Zeige Beiträge 1 bis 10 von 5223 »
Mitten auf dem Gelände der Bundesgartenschau in Mannheim steht ein 60 Meter langer Tisch. Und drum herum 193 bunt bemalte Stühle[1].
Die Kunstaktion heißt "Tisch der Nationen", und die Stühle stehen stellvertretend für die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Die Initiatoren der Kunstaktion möchten mit dem „Tisch der Nationen“ ein Mahnmal für den Frieden setzen. Und sie laden die Besucherinnen und Besucher ein, an dem Tisch ein wenig zu verschnaufen, zu vespern, mit anderen zusammenzusitzen und gerne auch mit Fremden ins Gespräch zu kommen.
Jeder Stuhl ist ein Unikat und ist – passend zur Nation, für die er steht – mit Farben und Symbolen des Landes bemalt.
Ein Stuhl hat oben auf der Lehne eine Krone. Auf der Sitzfläche ist eine Uhr gemalt, die 4 Uhr anzeigt. Und mir ist sofort klar: der Stuhl steht für England und die Tea-time am Nachmittag. Daneben steht ein grüner Stuhl, den man auch in einem Pub in Irland finden könnte, und der daran erinnert, wie schön es ist, zusammen zu sitzen, zu reden, Musik zu machen und zu feiern.
Der Stuhl, der für Afghanistan steht, ist mit Stoff bespannt, auf den zwei Bilder gedruckt sind. Auf dem einen sind farbenfrohe Gewürze in kleinen Schälchen zu sehen, auf dem anderen zwei verschleierte Frauen. Die Künstlerin hat dem Stuhl die Überschrift gegeben: zwischen Genuss und Vorschrift. In was für einer Spannung die Menschen dort leben. Der Stuhl lässt mich nachdenklich zurück.
Genauso wie der nächste. Auf die Sitzfläche ist ein großes Fragezeichen gemalt. Drumherum ist alles in gelb-blau, den Farben der Ukraine. Der Künstler schreibt dazu: Der Stuhl dieses Landes stellt viele Fragen. Was rechtfertigt einen Krieg? Was ist wirklicher Frieden? Und vor allem, wie gehe ich mit meiner Angst um? Der Stuhl gibt keine Antwort. Aber der Künstler ist überzeugt: Antworten können wir finden, wenn wir zusammensitzen und miteinander sprechen.
Menschen, die aus allen Himmelsrichtungen zusammenkommen und friedlich an einem Tisch sitzen – so wie bei der Bundesgartenschau in Mannheim - das erinnert mich an das Hoffnungsbild, von dem Jesus im Lukasevangelium erzählt. Er sagt: „Alle Menschen werden von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen.“ (Lk 13,29)
Vom Frieden unter den Völkern und Religionen sind wir leider weit entfernt. Aber so viele sehnen sich danach. Daran erinnert mich der biblische Text und der „Tisch der Nationen“.
[1]https://stuhlprojekt.kunsthandwerk.de/
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37726Wie gelingt es, sich gut zu verabschieden? Ein ganz lieber und erfahrener Kollege hat es mir gezeigt. Er heißt Helmut, und im entscheidenden Abschiedsmoment stehe ich mit ihm unter der Haustür bei unserem Büro. Helmut und ich waren ein gutes Team, aber ich nehme eine neue Stelle an, und der Abschied von meinem Kollegen fällt mir schwer.
Das letzte Tschüss ist gesagt und ich will gerade losgehen, da fängt es auf einmal an, wie aus Kübeln zu schütten. Helmut zeigt nach oben und sagt voller Inbrunst: „Der Himmel weint, weil du gehst.“ Dabei schaut er mich liebevoll und ein bisschen schelmisch an.
Für mich war das ein echter Gänsehautmoment. Mein Kollege hat so charmant auf den Punkt gebracht, wie er zu mir steht, dass sich in dem Moment irgendwie auch bei mir etwas gelöst hat. Mein eigener Abschied von der alten Stelle ist da erst richtig möglich und irgendwie auch gut geworden. Es hat sich fast so angefühlt, als hätte mir mein Kollege da mitten im Platzregen so eine Art persönlichen Abschiedssegen mit auf den Weg gegeben.
Abschiede sind meist traurig, weil ich ein Stück meines Lebens loslasse. Oder einen Ort, an dem ich mich zu Hause gefühlt habe. Oder einen Menschen. Oder eine Art zu leben, die schön für mich war, aber die jetzt einfach nicht mehr passt.
Aber gleichzeitig sind Abschiede wichtig. Wenn ich mich in aller Ruhe verabschieden kann, auch mit allem, was in mir drin los ist, kann ich auf das Neue, das kommt, leichter zugehen und mich offener darauf einlassen. So wie bei Helmut und mir.
Nicht umsonst gibt es unter Christen die Tradition des Abschiedssegens. Ich denke an die Irischen Segenswünsche. Da heißt es zum Beispiel: „Möge Gott auf dem Weg, den du gehst, vor dir hereilen. Mögest du immer Rückenwind haben. Möge dir die Sonne warm ins Gesicht scheinen und sanft auf deine Felder fallen. Gott halte dich in seiner schützenden Hand, bis wir uns wiedersehen. Gott sei mit dir und segne dich.“
Diese Irischen Segenswünsche haben für mich so etwas von einem zuversichtlichen Wegschicken. Da kann jemand den anderen zuversichtlich gehen lassen.
Mein Kollege Helmut hat mir gezeigt, wie Abschiednehmen gut funktionieren kann. Bei ihm habe ich auch als diejenige, die geht, viel Zuversicht mitgenommen. „Der Himmel weint, weil du gehst.“ Damit hat mir Helmut ein bisschen sein Herz aufgemacht und mich dennoch einfach ziehen lassen. Das hat mir gut getan, so wie ein echter Segen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37733Weg vom Odenwald und hinein in die weite schöne Welt. Das war lange Zeit die Devise von IT-Fachmann Joar Berge. Er hat viele Jahre ein abwechslungsreiches und wohlhabendes Leben geführt. Joar Berge konnte nach Herzenslust feiern, reisen und vom Strand an der Côte d’ Azur aus arbeiten. Aber irgendwann hat er gemerkt, dass er sich noch was anderes im Leben wünscht als Sonne, Strand oder Partys. Joar Berge sagt: „Ich bereue mein früheres Leben nicht, aber plötzlich hab ich gemerkt, dass mir was fehlt: Kühe!“
Kühe kennt Joar aus seiner Kindheit auf dem Land im Odenwald zur Genüge. Und Joar hat sich erinnert, wie verschmust Kühe sein können. Und dann hat er sein Leben komplett umgekrempelt. Er ist von der französischen Riviera zurück in den Odenwald gezogen, weil da, wie er sagt, die Lebensbedingungen für Kühe besser sind.
Aber das war nur der erste Schritt. Joar erklärt: „Zuerst hab ich gedacht, ich könnte so eine Art ‚Kuhbaden‘ anbieten, also Kuscheln mit Kühen. Für gestresste Manager zum Beispiel.“
Aber die Idee hat Joar Berge wieder verworfen und stattdessen einen Gnadenhof für Kühe gegründet. Den betreibt er jetzt zusammen mit einem Team von Ehrenamtlichen. Heute nennt er seinen Bauernhof ‚Lebenshof‘, und inzwischen leben da nicht nur Kühe, sondern auch Hühner, Schweine und Hasen.
Tiere müssen auf dem Lebenshof nichts ‚leisten‘, die Kühe müssen nicht einmal Milch geben. Jedes Tier darf einfach nur da sein. Joar sagt: „Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst. Für alle, für Tiere und Menschen, für jede Kreatur.“
Ich gebe zu: ich trinke Milch und genieße schon auch gerne mal Fleisch. Und ich weiß: solange Menschen Fleisch essen, werden Tiere geschlachtet. Trotzdem bewundere ich Joar für das, was er macht. Denn er macht das, was zu ihm passt und was für ihn sinnvoll ist – und tut dabei sich selbst und anderen Gutes. Joar Berge ermöglicht Leben.
Joar ist sich bewusst, dass er nicht allen helfen kann. Er sagt: „Es geht nicht darum, die ganze Welt zu retten. Aber diesen Tieren hier, denen kann ich helfen. Und das ist gut so.“
An einer Stelle in der Bibel spricht Jesus vom „Leben in Fülle“ und sagt: „ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“[1] Was Joar Berge auf seinem Lebenshof macht, hat für mich viel mit so einem „Leben in Fülle“ zu tun. Weil er so vielfältiges Leben ermöglicht. Für die geretteten Tiere und gleichzeitig auch für sich selbst.
[1] Joh 10, 10.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37732Neulich ist es mal wieder passiert. Ich sitze in der S-Bahn, vertieft in irgendeine Sache, – und ein Mann stellt sich neben mich. Schäbig gekleidet, stumm, in der Hand ein Schild: „Habe Hunger, bitte helfen Sie mir.“
Ich weiß: In Zügen darf man nicht um Geld bitten. Und deshalb soll man auch nicht darauf eingehen. Manchmal kommt das sogar per Durchsage. Und diese Regel ist wahrscheinlich vernünftig. Mit einzelnen Münzen bekämpft man nicht die Ursachen von Armut. Es gibt ja andere Hilfsangebote durch den Staat oder auch die Kirchen. Und oft sind Leute auch nicht von sich aus unterwegs, sondern im Auftrag irgendwelcher anderer – und müssen oben abliefern, was sie bekommen.
Alles vernünftige Argumente. Stimmt alles. Aber in diesem Moment stand eben dieser eine Mensch neben mir. Und hatte mich konkret um Unterstützung gebeten. Und ich bin reich, habe genügend Geld. Soll ich jetzt lang und breit erklären, warum ich nichts gebe? „Was würde wohl Jesus tun?“ Ich bin natürlich nicht Jesus, aber als Christ doch mit ihm verbunden. Aus der Nummer komme ich also nicht raus.
Ich glaube: In solchen Situationen mache ich so oder so Fehler. Weil ich mich für irgendwas entscheiden muss. Und egal, wie – ich werde dem Menschen da vor mir und dem Gesamtzusammenhang nie komplett gerecht. Das will ich mir eingestehen.
Dazu gehört für mich, dass ich Leuten ins Gesicht schaue, die mich um Geld bitten. Nach Möglichkeit auch zuhöre, ein paar Worte wechsle. Weil sie Menschen sind, nicht irgendein moralisches Problem. Und weil ich ihnen auf Augenhöhe begegnen will, wenn wir schon so unterschiedlich viel haben.
In der einen Situation in der S-Bahn damals habe ich dem Mann dann etwas von meinem Proviant zu essen angeboten. Auch das ist natürlich keine richtige Lösung. Sondern kann bevormundend wirken – so, als ob ich schon genau wüsste, was mein Gegenüber braucht und was nicht. Für mich war es ein möglicher Weg in dem Moment. Und ich kann diese Entscheidungen ja immer nur für den Moment treffen.
Wann passiert es das nächste Mal? Und was tue ich dann? Ich weiß es nicht. Aber mich der Entscheidung stellen, das will ich.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37688Das Schawuot-Fest ist ein Fest der Erstlingsfrüchte und ein Erntedankfest. Nur diese Aspekte eines naturverbundenen Festes werden in der Tora erwähnt. Der Talmud, die nachbiblische jüdische Tradition, geht davon aus, dass dieses Fest auch eine heilsgeschichtliche Bedeutung hat, nämlich das Gedenken an die Offenbarung der Zehn Gebote der Tora. Im Laufe der jüdischen Geschichte wurden die Israeliten aus ihrem Land vertrieben. Ihre Fluchtwege führten sie in fast alle Länder der Erde.... So verblasste in der Erinnerung der Menschen die Landwirtschaft des Heiligen Landes und rückte schließlich in weite Ferne. Gleichzeitig wurden die heilsgeschichtliche Bedeutung und die ethisch-monotheistischen Inhalte der Heiligen Schrift vertieft. All dies wirkte sich verstärkend auf das große volksgeschichtliche Erlebnis aus: die kollektive Annahme des Dekalogs, der Tora am Sinai an Schawuot. Diese Annahme verpflichtete die Vorfahren, die Lehren der Gebote an die Völker weiterzugeben.
Auffallend an diesem Fest ist, dass der spirituelle Inhalt, die Zeremonien, die zeremonielle Kunst des Festes in den Hintergrund gedrängt werden. Jedes Fest hat eine verbindliche Symbolik. Jedoch an Schawuot gibt es kein äußeres symbolisches Zeichen dafür, dass wir an diesem Tag zu Trägern und Verkündern der Lehre G-ttes, der Tora, geworden sind. Die Arbeitsruhe am Schawuot ist fast das einzige äußerlich sichtbare Merkmal dieses Festes. Allerdings ist es üblich, die Synagogen und die Häuser mit frischem, grünem Laub zu schmücken. Dies weist jedoch eher auf den naturbezogenen, klassischen Inhalt des Festes hin.
Seit dem 14. Jahrhundert war es üblich geworden, in der ersten Nacht von Schawuot wach zu bleiben, um Lernvorträge aus den Werken der Bibel und der traditionellen Literatur zu halten, sie zu kommentieren und zu erläutern.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37737Einem Menschen richtig zuhören – das ist ganz schön herausfordernd.
Klar, auf ein paar Dinge habe ich auch bisher schon geachtet. Dass ich zum Beispiel darauf verzichte, vorschnell „Kenne ich“ zu sagen, wenn mir jemand von sich erzählt. Ich will das Gespräch ja nicht auf mich lenken, sondern meinem Gegenüber genügend Raum lassen. So weit war ich schon.
Aber was ich schon normalerweise mache beim Zuhören: Dem anderen signalisieren, dass ich ihm folgen kann. Etwa mit einem „Ja, verstehe“ oder nur mit einem „Mhmmm“. Oder ich nicke, ändere meine Mimik – reagiere also ohne Worte auf das, was ich da höre.
Es gibt einen Psychotherapeuten, der schlägt vor, es radikal anders zu machen. Im so genannten „Zwiegespräch“ [Michael Lukas Moeller, Die Wahrheit beginnt zu zweit. Das Paar im Gespräch, Reinbek bei Hamburg 1990] erzählt der eine, wie es ihm gerade persönlich geht, – und der andere hört tatsächlich einfach nur zu. Reagiert also bewusst gar nicht, weder mit Worten noch irgendwie sonst. Und das nach Möglichkeit eine ganze Viertelstunde lang. Zu Beginn reichen natürlich auch schon mal fünf Minuten.
Meine Frau und ich haben das jetzt ein paar Mal ausprobiert. Für mich war es erst mal irritierend, auf diese Weise zuzuhören. Und ich bin mir richtig unhöflich vorgekommen, so gar nicht auf das Gehörte einzugehen. Weil ich es doch sonst ganz anders gewohnt bin.
Auch als wir die Rollen getauscht haben, musste ich erst mal warm werden mit der neuen Situation. Schon fünf Minuten sind ganz schön lang, wenn man sie völlig alleine füllen soll, durch überhaupt nichts unterbrochen wird. Gibt es so viel zu erzählen von mir, bin ich so wichtig? Ab und zu ist mir einfach nichts mehr eingefallen, so dass es plötzlich ganz still war.
… aber dann habe ich eben einfach gesagt, was ich gerade denke. So banal mir das erst mal vorkam. Und – auch das ist in Ordnung im Zwiegespräch. Mit der Zeit hat es sich ganz befreiend angefühlt, so viel Raum zu haben. Und mir ist immer mehr eingefallen. Ich konnte ganz bei mir sein – und mich gerade damit einem anderen Menschen zeigen.
Diese Erfahrung will ich auch anderen Menschen ermöglichen. Und ihnen noch mehr Raum lassen beim Zuhören. Mal sehen, was dann passiert.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37687Seit einigen Monaten arbeite ich als Klinikseelsorger im Krankenhaus. Das heißt: An jedem Arbeitstag erlebe ich Menschen in ihrem Umgang mit Krankheit und Krise – Patienten und auch ihre Angehörigen. Ich bin da immer noch am Anfang, viele Erfahrungen fehlen mir bis jetzt. Aber eine Beobachtung mache ich immer wieder:
Es gibt Menschen, die richten ihre Aufmerksamkeit in der Krankheit stark nach außen – und suchen dort nach Halt. Sie fragen zum Beispiel sehr entschieden nach Untersuchungsergebnissen und Diagnosen, möchten alles ganz genau wissen. Manchmal fragen sie auch noch bei anderen Experten nach, hören sich im Bekanntenkreis um, recherchieren im Internet.
Das alles kann ich gut verstehen. Es ist auch wichtig, in einer Krankheit gut Bescheid zu wissen. Aber manchmal bekomme ich den Eindruck: Man kann sich da auch verlieren, rastlos werden vor lauter Recherche: „Habe ich auch nichts übersehen? Gibt es irgendwo noch eine wichtige Info? Eine neue Behandlungsmethode …“ Ja keine Chance fürs weitere Leben übersehen zu wollen, das kann zermürbend sein. Denn das, was von außen auf einen zukommt, ändert sich ja ständig wieder.
Und dann erlebe ich Menschen, die strahlen in aller Unsicherheit doch Ruhe aus. Die scheinen zu wissen, wer sie selber sind, was sie wollen, was sie noch grundsätzlich klären möchten. Auch ihnen macht die Krankheit zu schaffen, klar, auch für sie ist das eine Krise. Aber das Geschehen um sie herum fügt sich sozusagen ein in ihr bisheriges Leben, und sie gehen ihren persönlichen Weg mutig weiter.
Mich beeindruckt das. Und wenn ich solchen Menschen begegne, bringt mich das als Seelsorger auch selbst weiter. Ich spüre da Kraft von innen. Über die kommen wir oft auch ins Gespräch – und über die persönliche Lebenshaltung, den Glauben, die Zweifel. Und all das hat tiefe Bedeutung.
Zu sich selbst finden, zur eigenen Mitte, auch zu Gott – manchen Menschen gelingt das tatsächlich mitten in der Krankheit. Die kann ja ein Anlass sein, wichtige Dinge endlich anzugehen. Aber womöglich geht es ja auch vorher schon, ganz ohne äußere Krise. Ich will immer wieder fragen, was mir im Leben wichtig ist, wo ich hinwill. Dann bin ich besser vorbereitet, wenn sich Dinge um mich herum ändern. Und ich habe Kraft dafür.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37686Zu unserer Familie gehört seit einiger Zeit auch eine Schildkröte. Immerhin 20 Jahre hat die schon auf ihrem Buckel – halb so viele wie ich. Und ich lerne ganz viel von diesem kleinen Geschöpf. Vor allem, wie Gelassenheit geht.
Ich kenne kaum ein anderes Tier, das sich so langsam bewegt wie unsere Schildkröte. Manchmal bleibt sie stundenlang reglos an derselben Stelle, komplett im Panzer oder den Kopf stur nach vorne gerichtet. Und wenn sie sich dann doch mal in Gang setzt mit ihren kleinen Beinchen, geht das atemberaubend langsam. Aber ihr Ziel hat sie fest im Blick, unsere Schildkröte. Und sie kommt hin. Auch mal über größere Hindernisse. Deshalb ist es wichtig, das Gehege gut zu sichern …
Ich wünsche mir das auch. Die Fähigkeit, mal ganz langsam zu machen, – und doch fest zu wissen: Nichts hält mich auf. Ich komme an mein Ziel. Vielleicht beginnt das ja damit, unsere Schildkröte mal länger zu beobachten. Mir auf diese Weise etwas abzuschauen von ihrer beharrlichen Kraft.
Und dann ist da noch etwas: Jedes Jahr irgendwann im Herbst bereitet sich unsere Schildkröte auf die Winterstarre vor. So warm die Sonnenstrahlen auch noch sind – sie spürt genau: Es ist Zeit, sich zurückzuziehen. Dann gräbt sie sich nach und nach ein. Im Zeitlupentempo, versteht sich, aber eben doch ganz zielstrebig. Sie fährt ihren Herzschlag, den Atem und alle Stoffwechselfunktionen ganz weit herunter, überlässt sich komplett dem Lauf der Natur. Und dann bleibt sie für viele Wochen und Monate völlig verschwunden.
Das von außen mitzuerleben, ist gar nicht so einfach. Uns fehlt da manchmal die Gelassenheit. Müssen wir noch was für sie tun? Ist es auch nicht zu kalt für sie da im Boden? Wacht sie wirklich wieder auf? Letztes Mal mussten wir sie auch noch umziehen mittendrin, in unseren neuen Garten. Aber dann, eines Tages im März, kam sie. Ganz selbstverständlich und gelassen.
Mit ihrer Lebenshaltung haben Schildkröten es weit gebracht. Schon vor den Dinosauriern gab es sie – und überlebt haben sie die auch. „Wenn ihr Ruhe bewahrt und Vertrauen habt, seid ihr stark.“ [Jesaja 30,15] Dieser alte Satz steht in der Bibel. Aber er könnte glatt auch von unserer Schildkröte kommen. Ein Rat, von ihr zu lernen, ist er auf jeden Fall. Zum Beispiel genau heute – am Weltschildkrötentag.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37685Seit 50 Jahren gibt es in Deutschland die Sesamstraße. Immer dabei: die beiden Kult-Handpuppen Ernie und Bert. Mein absoluter Lieblings-Sketch mit den beiden, der zeigt so ganz nebenbei, wie man Probleme aus dem Weg räumen kann – oder eben nicht.
Ernie und Bert legen sich abends schlafen, wünschen sich Gute Nacht. Aber dann tropft der Wasserhahn – und Bert beschwert sich. „Ich bring’ das für dich in Ordnung“, verspricht Ernie. Und macht kurzerhand das Radio an – so dass der Wasserhahn nicht mehr zu hören ist. Bert ist spürbar unzufrieden mit dieser vermeintlichen Lösung. Schlafen kann er immer noch nicht – und meckert jetzt über das Radio. Woraufhin Ernie zuvorkommend auch noch den Staubsauger einschaltet. Der ist so ohrenbetäubend laut, dass er das Radio übertönt, und den Wasserhahn gleich mit dazu …
Ich schmunzle immer noch, wenn ich das anschaue. Und gleichzeitig fühle ich mich ertappt. Weil ich es mit echten Problemen manchmal ganz ähnlich mache wie Ernie. Ich übertöne das Problem, lenke ab und gehe der eigentlichen Ursache aus dem Weg. Damit verschiebe ich das Problem aber nur. Oder mache es sogar noch größer.
Zum Beispiel, wenn ich mit jemandem zusammenarbeiten soll, der vollkommen anders tickt als ich. Da passieren immer wieder anstrengende Missverständnisse, die uns beiden zu schaffen machen. Ich müsste den Mut aufbringen und die Ursache direkt ansprechen. Stattdessen mache ich lieber das Radio an und den Staubsauger – schimpfe innerlich über mein Gegenüber oder gehe ihm einfach aus dem Weg. Stattdessen sollte ich lieber das Problem an der Wurzel packen. „Lasst unter euch nicht eine Wurzel aufwachsen, die Gift und Bitterkeit hervorbringt“, heißt es mal in der Bibel [5. Mose 29,17b; Luther-Übersetzung, angepasst].
Der Sesamstraßen-Sketch mit Ernie und Bert hilft mir, das immer wieder zu tun. Und auch genügend Humor zu haben, wenn ich doch mal wieder andere Lösungen versuche. Manchmal steckt das eigentliche Problem ja einfach zu tief – oder man will einfach nicht ran im Moment.
Übrigens schafft es am Schluss auch der vernünftige Bert nicht, für Ruhe zu sorgen. Als er Staubsauger, Radio und Wasserhahn gewissenhaft abgestellt hat, ist Ernie eingeschlafen – und schnarcht.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37684Hundertprozentig an Gott zu glauben – jeden Tag, in jeder Lebenslage, absolut. Das schafft niemand. Ich spüre deutlich, wie es in meinem Glauben ein Auf und Ab gibt. Mal ist mein Vertrauen groß, und ich bin mir ziemlich sicher, dass Gott die Welt gut gemacht hat und mich irgendwie schützen wird. Dann gibt es aber auch Zeiten der Verunsicherung, wo ich mir alles andere als sicher bin. Ganz besonders erschüttert es mich, wenn Verantwortliche in der Kirche Vertrauen missbrauchen. Und ich das als Repräsentant meiner Kirche dann mitzuverantworten habe, quasi in Sippenhaft genommen werde. Ich verstehe das zwar, aber es tut mir schon weh, wenn dann auch das Vertrauen darunter leidet, das mir andere normalerweise entgegenbringen. Vertrauen und Glauben hängen dabei unmittelbar zusammen. Erst recht dort, wo es darum geht, Menschen davon zu überzeugen, dass Gott es gut mit uns meint. So einfach ist das, und zugleich so bitter.
Dann gibt es noch etwas anderes, das meinen Glauben ins Wanken bringt. Das geschieht immer dort, wo ich die Kontrolle verliere. Wenn jemand schlecht von mir denkt und spricht. Wenn mein Körper nicht das macht, was ich will. Wenn an einem Tag alles anders läuft, als ich es geplant hatte. Mir ist schon klar, dass es eine Illusion ist anzunehmen, ich könnte in meinem Leben alles kontrollieren. Das geht nicht, und ich soll es auch nicht, weil es mir und anderen die Luft zu atmen nimmt. Aber eine starke Kraft in mir will trotzdem die Kontrolle behalten. Und es ist enorm schwer, diesen Zwang abzuschütteln. Ich habe mich gefragt, woher das kommt. Haben das meine Eltern in mir angelegt? Ist es eine genetische Veranlagung? Offenbar will ich mich schützen, indem ich die Kontrolle möglichst gut behalte. Wenn das aber nicht mehr funktioniert, dann spüre ich um so mehr, wie zerbrechlich mein Leben ist. Und: Ich schäme mich ein bisschen, weil es auch zeigt, wie schwer es mir fällt, mich Gott bedingungslos anzuvertrauen, letztlich an ihn zu glauben.
Glaube und Gottvertrauen kann man nicht machen. Sie entstehen nicht, indem man einen Schalter umlegt. Und ich … kann nicht aus meiner Haut. Ich muss mit den Gegebenheiten leben, wie sie sind. Was ich aber üben kann: geduldig sein und loslassen. Beides führt zu Gott.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37656Zeige Beiträge 1 bis 10 von 5223 »