierend, dass ein Mensch auf zwei Beinen steht? Und geht? Dass ich aufrecht durchs Leben gehen kann, das ist zuallererst einfach eine Besonderheit meiner biologischen Ausstattung. Das unterscheidet den Menschen von den allermeisten Tieren. Für Johann Gottfried Herder, Theologe und Philosoph im Geist der Aufklärung, der im 18. Jahrhundert gelebt hat, war der aufrechte Gang sogar das entscheidende Kennzeichen des Menschen. Nur so käme auch die Vernunft zum Zug, hat er gemeint. Auch wenn wir heute noch andere Kriterien heranziehen, um Mensch und Tier zu unterscheiden: Der aufrechte Gang gehört sicher weiter zu den besonderen Eigenschaften, die dem Menschen zugeschrieben werden. Nicht ohne Grund wird er auch als Bild dafür verwendet, was einen Menschen auszeichnet

Wenn ich an einem Menschen wertschätze, dass er aufrecht durchs Leben geht, dann möchte ich damit ausdrücken, dass sich jemand nicht verbiegen lässt. Dass einem Menschen Wahrheit und Wahrhaftigkeit wichtig sind. In einem Psalm in der Bibel finde ich das mit schönen Worten zum Ausdruck gebracht. Da heißt es: „Gott hat den Menschen wenig niedriger gemacht als die Engel!“, (Psalm 8). Gottes Ebenbild sei er. Derart gewürdigt kann der Mensch nur aufrecht durchs Leben gehen. „Schon an den Kindern können wir diese besondere Würde ablesen“, heißt es im selben Psalm dann weiter.

Der erste Gang meiner Enkeltochter – er war für mich so etwas wie eine Predigt. Ohne Worte. Aber eindrücklich und eindringlich. Staunend habe ich wahrgenommen, wie die Kleine mit den ersten Schritten einen ganz großen Schritt auf ihrem Weg durchs Leben gemacht hat. Die Predigt der ersten Schritte – sie hat mich daran erinnert, wie Gott sich den Menschen vorgestellt hat. Standhaft. Aufrecht. Und frei, seine Richtung zu wählen. Aufrecht möchte ich darum durchs Leben gehen. Selbst dann, wenn mir der Gang auf zwei Beinen Mühe macht.

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13APR2024
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Echte Freundschaft stelle ich mir – ehrlich gesagt – ein bischen anders vor. Als Freundin oder Freund wartest du doch auf den anderen, zumal wenn du weißt, dass der ja sicher alles andere tut als zu trödeln, sondern dass er noch bei den Leuten bleiben muss, die seine gute Nachricht hören wollen oder mit einer Krankheit gekommen sind, von der sie geheilt werden möchten. Seltsam, wie es die Bibel da berichtet: Die Freunde des Jesus von Nazaret gehen schon mal zum Boot voraus; sie wollen heimfahren, auf die andere Seite des Sees. Schließlich sind die Abend-Winde gefährlich und gefürchtet. Und Jesus kennt sich damit ja vielleicht weniger aus. Aber als der immer noch nicht da ist, fahren sie einfach schon mal los… Ungeduldig, die Freunde – sie stechen in See.

Und wie erwartet: Der Abendwind kommt von vorn und macht die Ruderei noch schwieriger als üblich – scheint, dass sie echt in Panik geraten. Es ist schon dunkel, berichten die Evangelien, und reden von einem heftigen Sturm. Als sie etwa sechs Kilometer gefahren sind, also mitten auf dem See, da sehen sie, wie Jesus über den See geht und sich dem Boot nähert; und sie fürchten sich noch mehr.

Schon klar: die Lage ist offenbar angespannt. Aber da ruft er ja schon: Ich bin es; fürchtet euch nicht! Und ehe sie ihn zu sich ins Boot nehmen können, sind sie schon am Ufer, das sie erreichen wollten. Das zweite Wunder: sechs Kilometer bei Gegenwind und Wellengang im Nu zurückgelegt…

Das ist mehr als nur eine Wundergeschichte. Es geht doch um sehr menschliche und für viele Menschen alltägliche Erfahrungen. Geduld und Ungeduld in einer Freundschaft; Gefahren, die plötzlich auftauchen und mit denen du doch eigentlich hättest rechnen können: Abends ist der See Gennesaret einfach immer unruhig…

Und hoffentlich gibt es oft oder sogar fast immer Beistand; direkt von Gott selbst – und häufiger noch durch Menschen. Beistand ist bitter notwendig und kommt gern unerwartet – und hilft dir manchmal mehr als du dir selbst wünschen konntest: dass der Freund oder die Freundin, dass Mutter oder Vater oder dass jemand Wildfremdes da ist und dir zur Seite steht.

Dass echte Hilfe eben doch näher ist als befürchtet: Das wünsche ich Ihnen und mir auch für mich selbst. Auch wenn ich an meiner Zuversicht sicher noch arbeiten muss…

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12APR2024
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Zwei- oder dreimal in der Woche schickt die Nachbarin gegen neun Uhr abends so eine Nachricht: Es gibt wieder viele leckere Sachen – heute vor allem Brot und Brötchen – und sehr gutes Gemüse und Salate… Dazu stellt sie ein oder zwei Fotos mit den Kisten, die ab sofort vor ihrem Haus stehen. Bitte bedient euch reichlich…

Die Nachbarin und ihr Mann retten Lebensmittel – und brauchen uns dazu, weil es oft wirklich große Mengen sind. Rekord bisher: sieben tiefgekühlte Enten – eigentlich noch lange haltbar, aber durch leichte Macken an der Verpackung offenbar unverkäuflich. War ein leckeres Neujahrs-Essen, muss ich sagen.

Lebensmittel retten immer mehr Leute, fast überall in der Republik. Sie haben eine Abmachung mit einem oder zwei Supermärkten vor Ort oder mit anderen Läden. Die sortieren aus, was weniger gut ausschaut, manchmal ein bisschen angewelkt scheint, zu kurz vor dem sogenannten MHD oder sogar schon drüber; Brot von gestern oder vorgestern – jedenfalls alles, was den tollen Eindruck in Regalen oder Theken beeinträchtigt. Und statt es wegzuschmeißen, stellen sie es eben in großen Kisten hin für die Retterinnen – foodsaver nennen die sich auch. Motto: zu gut für den Container. In vielen Städten gut organisiert – und keine Konkurrenz zu den Tafeln, weil die sich strikt ans MHD halten müssen.

Haben übrigens ein biblisches Vorbild – auch wenn manche mit der Bibel weniger am Hut haben. Heute steht es in der katholischen Leseordnung: Jesus hat gerade mit einem Wunder ein paar tausend Leute satt gemacht – obwohl es eigentlich nur fünf Brote und zwei Fische gab. Und dann sammeln seine Leute die Reste ein – zwölf Körbe voll. Der pure Überfluss – der ist ja schon selbst ein Wunder.

Da sollte es kein Wunder sein, wenn in unseren Tagen wieder mehr Leute versuchen, mit diesem Überfluss gut umzugehen. Weniger zu produzieren und in die Regale legen, fordern sie von Industrie und Handel. Wer braucht denn in der Bäckerei bis Ladenschluss das ganze Sortiment frisch?

Und wenn schon mehr da ist als eigentlich gebraucht wird: Gottes gute Gabe ist zu gut für die Tonne – sie kann Leben möglich machen und abwechslungsreicher und interessanter. Ganz selten sogar mit Ente für den Grill oder den Backofen. Jedenfalls ist es immer wieder spannend, wenn die Nachbarin abends wieder funkt!

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11APR2024
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Heiliger Rock? Na ja – die Musikrichtung kenne ich zwar noch nicht. Aber wenn da eine Veranstaltung für Kindergartenkinder dazugehört, mache ich doch einfach mal mit. Eine junge Kollegin meiner Frau hat das gesagt, als die Frage im Raum stand, ob sie eine Aktion gestalten sollen, beim Kita-Tag des Bistums-Festes „Heilig Rock-Tage“. Da kommen tausende Kinder aus den Kitas im Bistum nach Trier und erleben was – rund um den Heiligen Rock eben.

Schon klar: Es geht nicht wirklich um Rockmusik – obwohl sowas schon auch auf dem Programm der Heilig Rock-Tage steht, die morgen in Trier anfangen. Heiliger Rock – das Wort haben die in Trier sich angewöhnt, wenn sie von einem Stück Stoff reden, das spätestens seit dem Mittelalter im Dom aufbewahrt wird. Sie sehen darin die Tunika des Jesus von Nazaret, sein letztes Hemd sozusagen. Laut Bibel sollen die Soldaten es ihm vom Leib gerissen haben, als sie ihn am Stadtrand von Jerusalem ans Kreuz nagelten, um ihn öffentlich hinzurichten. Unbarmherzig – Henker eben. Auch daran erinnert die Tunika: Wie leicht ein Mensch nackt dastehen kann.

Mantel und Obergewand hätten die Soldaten einfach grob in vier Teile gerissen. Das Unterhemd sei ihnen zu edel vorgekommen – darum hätten sie gewürfelt.

Bisschen abenteuerlich ist die Geschichte, wie das Hemd dann nach Trier gekommen sein soll. Aber das ist eigentlich egal – und ob da wirklich ein Stück letztes Hemd in dem kostbaren Holz- und Glas-Kasten liegt, zu dem die Leute im Trierer Dom immer wieder hinpilgern: Geschenkt.

Mir sind zwei Sachen wichtig: Seit fast tausend Jahren versuchen Christen,  mit Jesus in Berührung zu kommen, wenn sie die Tunika sehen und in ihre Nähe pilgern. Eine so lange Glaubens-Geschichte trägt auch heute noch.

Und: der alte Stoff, das unzerteilte Untergewand sagt uns, dass die Christen eigentlich zusammengehören; aufgeteilt in zig Konfessionen und Kirchen stehen sie eigentlich selbst nackt da. Ungeteilt und an einem Stück – wie die heilige Tunika sollte die Kirche sein.

Darum beten wir ab morgen wieder zehn Tage lang hier in Trier. Und daran bleibt noch zu arbeiten – hoffentlich deutlich weniger als weitere tausend Jahre.

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10APR2024
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Von einem Freund habe ich eine Postkarte bekommen, die mir Gänsehaut gemacht hat: Auf der Vorderseite tanzt ein älterer Herr. Die Sonne scheint und eine kleine Band macht Straßenmusik. Viele Leute sind unterwegs, sitzen gemütlich auf einer Parkbank, essen Eis. Ein fröhlicher, entspannter Schnappschuss. Dann drehe ich die Karte um und lese: „Tanzender Mann in Lwiw, Ukraine“. Das ist ja krass!

Kann man in Lwiw auf der Straße tanzen? Wer hat denn dazu im Krieg überhaupt Lust? Und ganz grundsätzlich: solche Bilder aus einem Kriegsgebiet? In meinem Kopf sind die grau und trist.
Das Bild beeindruckt mich total. Es zeigt mir, dass Menschen stark sind, dass sie leben, überleben wollen. Trotz allem gibt es manchmal Grund zum Tanzen. Vielleicht können die Menschen in der Ukraine es nur wegen solcher Momente schaffen.
Das Bild macht mir klar: es geht nur zusammen. Und das bringt mich zu einer meiner Lieblingsbibelstellen, der Schöpfungsgeschichte. Das, was dahintersteckt, das ist es für mich: Wir Menschen sind auf der Erde um miteinander zu leben. Wir sind - biblisch gesprochen - Gottes Geschöpfe, deshalb fest mit Gott verbunden. Verbindung ist also in uns grundsätzlich angelegt. Und dadurch sind wir eben auch untereinander verbunden. Ich muss dabei immer an neugeborene Kinder denken. Die müssen versorgt werden mit Nahrung und Kleidern. Aber das genügt nicht, sie brauchen Ansprache: Menschen, die sich ihnen liebevoll zuwenden. Sonst gedeihen sie nicht.
Im menschlichen Leben geht es nicht ganz alleine - egal ob Partnerin, Nachbarn, Kumpels, Freundinnen, Stadt oder Land. Aber um gut zusammen zu leben, muss man sich an bestimmte Regeln halten. Was passiert, wenn diese Regeln nicht geachtet werden, sehen wir zum Beispiel im Nahen Osten, auch bei uns in Deutschland und eben in der Ukraine.

Und dann ist da trotz allem das Leben. Kleine lebendige Momente, die es Menschen irgendwie aushalten lassen. Die klar machen, dass es miteinander besser, schöner, bunter ist.
Der alte Mann tanzt, in Lwiw in der Ukraine. Ich hoffe, er tanzt immer wieder und immer noch.

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09APR2024
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Rebekka ist unzufrieden. Regelmäßig postet sie in ihrem Status Bilder oder Sprüche, die klar machen, dass sie es anders will in Deutschland. Da wehen dann immer viele Deutschland-Flaggen.
Ich mag Rebekka und bin verunsichert. Ich stehe menschlich und politisch woanders, und durch ihre Postings wird sie mir irgendwas zwischen fremd und unsympathisch.
Das finde ich schade, deshalb habe ich mir ein Herz gefasst und sie angesprochen. „Ich sehe Deine Postings. Bist Du so unzufrieden? Was ist denn los?“ Und sie antwortet: „Ja klar. Du nicht?“ Ich bin erstaunt: „Nein, bin ich nicht. Guck doch bitte, was wir haben, wie wir leben. Da kann ich gar nicht unzufrieden sein. Klar, es gibt immer Dinge, die ich anders machen würde oder anders haben will. Grundsätzlich bin ich aber so glücklich, in einem demokratischen, freien Land zu leben. Das hat für mich unermesslichen Wert.“
Und dann kommt der Satz, der seitdem zwischen Rebekka und mir steht. Rebekka sagt: „Das ist ja eben nicht so. Man darf ja nicht mehr alles sagen. Man wird ja wohl noch sagen dürfen, dass die Ausländer alles kriegen und sich die Zähne machen lassen, und wir sehen müssen, wo wir bleiben.“

Man wird ja wohl noch sagen dürfen… Nein, darf man nicht. In Deutschland darf man bestimmte Dinge nicht sagen. Durfte man übrigens noch nie.
Es sind unfassbar viele Menschen umgebracht worden, weil man „ja wohl noch sagen durfte“, dass die und die an unserem Elend schuld sind. Nein, darf man wirklich nicht.

Es erschreckt mich, dass braune Ideologien und nationaler Egoismus wieder stärker werden.
Und: Ich habe Angst, dass uns rechtes Denken langfristig wieder in einen Krieg führt. Weil andere Staaten in dieser Denke nicht Verbündete sind, sondern Feinde. Die AfD will Deutschland aus der EU holen. Dabei hat die EU nach dem Zweiten Weltkrieg Frieden bei uns und in Europa garantiert. Haben die Rechten das vergessen? Oder ist ihnen das egal?
Immer, wenn man sich über andere stellt, gerät das Leben in Schieflage. Und was dabei herauskommen kann, wissen wir ja. Dabei geht es mir nicht um Schuld, sondern um Verantwortung. Wir sind verantwortlich dafür, dass in Deutschland noch länger als 70 Jahre Frieden ist. Wir müssen uns darum kümmern, dass alle, die nach uns kommen weiter in Frieden leben können.
Nie wieder ist jetzt. Dieser Hashtag spricht mich total an. Jetzt ist es an der Zeit aufzustehen und zu zeigen, dass freies Leben in einem demokratischen Land das höchste Gut ist.

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08APR2024
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Es gibt uns jetzt seit 100 Jahren. Mit „uns“ meine ich: Kirche im Radio. Unsere Verkündigungssendungen sind seit 100 Jahren im Radio zu hören, und das heißt: Kurz, nachdem das Radio überhaupt auf Sendung gegangen ist, waren wir in Deutschland mit dabei. Die Kirchen wurden damals von den Radiosendern sogar danach gefragt. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Es ging vor allem darum, die Menschen moralisch zu unterstützen und ihnen was Gutes, was Religiöses zu sagen. Viele von der Kirche waren damals allerdings erstmal skeptisch: „Das Wort Gottes im Dudelfunk?“ - das war einigen Kirchenmännern zuviel. Aber dann ging es trotz aller Bedenken los. Und seitdem läuft sie bis heute, die kirchliche Verkündigung im Radio. Mit einer Unterbrechung während des Zweiten Weltkrieges. Da durften die Kirchen irgendwann nicht mehr senden, weil das dem Naziregime zu gefährlich war. Aber nach Kriegsende haben die Alliierten die Verkündigung direkt wieder ins Programm aufgenommen - auch um den Frieden zu stärken. Also: wir haben Jubiläum und Grund zu Feiern.

Unsere Sendungen sind gleichzeitig geschätzt und umstritten. Wir kommen ja auch anders daher als das normale Programm von SWR2 beispielsweise. Wir liefern unsere Beiträge von außen zu und können ganz persönlich erzählen, was uns an Gott oder am Glauben wichtig ist. Der Sender kann das nicht, weil er neutral bleiben muss. Und das ist gut und wichtig so. Trotzdem versuchen wir natürlich ins Programm zu passen. Daran arbeiten wir auch immer mit den Verantwortlichen der Welle. Und was uns echt freut: viele Hörende warten morgens auf unsere Sendungen und schreiben uns, dass sie extra einschalten und wie wichtig wir ihnen im Tagesablauf sind.
Ich weiß schon: Manchmal nerven wir. Aber hin und wieder wollen wir auch nerven, und müssen es sogar. Gerade mit Themen, die aktuell brennen. Wir können nicht anders. Das liegt auch daran, dass wir uns auf Jesus berufen. Er hat einige Leute damals auch genervt. Hat den Finger in die Wunde gelegt und gezeigt, wie es anders und besser laufen kann. Dafür ist er getötet worden. Das ist eine interessante Verbindung. Karfreitag erinnert sich die Kirche daran, dass Jesus getötet worden ist. Und an Karfreitag 1924 ging die erste deutsche Kirchensendung im Radio „on Air“.

Ich finde es wichtig, dass im Radio auch Religion vorkommt und damit Gott.  
Der Theologe Johann Baptist Metz hat mal gesagt: „Die kürzeste Definition von Religion ist: Unterbrechung“. Ja, wir sind eine Unterbrechung. Und ich finde jede Unterbrechung ist wichtig, in der Menschen hören: Du bist gut und von Gott geliebt!

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06APR2024
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Wir sind gute Freunde. Ab und zu machen wir zusammen Musik. Dann harmonieren wir gut miteinander. Wenn wir aber dann über Gott und die Welt diskutieren, sind wir ziemlich verschiedener Meinung.

Neulich haben wir darüber gesprochen, dass unser Grundgesetz in diesem Mai 75 Jahre alt wird. Eine große Errungenschaft nach den Zeiten der Nazi-Diktatur. Darin sind wir uns einig! Und auch darin, dass diese demokratische Errungenschaft heute bedroht ist. Und es jede Anstrengung wert ist, sie zu verteidigen!

Was wir allerdings unterschiedlich einschätzen: warum sich das Grundgesetz in seiner Präambel ausdrücklich auf Gott bezieht. Da steht ja: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen hat sich das deutsche Volk dieses Grundgesetz gegeben.“

Mein Freund meint, diesen Gottesbezug brauche es in einer säkularen Gesellschaft nicht. Er ist Naturwissenschaftler und denkt ganz rational. 

Ich meine: bei dem Bezug auf Gott geht es nicht um irgendeine Art ideologischer Überhöhung. Sondern, wie es der Verfassungsrechtler Horst Dreier sagt: „In Verantwortung vor Gott soll immer auch heißen: Wir nehmen nicht für uns in Anspruch, dass wir jetzt die letzte Wahrheit präsentieren... Sondern wir sind uns bewusst, dass das gewissermaßen Menschenwerk ist. Und Menschenwerk kann immer auch fehlbar sein.“

Ich finde es großartig, dass das Grundgesetz diese Grenzziehung vornimmt. Gegenüber einer Inthronisation von Instanzen, Parteien oder Machthabern, die beanspruchen, das allerletzte Wort zu haben. 

Durch den Gottesbezug, so verstehe ich es, bleibt der oberste Platz unbesetzt. Unbesetzt für etwas, das nicht greifbar oder definierbar ist. Eine Chiffre für Transzendenz sozusagen.

Und gerade das räumt mir als einem gläubigen Menschen genauso weltanschauliche Freiheit ein wie meinem Freund. Oder allen anderen, die nicht an Gott glauben wollen oder können.

Zusammen mit meinem Freund werde ich also auch in Zukunft mit Begeisterung musizieren. Und beide werden wir uns gemeinsam darüber freuen, dass unser in die Jahre gekommenes Grundgesetz ein Dach ist, unter dem Gläubige wie Ungläubige, Männer wie Frauen, Christen wie Juden und Muslime sich frei bewegen können. Und ihren Glauben frei leben dürfen.

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05APR2024
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Es sind Sätze, die mir nachgehen. Sätze über den Hass und seine Auswirkungen. Der Schriftsteller Heinrich Mann hat sie im Deutschland der 1930er Jahre geschrieben. Wie die Nationalsozialisten ein ganzes Volk erobert haben:

„Die Nazis“, schreibt Heinrich Mann, „würden dieses Volk niemals erobert haben, hätten sie sich nicht des Hasses bedient. Der Hass war ihnen nicht nur das Mittel hochzukommen, er war der einzige Inhalt ihrer Bewegung.“ Und: „Der Antisemitismus verrät einen Fehler im inneren Gleichgewicht einer Nation“.

Heinrich Mann war einer der ersten, der früh und in großer Klarheit die Bedrohung heraufziehen sah. Wie Hass, der sich ungebremst in einer Gesellschaft ausbreitet, in die politische Katastrophe führt. 

Seine Worte sind erschreckend aktuell, wenn ich sehe, wie aufgeladen und feindselig zuweilen der Umgang im gesellschaftlichen Miteinander geworden ist.

Was aber schützt vor dem Hass? Heinrich Mann hoffte, die Tradition der Aufklärung und des Geistes. „Wer Tradition hat“, so schreibt er, „ist sicher vor falschen Gefühlen. Tradition befähigt uns zur Erkenntnis, und sie macht uns geneigt zur Skepsis und zur Milde.“

Skepsis und Milde. Ein schönes Paar, finde ich. Zugleich ein Lebensentwurf, der für mich verkörpert ist in der Haltung einer Christusfigur, die der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen geschaffen hat. An vielen evangelischen Kirchen ist er zu sehen: der segnende Christus.

Dieser Christus ist einerseits skeptisch: gegenüber hohlen Worten und drohenden Gebärden. Aber er verkörpert auch die Milde und Sanftmut derer, die er in der Bergpredigt seligpreist.

Wenn ich am Schreibtisch sitze, steht in meiner Nähe eine Nachbildung dieses segnenden Christus. Sie verströmt eine gelöste und friedliche Aura, in die ich mich gerne hineinziehen lasse.

Die Theologin Dorothee Sölle hat heilsame Worte gefunden über den segnenden Christus, in dieser besonderen Verbindung von Skepsis und Milde:
»den hass macht er müde“ schreibt sie, „die übermüdeten bringt er zum atmen, die zitternden zum schlafen, die träumenden zum handeln, und die handelnden zum träumen.« 

Literaturempfehlung: Heinrich Mann, Der Hass, Deutsche Zeitgeschichte, Essays, Fischer. Taschenbuch 1983

 

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