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28MRZ2024
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Essen und Trinken: Lebenswichtig. Das ist gerade heute unübersehbar. Weltweit hungern über 700 Millionen Menschen. Eine unfassbare Zahl. Aber der Hunger hat auch ein ganz konkretes Gesicht. Zwei Beispiele. Laut Welthungerhilfe stirbt alle dreizehn Sekunden ein Kleinkind an den Folgen von Hunger. Und der UNO-Menschenrechtsrat berichtet von brutalen Misshandlungen ukrainischer Soldaten in russischer Gefangenschaft: Vor lauter Hunger würden sie Würmer, Seife oder Hundefutter essen.

Essen und Trinken: Lebenswichtig. Das wissen auch die Religionen der Welt. Denn in praktisch allen Glaubensrichtungen gibt es Essensvorschriften, Fastenzeiten, Tischgebet, Speisevorschriften oder die Opferung von Nahrungsmitteln.

Auch der christliche Gründonnerstag hat mit Essen und Trinken zu tun. Kurz bevor Jesus stirbt, isst er zum letzten Mal gemeinsam mit seinen Freunden. Sie teilen Brot und Wein. Grundnahrungsmittel sozusagen. Eine komplette Mahlzeit. Und zugleich mehr. Brot und Wein erzählen von der Kunst des Menschen, die Natur zu verwandeln. Getreide wird angebaut, die Körner werden gemahlen, mit Wasser und Gewürzen und vielem mehr vermischt und dann ausgebacken. Auch Trauben werden angebaut. Und in vielen kunstvollen Arbeitsschritten entsteht aus ihnen Wein in unzähligen Geschmacksrichtungen.

Brot und Wein: Nahrungsmittel, die erzählen, dass Verwandlung möglich ist. Dass sich etwas radikal verändern kann. Anders wird. So wie Menschen sich verändern können. Auch davon erzählt die Geschichte Jesu. Menschen erleben diesen Jesu, werden von ihm gesehen, berührt, angesprochen – und verändern sich und ihr Leben. Blinde können sehen, Kranke werden gesund, egozentrische Menschen öffnen sich für andere. Und auch Jesus selbst wird sich verwandeln. Aber davon erzählt erst der Ostermorgen.

Essen und Trinken: An Gründonnerstag machen sie deutlich, wie nötig es ist, dass Hunger gestillt wird. Hunger nach Nahrung, nach Verwandlung, nach Leben.

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27MRZ2024
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Jetzt auf Ostern zu wird in den Kirchen die Passionsgeschichte Jesu gelesen. Wir lassen uns mitnehmen auf die Zielgerade seines Lebens, es ist ein Drama, das sich zuspitzt. Christsein heißt, sich davon berühren lassen und Jesu Weg nachgehen. Ja, das nimmt einen mit, wortwörtlich. Passion heißt ja beides: Leiden und Leidenschaft. Wofür brenne ich? Compassion ist die Haltung, sich in Mitleidenschaft ziehen zu lassen und Mitgefühl zu zeigen. Aber warum dieses Leiden Jesu? Warum überhaupt so viel Unrecht und Not in der Welt? Und wie kommen wir in eine Leid-überwundene, ja Leid-freie Welt? Solche Jahrtausendfragen sind nicht ruhig zu stellen. Von Jesus wird überliefert, dass er mit dieser Frage sogar starb: „Mein, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Gerade in diesen Fragen blieb er auf Gott bezogen und ließ nicht locker. In seinem kurzen Leben hat er sich eingesetzt für gerechtes, gottgemäßes Zusammenleben – nein nicht nur eingesetzt, er hat dafür gekämpft und es beispielhaft auch wahrgemacht. Hat er sich nicht mit Ausgestoßenen zusammengesetzt und viele heil gemacht? Hat er nicht darauf verzichtet, zurückzuschlagen, als man ihn in die Zange nahm? Konfliktscheu jedenfalls war er nicht.

Eines seiner verrücktesten Programmworte lautet: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen.“ (Lk 12,49) Jesus als Brandstifter, das ist ein ungewohntes Bild für seine Gottesleidenschaft. Gerechtigkeit und Frieden sind in seinem Munde nicht faule Worte, sondern handfeste Taten. Da geht er mitten in Jerusalem Richtung Tempel, immerhin die religiöse und politische Machtzentrale, und mit dem Tempelschatz so etwas wie die Bundesbank. Das alles wird kaputtgehen, es hat keine Zukunft! So die Prophezeiung dieses Brandstifters aus Nazareth. Die Erzählung von der Tempelreinigung malt plastisch aus, wie aggressiv Jesus da aufräumt, geballte Gottesleidenschaft und nicht ohne Folgen. Neu aufgebaut werden muss das Haus des Gebetes, als Zentrum für Gerechtigkeit und Feindesliebe. Dafür steht er ein, dafür brannte er, dafür nahm er sogar den Tod in Kauf, eben mit der Frage, die zum Gebet wird: „Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen?“ Die Gewissheit, dass Gottes Gerechtigkeit das letzte Wort behält, macht ihn frei. Seine Gottesleidenschaft für eine gewalt- und leidfreie Welt wird zum Osterfeuer. Das gilt es zu entzünden.

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26MRZ2024
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Was ist derzeit das Problem Nummer eins, was der schlimmste der vielen Brennpunkte in der Welt und auch im eigenen Leben? Wenn ich auf diese Gretchenfrage antworten müsste, würde ich sagen: Hass und Gewalt. Natürlich die Kriege im Großen und Kleinen, in Handel und Wandel. Aber ganz konkret: Gewalt zwischen den Geschlechtern und Generationen, Gewalt gegen Kinder und gegen Alte, Gewalt und Vergewaltigung der Mutter Erde, der Tiere, der Kreatur – und so oft diese Feindbilder. Wie schnell man sich abstempelt und fertigmacht, diese Ungeduld miteinander und Rechthaberei.  Ich will auf keinen Fall dramatisieren und schwarzmalen. Aber Gewalt ist das Schattenthema im Fortschritt seit Kain und Abel: zwar geht vieles glücklich voran, aber verbessert werden eben leider auch Foltermethoden, Aufrüstung und Kriegführung, und immer wieder ist es die Angst, zu kurz zu kommen, und deshalb das egoistische Verhalten. Nimmt womöglich der Gewaltpegel im Alltag sogar zu, die Reizbarkeit, der Neid und das Ausnützen anderer?

Jedenfalls finde ich: Die Bibel hat doch recht. Seit Kain und Abel ist das eine Mordsgeschichte zwischen uns Brüdern und Schwestern. Die Angst, zu kurz zu kommen, schlägt fast automatisch um in Futterneid, Rivalisieren, Kriegen und Ausbeuten. Wie aus diesem Dilemma herauskommen, wie den Weg hindurchfinden? Nach christlicher Überzeugung gibt es nur einen Weg, und der wird an Jesus sichtbar: gewalt- und selbstlos, mit anderen vorangehen, mit anderen und für andere. Seine Botschaft von der Feindesliebe ist die realistische Alternative: also groß denken vom anderen Menschen, der Menschenwürde Raum schaffen und von den Ego-Interessen absehen zugunsten des Gemeinwohls. Jesus war überzeugt, dass Gottes Gerechtigkeit überall siegreich sein wird. Gottes Reich soll kommen, und er macht davon Gebrauch. Damit freilich deckt er auch auf, wie gewalttätig es noch zugeht seit Kain und Abel. Jesus kostet diese Aufklärungsarbeit sogar das Leben, aber er willigt schließlich ein, ganz voller Gottvertrauen und Versöhnungskraft. „Gesetzt den Fall, Sie haben noch keinen umgebracht, wie erklären Sie sich das?“, fragte realistisch Max Frisch. Was ist mit Bruder Kain, dem Aggressor, in mir? Diese Kar- und Osterwoche lädt dazu ein, sich mit dem Gewalt-Thema zu konfrontieren – und mit dieser göttlichen Alternative, stets dann doch die Hand zu reichen und den ersten Schritt zu tun.

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25MRZ2024
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Ein Montag wie jeder andere ist das nicht. Wir stehen am Beginn der Karwoche, und das altdeutsche Wort kara bedeutet Kummer und Trauer.  Seit frühester Zeit war es in Jerusalem üblich, die letzten Wege Jesu Jahr für Jahr nachzugehen und sich besonders mit seiner Leidensgeschichte zu verbinden: Nachfolge wortwörtlich. So entstand eine ganze Heilige Woche mit Prozessionen und Gebeten. Man wollte Jesus nahe sein. Man orientierte sich dabei an Heiligen Stätten und an biblischen Schriften. Demnach hat gestern die entscheidende Woche begonnen: Jesus kommt vom galiläischen Land, über das heute so umstrittene Westjordanland, hinauf nach Jerusalem. Dort zieht er ein wie ein König, umjubelt von seiner kleinen Anhängerschaft, aus ganz Jerusalem freilich ist niemand dabei. Also richtig willkommen ist er eindeutig nicht, zu unbequem seine Botschaft von der Gottes- und Feindesliebe, von Empathie und Solidarität mit allen, die einem über den Weg laufen. Schon lässt sich ahnen, dieser Einzug Jesu endet tödlich. Ich muss dabei an Nawalny denken und so viele, die friedfertig ihre Haut zu Markte tragen und sich für eine gerechtere Gesellschaft verausgaben. Der Einzug nach Jerusalem damals wird zum Kreuzweg, das österliche Gelingen geht über den Karfreitag der Trauer und der Tränen.  Gestern also hat die Karwoche begonnen, heute, am Montag, die nächsten Schritte auf dem Weg dahin.

Warum das alles, frage ich mich? Geht es nicht konfliktfreier und gewaltloser, ohne Leid und Kreuz? Warum diese Leidensgeschichte? Und dann noch im Namen Gottes?  Könnte der den schrecklichen Spuk nicht beenden und alles in Ordnung bringen? Fragen über Fragen! E i n e  Antwort darauf ist aber jetzt schon klar: theoretisch ginge es ohne das Kreuz, denn Gott ist kein Quälgeist oder Blutsauger. Aber leider, leider sind die Verhältnisse seit Kain und Abel so wie sie sind, nämlich egoistisch und gewaltförmig. Wenn da einer so voller Güte und Fantasie ist wie dieser Jesus, wird er verhaltensauffällig. Er bringt ja ans Licht, wie es eigentlich sein könnte und sein sollte - und das gibt mörderisch Ärger. Aber es ist der einzige Weg zum Frieden inmitten all der Gewalt. Und den gehen wir Christenmenschen in der Karwoche mit, aus Überzeugung.

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23MRZ2024
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Der Gang zum Briefkasten gehört für mich jeden Tag dazu. Kaum höre ich die Klappe, weil jemand etwas eingeworfen hat, da werde ich auch schon neugierig. Und schaue nach, was sich im Briefkasten findet. Ehrlich gesagt, es ist immer weniger und immer belangloseres Zeug. Selbst Rechnungen kommen inzwischen meist per Mail. Und persönliche Nachrichten über einen Nachrichtendienst auf dem Handy. Der Briefkasten verkommt zusehends zum Relikt einer zu Ende gehenden Zeit. Trotzdem komme ich von meinem Gang zum Briefkasten nicht los.

Ein Brief ist ja viel mehr als nur ein Medium, um eine Nachricht zu überbringen. Schon am Format erkenne ich, ob ein persönlicher Absender schreibt oder eine Firma. Ich spüre, ob der Umschlag gefüttert ist. Und ich nehme wahr, ob es sich um einen Serienbrief handelt oder ein persönlich an mich gerichtetes Schreiben. Die erste Botschaft sendet ein Brief also längst, bevor ich ihn überhaupt gelesen habe.

Der Apostel Paulus war ein leidenschaftlicher Briefeschreiber. Kritiker haben aber von ihm erwartet, dass er sich auch als Apostel ausweist. Dass er Referenzen und Zeugnisse vorlegen kann. Wie bei einer Bewerbung. Da verweist Paulus auf die von ihm gegründete Gemeinde in Korinth. An die schreibt er: „Ihr seid mein Beglaubigungsschreiben. Mehr noch: Ihr seid ein Brief Christi!“ (2. Korinther 3,3) Das heißt doch: An euch, an eurem Zusammenleben, an den Botschaften, die ihr in die Welt sendet, ist abzulesen, wofür ihr steht. Ein schönes Bild ist das, finde ich. Das Zusammenleben in der Gemeinde als ein Brief, den andere öffnen und lesen können. Vielleicht kann ich selber auch für andere ein Brief sein. Ein Mensch, dem andere abspüren können, wofür er steht. Was ihm wichtig ist. Und am liebsten bin ich das mit einer guten Nachricht: Du bist für mich wertvoll. Manchmal bin ich vielleicht auch ein Mahnschreiben. Aber ich möchte möglichst selten als vernichtendes Urteil wahrgenommen werden.

Dass die Mitmenschen um mich herum mich wie einen Brief lesen können, der eine gute, eine hilfreiche Nachricht übermittelt, das wünsche ich mir. Etwas von dem, was mich zu einem Brief Christi machen könnte, ist hoffentlich auch dabei. Weil es mir wichtig ist, etwas von seiner Botschaft der Menschenfreundlichkeit Gottes in die Welt und unter die Menschen zu bringen. Und wenn nicht als Brief, dann gerne als Mail oder Tweet oder als Wort zum Tag!

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22MRZ2024
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„Erkenne dich selbst!“ Dieser Satz ist am Apollon-Tempel im griechischen Delphi zu lesen. Wer sich in der Antike zur Befragung des berühmten Orakels aufgemacht hat, konnte ihm nicht entgehen. Vor kurzem war ich zum ersten Mal selbst in Delphi. Ich gebe zu: Eine gewisse Ehrfurcht hat mich an diesem Ort schon ergriffen. Delphi war für die Menschen damals schon ein ganz besonderer Ort. Hier wollten viele die Antwort auf die entscheidenden Fragen ihres Lebens finden.

Der Satz über dem Eingang in den Tempel macht klar: Die Antworten des Orakels entspringen nicht einfach irgendeiner willkürlichen Einsicht. Wohl auch nicht den heißen Wasserdämpfen, die die Priesterin in eine Art Trance versetzt haben sollen. Sie spiegeln die Überzeugung wider, dass diejenigen, die dem Orakel eine Frage gestellt haben, die Antwort in sich selbst finden können. Die eigentliche Aufgabe beim Entschlüsseln bestand darin, in der Beschäftigung mit sich selbst den Sinn der Antwort zu verstehen.

Die Überzeugung, dass die Lösung eines Problems in mir selbst liegt, ist also nicht neu. Manchmal bin ich aber auch etwas ratlos, wenn mich jemand zu schnell darauf verweist, dass die Antworten auf meine Fragen doch in mir selbst zu finden seien. Sicher - wenn ich versuche, meine Gefühle, meine Reaktionsweisen zu verstehen, kommen meine Prägungen, meine Erfahrungen, meine Überzeugungen ins Spiel. Aber manchmal stoße ich da auch an eine Grenze. Vor allem dann, wenn ich ganz grundsätzliche Fragen stelle. „Woher komme ich? Und wohin geht die Reise meines Lebens? Was ist der Sinn meines Daseins?“ Hier werde ich in mir alleine nicht fündig. Jedenfalls nicht so, dass ich mit der Antwort dann auch zufrieden bin. Deshalb hilft mir hier ein Satz des Apostels Paulus weiter. Der schreibt einmal: „Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke. Aber irgendwann werde ich vollständig erkennen, so wie Gott mich schon jetzt vollständig erkannt hat.“ (1. Korinther 13,12) Ich bin also längst erkannt. Erkannt durch Gott, der mich durch und durch kennt. Besser als ich mich selbst. Das entlastet mich. Ich bin erkannt, wertgeschätzt - bei Gott. Für mich selbst stelle ich der Aufforderung, mich selbst zu erkennen, noch einen weiteren Satz zur Seite, nämlich: „Weil ich längst erkannt bin!“ Mit dieser Überzeugung mache ich mich dann auch gerne auf die Suche nach den Antworten, die in mir liegen.

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21MRZ2024
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Der Frühling ist die Lieblingsjahreszeit Gottes! Da bin ich mir ziemlich sicher. Die Schöpfung wird neu - unübersehbar und kraftvoll. Der Frühling ist auf jeden Fall meine Lieblingsjahreszeit. Gestern hat sie auch im astronomischen Kalender wieder begonnen. Mit einem Mal sprosst es überall hellgrün. Wie ein Flaum. Dann mit immer kräftiger werdendem, dunklerem Grünton. Im Garten vor dem Fenster wachsen Krokusse, Narzissen und Tulpen und überziehen die Erde mit Farbe. Ein Satz aus der Bibel fällt mir dazu ein. Ein Prophet gibt ihn im Auftrag Gottes an seine Mitmenschen weiter: „Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“ (Jesaja 43,1+19)

Was ich besonders mit dem Frühling verbinde, ist sein Licht. Licht – das Werk des ersten Tages schon bei der biblischen Urerzählung der Schöpfung. Jeden Tag ist es einige Minuten länger da. Das hat dem Frühling einen weiteren Namen gegeben. Aus dem mittelalterlichen Wort für „lang“ - lang für die längeren Tage - hat sich der Name Lenz entwickelt. Dieser Name wird manchmal dafür verwendet, das Alter eines Menschen anzugeben. Ein schöner Brauch, finde ich, das Lebensalter nach den Frühlingsanfängen zu zählen. Man zählt nicht die Sommer, die Herbste oder die Winter eines Lebens. Sondern die Lenze! Und sagt dann: Er oder sie ist soundsoviele Lenze alt. Eine Zählweise, die auch in übertragenem Sinn ihr Recht hat. Denn jedes Leben setzt sich aus einer Kette von Neuanfängen zusammen. Und immer ist eine Ahnung da, dass die Welt auf Dauer nicht so bleiben wird, wie sie sich derzeit darstellt. Die Erfahrung der Schöpfung, die immer wieder neu aufleuchtet, ist eines der stärksten Hoffnungsbilder für die Welt. Ein unübersehbarer Widerspruch gegen alles, was mich sorgenvoll stimmt, wenn ich an die Zukunft denke. Von einem Historiker habe ich unlängst den Satz gehört: „Die Geschichte der Welt ist eine Abfolge von Kriegen.“ Ich denke: Genauso könnte man behaupten: Die Geschichte der Welt ist eine Kette von Neuschöpfungen. Manchmal gegen alle Vernunft. Und gegen allen Augenschein.

Dass die Lichtfenster am Tag länger werden, darauf warte ich. Und dass Gott seiner Schöpfung noch viele Lenze gönnt. Darauf vertraue ich. Wenn denn der Frühling schon Gottes Lieblingsjahreszeit ist.

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20MRZ2024
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Heute ist Frühlingsanfang! Das Grün sprießt, den drohenden Spät-Frösten zum Trotz. Mir scheint: Jede Knospe lebt das Lob Gottes, der uns Menschen diese anmutige Zeit des Frühlings geschenkt hat. Und jedes sprießende Grün ist auch ein Trost in schwierigen Zeiten. Gerade blühen die Mandelbäume, ein zartes Rosa färbt dann die Pfalz, und Tausende fahren hin, um sich an dieser Pracht zu erfreuen. Sie tun das auch, weil dieses Blütenmeer der Seele wohltut. Der jüdische Schriftsteller Schalom Ben-Chorin hat einmal gedichtet: Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt? Schalom Ben-Chorin beschreibt in dem Lied sehr drastisch den Schrecken, den die Welt abseits der Blütenmeere auch hat: Tausende zerstampft der Krieg. Er hat alles am eigenen Leib erlebt, in München geboren musste er zur Zeit der Nazidiktatur seine Heimat verlassen und fand Zuflucht in Israel. Freunde und Familienangehörige fanden dagegen im Holocaust den Tod. Doch er schließt sein Lied mit den Worten: Freunde, dass der Mandelzweig, sich in Blüten wiegt, bleibe uns ein Fingerzeig, wie das Leben siegt.

Einen Fingerzeig – den brauchen wir. Besonders und gerade in frostigen Zeiten. Nur mit intellektuellen Appellen allein werden wir Menschen nämlich nicht getröstet. Wir brauchen lebendige Bilder, Hoffnungszeichen, etwas, dass wir mit Leib und Seele spüren können. So wie Mandelblüten. Oder die zartgrünen Sprösslinge im Garten oder im Park.

Dass Grün uns Menschen guttut, besonders das Grün des Frühlings nach langer, kalter Winterzeit, das ist sogar wissenschaftlich bewiesen und für jeden Menschen unmittelbar erfahrbar. Wer gestresst ist, kann am besten zu einem Spaziergang im Frühlingswald aufbrechen. Manche meinen sogar, Frühlingsgrün hilft gegen Bluthochdruck. Doch den zarten kleinen Blüten gelingt noch mehr, als gestresste Menschen zu erden. Schalom Ben-Chorin hat das gewusst.

Es hat etwas Großartiges, dass es diesen frühlingszarten Boten gelingt, sogar gegen die Gewalt des Kriegs und des Schreckens aufzutrumpfen. Mag sein, dass die Stiefel über das Grün hinwegtrampeln. Aber sie werden es nicht schaffen, die Macht des Frühlings aufzuhalten, diese Zeichen der Liebe, seinen Blütensieg. Der Mandelzweig treibt, die Liebe bleibt. Jede Blüte ein Gottesgeschenk.

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19MRZ2024
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Seit einigen Jahren habe ich es mir angewöhnt, den Tag mit einem kleinen Ritual zu beginnen. Ich spreche ein Gebet und bitte für Menschen, die mir am Herzen liegen. Manchmal kommt mir auch ein Lied in den Sinn und ich singe aus voller Kehle und vollem Herzen. Ein singender, klingender Tagesbeginn.

Der Liederdichter Michael Weiße war ganz sicher auch ein Freund des singenden und klingenden Tagesbeginns. Sein Gebet ist uns unter der Nummer 438 im Evangelischen Gesangbuch überliefert, es heißt: „Der Tag bricht an und zeiget sich“.  Das Lied dankt zuerst für das Leben, kein selbstverständliches Ding, sondern ein großes Geschenk. Bei allem sollte der innere Schweinehund nicht das letzte Wort haben „das arge Fleisch so zwing und treib“ heißt das in der bildhaften Sprache des 16. Jahrhunderts. So, finde ich, kann ein guter Start in den Tag gelingen! Dankbar, vertrauensvoll, mutig und gesegnet. Außerdem füllen sich beim Singen die Lungen, das tut auch leiblich gut.

Wer war eigentlich Michael Weiße? Auf jeden Fall jemand, dem das Singen am Herzen lag. 1531 hat er das erste deutsche Gesangbuch der Böhmischen Brüder herausgegeben. Mit 157 Liedern war es das umfangreichste Gesangbuch der Reformation. Die Texte sind gesättigt mit reicher Lebenserfahrung, der Widerstände und Kämpfe, die dieser Mann auch um seines Glaubens willen durchgestanden hat. Ich stelle mir vor: Singend hat er sein Leben gemeistert, die Höhe- und die Tiefpunkte. Er fand für alles einen passenden Ton.

Auf dem Tag heute vor 490 Jahren lag dann leider kein Glück. Michael Weiße war zu einem Festmahl eingeladen. Aber der schöne Anlass endete tragisch. Die servierte Delikatesse war verdorben. Alle Gäste und auch der Gastgeber sind daran gestorben. Michael Weiße war noch keine 50 Jahre alt.

Die Menschen seiner Zeit haben der Endlichkeit des Lebens bewusster ins Auge geblickt als wir heute. Wenn sie um Segen für den Tag gebetet haben, dann war ihnen klar, dass sie nicht unbedingt den Abend erleben würden. „Was wir hier verweslich sä'n, wird einst unverweslich auferstehn“ hatte Michael Weiße einmal gedichtet. Ich hoffe, dass er in dieser Gewissheit auch sterben konnte. Dankbar, vertrauensvoll, mutig und mit dem Gefühl, dass er ein zwar kurzes, aber doch gesegnetes Leben leben durfte.

Überlebt haben Michael Weiße, ganz sicher, seine Lieder, seine Unterstützung für einen guten Start in den Morgen! Und: ist nicht jeder Morgen eine kleine Auferstehung?

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18MRZ2024
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Jesus ist ein sehr treuer Freund gewesen. Er hat sich – so lese ich die Bibel – noch nicht einmal von Judas distanziert. Einen solch treuen Freund wie Jesus wünscht sich wohl jeder Mensch. Doch manchmal kommt es für uns Sterbliche darauf an, sich auch von einer Freundschaft verabschieden zu können.

Wenn ich in dieser Passionszeit darüber nachdenke, was ich in meinem Leben bewahren und was lassen sollte, dann darf ich auch meine Freundschaften in diese Überlegungen mit einbeziehen. Womöglich letztlich zu der Entscheidung kommen, dass manche dieser Freundschaften ihre Zeit gehabt haben. Freundschaften waren mir alle einmal wichtig. Aber das ist keine Garantie auf lebenslange Dauer. Manchmal ist es so, dass wir Freunde das gemeinsame Gespräch vernachlässigt haben. Wir sind uns fremd geworden, die Freundschaft hat ihre Zeit gehabt. Das schmälert keineswegs den Wert der Zeit, die wir gemeinsam verbracht haben. Die kann wunderbar gewesen sein, und das möchte ich auch bewahren, das darf und kann in meiner Erinnerung bleiben. Doch zur Ehrlichkeit gehört, dass ich zugebe: Heute stimmt das Wort „Freundschaft“ nicht mehr.

Klar, man kann auch so tun, als ob sich nichts verändert hätte. Ich merke, dass mir das nicht guttut. Entweder offen kommuniziert oder als Entscheidung meines Herzens: Ich brauche Klarheit. Es fühlt sich falsch an, so zu tun als ob.

Leicht fällt eine solche Entscheidung meistens nicht. Sie will wohlüberlegt sein. Dabei kann mir dann Jesus - vielleicht überraschenderweise für einen so treuen Freund – durchaus helfen. Denn er empfiehlt seinen Jüngern, den Staub von den Füßen zu schütteln, wenn sie als seine Botschafter von Menschen abgelehnt werden. Staub abschütteln ist eine Zeichenhandlung. Es soll im neuen Lebensabschnitt nichts zurückbleiben, was verletzt, nicht einmal ein Staubkorn. Das finde ich hilfreich. Ich möchte friedlich Abschied nehmen von Freundschaften, die sich überlebt haben. Da soll kein Groll übrigbleiben, keine enttäuschten Erwartungen, keine Anrufe, die nur aus Pflichtgefühl geschehen und nicht aus Zuneigung und ehrlichem Interesse.

Für mich ist das eine wichtige Anregung in dieser Passionszeit – und eine große Herausforderung. Zu überlegen, welche Freundschaften ihre Zeit hatten. Wie auch immer ich das mit dem Staub abschütteln konkret gestalten mag.

Ich könnte anfangen, einen neuen Geburtstagskalender zu gestalten.

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