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Gar nicht so leicht, in knapp drei Minuten etwas dazu zu sagen, warum der Sonntag heute Trinitatis heißt und was ihn so besonders macht. Aber bevor ich Ihnen jetzt einen Mini-Vortrag über die Dreieinigkeit halte, male ich ihnen lieber ein Bild.

Darauf ist zu sehen: Zuallererst: Die Sonne. Es gibt sie in unserem Sonnensystem nur einmal. Sie ist der Fixstern, die Mitte unseres Universums, um die sich alles dreht. Die Sonne ist wie Gott: einzigartig. Ein Energiebündel, das durch unsichtbare Kräfte alles im Weltall auf rechten Bahnen lenkt. Wer direkt in die Sonne schaut, wird geblendet und muss die Augen zusammenkneifen. Kein Mensch erträgt ihren Anblick. Und niemand kann Gott sehen. Man müsste auf der Stelle vergehen.

Deshalb male ich zweitens der Sonne ein Gesicht. So ein großes, lachendes Kindergesicht: Punkt, Punkt, Komma, Strich. Und sage dazu: "Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesu Christ."  Jesus Christus ist die Sonnenseite Gottes, ein Mensch, in dem Gott mir sein Angesicht zuwendet und mir versichert: Ich wärme dich, aber ich verbrenne dich nicht. Mit Jesus bekommt Gott, der so unfassbar groß ist wie die Sonne, ein menschliches Gesicht und wendet sich mir freundlich zu.    

Drittens male ich der Sonne schließlich noch ganz viele Sonnenstrahlen hin. Die stehen für den Heiligen Geist. Denn der bringt es an den Tag: Blühen und Sprießen, Wachsen und Gedeihen. An manchen Tagen kann ich dabei regelrecht zuschauen: Wie die Sonnenstrahlen Keimlinge aus dem Boden ziehen, auf der Haut kitzeln, Sonnenblumen sich Richtung Sonne verrenken. Was mich berührt, mich Gottes Gegenwart spüren lässt und in Bewegung bringt, das schreibe ich dem Wirken des Heiligen Geistes zu. So wie in dieser Liedstrophe: „Du durchdringest alles, lass dein schönstes Lichte, Herr, berühren mein Gesichte. Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stille halten. Lass mich so, still und froh, deine Strahlen fassen und dich wirken lassen."

Geschafft! In knapp drei Minuten ein Bild von der Dreieinigkeit gemalt:  Gott ist wie die Sonne. Ein Gott, der für mich glüht in väterlicher Liebe, der mich anlacht in Jesus Christus, der mich Feuer und Flamme sein lässt durch den Heiligen Geist. Stell dich heute in ihr Licht!

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03JUN2023
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Heute ist Weltfahrrad-Tag. Für mich ist eigentlich immer Fahrrad-Tag. Um ins Büro zu kommen oder wenn ich einkaufen fahre, bin ich immer mit dem Rad unterwegs. Doch mein Fahrrad bringt mich nicht nur von A nach B. Fahrrad zu fahren hat für mich auch eine spirituelle Seite. Wenn ich auf dem Sattel sitze und in die Pedale trete, dann spüre ich mich selbst. Manchmal genieße ich es, manchmal auch nicht. Ich atme tief durch, merke, wie die Luft meine Lunge füllt und wie manche Gedanken, die mir hartnäckig durch den Kopf kreisen, beim Radfahren auf der Strecke bleiben.

Ich kenne beim Radfahren auch die Aufs und Abs. Da gibt es das mühsame Strampeln im kleinen Gang den Berg hinauf, bis ich dann doch absteigen muss, und da ist der herrliche Schwung, wenn es bergab geht und ich mich einfach nur rollen lassen kann. Wie im Leben und wie im Verhältnis zu Gott. Das ist auch nicht immer gleich.

Dass Glauben sich verändert und in Bewegung sein muss, hat auch die französische Schriftstellerin und Mystikerin Madeleine Delbrêl erfahren. Als Sozialarbeiterin in Ivry, einem Vorort von Paris, hat sie sich ab 1933 um Industrie-Arbeiter und ihre Familien gekümmert. Sie hat hautnah miterlebt, wie herausfordernd das Leben sein kann.

In lyrischen Texten hat Madeleine ihre Gedanken und Erfahrungen aufgeschrieben. Da sie begeisterte Radfahrerin war, gibt es auch einen Text, den sie mit „Fahrrad-Spiritualität“ überschrieben hat. In diesem Text spricht sie Gott direkt an. Sie schreibt:

 

„Immer weiter!“, sagst du zu uns.
Um die Richtung auf dich zu behalten, müssen wir immer weitergehen,
selbst wenn unsere Trägheit verweilen möchte.

Du hast dir für uns ein seltsames Gleichgewicht ausgedacht,
ein Gleichgewicht, in das man nicht hineinkommt und das man nicht halten kann,
es sei denn in der Bewegung, im schwungvollen Voran.

Es ist wie mit einem Fahrrad,
das sich nur aufrecht hält, wenn es fährt.“

Mich spricht das Bild an. Vorankommen kann ich nur, wenn ich in die Pedale trete. Wenn ich Energie in etwas stecke. Ich muss mich bewegen, auch, wenn es manches Mal schwer fällt. Gleichzeitig wird meine eigene Kraft nicht genügen, um im Gleichgewicht zu bleiben. Das hat auch Madeleine Delbrêl erfahren. Und deshalb bringt sie in ihrem Gedicht Gottes Liebe ins Spiel. Sie schreibt: „Wir können uns nur aufrecht halten, (…), wenn wir uns hineinwerfen in den Schwung deiner Liebe.“

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02JUN2023
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Ganz selbstverständlich zieht Kevin jeden Sonntag die blaue Jacke mit dem gelben Streifen und dem violetten Kreuz an. Kevin ist ehrenamtlicher Helfer bei der Heidelberger Bahnhofsmission und macht – wenn er nicht gerade am Bahnhof ist – eine Ausbildung zum Automechaniker.

Kennengelernt habe ich Kevin bei der Vorbereitung auf seine Firmung im letzten Jahr. Am Anfang hat er einen etwas verpeilten Eindruck auf mich gemacht. Ich dachte, er ist bei der Firmvorbereitung dabei, weil man es halt macht. Ich war mir sicher, nach der Firmung werde ich ihn nicht mehr sehen.

Wie man sich täuschen kann. Denn: ein Jahr später taucht Kevin bei einem Jugendgottesdienst auf und erzählt mir anschließend fast eine Stunde lang von der Bahnhofsmission. Die Bahnhofsmission hat er erst während seiner Firmvorbereitung kennengelernt. Und jetzt hilft er jeden Sonntag dort mit! Ich bin baff. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Die Bahnhofsmission in Heidelberg wird getragen von der evangelischen und katholischen Kirche, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützen, wo immer sie können. Sie sind zur Stelle, wenn andere in Not sind. Sie helfen Reisenden aus dem Zug und von einem Gleis zum anderen. Sie spenden Trost und haben ein offenes Ohr für Sorgen aller Art: wenn jemand einsam ist, verarmt, krank, süchtig oder wohnungslos.

Viele Menschen suchen Hilfe bei der Bahnhofsmission und in den vergangenen Monaten ist besonders die Zahl der Leute gestiegen, die mit psychischen Problemen kommen. Die Mitarbeitenden bei der Bahnhofsmission sind zwar keine ausgebildeten Psychologen und doch sind sie für viele die erste Anlaufstelle, wenn es darum geht, mit jemandem Sorgen und Ängste zu teilen.

Kevin hängt sich da richtig rein. Für ihn ist das selbstverständlich. Es gehört für ihn zum Christsein dazu, dort anzupacken, wo er gebraucht wird. Er erzählt, dass ein Mann immer wieder kommt. Der Mann hat keine Familie mehr und ist einsam. Geboren und aufgewachsen ist er in Polen. Wie Kevins Mutter. Also hat Kevin dem Mann an Heiligabend in einer kleinen Plastikbox ein typisch polnisches Weihnachtsessen mitgebracht. Was für ein Segen, dass die beiden sich begegnet sind.

Nach dem Gespräch mit Kevin bin ich tief beeindruckt. Ich bin dankbar für Menschen wie ihn, die sich in ihrer Freizeit für andere einsetzen. Und die dadurch andere spüren lassen, wie Gott für sie da ist.

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01JUN2023
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Mitten auf dem Gelände der Bundesgartenschau in Mannheim steht ein 60 Meter langer Tisch. Und drum herum 193 bunt bemalte Stühle[1].

Die Kunstaktion heißt "Tisch der Nationen", und die Stühle stehen stellvertretend für die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Die Initiatoren der Kunstaktion möchten mit dem „Tisch der Nationen“ ein Mahnmal für den Frieden setzen. Und sie laden die Besucherinnen und Besucher ein, an dem Tisch ein wenig zu verschnaufen, zu vespern, mit anderen zusammenzusitzen und gerne auch mit Fremden ins Gespräch zu kommen.

 

Jeder Stuhl ist ein Unikat und ist – passend zur Nation, für die er steht – mit Farben und Symbolen des Landes bemalt.

Ein Stuhl hat oben auf der Lehne eine Krone. Auf der Sitzfläche ist eine Uhr gemalt, die 4 Uhr anzeigt. Und mir ist sofort klar: der Stuhl steht für England und die Tea-time am Nachmittag. Daneben steht ein grüner Stuhl, den man auch in einem Pub in Irland finden könnte, und der daran erinnert, wie schön es ist, zusammen zu sitzen, zu reden, Musik zu machen und zu feiern.

Der Stuhl, der für Afghanistan steht, ist mit Stoff bespannt, auf den zwei Bilder gedruckt sind. Auf dem einen sind farbenfrohe Gewürze in kleinen Schälchen zu sehen, auf dem anderen zwei verschleierte Frauen. Die Künstlerin hat dem Stuhl die Überschrift gegeben: zwischen Genuss und Vorschrift. In was für einer Spannung die Menschen dort leben. Der Stuhl lässt mich nachdenklich zurück.

Genauso wie der nächste. Auf die Sitzfläche ist ein großes Fragezeichen gemalt. Drumherum ist alles in gelb-blau, den Farben der Ukraine. Der Künstler schreibt dazu: Der Stuhl dieses Landes stellt viele Fragen. Was rechtfertigt einen Krieg? Was ist wirklicher Frieden? Und vor allem, wie gehe ich mit meiner Angst um? Der Stuhl gibt keine Antwort. Aber der Künstler ist überzeugt: Antworten können wir finden, wenn wir zusammensitzen und miteinander sprechen.

 

Menschen, die aus allen Himmelsrichtungen zusammenkommen und friedlich an einem Tisch sitzen – so wie bei der Bundesgartenschau in Mannheim - das erinnert mich an das Hoffnungsbild, von dem Jesus im Lukasevangelium erzählt. Er sagt: „Alle Menschen werden von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen.“ (Lk 13,29)

Vom Frieden unter den Völkern und Religionen sind wir leider weit entfernt. Aber so viele sehnen sich danach. Daran erinnert mich der biblische Text und der „Tisch der Nationen“.

 

[1]https://stuhlprojekt.kunsthandwerk.de/

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31MAI2023
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Wie gelingt es, sich gut zu verabschieden? Ein ganz lieber und erfahrener Kollege hat es mir gezeigt. Er heißt Helmut, und im entscheidenden Abschiedsmoment stehe ich mit ihm unter der Haustür bei unserem Büro. Helmut und ich waren ein gutes Team, aber ich nehme eine neue Stelle an, und der Abschied von meinem Kollegen fällt mir schwer. 

Das letzte Tschüss ist gesagt und ich will gerade losgehen, da fängt es auf einmal an, wie aus Kübeln zu schütten. Helmut zeigt nach oben und sagt voller Inbrunst: „Der Himmel weint, weil du gehst.“ Dabei schaut er mich liebevoll und ein bisschen schelmisch an.

Für mich war das ein echter Gänsehautmoment. Mein Kollege hat so charmant auf den Punkt gebracht, wie er zu mir steht, dass sich in dem Moment irgendwie auch bei mir etwas gelöst hat. Mein eigener Abschied von der alten Stelle ist da erst richtig möglich und irgendwie auch gut geworden. Es hat sich fast so angefühlt, als hätte mir mein Kollege da mitten im Platzregen so eine Art persönlichen Abschiedssegen mit auf den Weg gegeben. 

Abschiede sind meist traurig, weil ich ein Stück meines Lebens loslasse. Oder einen Ort, an dem ich mich zu Hause gefühlt habe. Oder einen Menschen. Oder eine Art zu leben, die schön für mich war, aber die jetzt einfach nicht mehr passt.

Aber gleichzeitig sind Abschiede wichtig. Wenn ich mich in aller Ruhe verabschieden kann, auch mit allem, was in mir drin los ist, kann ich auf das Neue, das kommt, leichter zugehen und mich offener darauf einlassen. So wie bei Helmut und mir.

Nicht umsonst gibt es unter Christen die Tradition des Abschiedssegens. Ich denke an die Irischen Segenswünsche. Da heißt es zum Beispiel: „Möge Gott auf dem Weg, den du gehst, vor dir hereilen. Mögest du immer Rückenwind haben. Möge dir die Sonne warm ins Gesicht scheinen und sanft auf deine Felder fallen. Gott halte dich in seiner schützenden Hand, bis wir uns wiedersehen. Gott sei mit dir und segne dich.“

Diese Irischen Segenswünsche haben für mich so etwas von einem zuversichtlichen Wegschicken. Da kann jemand den anderen zuversichtlich gehen lassen.

Mein Kollege Helmut hat mir gezeigt, wie Abschiednehmen gut funktionieren kann. Bei ihm habe ich auch als diejenige, die geht, viel Zuversicht mitgenommen. „Der Himmel weint, weil du gehst.“ Damit hat mir Helmut ein bisschen sein Herz aufgemacht und mich dennoch einfach ziehen lassen. Das hat mir gut getan, so wie ein echter Segen.

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30MAI2023
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Weg vom Odenwald und hinein in die weite schöne Welt. Das war lange Zeit die Devise von IT-Fachmann Joar Berge. Er hat viele Jahre ein abwechslungsreiches und wohlhabendes Leben geführt. Joar Berge konnte nach Herzenslust feiern, reisen und vom Strand an der Côte d’ Azur aus arbeiten. Aber irgendwann hat er gemerkt, dass er sich noch was anderes im Leben wünscht als Sonne, Strand oder Partys. Joar Berge sagt: „Ich bereue mein früheres Leben nicht, aber plötzlich hab ich gemerkt, dass mir was fehlt: Kühe!“

Kühe kennt Joar aus seiner Kindheit auf dem Land im Odenwald zur Genüge. Und Joar hat sich erinnert, wie verschmust Kühe sein können. Und dann hat er sein Leben komplett umgekrempelt. Er ist von der französischen Riviera zurück in den Odenwald gezogen, weil da, wie er sagt, die Lebensbedingungen für Kühe besser sind.

Aber das war nur der erste Schritt. Joar erklärt: „Zuerst hab ich gedacht, ich könnte so eine Art ‚Kuhbaden‘ anbieten, also Kuscheln mit Kühen. Für gestresste Manager zum Beispiel.“

Aber die Idee hat Joar Berge wieder verworfen und stattdessen einen Gnadenhof für Kühe gegründet. Den betreibt er jetzt zusammen mit einem Team von Ehrenamtlichen. Heute nennt er seinen Bauernhof ‚Lebenshof‘, und inzwischen leben da nicht nur Kühe, sondern auch Hühner, Schweine und Hasen.

Tiere müssen auf dem Lebenshof nichts ‚leisten‘, die Kühe müssen nicht einmal Milch geben. Jedes Tier darf einfach nur da sein. Joar sagt: „Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst. Für alle, für Tiere und Menschen, für jede Kreatur.“  

Ich gebe zu: ich trinke Milch und genieße schon auch gerne mal Fleisch. Und ich weiß: solange Menschen Fleisch essen, werden Tiere geschlachtet. Trotzdem bewundere ich Joar für das, was er macht. Denn er macht das, was zu ihm passt und was für ihn sinnvoll ist – und tut dabei sich selbst und anderen Gutes. Joar Berge ermöglicht Leben.

Joar ist sich bewusst, dass er nicht allen helfen kann. Er sagt: „Es geht nicht darum, die ganze Welt zu retten. Aber diesen Tieren hier, denen kann ich helfen. Und das ist gut so.“

An einer Stelle in der Bibel spricht Jesus vom „Leben in Fülle“ und sagt: „ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“[1] Was Joar Berge auf seinem Lebenshof macht, hat für mich viel mit so einem „Leben in Fülle“ zu tun. Weil er so vielfältiges Leben ermöglicht. Für die geretteten Tiere und gleichzeitig auch für sich selbst.

 

[1] Joh 10, 10.

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27MAI2023
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Neulich ist es mal wieder passiert. Ich sitze in der S-Bahn, vertieft in irgendeine Sache, – und ein Mann stellt sich neben mich. Schäbig gekleidet, stumm, in der Hand ein Schild: „Habe Hunger, bitte helfen Sie mir.“

Ich weiß: In Zügen darf man nicht um Geld bitten. Und deshalb soll man auch nicht darauf eingehen. Manchmal kommt das sogar per Durchsage. Und diese Regel ist wahrscheinlich vernünftig. Mit einzelnen Münzen bekämpft man nicht die Ursachen von Armut. Es gibt ja andere Hilfsangebote durch den Staat oder auch die Kirchen. Und oft sind Leute auch nicht von sich aus unterwegs, sondern im Auftrag irgendwelcher anderer – und müssen oben abliefern, was sie bekommen.

Alles vernünftige Argumente. Stimmt alles. Aber in diesem Moment stand eben dieser eine Mensch neben mir. Und hatte mich konkret um Unterstützung gebeten. Und ich bin reich, habe genügend Geld. Soll ich jetzt lang und breit erklären, warum ich nichts gebe? „Was würde wohl Jesus tun?“ Ich bin natürlich nicht Jesus, aber als Christ doch mit ihm verbunden. Aus der Nummer komme ich also nicht raus.

Ich glaube: In solchen Situationen mache ich so oder so Fehler. Weil ich mich für irgendwas entscheiden muss. Und egal, wie – ich werde dem Menschen da vor mir und dem Gesamtzusammenhang nie komplett gerecht. Das will ich mir eingestehen.

Dazu gehört für mich, dass ich Leuten ins Gesicht schaue, die mich um Geld bitten. Nach Möglichkeit auch zuhöre, ein paar Worte wechsle. Weil sie Menschen sind, nicht irgendein moralisches Problem. Und weil ich ihnen auf Augenhöhe begegnen will, wenn wir schon so unterschiedlich viel haben.

In der einen Situation in der S-Bahn damals habe ich dem Mann dann etwas von meinem Proviant zu essen angeboten. Auch das ist natürlich keine richtige Lösung. Sondern kann bevormundend wirken – so, als ob ich schon genau wüsste, was mein Gegenüber braucht und was nicht. Für mich war es ein möglicher Weg in dem Moment. Und ich kann diese Entscheidungen ja immer nur für den Moment treffen.

Wann passiert es das nächste Mal? Und was tue ich dann? Ich weiß es nicht. Aber mich der Entscheidung stellen, das will ich.

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Das Schawuot-Fest ist ein Fest der Erstlingsfrüchte und ein Erntedankfest.  Nur diese Aspekte eines naturverbundenen Festes werden in der Tora erwähnt.  Der Talmud, die nachbiblische jüdische Tradition, geht davon aus, dass dieses Fest auch eine heilsgeschichtliche Bedeutung hat, nämlich das Gedenken an die Offenbarung der Zehn Gebote der Tora.  Im Laufe der jüdischen Geschichte wurden die Israeliten aus ihrem Land vertrieben.  Ihre Fluchtwege führten sie in fast alle Länder der Erde.... So verblasste in der Erinnerung der Menschen die Landwirtschaft des Heiligen Landes und rückte schließlich in weite Ferne.  Gleichzeitig wurden die heilsgeschichtliche Bedeutung und die ethisch-monotheistischen Inhalte der Heiligen Schrift vertieft.  All dies wirkte sich verstärkend auf das große volksgeschichtliche Erlebnis aus: die kollektive Annahme des Dekalogs, der Tora am Sinai an Schawuot.  Diese Annahme verpflichtete die Vorfahren, die Lehren der Gebote an die Völker weiterzugeben.

Auffallend an diesem Fest ist, dass der spirituelle Inhalt, die Zeremonien, die zeremonielle Kunst des Festes in den Hintergrund gedrängt werden.  Jedes Fest hat eine verbindliche Symbolik.  Jedoch an Schawuot gibt es kein äußeres symbolisches Zeichen dafür, dass wir an diesem Tag zu Trägern und Verkündern der Lehre G-ttes, der Tora, geworden sind. Die Arbeitsruhe am Schawuot ist fast das einzige äußerlich sichtbare Merkmal dieses Festes.  Allerdings ist es üblich, die Synagogen und die Häuser mit frischem, grünem Laub zu schmücken.  Dies weist jedoch eher auf den naturbezogenen, klassischen Inhalt des Festes hin.

Seit dem 14. Jahrhundert war es üblich geworden, in der ersten Nacht von Schawuot wach zu bleiben, um Lernvorträge aus den Werken der Bibel und der traditionellen Literatur zu halten, sie zu kommentieren und zu erläutern.

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25MAI2023
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Einem Menschen richtig zuhören – das ist ganz schön herausfordernd.

Klar, auf ein paar Dinge habe ich auch bisher schon geachtet. Dass ich zum Beispiel darauf verzichte, vorschnell „Kenne ich“ zu sagen, wenn mir jemand von sich erzählt. Ich will das Gespräch ja nicht auf mich lenken, sondern meinem Gegenüber genügend Raum lassen. So weit war ich schon.

Aber was ich schon normalerweise mache beim Zuhören: Dem anderen signalisieren, dass ich ihm folgen kann. Etwa mit einem „Ja, verstehe“ oder nur mit einem „Mhmmm“. Oder ich nicke, ändere meine Mimik – reagiere also ohne Worte auf das, was ich da höre.

Es gibt einen Psychotherapeuten, der schlägt vor, es radikal anders zu machen. Im so genannten „Zwiegespräch“ [Michael Lukas Moeller, Die Wahrheit beginnt zu zweit. Das Paar im Gespräch, Reinbek bei Hamburg 1990] erzählt der eine, wie es ihm gerade persönlich geht, – und der andere hört tatsächlich einfach nur zu. Reagiert also bewusst gar nicht, weder mit Worten noch irgendwie sonst. Und das nach Möglichkeit eine ganze Viertelstunde lang. Zu Beginn reichen natürlich auch schon mal fünf Minuten.

Meine Frau und ich haben das jetzt ein paar Mal ausprobiert. Für mich war es erst mal irritierend, auf diese Weise zuzuhören. Und ich bin mir richtig unhöflich vorgekommen, so gar nicht auf das Gehörte einzugehen. Weil ich es doch sonst ganz anders gewohnt bin.

Auch als wir die Rollen getauscht haben, musste ich erst mal warm werden mit der neuen Situation. Schon fünf Minuten sind ganz schön lang, wenn man sie völlig alleine füllen soll, durch überhaupt nichts unterbrochen wird. Gibt es so viel zu erzählen von mir, bin ich so wichtig? Ab und zu ist mir einfach nichts mehr eingefallen, so dass es plötzlich ganz still war.

… aber dann habe ich eben einfach gesagt, was ich gerade denke. So banal mir das erst mal vorkam. Und – auch das ist in Ordnung im Zwiegespräch. Mit der Zeit hat es sich ganz befreiend angefühlt, so viel Raum zu haben. Und mir ist immer mehr eingefallen. Ich konnte ganz bei mir sein – und mich gerade damit einem anderen Menschen zeigen.

Diese Erfahrung will ich auch anderen Menschen ermöglichen. Und ihnen noch mehr Raum lassen beim Zuhören. Mal sehen, was dann passiert.

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24MAI2023
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Seit einigen Monaten arbeite ich als Klinikseelsorger im Krankenhaus. Das heißt: An jedem Arbeitstag erlebe ich Menschen in ihrem Umgang mit Krankheit und Krise – Patienten und auch ihre Angehörigen. Ich bin da immer noch am Anfang, viele Erfahrungen fehlen mir bis jetzt. Aber eine Beobachtung mache ich immer wieder:

Es gibt Menschen, die richten ihre Aufmerksamkeit in der Krankheit stark nach außen – und suchen dort nach Halt. Sie fragen zum Beispiel sehr entschieden nach Untersuchungsergebnissen und Diagnosen, möchten alles ganz genau wissen. Manchmal fragen sie auch noch bei anderen Experten nach, hören sich im Bekanntenkreis um, recherchieren im Internet.

Das alles kann ich gut verstehen. Es ist auch wichtig, in einer Krankheit gut Bescheid zu wissen. Aber manchmal bekomme ich den Eindruck: Man kann sich da auch verlieren, rastlos werden vor lauter Recherche: „Habe ich auch nichts übersehen? Gibt es irgendwo noch eine wichtige Info? Eine neue Behandlungsmethode …“ Ja keine Chance fürs weitere Leben übersehen zu wollen, das kann zermürbend sein. Denn das, was von außen auf einen zukommt, ändert sich ja ständig wieder.

Und dann erlebe ich Menschen, die strahlen in aller Unsicherheit doch Ruhe aus. Die scheinen zu wissen, wer sie selber sind, was sie wollen, was sie noch grundsätzlich klären möchten. Auch ihnen macht die Krankheit zu schaffen, klar, auch für sie ist das eine Krise. Aber das Geschehen um sie herum fügt sich sozusagen ein in ihr bisheriges Leben, und sie gehen ihren persönlichen Weg mutig weiter.

Mich beeindruckt das. Und wenn ich solchen Menschen begegne, bringt mich das als Seelsorger auch selbst weiter. Ich spüre da Kraft von innen. Über die kommen wir oft auch ins Gespräch – und über die persönliche Lebenshaltung, den Glauben, die Zweifel. Und all das hat tiefe Bedeutung.

Zu sich selbst finden, zur eigenen Mitte, auch zu Gott – manchen Menschen gelingt das tatsächlich mitten in der Krankheit. Die kann ja ein Anlass sein, wichtige Dinge endlich anzugehen. Aber womöglich geht es ja auch vorher schon, ganz ohne äußere Krise. Ich will immer wieder fragen, was mir im Leben wichtig ist, wo ich hinwill. Dann bin ich besser vorbereitet, wenn sich Dinge um mich herum ändern. Und ich habe Kraft dafür.

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