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23APR2024
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Wilden Tieren in freier Wildbahn begegnen – das habe ich bei einer Safari erlebt. Da sind mir die massigen Körper der Elefanten und Nashörner sehr nahegekommen. Beeindruckend! Und als eine friedlich grasende Herde von Zebras blitzschnell davongerannt ist, weil ein Löwe aufgetaucht ist, hat mir das schon eine Gänsehaut gemacht.

Die ungezähmte Lebenskraft von wilden Tieren fasziniert mich, aber sie macht mir auch Angst. Sie ist mir fremd. In der zivilisierten Welt, in der ich lebe, muss ich nicht befürchten, von einem Tier angegriffen zu werden. Mein Leben ist sicher und bequem, und das weiß ich auch zu schätzen. Aber es ist auch etwas verloren gegangen, nämlich dass ich Leben und Lebendigkeit so ganz direkt und kraftvoll erfahren kann.

Das gilt auch für meinen Glauben. Für mich ist Gott „zivilisiert“.

Wenn ich allerdings in der Bibel lese, finde ich einen Gott, von dem so eine unmittelbare und ganz starke, fast schon wilde Kraft ausgeht. Wenn er etwa dem Mose im brennenden Dornbusch erscheint und ihm den Auftrag erteilt, sein Volk zu befreien. Das ist kein gezähmter Gott. Auch Jesus muss Gott so erfahren haben. Nach seiner Taufe geht er in die Wüste. Er setzt sich 40 Tage lang dem Hunger und dem Durst aus, der Einsamkeit, den wilden Tieren. Und am Ende dienten ihm die Engel. Jesus kommt also wohl in einen tiefen Kontakt zum Göttlichen, weil er sich auf diese fremde, wilde Welt eingelassen hat. Er wird Gott seinen Vater nennen – und zugleich wird ihn dieser Gott herausfordern bis zum Letzten.

Ich gebe zu: mir wird bei diesen Gedanken durchaus ungemütlich. Ich habe mich mit meinem zivilisierten Leben und meinem zivilisierten Gott ganz gut eingerichtet. Da gibt es keine unzumutbaren Herausforderungen.  Aber da ist auch nur wenig, was mich unmittelbar packt und fasziniert.

Ich beginne zu ahnen, dass Gott nicht nur ein transzendentes, geistiges Wesen ist, sondern dass auch die ungebändigte Kraft zu ihm gehört. Wie sonst kann ich mir vorstellen, dass alles vom Einzeller bis zum Elefanten, Giraffen, Zebras, Krokodile und Flusspferde, dass sie alle aus seiner göttlichen Kreativität kommen?

Jetzt bin ich nicht mehr auf Safari. Aber ich ziehe meine Schuhe aus und spüre die Erde unter meinen nackten Füssen und ich schaue nach oben, in den weiten Himmel. Er ist voll von den unfassbaren Energien von Sonne und Wind. Es ist und bleibt wohl ein Geheimnis: wie ungezähmt und wild mein Gott sein kann! 

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22APR2024
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Wo habe ich es nur hingelegt – das Handykabel?  Solange die Batterie genug Energie hat, ist das noch kein Problem. Aber spätestens, wenn sie leer ist, fange ich fieberhaft zu suchen an. Denn ohne Verbindung zur digitalen Außenwelt bin ich von Vielem abgeschnitten, was für mich zum Leben dazugehört.

Manchmal geht es mir mit meiner Lebensenergie so ähnlich. Wenn ich nicht rechtzeitig auflade, leert sich mein innerer Akku, manchmal ohne, dass ich es merke - und auf einmal fühle ich mich ausgelaugt. Wie abgeschnitten vom Leben. Es ist nicht so sehr eine körperliche Erschöpfung, sondern eher eine seelische. Ich bin antriebslos, und alles wird mir egal.

Dann hilft mir oft, wenn ich rausgehe und laufe oder etwas Praktisches tue wie Gartenarbeit oder Kochen. Aber das reicht nicht immer. Ich bleibe leer und mir fehlt – bildlich gesprochen – ein Aufladekabel, mit dem ich mich an eine größere Energiequelle anschließen kann. Denn aus mir selber kann ich mich nicht aufladen.

Für mich ist Gott eine solche Energiequelle. Er ist Ursprung und Schöpfer des Lebens, die Urkraft, aus der alles kommt. Ich möchte mit dieser Energie, mit dem göttlichen Spirit, der alles Leben durchströmt, in Verbindung kommen. Natürlich kenne ich die klassischen Wege – Gebet und Gottesdienst…  aber nicht immer finde ich dadurch einen Zugang. Ich bleibe irgendwie außen vor, wie abgeschnitten.

Dann muss ich mich eben - wie bei meinem Handykabel – auf die Suche machen. Wo soll ich anfangen? Bei anderen religiösen Traditionen oder mit fremden Ritualen? Mir hilft es, wenn ich erst mal bei mir selber bleibe und mit meinem Innern Kontakt aufnehme. Wonach sehne ich mich eigentlich? Was fehlt mir? Die Suche führt mich zu meiner Seele, zu diesem inneren Raum, in dem ich zu Hause bin. Aber wenn ich nur um mich selber kreise und in mir gefangen bleibe, dann leidet meine Seele. Sie möchte sich mitteilen und angesprochen sein. Sie sehnt sich nach einem Gegenüber, nach einem Du. Sie sehnt sich danach, verbunden zu sein.

So wird gerade die schmerzliche Leere zur Kontaktstelle zu Gott.

Wenn ich mir diese Sehnsucht eingestehe, dann werde ich durchlässiger. Meine Seele öffnet sich für Gott. Oft ereignet sich das in der Stille. Auf einmal ändert sich mein Lebensgefühl. Ich fühle mich verbunden mit mir selbst, mit dem Leben und mit Gott. Und die Lebensenergie beginnt wieder zu fließen.

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20APR2024
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Die Finnen sind die glücklichsten Menschen der Welt. Das hat der „Weltglücksbericht“ gerade wieder bestätigt. Im internationalen Ranking stehen sie auf Platz 1. Und das, obwohl sie in einer politisch extrem bedrohlichen Lage mit einer langen Grenze zu Russland leben.

Die Ursachen für dieses Finnenglück sind vielfältig. Die Finnen leben Chancengleichheit und Gleichberechtigung, sie sind im Umgang miteinander freundlich und zuvorkommend und kümmern sich umeinander. Emotionale Fähigkeit steht als Lehrfach auf dem Stundenplan. Vor allem aber: Finnen sind nicht neidisch. Sie vergleichen sich nicht mit anderen Menschen. Neid ist ihnen fremd.

Kein Wunder, dass wir Deutschen im Glücksranking wieder abgerutscht sind. Platz 24. Objektiv gesehen geht es uns ziemlich gut. Aber es scheint, dass wir ein Volk sind, das ganz besonders anfällig dafür scheint, sich vom Neid auffressen zu lassen. Mit unserem Neid vertreiben wir uns aber selbst aus dem Paradies. Jedenfalls gibt es Millionen Menschen auf der Welt, die sehr gerne mit uns tauschen würden. Doch der Neid vernebelt den Blick auf unsere eigene gute Wirklichkeit.

Neid gilt als eine der sieben Todsünden. Neid vergiftet und zerstört Beziehungen. Wer niemandem etwas gönnt und sich ständig vergleicht, wird garantiert unglücklich.

Neid ist – Stichwort Paradies – eine sehr alte schlechte Eigenschaft des Menschen. Davon erzählt eine der Schöpfungsgeschichten in der Bibel. Der erste Mensch ist neidisch auf Gott, der als einziger vom Baum in der Mitte des Gartens essen darf. In der nächsten Generation bringt Kain seinen Bruder Abel aus schierem Neid um.

Jede Sünde führt zu einem getrübten Blick. Es geht also um einen Perspektivwechsel. Statt zu schauen, was der Nächste mehr hat, wäre es eine Idee, auf das zu schauen, was er braucht. Statt auf das Glück der anderen zu schielen, könnte ich mich freuen über das Glück, das mir selbst geschenkt ist. Wenn es richtig gut läuft mit dem Perspektivwechsel: Ich könnte auf die Idee kommen, mein Glück zu teilen!

Glücklicherweise gibt es viele Menschen, die das können. Gönnen und Teilen. Etwa alle, die sich für andere engagieren und so viel Sinn im Leben fühlen.

Vielleicht sollte man sie in Schulen schicken, so dass sie ihre Erfahrungen weitergeben können. Oder auch das Schulfach „emotionale Fähigkeiten“ bundesweit einführen. Oder beides.

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19APR2024
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Was wäre mein Leben ohne einen richtig guten Freund oder eine richtig gute Freundin? Eine Freundin, der ich bedingungslos vertrauen kann. Ein Mensch, der mir, wenn es notwendig ist, auch einmal auf die Sprünge hilft, mich ergänzt und zugleich Verständnis für mich hat. Der Reformator Martin Luther hatte einen solchen Freund. Philipp Melanchthon. Heute ist sein Todestag, am 19. April 1560 ist er gestorben.

Melanchthon war für Luther ein außerordentlicher Glücksfall, ein Freund auf Augenhöhe, intellektuell ebenbürtig, ein ausgezeichneter Wissenschaftler und Kenner der antiken Schriften, zugleich ein Reformer, der offen war für neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse.

Altes und Neues konnte er in seinem Denken verbinden und so verwundert es nicht, dass er schnell für die Gedanken der Reformation entflammt ist, die sich durch Martin Luther verbreitet haben. Er hat seinen Freund dann in politischen und religiösen Konferenzen vertreten, wenn der als Geächteter nicht reisen konnte.

Wichtige Bekenntnisschriften stammen aus Melanchthons Feder. Wenn Martin Luther wieder einmal als Hitzkopf agierte, versuchte Melanchthon zu vermitteln.

Die Freundschaft hat beiden gutgetan. Denn Melanchthon profitierte auch selbst! Er war nämlich jemand, der sich das Leben schwer machte. Er war bis aufs Äußerste skrupulös ist darüber immer wieder krank geworden. Schlaflosigkeit und Magengeschwüre quälten ihn. Ständig hat er gegrübelt: Waren seine Entscheidungen richtig oder falsch? Welche Konsequenzen würden sich ergeben? Würde er schwere Sünden auf sich laden? Melanchthon zweifelte. In dieser Situation hat ihm sein Freund Martin Luther weitergeholfen. Luther ist zwar ein Hitzkopf gewesen, doch zugleich ein sensibler Seelsorger. Pecca fortiter, zu deutsch: Sündige tapfer! lautet sein Ratschlag an seinen Freund Melanchthon. Dieser Ratschlag könnte heute glatt als moderner therapeutischer Hinweis durchgehen. Eine kluge Intervention!

Wenn du Angst vor den Konsequenzen deines Handelns hast, obwohl du eigentlich alles wohl bedacht hast: Riskiere es, schau dem, was du vorhast, mutig ins Auge! Die Folgen des eigenen Handelns kann schließlich kein Mensch vollständig übersehen. Und Luther hat noch eins draufgesetzt: glaube noch tapferer. Auch noch der letzte Rest an Zweifel, der an den Magenschleimhäuten Melanchthons genagt hat, sollte beseitigt werden. Sündige tapfer, glaube noch tapferer!

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18APR2024
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Ein Physikprofessor hat mir von einem faszinierenden Gedankenexperiment erzählt, das Albert Einstein zu verdanken ist. Angenommen, ein Mensch hätte einen Zwillingsbruder und begäbe sich auf eine Reise in einem Raumschiff mit sehr großer Geschwindigkeit in den Kosmos. Beide Zwillingsbrüder haben eine Uhr dabei. Nach Einsteins Theorie vergeht die Zeit in dem mit Lichtgeschwindigkeit durchs Weltall rasenden Raumschiff unendlich viel langsamer als auf der Erde. Wenn der Raumfahrer daher nach einem Jahr auf seiner Uhr umkehrt, trifft er nach seiner Rückkehr die Ururur-Enkel seines Zwillingsbruders. Bei genügend großer Geschwindigkeit könnte man tatsächlich tausend Jahre zu einem Tag machen. Auch wenn das tatsächlich wissenschaftlich bewiesen ist: Das Gedankenexperiment sprengt, ganz klar, mein Vorstellungsvermögen.

Mir als Theologin fällt dazu der Psalmvers ein: Tausend Jahre sind vor dir, Gott, wie der Tag, der gestern vergangen ist. Daraus folgt nicht, dass die Psalmen schon die Relativitätstheorie erfasst hätten. Es folgt aber daraus, dass eine eindimensionale oder gradlinige Auffassung von Zeit auch theologisch verstanden sicher zu kurz greift.

Ich bewundere Menschen wie Albert Einstein. Heute ist sein Todestag. 1955 ist er gestorben. Ganz ohne künstliche Intelligenz, rein mit der Kraft seiner Gedanken, hat er die Relativitätstheorie entwickelt. Es ist so unfassbar, was Menschen erdenken und erfinden können! Übrigens auch böseste Dinge! Albert Einstein stammte aus einer jüdischen Familie. Seine Schriften wurden von den Nationalsozialisten verbrannt, er emigrierte und half anderen so viel er konnte, aber Familienangehörige wurden von den Nazis ermordet. Antisemitismus und rechtsradikales Denken treiben gerade wieder ihr Unwesen. Es ist eben einfacher, eindimensional zu denken, als Relativitäten einzuplanen.

Aus den Wundern der rasenden Zeit und der Komplexität des Kosmos einen Gottesbeweis zu konstruieren, funktioniert nicht.

Leider nicht, mag mancher sagen. Ich finde: Es ist doch einfach schön, über Faszinierendes zu staunen! Ich muss nicht alle Feinheiten der Relativitätstheorie verstehen. Es kann doch reichen, zu staunen. Faszinierend! Wie übrigens der Astronaut Spock in meiner als Kind so geliebten Serie „Raumschiff Enterprise“ immer gesagt hat. Faszinierend! Und wer mag, so wie ich, kann dafür Gott loben.

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17APR2024
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Der Spielplatz um die Ecke hat unlängst wieder frischen Sand bekommen. Das Spielen mit dem alten, verdreckten Sand hat den Kindern irgendwann keinen Spaß mehr gemacht. Gut, dass er ersetzt wird, hab‘ ich mir gedacht. Und dabei zugeschaut, wie die Kinder ihre Sandburgen bauen. So prächtig sie am Anfang auch aussehen - spätestens nach ein paar Tagen bleibt nur noch ein kleiner Sandhaufen übrig. Die ach so stolze Sandburg war halt nicht nur aus Sand. Sie war auch auf Sand gebaut!

Jesus spricht einmal von Häusern, die buchstäblich auf Sand gebaut sind. In der Bergpredigt sagt er: „Ein unvorsichtiger Hausbauer verzichtet auf ein Fundament, sondern baut einfach auf Sand. Schon beim nächsten Sturm fällt das Haus in sich zusammen.“ (Matthäus 7,26+27) Zumindest als Untergrund taugt Sand also nicht unbedingt. Es sei denn, man fügt Zement und Wasser dazu – und erhält widerstandsfähigen Beton.

Deshalb steht der Sand heute in höherem Kurs als zur Zeit Jesu. Nicht nur Beton lässt sich aus Sand machen. Sondern etwa auch Glas. Inselstrände werden mit Sand gesichert. Und Land ins Wasser ausgedehnt. Sand ist nach Wasser der wichtigste Rohstoff. Und sein Besitz längst Anlass für kriegerische Auseinandersetzungen.

Daran konnte Jesus noch gar nicht denken. Jesu Sand-Beispiel aus der Bergpredigt meint zunächst: Leben braucht einen verlässlichen Grund. Ich muss auch standhaft bleiben können, wenn Sturm und Unwetter über mich hinwegfegen. Deshalb wirbt Jesus für den Glauben an Gott. Mehr noch: Jesus bietet sich selber als Fundament an für ein Leben, das nicht gleich ins Wanken kommt, wenn’s einmal stürmisch wird. In der Bergpredigt geht es genau darum, wie sich ein solches Fundament fürs Leben gewinnen lässt. Indem ich Frieden stifte und auf meine Feinde zugehe. Indem ich für Gerechtigkeit eintrete. Indem ich Licht in das Leben der Menschen bringe. Wenn ich versuche, meinem Leben ein solches Fundament zu geben, ersetze ich also nicht einfach den alten Sand durch neuen. Vielmehr soll ich auf einen Untergrund bauen, der Bestand hat. Höchste Zeit also, meine ich, an den eigenen Sandaustausch zu denken. Damit meine ich: Meinen Lebens-Sand nicht einfach nur ersetzen, das wäre keine Lösung, die Bestand hat. Vielmehr geht es darum, ihn festzumachen. Damit ich auf ihm bauen kann. Auf dem Spielplatz wäre das keine gute Idee. Im Leben aber schon.

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16APR2024
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Keine sportliche Veranstaltung beeindruckt mich so sehr wie ein Marathonlauf. Ich weiß, ich werde nie 42 Kilometer am Stück laufen können. Schon gar nicht mit der Geschwindigkeit eines Marathonläufers. Aber es sind immer Tausende, die bei einem Marathonlauf mitmachen. So wie unlängst wieder in Freiburg. Die Strecke hat ganz nah an unserem Haus vorbeigeführt. Kein Wunder, dass meine Frau und ich auch am Rand der Strecke gestanden und die Läuferinnen und Läufer unterstützt haben.

Am Anfang kommen die Schnellen, denen es ums Gewinnen geht. Die weitaus meisten gehören aber zu denen, die einfach stolz sind, den Lauf durchzuhalten. Wir haben unterschiedslos alle angefeuert. Das Schöne war: Es haben sich auch alle gefreut. Und gestrahlt. Viele haben „Danke“ gerufen. Andere haben uns abgeklatscht. Hinterher haben uns manche der Teilnehmenden dann erzählt, wie wichtig die Menschen an der Strecke für sie sind, um den Lauf durchzuhalten. Läuferinnen und Läufer und die, die am Rand stehen und anfeuern – beide gehören sie zu einem Marathonlauf dazu. Und machen ihn nicht nur für die, die mitlaufen, zu einem besonderen Ereignis.

Wie schon am Beginn der Jesus-Bewegung habe ich gedacht. Da waren auf der einen Seite die, die mit Jesus durchs Land gezogen sind. Die alles zurückgelassen haben. Ihren Beruf. Ihre Umgebung. Die vertrauten Menschen. Sie haben sich auf etwas eingelassen, von dem sie nicht gewusst haben, ob sie es wirklich durchhalten. Ein Marathonlauf der besonderen Art. Aber da gab’s dann eben auch die Sympathisantinnen und Sympathisanten. Menschen, die die anderen mit allem Lebensnotwendigen versorgt haben. Mit Essen. Mit einem Dach über dem Kopf. Es hat also beide gebraucht: Die einen, die das Wagnis eingegangen sind, mit Jesus die besonderen Herausforderungen seines Lebens zu teilen. Und die anderen, die für deren Versorgung nötig gewesen sind. (Lukas 8,1-3)

Für mich heißt das: Ich kann im Leben verschiedene Rollen einnehmen. Ich muss gar nicht der Marathonläufer sein. Manchmal genügt es, einfach an der Strecke zu stehen. Auch dann bin ich dabei und mache mit.  Ich kann mich um Menschen in Not kümmern. Möglichkeiten gibt es genug. Manchmal genügt aber auch schon ein mutiger Widerspruch. Wenn über Menschen schlecht geredet wird. Beides gehört zusammen. Bei beidem kann ich wichtig sein.

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15APR2024
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Ich hab‘ richtig den Atem angehalten! Mit einem Mal ist meine Enkeltochter quer durch den Raum gelaufen. Von einer Ecke zur anderen. Wenige Tage ist das erst her. Für mich war das irgendwie schon ein besonderer Augenblick. Für alle anderen, die dabei gewesen sind, auch. Und das Glück und der Stolz – sie standen auch der Kleinen ins Gesicht geschrieben. Am Ende ist sie stehen geblieben. Und hat sich selbst beklatscht.

Warum ist das so faszinierend, dass ein Mensch auf zwei Beinen steht? Und geht? Dass ich aufrecht durchs Leben gehen kann, das ist zuallererst einfach eine Besonderheit meiner biologischen Ausstattung. Das unterscheidet den Menschen von den allermeisten Tieren. Für Johann Gottfried Herder, Theologe und Philosoph im Geist der Aufklärung, der im 18. Jahrhundert gelebt hat, war der aufrechte Gang sogar das entscheidende Kennzeichen des Menschen. Nur so käme auch die Vernunft zum Zug, hat er gemeint. Auch wenn wir heute noch andere Kriterien heranziehen, um Mensch und Tier zu unterscheiden: Der aufrechte Gang gehört sicher weiter zu den besonderen Eigenschaften, die dem Menschen zugeschrieben werden. Nicht ohne Grund wird er auch als Bild dafür verwendet, was einen Menschen auszeichnet

Wenn ich an einem Menschen wertschätze, dass er aufrecht durchs Leben geht, dann möchte ich damit ausdrücken, dass sich jemand nicht verbiegen lässt. Dass einem Menschen Wahrheit und Wahrhaftigkeit wichtig sind. In einem Psalm in der Bibel finde ich das mit schönen Worten zum Ausdruck gebracht. Da heißt es: „Gott hat den Menschen wenig niedriger gemacht als die Engel!“, (Psalm 8). Gottes Ebenbild sei er. Derart gewürdigt kann der Mensch nur aufrecht durchs Leben gehen. „Schon an den Kindern können wir diese besondere Würde ablesen“, heißt es im selben Psalm dann weiter.

Der erste Gang meiner Enkeltochter – er war für mich so etwas wie eine Predigt. Ohne Worte. Aber eindrücklich und eindringlich. Staunend habe ich wahrgenommen, wie die Kleine mit den ersten Schritten einen ganz großen Schritt auf ihrem Weg durchs Leben gemacht hat. Die Predigt der ersten Schritte – sie hat mich daran erinnert, wie Gott sich den Menschen vorgestellt hat. Standhaft. Aufrecht. Und frei, seine Richtung zu wählen. Aufrecht möchte ich darum durchs Leben gehen. Selbst dann, wenn mir der Gang auf zwei Beinen Mühe macht.

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13APR2024
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Echte Freundschaft stelle ich mir – ehrlich gesagt – ein bischen anders vor. Als Freundin oder Freund wartest du doch auf den anderen, zumal wenn du weißt, dass der ja sicher alles andere tut als zu trödeln, sondern dass er noch bei den Leuten bleiben muss, die seine gute Nachricht hören wollen oder mit einer Krankheit gekommen sind, von der sie geheilt werden möchten. Seltsam, wie es die Bibel da berichtet: Die Freunde des Jesus von Nazaret gehen schon mal zum Boot voraus; sie wollen heimfahren, auf die andere Seite des Sees. Schließlich sind die Abend-Winde gefährlich und gefürchtet. Und Jesus kennt sich damit ja vielleicht weniger aus. Aber als der immer noch nicht da ist, fahren sie einfach schon mal los… Ungeduldig, die Freunde – sie stechen in See.

Und wie erwartet: Der Abendwind kommt von vorn und macht die Ruderei noch schwieriger als üblich – scheint, dass sie echt in Panik geraten. Es ist schon dunkel, berichten die Evangelien, und reden von einem heftigen Sturm. Als sie etwa sechs Kilometer gefahren sind, also mitten auf dem See, da sehen sie, wie Jesus über den See geht und sich dem Boot nähert; und sie fürchten sich noch mehr.

Schon klar: die Lage ist offenbar angespannt. Aber da ruft er ja schon: Ich bin es; fürchtet euch nicht! Und ehe sie ihn zu sich ins Boot nehmen können, sind sie schon am Ufer, das sie erreichen wollten. Das zweite Wunder: sechs Kilometer bei Gegenwind und Wellengang im Nu zurückgelegt…

Das ist mehr als nur eine Wundergeschichte. Es geht doch um sehr menschliche und für viele Menschen alltägliche Erfahrungen. Geduld und Ungeduld in einer Freundschaft; Gefahren, die plötzlich auftauchen und mit denen du doch eigentlich hättest rechnen können: Abends ist der See Gennesaret einfach immer unruhig…

Und hoffentlich gibt es oft oder sogar fast immer Beistand; direkt von Gott selbst – und häufiger noch durch Menschen. Beistand ist bitter notwendig und kommt gern unerwartet – und hilft dir manchmal mehr als du dir selbst wünschen konntest: dass der Freund oder die Freundin, dass Mutter oder Vater oder dass jemand Wildfremdes da ist und dir zur Seite steht.

Dass echte Hilfe eben doch näher ist als befürchtet: Das wünsche ich Ihnen und mir auch für mich selbst. Auch wenn ich an meiner Zuversicht sicher noch arbeiten muss…

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12APR2024
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Zwei- oder dreimal in der Woche schickt die Nachbarin gegen neun Uhr abends so eine Nachricht: Es gibt wieder viele leckere Sachen – heute vor allem Brot und Brötchen – und sehr gutes Gemüse und Salate… Dazu stellt sie ein oder zwei Fotos mit den Kisten, die ab sofort vor ihrem Haus stehen. Bitte bedient euch reichlich…

Die Nachbarin und ihr Mann retten Lebensmittel – und brauchen uns dazu, weil es oft wirklich große Mengen sind. Rekord bisher: sieben tiefgekühlte Enten – eigentlich noch lange haltbar, aber durch leichte Macken an der Verpackung offenbar unverkäuflich. War ein leckeres Neujahrs-Essen, muss ich sagen.

Lebensmittel retten immer mehr Leute, fast überall in der Republik. Sie haben eine Abmachung mit einem oder zwei Supermärkten vor Ort oder mit anderen Läden. Die sortieren aus, was weniger gut ausschaut, manchmal ein bisschen angewelkt scheint, zu kurz vor dem sogenannten MHD oder sogar schon drüber; Brot von gestern oder vorgestern – jedenfalls alles, was den tollen Eindruck in Regalen oder Theken beeinträchtigt. Und statt es wegzuschmeißen, stellen sie es eben in großen Kisten hin für die Retterinnen – foodsaver nennen die sich auch. Motto: zu gut für den Container. In vielen Städten gut organisiert – und keine Konkurrenz zu den Tafeln, weil die sich strikt ans MHD halten müssen.

Haben übrigens ein biblisches Vorbild – auch wenn manche mit der Bibel weniger am Hut haben. Heute steht es in der katholischen Leseordnung: Jesus hat gerade mit einem Wunder ein paar tausend Leute satt gemacht – obwohl es eigentlich nur fünf Brote und zwei Fische gab. Und dann sammeln seine Leute die Reste ein – zwölf Körbe voll. Der pure Überfluss – der ist ja schon selbst ein Wunder.

Da sollte es kein Wunder sein, wenn in unseren Tagen wieder mehr Leute versuchen, mit diesem Überfluss gut umzugehen. Weniger zu produzieren und in die Regale legen, fordern sie von Industrie und Handel. Wer braucht denn in der Bäckerei bis Ladenschluss das ganze Sortiment frisch?

Und wenn schon mehr da ist als eigentlich gebraucht wird: Gottes gute Gabe ist zu gut für die Tonne – sie kann Leben möglich machen und abwechslungsreicher und interessanter. Ganz selten sogar mit Ente für den Grill oder den Backofen. Jedenfalls ist es immer wieder spannend, wenn die Nachbarin abends wieder funkt!

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