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04OKT2023
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Manche Menschen wirken auf den ersten Blick verrückt. Aber auf den zweiten Blick ist das, was sie tun, zutiefst menschlich und voller Liebe zum Leben. Bei Lucia ist das so.

Lucia ist eine junge Landwirtin und lebt in einem Dorf im Veltlin, in der Lombardei, und sie hat ein besonderes Verhältnis zu Tieren. Lucia sagt: „Für mich sind meine Kühe und Schafe wie ein Teil meiner Familie. Wenn sie geboren werden, gebe ich ihnen als erstes einen Namen, als wären sie mein Bruder oder meine Schwester.“

Das hat Lucia schon als Kind getan. Sie erzählt: „Im Kindergarten bin ich jedes Mal, wenn ein Kälbchen oder ein Lämmlein geboren wurde, sofort zu meinen Erzieherinnen gelaufen und habe gesagt: „Ich habe ein Geschwisterchen bekommen!“. Weil wir so viele Tiere hatten, kam das unter der Woche zwei bis drei Mal vor.“ Und jetzt lacht Lucia und erzählt weiter: „Der Gipfel war, als ich zum Kinderpsychologen musste, denn meine Erzieherinnen hatten Angst, dass mit mir etwas nicht in Ordnung sei. Mein Verhalten war für sie einfach nicht logisch. Aber die Psychologin meinte nur: Alles in bester Ordnung. Nur die Erzieherinnen könnten gerne in Therapie!“  

Lucias besondere Haltung gegenüber Tieren erinnert mich an Franz von Assisi. Heute ist sein Namenstag, und heute ist auch Welttierschutztag. Seit 1931 wird er international begangen – heute am Franziskus-Tag, den die Kirche schon seit dem 13. Jahrhundert feiert. Das passt wunderbar zusammen. Denn auch der Heilige Franziskus hatte eine ganz besondere Verbindung zu Tieren und zur Natur. Zu Vögeln soll er sogar gepredigt und ihnen von der Liebe Gottes erzählt haben. Er muss selbst wohl auch ein ziemlich verrückter Vogel gewesen sein. Ähnlich wie Lucia hat auch er Tiere als seine Brüder und Schwestern angesehen und sie wie Menschen geachtet. Weil sie in Franziskus Augen genauso Geschöpfe Gottes sind wie die Menschen und die ganze Natur. 

Mich inspiriert das, und es erinnert mich daran: Tiere sind eigenständige Wesen. Sie sind mehr als nur Milch-, Fleisch oder Eierspender. Sie haben eine Würde. Franz von Assisi würde wohl unterschreiben, was auch Lucia sagt. Die junge Landwirtin, mit so viel Leidenschaft, erklärt: „Jedes Mal, wenn ich ein Tier ansehe, hat es einen Ausdruck und auch Gefühle. Mein Vater sagt immer, es sind keine Tiere, es sind Lebewesen. Und so müssen sie auch behandelt werden. Weil wir alle Kinder dieser Erde sind.“  

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03OKT2023
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Wenn ich mich auf Neues einlassen muss, kann das so schwierig sein. Denn das Neue hat meist mit Veränderungen zu tun, manchmal auch mit Brüchen und Abschieden. Und gleichzeitig ist es selbstverständlich Teil des Lebens, dass ich mit Neuem umgehen muss.

Ich kenne einige Leute, die von einem Tag auf den anderen durch die Wende ganz viel Neues erlebt haben und ihren Horizont radikal erweitern mussten und es auch getan haben. Achtzehn Jahre lang habe ich in Ostdeutschland gelebt, und da habe ich Mareike kennengelernt. Sie hat, wie ganz viele andere auch, viel auf sich genommen und riskiert.

Sie war meine Kollegin in der Schule. In den 90er-Jahren hat sich an den Schulen in Ostdeutschland ganz viel verändert. Da gab es keinen gültigen Lehrplan, und auch viele Schulbücher passten nicht mehr. Mareike hat sich in Windeseile in die neue Welt eingearbeitet, weil sie ihre Schüler gut aufs Abitur vorbereiten wollte. Auf eine Welt, die sie selbst nicht kannte.

Damals vor 34 Jahren haben so viele eine Revolution in Gang gesetzt und durchlebt, ohne zu töten. Sie haben von Freiheit geträumt und davon, eine eigene Meinung haben und sagen zu dürfen – und sind dann in einem neuen Staat aufgewacht. Sie haben die Herausforderung angenommen und sich dabei einen offenen Horizont bewahrt. Das diesjährige Motto aus Hamburg zum Tag der Deutschen Einheit heute – und das passt ja dann auch wieder – heißt: Horizonte öffnen.

Zum Glück gibt es viele, die genau das heute tun. Ich denke an meine Nachbarin Hasiye. Sie weiß, was es heißt, wenn man in einem anderen Land neu anfangen muss. Deshalb bringt sie geflüchteten Kindern Deutsch bei. Und heute steht Hasiye in der Moschee und begrüßt ihre Gäste. Denn heute ist auch Tag der offenen Moschee. Viele tausende Muslime öffnen die Türen ihrer Moscheen ganz bewusst am Tag der Deutschen Einheit. Weil auch sie ein Teil eben dieser Deutschen Einheit sind. 

Ich weiß, wir haben es oft schwer, gut miteinander umzugehen. Und genau deshalb machen mir Menschen Hoffnung, die sich mit offenem Horizont einbringen. Meine Freunde im Osten, damals wie heute, und die vielen Muslime heute. An sie denke ich. Und an alle, egal welcher Religion oder Nationalität, die in Umbrüchen einen weiten Horizont bewahren.

Ich kann mich auf Neues einlassen, auch auf das, was mir zunächst fremd erscheint. So wie Mareike und Hasiye. Alle, die ihren Blick und ihr Herz offen halten, leisten einen großen Beitrag für die Einheit in unserem Land. Was sie geschafft haben und immer noch schaffen, das feiere ich heute.

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02OKT2023
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Manchmal reicht ein kurzer Moment, und eine verfahrene Situation kann sich verändern. Meine Freundin Tanja hat das vor ein paar Tagen erlebt. Es war so:

Tanja und ihr Freund Marco waren auf dem Heimweg von einem herrlichen Ausflug. Von unterwegs haben sie sich Pizza bestellt. Als die beiden ihre Pizza abholen wollten, war da auf dem Hof vom Pizzaservice eine ganz seltsame Stimmung. Da standen sich ein paar junge Leute gegenüber und haben heftig gestritten. Tanja erzählt: „Ich weiß nicht genau, worum es da gegangen ist. Irgendwas zwischen einem der Jungs und dem Pizzabäcker. Als Marco und ich aus dem Auto ausgestiegen sind, haben uns die so misstrauisch angeguckt. Wer weiß, was sie gedacht haben, vielleicht dass wir uns einmischen oder Partei ergreifen.“

Ich frage Tanja: „Und was habt ihr dann gemacht?“ Sie antwortet: „Wir sind auf die beiden zerstrittenen Gruppen zugegangen und haben kurz in die Runde geguckt. Marco hat gesagt: „Hi, wir wollen unsere Pizza abholen. Dürfen wir mal durch?“ Da hat die Freundin von einem der beiden Streithähne angefangen zu lachen.“ „Und dann?“, frage ich. Tanja meint: „Na ja, durch uns haben sie ihren Streit kurz unterbrochen. Ich glaub, so haben sie selbst kurz Abstand zu der Situation bekommen. Jedenfalls hat sich da was verändert. Denn als wir ein paar Minuten später wieder mit unserer Pizza rausgekommen sind, haben die fast schon normal miteinander geredet. Zum Glück!“

Soweit zu Tanja, Marco und dem Pizza-Streit. Was ich davon mitnehme, ist eine Idee, wie Streitigkeiten gelöst werden können. Da war diese kurze Unterbrechung, und die hat die Wende gebracht. Tanja und Marco sind gekommen, und dank ihnen war kurz „Pause“. In richtig heftigen und komplizierten Konflikten kann es natürlich äußerst anspruchsvoll sein, zu so einer Pause zu kommen. Ich denke da zum Beispiel auch an Familienstreit, wo solche Zeiten des Abstands, in denen ich mich neu sortieren kann, gut tun.

Es kann sich etwas Neues zeigen, wenn jeder erstmal einen Schritt zurücktritt. Erst hat jeder die Möglichkeit, sich zu sortieren, und es zeigt sich, ob ich auch wieder einen Schritt auf die anderen zugehen kann. Dass das gelingt und dass Menschen den Mut aufbringen zu ihrer Pause im Streit, das wünsche ich mir heute. Denn das hat etwas Gewaltloses. Und es kann Streitigkeiten lösen, auch heute am offiziellen Tag der Gewaltlosigkeit. 

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30SEP2023
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Jesus wäre dieses Jahr bestimmt bei den Special Olympics in Berlin dabei gewesen, wenn er heute leben würde. Denn da waren auf einmal Menschen im Rampenlicht, die sonst wenig Raum in der Öffentlichkeit haben. Sportlerinnen und Sportler mit geistiger oder mehrfacher Behinderung. Wenigstens zwei Wochen lang haben sie die Nachrichten erobert und eine kleine Begeisterungswelle ausgelöst.

Jesus wäre bestimmt dabei gewesen. Heute. Obwohl er damals, vor fast 2000 Jahren, Menschen mit Behinderungen angeblich heilen und gesund machen konnte. Die Bibel erzählt davon. Einerseits eine tolle Sache, und ich habe mir schon als Kind gerne vorgestellt, wie Jesus einen Gelähmten heilt oder einem gehörlosen Menschen das Hören wiedergibt. Ich habe die Geschichten geliebt. Die gleichen Wunder-Geschichten sind für andere Menschen aber schwerer Stoff. Für Pfarrerkollegen von mir, zum Beispiel, die selbst im Rollstuhl sitzen und für die die Geschichte des Gelähmten, der geheilt wird, eine bittere Note hat. Weil ihre Behinderung in den biblischen Geschichten nichts ist, dass zu Ihnen gehört, sondern bloß ein Defizit, das geheilt werden muss. Es gibt keine einzige Geschichte im Neuen Testament, in denen ein Mensch mit Behinderung einfach so akzeptiert wird, wie er ist. Da ist Behinderung immer etwas, das geheilt werden muss.

Seit ich darüber nachdenke, sehe ich die Heilungsgeschichten der Bibel mit anderen Augen: Jesus heilt Menschen nicht einfach von ihren Krankheiten. Er heilt sie von Einsamkeit. Davon, nicht dazu zu gehören und ausgegrenzt zu werden. Jesus hat dafür gesorgt, dass Menschen mit Behinderung Teil der Gemeinschaft sein konnten. Ihm war es wichtig, dass sie aktiv am Leben teilnehmen. Jesus hat die Menschen wortwörtlich von den Rändern der Gesellschaft wieder in ihre Mitte gebracht. Mir sind die Wunder, von denen da erzählt wird, gar nicht so wichtig. Sondern wie Jesus alles dafür tut, dass Menschen am Leben teilhaben können.

Und deshalb – da bin ich sicher – wäre Jesus dieses Jahr bestimmt bei den Special Olympics dabei gewesen. Einem tollen Sport-Event, dass es wenigstens für zwei Wochen in die Nachrichten geschafft hat: Mitten rein in unsere Gesellschaft.

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29SEP2023
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Das Laubhüttenfest, das wir ab heute Abend feiern werden, ist eines der drei biblischen Wallfahrtsfeste. Die Vorbereitungen für diese Pilgerfeste unterscheiden sich von denen für die hinter uns liegenden Hohen Feiertage, auf die wir uns vor allem geistig, durch Reue und Buße vorbereiten sollten.

Die Vorbereitungen für die drei Wallfahrtsfeste unseres Volkes erfordern dagegen oft körperliche, manchmal auch anstrengende Aktivitäten. So bauen wir für das Laubhüttenfest Sukkot, zunächst einmal eine Laubhütte, in der wir die acht Tage dieses Festes verbringen. Außerdem gehört zu den kultischen Vorbereitungen von Sukkot das Zusammenstellen der Arba Minim, der vier Pflanzen- und Obstarten, die uns daran erinnern, dass dieses Fest auch ein Erntefest ist. Diese vier Arten sind ein Palmzweig, ein Myrtenzweig, Zweige der Bachweide und eine Zitrusfrucht. Mit ihrer Symbolik fügen sie sich in die Gedankenwelt von Sukkot ein.

Der Strauß wird von unseren klassischen Gelehrten sorgfältig analysiert: Der Etrog, die Zitrusfrucht, besitzt sowohl einen guten Geschmack als auch einen guten Duft. Der Palmzweig, der die Frucht der Dattelpalme symbolisiert, ist wohl schmackhaft, aber nicht wohlriechend.  Die Myrte hingegen ist wohlriechend, schmeckt aber nach nichts.  Und schließlich haben wir die Bachweide, die weder duftet noch schmeckt.

So wie die vier Pflanzen, die in einem festlichen Strauß gebündelt sind, dem Lob G-ttes dienen, nämlich die wohlschmeckenden, die duftenden und auch die, die diese Eigenschaften nicht besitzen, so sollen die Gelehrten, die Wohltätigen und auch die einfachen Israeliten gemeinsam dem Herrn dienen.

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28SEP2023
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Ich liebe ja Instagram. Weil ich über dieses soziale Netzwerk ganz viel von der Arbeit meiner Pfarrkolleginnen und -kollegen mitbekomme. Ich sehe, was da in den Gemeinden auf die Beine gestellt wird und wie lebendig Kirche an vielen Orten ist. An vielen Tagen kann ich mich richtig freuen, wie viel Aufbruchstimmung da an vielen Orten herrscht. Und manchmal setzt mich das auch ganz schön unter Druck. Dann, wenn ich meine Arbeit mit den meiner Kolleginnen und Kollegen vergleiche. Die eine Kollegin hat einen aufwendig gemachten Elektro-Gottesdienst gestartet, der andere eine riesengroße Spendenaktion organisiert und die andere Kollegin wird schon für die fünfte Hochzeit dieses Jahr angefragt. Wenn ich in so ein Konkurrenzdenken reinkomme, dann nervt mich Instagram – und ich mich selbst. Dieses Konkurrenzdenken kenn ich nicht nur von Instagram und unter Pfarrerinnen und Pfarrern, sondern auch von Freunden, in der Familie oder aus dem Studium. Egal wo ich hinschaue, wenn ich will, finde ich immer jemand, der noch erfolgreicher und ambitionierter ist als ich.  

Ich liebe darum aber auch die Geschichte von zwei Brüdern in der Bibel: Jakob und Esau. Die beiden sind total verschieden, und ihre Beziehung zerbricht durch ihren Konkurrenzkampf. Jakob scheint immer die Nase vorn zu haben, und Esau - der hasst ihn dafür. Jahrelang sprechen beide kein Wort miteinander.  Bis sie dann doch wieder aufeinandertreffen – und sich versöhnen. Ich liebe genau diese Stelle in der Geschichte: Wie die beiden feststellen: Die Konkurrenz und den Neid hätten sie sich sparen können.  Auch wenn es am Anfang so aussah, als ob Jakob den Konkurrenzkampf der Brüder klar gewinnen würde. Esau hatte auch ein gutes und erfolgreiches Leben. Esau fühlt sich von Gott genauso gesegnet, wie Jakob. Und bei ihrem Zusammentreffen kann Esau sagen: Ich habe genug, mein Bruder.  

Ich habe genug. Und ich bemühe mich genug. Wenn ich mich mit meinen Geschwistern, Kolleginnen und Kollegen oder in meinem Freundeskreis vergleiche, dann erinnere ich mich ganz bewusst selbst daran:  Gottes Segen ist unerschöpflich. Der reicht nicht nur für einige wenige. Sondern auch für mich. Und was ich auf meine Weise leiste, das ist genug.   

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27SEP2023
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Eigentlich mag ich es beim Frühstück lieber ruhig und trinke meinen Kaffee gerne in Ruhe. Um morgens gut in den Tag zu starten, bin ich gerne erstmal allein. Die letzten zwei Wochen im August war das allerdings ganz anders: Da war es schon kurz nach dem Aufstehen laut und trubelig. Ich saß beim Frühstück mitten zwischen vielen anderen Menschen auf der Bierbank und es war alles andere als ruhig. Schon direkt am Morgen Gespräche darüber, ob Marmelade im Müsli nun gut schmeckt oder nicht…  Ich war dieses Jahr auf einer Jugendfreizeit. Mit Kanutour, Wasserschlachten, Geländespiel, Wanderung, gemeinsamem Singen und Beten. Ein volles Programm. 20 motivierte Jugendliche. Zwei sehr intensive Woche ohne entspannten Kaffee am Morgen.  

Was mich am Ende dieser Zeit überrascht hat, war die Rückmeldung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Auf die Frage, was ihnen am besten gefallen hat, haben die ganz oft gesagt:  Die Gemeinschaft. Ich hatte eigentlich erwartet, dass da die Kanutour ganz weit oben rangiert. Oder der Ausflug in das kleine Fischerdörfchen. Oder das Geländespiel. Für die Teilnehmenden war es aber die Gemeinschaft. Das hat mich riesig gefreut. Denn genau das war ja unser Anliegen als Team.  Dass die Freizeit ein Ort ist, wo die Teilnehmenden sich wohlfühlen und zugehörig als Teil einer Gruppe.  

Warum funktioniert das zwei Wochen lang so gut mit der Gemeinschaft und ist danach im Alltag wieder weg, habe ich mich gefragt, als ich wieder zurück war. Wahrscheinlich, weil wir selten in so festen Gruppen so lange unterwegs sind. Unsere Alltagsbegegnungen sind weniger intensiv als, wenn man den ganzen Tag miteinander verbringt. Und: die begrenzte Zeit auf so einer Freizeit, macht es bestimmt auch noch mal leichter, als Gemeinschaft unterwegs zu sein. Weil man für 2 Wochen auch mal gut über die Macken und komischen Angewohnheiten der anderen hinwegsehen kann.  

Ein wenig vermisse ich die intensive Zeit der Jugendfreizeit immer noch – und hab deshalb nach der Freizeit versucht, im Alltag die Momente von Gemeinschaft mehr zu genießen. Die gibt’s nämlich auch: Ich habe mal wieder Freundinnen und Freunde angerufen, bei denen ich mich lange nicht gemeldet habe. Mich zu Abenden mit anderen im Biergarten verabredet oder gemeinsam gekocht. Und dann genieße ich es auch wieder: Meinen Kaffee morgens in Ruhe zu trinken. Um dann offen zu sein für einen Tag voller Begegnungen und kleinen Momenten der Gemeinschaft.  

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26SEP2023
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WARP-Antrieb, Replikatoren und Formwandler – wenn meine Schwester und ihre Freundin sich über Star Trek unterhalten, dann verstehe ich ganz schnell nur Bahnhof. Ich weiß zwar, dass es bei Star Trek um die Erkundung von Galaxien und fremden Planeten geht – aber mehr dann auch nicht. Aber: Ich merke, wie spannend diese andere Welt ist und wie man sich endlos über die endlosen Galaxien und Abenteuer darin unterhalten kann. Mir fehlt das Wissen, das Vokabular und die Geschichten, die über diese faszinierende Welt erzählt werden. Wenn man das alles nicht kennt, hat man schnell das Gefühl, nicht dazuzugehören.  

Und ich glaube fast, Menschen, die noch nie oder selten in der Kirche waren fühlen sich in unseren Gottesdiensten genauso, wie ich bei einem Star-Trek-Fachgespräch. So toll die Welt sein mag, in die sie da hineingeraten sind – manchmal versteht man kein Wort.  

Und das ist so schade! Denn in der Kirche und im Gottesdienst geht es tatsächlich auch um nichts anderes als um richtig gute Geschichten! Um Geschichten, in denen ich mich wiederfinden kann. Beim Wort „Sünde“ zum Beispiel geht es um all das, was mich daran hindert mit mir selbst, anderen Menschen und Gott im Einklang zu sein. Und bei dem fremd klingenden Begriff „Gnade“ geht es richtig ab.  Da erzählt die Bibel die tollsten Geschichten, wie es ist, Hoffnung zu haben, geliebt zu werden und dass alles gut ausgehen wird mit mir. Also Geschichten, die es wert wären, weitererzählt zu werden.  

Ich glaube, was an Star Trek und am christlichen Glauben begeistert, sind die Geschichten, in denen wir uns an vielen Stellen selbst wiederfinden. Und wenn die Geschichte gut ist, dann lernt man auch gern die fremden Wörter und Begriffe, die zu den Geschichten gehören. Auch wenn ich damit nicht die Kirche rette – ich glaube wir müssen mehr erzählen – aus der Bibel und aus dem Leben, begeistert, wie Star Trek-Fans. Und zum Schluss: „Lebe lang und in Frieden“ – das ist, das habe ich gelernt, ein Abschiedsgruß aus Star Trek, aber man könnte ihn auch in der Kirche verwenden.  

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25SEP2023
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Ich lese gerade das Buch „Im Grunde gut“[1] von Rutger Bregman: Er ist genau davon überzeugt, was der Titel sagt: dass wir Menschen im Grunde gut sind. Mit Stirnrunzeln habe ich angefangen - und dann ist mir beim Lesen eine Begegnung nach der anderen aus den letzten Monaten eingefallen:  

Da war im Urlaub das Pärchen, dass sich zu uns setzte und sein wertvolles Bier, das in Norwegen ein Vermögen kostet, mit uns teilte. Der Pfarrer, der mich im Gemeindehaus übernachten ließ, als ich etwas hilflos in Malmö gestrandet war, weil kein Zug mehr fuhr. Da waren Mutter und Tochter, die uns als Tramper mitnahmen. Da war die Kassiererin, die uns unterwegs an ihrer Kasse für eine Stunde unsere Handys laden ließ, weil es weit und breit keine Möglichkeit dazu gab.  

Dass der Mensch grundsätzlich gut ist – es wäre vielleicht ein bisschen hochgegriffen, das aus ein paar positiven Urlaubserfahrungen zu folgern. Was abends in den Nachrichten läuft, sind wir schließlich genauso: Kriegstreiber, Betrüger, Schlepper. Die Menschen, die zumindest nicht gut handeln gibt’s definitiv auch.

Aber Ich habe in der letzten Zeit die Erfahrung gemacht, dass Menschen nett sind und hilfsbereit, wenn man sie fragt. Und wenn man sie lässt. Wie wären meine Urlaubserfahrungen sonst zu erklären? Oder dass Menschen aus aller Welt helfen wollen, wenn in Marokko die Erde bebt oder in Libyen die Staudämme brechen? Ich vertraue darauf, dass die allermeisten Menschen gut sein WOLLEN. Manchmal ist das leicht, wie einem Touristen mit leerem Handy-Akku aus der Patsche zu helfen. Manchmal ist gut sein aber auch schwer. Und es braucht jemand, der einem dabei hilft.  

Mit Stirnrunzeln überlege ich, ob das überhaupt geht. Und dann erinnere ich mich an die Geschichte aus der Bibel, wie Jesus bei einem richtigen Gauner zum Essen eingeladen war – bei einem Zöllner, Verbrecher und Betrüger. Ganz sicher keiner, der gut gehandelt hat.  Statt die Einladung zu ignorieren hat sich Jesus mit ihm an einen Tisch gesetzt, und hat den Bösewicht damit zur Besinnung gebracht. Sein ganzes Diebesgut hat der Zöllner zurückgegeben – einfach weil Jesus darauf gesetzt hat, dass wir Menschen im Grunde gut sind.  

 

[1] Bregman, Rutger: Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit, Rowohlt-Verlag, 2021.

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23SEP2023
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Über die Kirche kann man denken, was man will. Es gibt viel zu kritisieren, weil sie Fehler macht und in hohem Maße Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. Aber es gibt auch Bereiche, wo sie großartige Arbeit leistet und vielen Menschen hilft. Die Seelsorge in den Krankenhäusern ist so ein Bereich. Wer schwer krank ist oder operiert werden muss, braucht natürlich zuerst eine möglichst gute medizinische Versorgung. Kranke sind darauf angewiesen, dass die Ärztinnen ihr Handwerk verstehen und die Pfleger sich gut um sie kümmern. In fast allen Kliniken gibt es heute zudem psychologisch geschulte Personen, die einem helfen, mit den Ängsten umzugehen, die einen befallen, wenn man die Gesundheit verliert.

Und dann gibt es da noch den Bereich, den niemand in der Hand hat. Die offenen und schwierigsten Fragen spielen sich dort ab: Was, wenn ich nicht mehr gesund werde, wenn ein langes Leiden beginnt und ich womöglich eine Chemotherapie machen muss? Halte ich das aus: zu wissen, dass ich nur noch eine bestimmte Zeit zu leben habe? Mit wem teile ich dann meine Gedanken, vor allem wenn die immer dunkler werden? Wer hält es mit mir aus, wenn ich bitter weine, aber das nicht vor meiner Familie tun will? Mit wem kann ich über das Sterben sprechen und den Tod und das, was danach kommt?

Als Pfarrer werde ich selbst hin und wieder ins Krankenhaus gerufen und mit diesen Fragen konfrontiert. Ich nehme jedes Mal einen kleinen Anlauf, weil es auch nach Jahren immer noch ein Berg ist, mich dem zu stellen, dass es einem Menschen so schlecht geht. Aber immer spüre ich anschließend, wie wichtig mein Besuch war, wie gut es Kranken tut, auch jemanden zu haben, der nicht zu den Medizinern und Therapeuten gehört. Der Mensch ist eben mehr als nur sein Körper und dessen Leiden. Es gibt für viele die Sehnsucht nach einem Himmel. Nur: Wer hilft einem, darauf zu vertrauen?

Wie gut, dass es fast überall Frauen und Männer gibt, die als Seelsorgerinnen und Pfarrer in den Kliniken präsent sind. Tag und Nacht kann man sie erreichen, wenn es dringend ist. Sie sind hoch qualifiziert und für die Ärzte und Schwestern oft ganz wichtige Partner. Dafür bilden sie sich laufend fort, damit sie sich auskennen, wenn es um Therapien geht, um Sterbehilfe und ums Trauern, das ja schon vor dem Sterben beginnt. Wie gut, dass es dafür Kirche gibt. Danke an alle Frauen und Männer, die sich Tag für Tag dieser schweren wichtigen Aufgabe stellen.

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