Zeige Beiträge 1 bis 10 von 5230 »
In Paule Puhmanns Paddelboot sind meine Kinder schon zigfach um die Welt geschippert. Paule Puhmann ist der Kapitän in einem Kinderlied, einem Klassiker von Frederik Vahle. Der fährt von Portugal über Spanien, Italien und Griechenland bis in die türkische Ägäis und nimmt in jedem Land neue Kinder an Bord. Das war im Kindergarten. Und auch später, in der Grundschule, war das Motto der Sommerfeste immer wieder „Eine Weltreise“. In den alten Fotoalben stehen meine Jungs einmal mit angeklebten Schnurrbärten und schräg auf dem Kopf sitzenden Baskenmützen auf der Bühne, ein anderes Mal in seidenen Pluderhosen. Und ja – es gibt sie auch mit breitkrempigen Sombreros und bunten Ponchos.
Wegen einer solchen Kostümierung ist gerade eine Seniorentanzgruppe in die Kritik geraten, die auf der Bühne der Bundesgartenschau in Mannheim genau das aufführen wollte: eine musikalische Weltreise in selbst geschneiderten Kostümen. Der Vorwurf: Kulturelle Aneignung. Klischeehafte Darstellung anderer Nationalitäten.
Das Wort Klischee kommt ursprünglich aus dem Druckhandwerk und bezeichnet dort eine Form, die wie ein Stempel immer wieder verwendet wird. Wer Klischees bedient, drückt also im übertragenen Sinn anderen Menschen einen Stempel auf, oder noch deutlicher: stempelt sie ab. Klar, dass man dem einzelnen damit nicht gerecht wird. Ohne Klischees und vorgefertigte Muster geht es aber auch nicht. Dafür ist unsere Welt viel zu komplex. Klischees sind deshalb nicht automatisch etwas Schlechtes. Wichtig scheint mir, das Klischee, das Abbild, nicht mit der Wirklichkeit zu verwechseln, sondern es als das zu verstehen, was es ist: ein vereinfachtes Bild.
So glaube ich nicht, dass meine Kinder jemals gedacht haben, dass alle Franzosen den ganzen Tag mit einem Baguette unterm Arm herumlaufen. Denn sie haben die Welt um sich her schon im Kindergarten als bunt und vielfältig erlebt.
Und ich habe meinen Kindern aus der Bibel von Paulus erzählt, der schon vor gut 2000 Jahren geschrieben hat: Es spielt keine Rolle, ob ihr Juden seid oder Griechen, Sklaven oder freie Menschen, Männer oder Frauen. Denn durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle wie ein Mensch geworden.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37793Einmal, ein einziges Mal ist in der Bibel ausdrücklich von Schutzengeln die Rede – in Psalm 91: „Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Ich kann gar nicht mehr zählen, wie vielen Kindern ich diesen Satz schon als Taufspruch mitgegeben habe. Verständlich – denn Eltern haben immer auch Angst um ihre Kinder. Die wenigsten wissen aber, wie der Psalm weiter geht. Da steht: „Wenn auch tausend zu deiner Seite im Kriegsgetümmel fallen und zehntausend zu deiner Rechten, dich wird es nicht treffen.“ Da wird das Bild krass auf die Spitze getrieben, und ich muss sofort an die Menschen in Bachmut in der Ukraine denken, wo zig Tausende im Kampf um ein paar Meter hin oder her ihr Leben gelassen haben. „Dich wird es nicht treffen.“ Sagen sich das die Soldaten am Morgen? Ist es das, was sie gehen, kämpfen, sterben lässt?
Wie auf einem Kriegsschauplatz fühle ich mich auch, wenn meine Eltern sagen: „Die Einschläge kommen näher!“ Sie sagen das, wenn sie in der Zeitung die Todesanzeige eines früheren Schulkameraden entdecken. Und staunend feststellen: Ich bin noch da. Mich gibt es noch. Ich bin unversehrt geblieben.
Diese Erkenntnis ist aber nicht nur schön, sie kann auch ambivalent und belastend sein. Von Überlebenden großer Katastrophen weiß man, dass sie sich sogar dafür schämen, dass sie am Leben sind. Mir geht es ähnlich, wenn ich erfahre, dass wieder eine Freundin von mir an Krebs erkrankt ist. Ich kann mich in so einem Moment unmöglich freuen, dass es mich nicht getroffen hat. „Es reicht jetzt, Gott im Himmel“, habe ich erst vor wenigen Tagen ausgerufen, als schon wieder so eine Nachricht bei mir eingeschlagen hat.
Immer wieder kämpfe ich deshalb auch mit diesem Satz aus Psalm 91 und mit seinen Schutzengeln. Ich denke an meine Freundinnen, an die Menschen in den Kriegsgebieten und auch an meine älter werdenden Eltern. Und sage zu Gott: „Um diesen Menschen mache ich mir Sorgen. Ich möcht ihm helfen, und ich kann es nicht. Da wünschte ich, er wär in dir geborgen und fände aus dem Dunkel in dein Licht.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37792Mathe, Bio, Reli, Deutsch. Jahrelang haben die Stundenpläne meiner Kinder mit solchen Eintragungen am Küchenschrank geklebt. Im Lauf der Jahre sind auch neue Fächer dazu gekommen, und ich habe viele Abkürzungen gelernt: HuS für Heimat- und Sachkunde. MeNuK für Mensch, Natur und Kultur, BSS für Bewegung, Spiel und Sport. In einem Fach aber ist keines meiner Kinder unterrichtet worden: Im Fach Glück.
Sie meinen, das gibt es nicht? Weit gefehlt! An gut hundert Schulen im Bundesgebiet steht es inzwischen auf dem Stundenplan, auch in anderen Ländern wird auf diesem Gebiet geforscht und experimentiert. Sein Erfinder Ernst Fritz-Schubert ist davon überzeugt, dass Glück kein Zufall, sondern auch Übungssache ist. Über das nachzudenken, was man fühlt, es in Worte zu fassen und darüber zu reden, gehört zu den wichtigsten Inhalten des Faches. Die Schülerinnen und Schüler sollen mit Kompetenzen ausgestattet werden, um auch schwierige Lebenslagen meistern zu können. Eine Glücksgarantie wird dabei nicht erworben. Fritz-Schubert meint aber, dass fast die Hälfte unserer Glücksgefühle eine Frage der Lebenseinstellung ist, und er setzt darum auf das Einüben von Techniken, die das Glücklichsein fördern.
Eines hat das Schulfach mit der Bibel jedenfalls gemeinsam. Die weiß auch, wie gut es tut, wenn wir uns regelmäßig mit unserer Einstellung zum Leben beschäftigen. Der Beter des 73. Psalms tut das auch. Er behauptet: „Gott nahe zu sein, ist mein Glück.“ Und meint damit nicht einen persönlichen Glücksfall, sondern die tägliche Übung des Betens. Jeden Tag nimmt er sich Zeit dafür, spricht mit Gott, vertraut ihm sein Leben an und stellt ihm drängende Fragen. Solche regelmäßigen Übungen geben ihm das Vertrauen, dass Gott in seiner Nähe ist – und das ist ein gutes Gefühl. Das ist ein Glück. Er ist überzeugt: Wer an Gott glaubt, wird zwar nicht von jedem Unglück verschont, aber fürs Leben gestärkt, auch für den Umgang mit Krisen und Schwierigkeiten. Egal, was kommt – Gott ist mir nahe.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37791Was ist schlimmer? Nicht sehen oder nicht hören können? Immer wieder haben wir als Jugendliche diese Frage diskutiert. Keine von uns war blind oder gehörlos, und vielleicht sind uns deswegen beide Möglichkeiten gleich schlimm vorgekommen. Trotzdem war für die meisten immer klar, dass sie auf keinen Fall blind sein wollten. Dann lieber taub. Sehen galt als Sinneswahrnehmung Nummer eins. Niemand wollte auf sie verzichten.
Als ich im Studium dann zum ersten Mal blinden und sehbehinderten Kommilitonen begegnet bin, habe ich gemerkt, dass sie mit entsprechenden Hilfsmitteln und einiger Unterstützung ganz gut zurechtgekommen sind. Sie haben mit uns an Vorlesungen und auch am studentischen Leben außerhalb des Hörsaals teilgenommen. Ganz anders als gehörlose Menschen. Denn Gehörlosigkeit schließt erst einmal vom gemeinschaftlichen Leben mit Hörenden aus. Das wird einem schnell klar, wenn man versucht, Blindheit oder Taubheit zu simulieren. Blindheit kann ich nachempfinden: Ich kann die Augen schließen. Aber bei Taubheit funktioniert das nicht! Das Ohr lässt sich nicht schließen, eine geräuschlose Welt kann ich nicht ausprobieren. Heute würde ich bei dem Gedankenexperiment wohl zu dem Schluss kommen: Lieber nichts sehen als nichts hören können.
Von Jesus wird erzählt, dass er Blinden das Augenlicht gegeben, Tauben die Ohren geöffnet und Lahme zum Gehen gebracht hat. Menschen aus ihrer Isolation zu befreien, sie in Gemeinschaft mit anderen zu bringen, war sein Ziel. Heute gibt es dafür auch medizinische Möglichkeiten. Aber viele Gehörlose entscheiden sich gegen einen Eingriff, der ihnen ein Gehör verschaffen könnte. Sie wünschen sich stattdessen, dass die Gebärdensprache, in der sie sich verständigen, als gleichwertig mit anderen Sprachen anerkannt wird. Und wer weiß, vielleicht würde Jesus es heute ja auch einmal andersrum machen: Statt den Tauben ein Gehör zu geben, meine Hände in die seinen nehmen, die Augen schließen und Gott bitten. Und dann meine Hände mit Gebärdensprache begaben. Um mich aus meiner Isolation zu befreien. Und in Kontakt zu bringen mit einer neuen Welt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37790Auf der Kaffee-Maschine in unserem Büro klebt eine Postkarte: „Lieber Kaffee, heute ist Montag. Deswegen musst du jetzt ganz stark sein!“ Immer wieder entlockt mir der Spruch ein Lächeln, wenn ich mir da montags den ersten Kaffee der Woche rauslasse. Von allen Tagen der Woche hat der Montag das schlechteste Image. Das Wochenende liegt gerade erst hinter einem; das nächste ist noch maximal weit entfernt. Die Fehlerquote bei der Arbeit ist hoch. Restaurants haben Ruhetag, Museen sind geschlossen. Montags hat anscheinend kein Mensch Lust, irgendetwas anderes zu tun als den Tag möglichst schnell hinter sich zu bringen.
„Am Montag“, heißt es in der Bibel, „am Montag schuf Gott, Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe, und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser …“ Nein, so steht das natürlich nicht da. Von Montagsarbeit ist in der Bibel keine Rede. Die Schöpfungsgeschichte erzählt zwar davon, dass Gott die Welt in sechs Tagen geschaffen und sich am siebten ausgeruht hat, aber Lebensrhythmen und eine sinnvolle Ordnung der Zeit entstehen erst mit der Schöpfung. Vor der Schöpfung gibt es nichts. Keinen Raum und keine Zeit und also auch keine Siebentagewoche. Korrekt heißt es in der Bibel: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da ward aus Abend und Morgen ein erster Tag.“ Dieser allererste Tag der allerersten Woche war wunderschön und strahlend.
So hilft mir die Schöpfungsgeschichte, einen anderen Blick auf die unliebsamen Montage zu werfen. Denn in jedem Montag steckt auch der Charme des Anfangens. Jeder Montag ist der Anfang einer neuen Arbeitswoche, der Anfang neuer Chancen und Ideen, der Anfang einer erst noch zu entdeckenden Welt. Gott hat das Licht angeknipst, damit auch dir die Welt in einem neuen Licht erscheint, damit du dich ans Werk machst wie er, das Chaos bändigst und die Leere füllst. Also trau diesem Anfang, gib dir einen Ruck und sag: „Liebes Leben, heute ist Montag. Deswegen kann ich heute ganz stark sein.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37789Heute ist Weltfahrrad-Tag. Für mich ist eigentlich immer Fahrrad-Tag. Um ins Büro zu kommen oder wenn ich einkaufen fahre, bin ich immer mit dem Rad unterwegs. Doch mein Fahrrad bringt mich nicht nur von A nach B. Fahrrad zu fahren hat für mich auch eine spirituelle Seite. Wenn ich auf dem Sattel sitze und in die Pedale trete, dann spüre ich mich selbst. Manchmal genieße ich es, manchmal auch nicht. Ich atme tief durch, merke, wie die Luft meine Lunge füllt und wie manche Gedanken, die mir hartnäckig durch den Kopf kreisen, beim Radfahren auf der Strecke bleiben.
Ich kenne beim Radfahren auch die Aufs und Abs. Da gibt es das mühsame Strampeln im kleinen Gang den Berg hinauf, bis ich dann doch absteigen muss, und da ist der herrliche Schwung, wenn es bergab geht und ich mich einfach nur rollen lassen kann. Wie im Leben und wie im Verhältnis zu Gott. Das ist auch nicht immer gleich.
Dass Glauben sich verändert und in Bewegung sein muss, hat auch die französische Schriftstellerin und Mystikerin Madeleine Delbrêl erfahren. Als Sozialarbeiterin in Ivry, einem Vorort von Paris, hat sie sich ab 1933 um Industrie-Arbeiter und ihre Familien gekümmert. Sie hat hautnah miterlebt, wie herausfordernd das Leben sein kann.
In lyrischen Texten hat Madeleine ihre Gedanken und Erfahrungen aufgeschrieben. Da sie begeisterte Radfahrerin war, gibt es auch einen Text, den sie mit „Fahrrad-Spiritualität“ überschrieben hat. In diesem Text spricht sie Gott direkt an. Sie schreibt:
„Immer weiter!“, sagst du zu uns.
Um die Richtung auf dich zu behalten, müssen wir immer weitergehen,
selbst wenn unsere Trägheit verweilen möchte.
Du hast dir für uns ein seltsames Gleichgewicht ausgedacht,
ein Gleichgewicht, in das man nicht hineinkommt und das man nicht halten kann,
es sei denn in der Bewegung, im schwungvollen Voran.
Es ist wie mit einem Fahrrad,
das sich nur aufrecht hält, wenn es fährt.“
Mich spricht das Bild an. Vorankommen kann ich nur, wenn ich in die Pedale trete. Wenn ich Energie in etwas stecke. Ich muss mich bewegen, auch, wenn es manches Mal schwer fällt. Gleichzeitig wird meine eigene Kraft nicht genügen, um im Gleichgewicht zu bleiben. Das hat auch Madeleine Delbrêl erfahren. Und deshalb bringt sie in ihrem Gedicht Gottes Liebe ins Spiel. Sie schreibt: „Wir können uns nur aufrecht halten, (…), wenn wir uns hineinwerfen in den Schwung deiner Liebe.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37728Ganz selbstverständlich zieht Kevin jeden Sonntag die blaue Jacke mit dem gelben Streifen und dem violetten Kreuz an. Kevin ist ehrenamtlicher Helfer bei der Heidelberger Bahnhofsmission und macht – wenn er nicht gerade am Bahnhof ist – eine Ausbildung zum Automechaniker.
Kennengelernt habe ich Kevin bei der Vorbereitung auf seine Firmung im letzten Jahr. Am Anfang hat er einen etwas verpeilten Eindruck auf mich gemacht. Ich dachte, er ist bei der Firmvorbereitung dabei, weil man es halt macht. Ich war mir sicher, nach der Firmung werde ich ihn nicht mehr sehen.
Wie man sich täuschen kann. Denn: ein Jahr später taucht Kevin bei einem Jugendgottesdienst auf und erzählt mir anschließend fast eine Stunde lang von der Bahnhofsmission. Die Bahnhofsmission hat er erst während seiner Firmvorbereitung kennengelernt. Und jetzt hilft er jeden Sonntag dort mit! Ich bin baff. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Die Bahnhofsmission in Heidelberg wird getragen von der evangelischen und katholischen Kirche, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützen, wo immer sie können. Sie sind zur Stelle, wenn andere in Not sind. Sie helfen Reisenden aus dem Zug und von einem Gleis zum anderen. Sie spenden Trost und haben ein offenes Ohr für Sorgen aller Art: wenn jemand einsam ist, verarmt, krank, süchtig oder wohnungslos.
Viele Menschen suchen Hilfe bei der Bahnhofsmission und in den vergangenen Monaten ist besonders die Zahl der Leute gestiegen, die mit psychischen Problemen kommen. Die Mitarbeitenden bei der Bahnhofsmission sind zwar keine ausgebildeten Psychologen und doch sind sie für viele die erste Anlaufstelle, wenn es darum geht, mit jemandem Sorgen und Ängste zu teilen.
Kevin hängt sich da richtig rein. Für ihn ist das selbstverständlich. Es gehört für ihn zum Christsein dazu, dort anzupacken, wo er gebraucht wird. Er erzählt, dass ein Mann immer wieder kommt. Der Mann hat keine Familie mehr und ist einsam. Geboren und aufgewachsen ist er in Polen. Wie Kevins Mutter. Also hat Kevin dem Mann an Heiligabend in einer kleinen Plastikbox ein typisch polnisches Weihnachtsessen mitgebracht. Was für ein Segen, dass die beiden sich begegnet sind.
Nach dem Gespräch mit Kevin bin ich tief beeindruckt. Ich bin dankbar für Menschen wie ihn, die sich in ihrer Freizeit für andere einsetzen. Und die dadurch andere spüren lassen, wie Gott für sie da ist.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37727Mitten auf dem Gelände der Bundesgartenschau in Mannheim steht ein 60 Meter langer Tisch. Und drum herum 193 bunt bemalte Stühle[1].
Die Kunstaktion heißt "Tisch der Nationen", und die Stühle stehen stellvertretend für die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Die Initiatoren der Kunstaktion möchten mit dem „Tisch der Nationen“ ein Mahnmal für den Frieden setzen. Und sie laden die Besucherinnen und Besucher ein, an dem Tisch ein wenig zu verschnaufen, zu vespern, mit anderen zusammenzusitzen und gerne auch mit Fremden ins Gespräch zu kommen.
Jeder Stuhl ist ein Unikat und ist – passend zur Nation, für die er steht – mit Farben und Symbolen des Landes bemalt.
Ein Stuhl hat oben auf der Lehne eine Krone. Auf der Sitzfläche ist eine Uhr gemalt, die 4 Uhr anzeigt. Und mir ist sofort klar: der Stuhl steht für England und die Tea-time am Nachmittag. Daneben steht ein grüner Stuhl, den man auch in einem Pub in Irland finden könnte, und der daran erinnert, wie schön es ist, zusammen zu sitzen, zu reden, Musik zu machen und zu feiern.
Der Stuhl, der für Afghanistan steht, ist mit Stoff bespannt, auf den zwei Bilder gedruckt sind. Auf dem einen sind farbenfrohe Gewürze in kleinen Schälchen zu sehen, auf dem anderen zwei verschleierte Frauen. Die Künstlerin hat dem Stuhl die Überschrift gegeben: zwischen Genuss und Vorschrift. In was für einer Spannung die Menschen dort leben. Der Stuhl lässt mich nachdenklich zurück.
Genauso wie der nächste. Auf die Sitzfläche ist ein großes Fragezeichen gemalt. Drumherum ist alles in gelb-blau, den Farben der Ukraine. Der Künstler schreibt dazu: Der Stuhl dieses Landes stellt viele Fragen. Was rechtfertigt einen Krieg? Was ist wirklicher Frieden? Und vor allem, wie gehe ich mit meiner Angst um? Der Stuhl gibt keine Antwort. Aber der Künstler ist überzeugt: Antworten können wir finden, wenn wir zusammensitzen und miteinander sprechen.
Menschen, die aus allen Himmelsrichtungen zusammenkommen und friedlich an einem Tisch sitzen – so wie bei der Bundesgartenschau in Mannheim - das erinnert mich an das Hoffnungsbild, von dem Jesus im Lukasevangelium erzählt. Er sagt: „Alle Menschen werden von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen.“ (Lk 13,29)
Vom Frieden unter den Völkern und Religionen sind wir leider weit entfernt. Aber so viele sehnen sich danach. Daran erinnert mich der biblische Text und der „Tisch der Nationen“.
[1]https://stuhlprojekt.kunsthandwerk.de/
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37726Wie gelingt es, sich gut zu verabschieden? Ein ganz lieber und erfahrener Kollege hat es mir gezeigt. Er heißt Helmut, und im entscheidenden Abschiedsmoment stehe ich mit ihm unter der Haustür bei unserem Büro. Helmut und ich waren ein gutes Team, aber ich nehme eine neue Stelle an, und der Abschied von meinem Kollegen fällt mir schwer.
Das letzte Tschüss ist gesagt und ich will gerade losgehen, da fängt es auf einmal an, wie aus Kübeln zu schütten. Helmut zeigt nach oben und sagt voller Inbrunst: „Der Himmel weint, weil du gehst.“ Dabei schaut er mich liebevoll und ein bisschen schelmisch an.
Für mich war das ein echter Gänsehautmoment. Mein Kollege hat so charmant auf den Punkt gebracht, wie er zu mir steht, dass sich in dem Moment irgendwie auch bei mir etwas gelöst hat. Mein eigener Abschied von der alten Stelle ist da erst richtig möglich und irgendwie auch gut geworden. Es hat sich fast so angefühlt, als hätte mir mein Kollege da mitten im Platzregen so eine Art persönlichen Abschiedssegen mit auf den Weg gegeben.
Abschiede sind meist traurig, weil ich ein Stück meines Lebens loslasse. Oder einen Ort, an dem ich mich zu Hause gefühlt habe. Oder einen Menschen. Oder eine Art zu leben, die schön für mich war, aber die jetzt einfach nicht mehr passt.
Aber gleichzeitig sind Abschiede wichtig. Wenn ich mich in aller Ruhe verabschieden kann, auch mit allem, was in mir drin los ist, kann ich auf das Neue, das kommt, leichter zugehen und mich offener darauf einlassen. So wie bei Helmut und mir.
Nicht umsonst gibt es unter Christen die Tradition des Abschiedssegens. Ich denke an die Irischen Segenswünsche. Da heißt es zum Beispiel: „Möge Gott auf dem Weg, den du gehst, vor dir hereilen. Mögest du immer Rückenwind haben. Möge dir die Sonne warm ins Gesicht scheinen und sanft auf deine Felder fallen. Gott halte dich in seiner schützenden Hand, bis wir uns wiedersehen. Gott sei mit dir und segne dich.“
Diese Irischen Segenswünsche haben für mich so etwas von einem zuversichtlichen Wegschicken. Da kann jemand den anderen zuversichtlich gehen lassen.
Mein Kollege Helmut hat mir gezeigt, wie Abschiednehmen gut funktionieren kann. Bei ihm habe ich auch als diejenige, die geht, viel Zuversicht mitgenommen. „Der Himmel weint, weil du gehst.“ Damit hat mir Helmut ein bisschen sein Herz aufgemacht und mich dennoch einfach ziehen lassen. Das hat mir gut getan, so wie ein echter Segen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37733Weg vom Odenwald und hinein in die weite schöne Welt. Das war lange Zeit die Devise von IT-Fachmann Joar Berge. Er hat viele Jahre ein abwechslungsreiches und wohlhabendes Leben geführt. Joar Berge konnte nach Herzenslust feiern, reisen und vom Strand an der Côte d’ Azur aus arbeiten. Aber irgendwann hat er gemerkt, dass er sich noch was anderes im Leben wünscht als Sonne, Strand oder Partys. Joar Berge sagt: „Ich bereue mein früheres Leben nicht, aber plötzlich hab ich gemerkt, dass mir was fehlt: Kühe!“
Kühe kennt Joar aus seiner Kindheit auf dem Land im Odenwald zur Genüge. Und Joar hat sich erinnert, wie verschmust Kühe sein können. Und dann hat er sein Leben komplett umgekrempelt. Er ist von der französischen Riviera zurück in den Odenwald gezogen, weil da, wie er sagt, die Lebensbedingungen für Kühe besser sind.
Aber das war nur der erste Schritt. Joar erklärt: „Zuerst hab ich gedacht, ich könnte so eine Art ‚Kuhbaden‘ anbieten, also Kuscheln mit Kühen. Für gestresste Manager zum Beispiel.“
Aber die Idee hat Joar Berge wieder verworfen und stattdessen einen Gnadenhof für Kühe gegründet. Den betreibt er jetzt zusammen mit einem Team von Ehrenamtlichen. Heute nennt er seinen Bauernhof ‚Lebenshof‘, und inzwischen leben da nicht nur Kühe, sondern auch Hühner, Schweine und Hasen.
Tiere müssen auf dem Lebenshof nichts ‚leisten‘, die Kühe müssen nicht einmal Milch geben. Jedes Tier darf einfach nur da sein. Joar sagt: „Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst. Für alle, für Tiere und Menschen, für jede Kreatur.“
Ich gebe zu: ich trinke Milch und genieße schon auch gerne mal Fleisch. Und ich weiß: solange Menschen Fleisch essen, werden Tiere geschlachtet. Trotzdem bewundere ich Joar für das, was er macht. Denn er macht das, was zu ihm passt und was für ihn sinnvoll ist – und tut dabei sich selbst und anderen Gutes. Joar Berge ermöglicht Leben.
Joar ist sich bewusst, dass er nicht allen helfen kann. Er sagt: „Es geht nicht darum, die ganze Welt zu retten. Aber diesen Tieren hier, denen kann ich helfen. Und das ist gut so.“
An einer Stelle in der Bibel spricht Jesus vom „Leben in Fülle“ und sagt: „ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“[1] Was Joar Berge auf seinem Lebenshof macht, hat für mich viel mit so einem „Leben in Fülle“ zu tun. Weil er so vielfältiges Leben ermöglicht. Für die geretteten Tiere und gleichzeitig auch für sich selbst.
[1] Joh 10, 10.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37732Zeige Beiträge 1 bis 10 von 5230 »