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14APR2024
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Seit 20 Jahren ist Gabi Sauer die Mesnerin der evangelischen Veitskirche in Nehren, einem Dorf bei Tübingen. In anderen Gegenden würde man sagen: Sie ist Kirchendienerin oder Küsterin. Ich würde sagen: Sie ist die gute Seele ihres Kirchleins mit dem markanten Fachwerkturm, sie für frische Blumen auf dem Altar sorgt, die die Glocken läutet und sich darum kümmert, dass sich bei einem Hochzeitsgottesdienst alle wohl fühlen. Nur durch einen Zufall hatte sie damals erfahren, dass händeringend jemand für die Betreuung des Kirchengebäudes und der Gottesdienste gesucht wurde.

Wir sind (...) in die Kirche. Da stand der Pfarrer da. Und er hat mir leid getan: Wenn Sie jemand wissen, der jemand weiß, der jemanden kennt, der gerne Mesner werden würde, dann schicken Sie den doch bitte zu mir.

Ein, zwei Wochen hat Gabi Sauer das in sich gären lassen. Und ist dann zum Pfarrer hin und hat gemeint: 

Also ich weiß jemand, aber das Problem ist, Sie sehen es. Ich bin schwanger und - katholisch bin ich auch. Und Sie sind ja evangelischer Pfarrer.

Der stellte aber sofort klar, dass beides kein Hinderungsgrund war, Gabi Sauer als Mesnerin für die evangelische Kirche anzustellen.

Das ist kein Problem. Das eine vergeht und das andere ist kein Problem.

Seither, also seither sicher über 1000 Mal, beginnt Gabi Sauer den Sonntagmorgen erst einmal mit einer Tasse Kaffee und etwas Ruhe:

Bei einem normalen Gottesdienst ohne Taufe, ohne irgendwas mache ich mich um viertel nach neun auf den Weg zur Kirche. Ich schließ die Kirche auf, mach die Lichter an, zünde die Kerzen an, begrüß den Pfarrer meistens, die Organistin. Die Glocken läuten. Die Gottesdienstbesucher kommen und ich freue mich über jeden, der kommt. Man darf jeden herzlich willkommen heißen. Wir feiern Gottesdienst. Anschließend das Ganze wieder rückwärts, Kerzen aus: Türen zu und der Rest wird am Montag dann erledigt oder am Dienstag... (lacht)

Die 46-Jährige liebt das, was sie tut. Das spürt man. Deshalb ist sie auch „die Mesnerin der Kirch‘“ außerhalb der Gottesdienste.

Ich schließ‘ mich beim Putzen nicht ein. Meine Kirche ist immer wagenweit offen, wenn ich am Putzen bin. Und dann kann man auch mal kommen. Und wenn man dann ins Gespräch kommt, dann kommt da manchmal... ja, die Nöte, die Sorgen der Menschen zur Sprache.

Gabi Sauer ist „die“ Mesnerin ihrer Kirche. Und wenn die Leute zum Gottesdienst kommen, dann kommen sie manchmal eher zu ihr als zum Pfarrer. Als Hausfrau und als Mutter zweier Kinder ist sie außerdem im Sportverein mit dabei. Mit einem Wort, sie ist bekannt und fester Bestandteil eines Dorflebens, wie man es sich vorstellt.

Das Dorfleben hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Und Gabi Sauer erlebt auch die wachsenden Vorbehalte gegenüber Kirche und Glaube, wenn andere erfahren, was sie nebenberuflich macht:

Wie? Du schaffst bei der Kirch‘? Bist du so gläubig? Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Dann sag ich: Also die Bibel, die kann ich nicht auswendig. Aber deswegen kann man trotzdem bei der Kirch‘ schaffen und den Mesnerdienst verrichten.

Mittlerweile ist Gabi Sauer auch als evangelische Kirchengemeinderätin engagiert. Und auch hier erlebt sie live mit, wie stark sich das kirchliche Leben verändert hat und welche Konsequenzen das für sie und den Dienst ihrer Mesner-Kolleginnen und -Kollegen haben könnte.

Ich befürchte, dass es irgendwann das als Bezahltes nicht mehr gibt -  dass man das versucht mit Ehrenamtlichen. Und wenn man jetzt sieht, wie viele Pfarrstellen gestrichen werden, wie viele Gemeinden zusammengelegt werden. Ich weiß es nicht. Ich bin irgendwie skeptisch, wie lange es uns überhaupt noch gibt.

Aber noch gibt es sie, die Mesnerinnen und Mesner, die liebevoll ihre Kirchengebäude betreuen und die Menschen, die hierherkommen, gleich mit. Und – Mesnerinnen und Mesner werden weiterhin händeringend gesucht! Gabi Sauer kann ihren Beruf jedenfalls nur wärmsten weiterempfehlen, auch die Gottesdienste jeden Sonntagmorgen:

Das ist eine wunderschöne Zeit. Das ist für mich nicht arbeiten, sondern fast wie Urlaub. Es tut einfach gut. Ich höre nicht immer der Predigt zu, muss ich ganz ehrlich gestehen. (…) Aber es tut einfach der Seele gut, mal nichts zu hören, (...) die gelernten Lieder einfach zu singen und nichts zu denken und nix tun zu müssen.

In ihrer Kirche erlebt Gabi Sauer gelebte Verbundenheit. Und mir wird klar, wie viel sie selbst entscheidend dazu beiträgt, als sie mir folgende kleine Anekdote erzählt von einer Frau, die sich bei ihr entschuldigt hat, weil sie einmal sonntags nicht in die Kirche kommen konnte. Die alte Dame sagte damals zu ihr:

Ich konnte nicht in den Gottesdienst kommen. Weißt, ich musste Kartoffelsalat mache. Beim Gesangverein habet mer Hockete. Die kann ich die doch nicht im Stich lassen. Aber ich konnte zu dir nicht in die Kirche komme.(lacht)

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07APR2024
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Dr. Peter Kottlorz Copyrigt: Privatfoto

Ein runder Geburtstag: 100 Jahre Kirche im Radio. An Karfreitag 1924 lief die allererste kirchliche Radiosendung. Grund genug mit einem zu sprechen, der fast ein Drittel dieser Zeit selbst Verkündigung im Radio, im SWR gemacht hat. Dr. Peter Kottlorz war bis zu seinem Ruhestand Leiter der Katholischen Rundfunkarbeit am SWR. Die Rundfunkarbeit macht die religiösen Sendungen, wie hier auf SWR1 die Anstöße oder 3vor8 oder diese Begegnungen. Das gibt es natürlich auch auf allen anderen SWR-Wellen.
Peter Kottlorz ist seit zwei Jahren im Ruhestand und seitdem nicht mehr auf Sendung. Umso größer ist die Freude, dass wir beide jetzt diese Begegnung zusammen gestalten, wir haben nämlich auch mal zusammengearbeitet. Jetzt sitzt er wieder in seinem „Heimatstudio“ beim SWR in Tübingen und ich will gerne von ihm wissen, worum es Radioverkündigung grundsätzlich geht.

 

Den Menschen gut zu tun. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und das kann man, indem man mit diesen täglichen Sendungen, die auch eine Alltagsstabilisierung für Menschen bieten, Trost, Hoffnung und Lebensorientierung vermittelt.
Wenn ich merke, dass ein Mensch über etwas spricht, das er selbst erlebt hat und jetzt natürlich aus dem Glaubensbereich, aber nicht nur. Es ist gut, wenn die Menschen, die aus der Religion heraus sprechen auch immer aus dem Leben heraus und nicht eben aus einer anderen Dimension sprechen. Also, dass Sie das selbst erlebt haben, mindestens gefühlt oder mitgefühlt haben, das spürt man, das hört man. Und dann geht die Botschaft bestenfalls wirklich von Herz zu Herz.

Dabei ist ihm das Thema Augenhöhe zwischen Sprechenden und Hörenden ganz wichtig.

Und deswegen war mir war mir Glaubwürdigkeit wichtig und ich wollte auf gar keinen Fall irgendwie über irgendwelche Köpfe hinweg predigen. Ich war auch Zeit meines Berufslebens nie auf einer Kanzel. Allein die Position ist für mich ein No Go, weil ich da über den Menschen stehe und das ist nicht mein Ort.

Mehr als 30 Jahre lang hat Peter Kottlorz Menschen über das Radio seinen Glauben, seine Erfahrungen und sein Leben angeboten. Er wird dann auch ganz persönlich, wenn er erzählt, was für ihn religiöse Sendungen im Radio bedeuten:

Hörbares und damit spürbares Wohlwollen für die Menschen. Also, es ist für mich eine Form, meine Liebe zu den Menschen auszudrücken und zwar auf Augenhöhe. Das ist auch das einzige, was mir bisher in den zwei Jahren, seit ich das nicht mehr mache, fehlt. Das habe ich so gern gemacht und da muss ich jetzt eben andere Formen finden, meine Liebe zu den Menschen auszudrücken.

Worum es in Peter Kottlorz allererstem Radiobeitrag ging und wie viel Gott so eine religiöse Sendung braucht, das hören Sie nach der Musik.

… und mit Peter Kottlorz. Er ist Doktor der Theologie und mehr als 30 Jahre lang hat er christliche Verkündigung im Radio gemacht. Und war Leiter der Kath. Rundfunkarbeit am SWR. Seit zwei Jahren ist er im Ruhestand. Kann er sich noch an seinen allerersten Beitrag erinnern?

Ja, das war auch mein Letzter. Und zwar hieß der „This day is the first day of the rest of your life“. Das ist ein Kalenderspruch. Ein klassischer geradezu, der mir aber damals wie auch vor zwei Jahren, als ich meinen letzten Beitrag gemacht hab, sehr gut gefallen hat. Und weil ich das auch lebe. Und zwar geht es darum, dass man das Leben als Geschenk sieht. Und dass man es nicht nur deshalb auch bewusst lebt, so bewusst wie eben möglich. Und das habe ich also in meiner ersten SWF 3 Randnotiz als Beitrag gehabt und in meinem letzten SWR 3 Gedanken auch.

Für Peter Kottlorz und für mich war und ist es nicht immer leicht für die katholische Kirche zu arbeiten. Mit der Institution hadern wir immer wieder. Aber wir haben eine großartige Botschaft. Für mich ist die: Du bist grundsätzlich gut und von Gott geliebt. Und für die lohnt es sich, jeden Tag zu arbeiten und sie auch über das Radio zu erzählen. Dabei ist für uns alle in der Verkündigung das Wort Angebot wichtig:

Ja, ich teile Leben mit. Ich lege es auf ein Silbertablett wie einen blank geputzten, appetitlichen Apfel, und die Menschen können den sehen, vielleicht sogar schon riechen, oder er gefällt ihnen und sie können ihn nehmen oder auch liegen lassen.

Was würde fehlen, wenn es solche christlichen Sendungen wie diese hier nicht gäbe?


Es geht darum, dass in dem Konzert der gesellschaftlichen Meinungen auch diese eine Meinung möglich ist. Eine Meinung aus christlicher Perspektive und das würde fehlen, wenn es das nicht gäbe.
Es geht bei unseren Beiträgen um die Horizontale und um die Vertikale. Horizontale heißt um Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit. Und die Konflikte, die damit verbunden sind. Und es geht um die Vertikale. Und es geht um Spiritualität, es geht um die Frage nach Gott und es geht immer um die Knotenpunkte des Lebens: Geburt
, Krankheit, Tod, Sterben, Freude, Heirat, Liebe.

Peter Kottlorz spricht von unserem Job als wunderbare Brücke zwischen Gesellschaft und Kirche. Das hat er immer wieder erlebt, wenn ihn z.B. Menschen angesprochen haben, weil sie ihn an seiner Stimme erkannt haben.

Wie ist das denn mit Gott in der Radioverkündigung? Um den geht es ja. Wie viel Gott verträgt ein Beitrag? Für Peter Kottlorz muss Gott nicht direkt genannt sein. Er benutzt ein Bild und spricht von…

Einer Jalousie. An einem strahlenden Sommertag kann man, wenn es richtig grell ist, die Sonne durch ein großes Fenster scheinen lassen. Das ist dann aber fast zu grell oder man kann die Jalousie auf so halb klappen und wo das Licht dann ganz sanft durchstrahlt. Das ist für mich das schönste Licht und es ist für mich auch so ein Bild, wie man vielleicht dieses unbeschreibliche Wesen, Gott durchscheinen lassen könnte.

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01APR2024
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Désirée Binder

Wolf-Dieter Steinmann trifft Désirée Binder, psychologische Psychotherapeutin und Supervisorin aus Freiburg

Ostern ist existentiell

Im Auto nach Freiburg zu Désirée Binder bin ich in ne schwarze Wolkenwand geraten und hab gedacht: „Wie das Leben: Es wird nicht heller, wenn man älter wird, und unsere Welt, oje.“ Nach der Begegnung war ich heller: Die Räume, in denen die Psychologin mir begegnet ist. Und: Désirée Binder hat mir Ostern in die Seele erzählt, wie gut es tut.

Wenn so aus den Zweigen das erste Grün springt, dann springt mein Herz. Ich hab Ostern sehr, sehr gern.

Dabei kann man Ostern nicht ohne Karfreitag haben. Früher hat sie damit gehadert: warum immer Kreuz? Inzwischen macht genau das für sie Ostern lebensnah: Jesus ist auch dort gewesen, wo wir alle hingehen. Tot. Und er ist da durch. Das lässt hoffen.

Dass G_tt aus dem, was wir uns am wenigsten wünschen. Krankheit, Gewalt. Tod; dass G_tt aus diesem Schlimmen was Gutes wachsen lassen kann. Und dass es dann nichts mehr gibt, das in unserem Leben verloren ist. Eine Freundin, die hat über ihre tiefste Lebenskrise mal gesagt: ‚das wollte ich nie noch mal erleben müssen, aber ich wollte es auch nicht missen.‘

Ostern, also dass Jesus neu lebendig ist, wirkt weit über die Feiertage hinaus. Sie erlebt das auch in der Arbeit als psychologische Psychotherapeutin und Supervisorin. Oft kommen Menschen zu ihr, die feststecken.

Wenn es dann gelingt, wieder dort anzuknüpfen, wo Menschen stark sind, wo sie ihre Lebendigkeit spüren, vielleicht auch im Ärger, auch im Widerstand gegen ne Situation, die ihnen zu schaffen macht und dann Vertrauen finden, es gibt da vielleicht einen Weg, dann ist es so ein bisschen was wie ne Ostererfahrung.

Was hilft, aufzustehen in Krisen und durch Täler zu kommen? Désirée Binder setzt darauf: tiefe menschliche Begegnungen wirken heilsam. Darum: bitte pflegen.

Ich glaube, wir müssen in Zeiten, in denen wir nicht im Tief sind, anfangen, uns einfach zu gönnen, ein Stück Leben zu teilen. Das kann helfen, in Situationen, in denen wir wirklich jemanden brauchen, darauf zurückzugreifen und zu sagen, da war doch mal jemand.

Die Erfahrung, ich bin nicht allein, die macht jede Situation weniger ausweglos.

Das geht auch per Telefon: Wenn Seelen sich einander öffnen und heilsam zusammen schwingen. Manchmal wird dabei auch klar, es ist jetzt dran, was aufzugeben. Sie nennt das ‚heilsam kapitulieren.‘ - Wenn ich endlich aufgeben kann, einen vertrauten Irrweg immer zu wiederholen. Dann kann Neues wachsen.

Es ist immer schön, wenn jemand sich einladen lässt, das Selbstbild mal upzudaten, zu sagen, ‚eigentlich bin ich da schon ein paar Schritte weiter, ich hab es nur noch nicht gemerkt.‘

Für Désirée Binder durchzieht Ostern das ganze Leben. Dabei ist manchmal auch ein „unbekannter“ Dritter im Spiel.

 

Désirée Binder mag Ostern. Erstaunlich. Hat sie doch schon früh wichtige Menschen verloren. Mutter, Großeltern. Das hat ihr Leben tief erschüttert. Und doch dieses Vertrauen in sie gelegt: Am Ende ist Licht. Anderen geht das ähnlich.

Ein Freund von uns, der hat es beim Verlust seiner Frau mal so ausgedrückt. ‚Ich bin zugrunde gegangen. Und an den Grund gekommen, der mein Leben trägt.‘
Den er Gott nennt. 
Und es war so, dass ich diesen Urgrund auch gespürt hab. Jetzt könnte passieren, was will, mich würde nichts mehr so tief erschüttern.

Dazu passt eine ihrer Lieblingsostergeschichten aus der Bibel: von zwei Freunden Jesu. Nach seinem Tod sind sie erschüttert, bodenlos. Sie fliehen aus Jerusalem. Auf einmal geht einer mit ihnen: ein „unerkannter“ Bekannter.

Sie erkennen ihn nicht. Und das Großartigste ist, dass sie ihn erkennen, als er mit ihnen isst. Das gemeinsame Essen. Das Brot teilen. An diesem Vorgang erkennen sie ihn.

Schon in der Bibel wird also erzählt: G_TT ist nicht einfach unübersehbar da. Man kann G_TT nicht ‚haben‘. G_TT erscheint eher für Menschen und dann können Gebeugte aufstehen. Désirée Binder glaubt an G_TT als ein großes Du.

Wenn ich dieses große Du anspreche. Dass das nicht ohne Resonanz bleibt. Dass es irgendwas gibt, was mich nicht als die gleiche zurücklässt. Ich ahne mehr, als ich weiß.

Das genügt. Dass man Gott nicht sicher weiß, sondern glaubt und hofft, ist kein Mangel. Es gibt „Sachen“ mit Geheimnis: Wie den Tod.
Aber ich finde, sie hat da eine schöne Hoffnung.

Ich habe so das Bild, dass Christus den Weg vorausgegangen ist und an dem anderen Ufer sozusagen wartet. Und dann die Hand, die ich loslasse, ablöst und mir ne Hand gibt und mich rüber holt.

Ich glaube, hoffen macht frei. Heute z.B., wenn man schön feiert. Für Désirée Binder gehört dazu: Die Auferstehungsfeier morgens um sechs.

Einander zurufen: ‚Christus ist auferstanden‘. Ein Osterfrühstück. Und was für uns unbedingt dazu gehört, ist, dann rauszugehen, uns Ostergeschichten zu erzählen, zu lachen.

Vielleicht überrascht es Sie, aber als sie das gesagt hat, hab ich an Alexej Nawalny gedacht. Wie er vor seinen Richtern steht, aufrecht, mit Humor. Trotzt der Gewalt und irgendwie auch dem Tod. Désirée Binder bestätigt, Ostern ist auch politisch existentiell.

Uneingeschränkt Partei ergreifen für die Menschenwürde und das Lebensrecht aller Beteiligten. Und ich hoffe, dass Gott nen Weg für uns hat.
Und so kleine Osterzeichen sind für mich wirklich so Friedensinitiativen.

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31MRZ2024
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Kerstin Fleischer Copyright: Photo Feuerstein, Speyer

… und mit Kerstin Fleischer, die als Seelsorgerin in einem Bereich arbeitet, den die Meisten zwar schon erleben mussten, aber möglichst weit von sich fernhalten. Die 47-Jährige begleitet sterbende und trauernde Menschen. Trauer, so heißt es ja oft, mache einsam. Wer einem Trauernden begegnet fürchtet oft, sich an der Traurigkeit des anderen quasi anzustecken. Was viele vergessen: Eine Welt ohne Trauer wäre auch eine Welt ohne Liebe.

Trauer hat immer irgendwie auch was mit Verlust zu tun. In der Begleitung arbeite ich dann mit den Trauernden heraus, dass Trauer Liebe ist. Und wer trauert, liebt und wer liebt, trauert. Und je tiefer und inniger die Bindung und Beziehung war, desto größer ist der Schmerz. Und den Schmerz aushalten zu müssen, das ist so was, das macht man nicht gern, das schiebt man gern weg, weil man Angst hat vor dem, was kommt.

Denn am Ende geht es immer um eines: Ums Abschiednehmen. Und Abschiede tun meistens weh. Doch wenn es gelingt, sie bewusst zu gestalten, sagt Kerstin Fleischer, kann ich besser damit umgehen.

Junggesellinnenabschiede, die vollzieht man bewusst. Man trifft sich, man sitzt beisammen, man feiert, man erinnert sich, man nimmt mit, was man erlebt hat, man bedankt sich. Und ich würde mir wünschen, dass es viel mehr auch in diesem Übergang vom Leben zum Tod, diese bewusste Gestaltung möglich sein wird.

Und wie kann sowas konkret gelingen?

Zum Beispiel haben wir das Ritual des Sterbesegens, wo noch einmal bewusst mit den Angehörigen am Sterbebett Abschied genommen wird.

Da ist das ganze Leben noch mal gebündelt. Alles, was gut war, das Schöne, was bleibt. Aber auch - und das finde ich das Starke - was misslungen ist, was man vielleicht hier auf dieser Erde in diesen Zeiten gar nicht mehr regeln kann. Das vertraue ich jetzt Gott an und bitte ihn in dieser Situation um seinen Segen, seine Begleitung.

Und wenn ein Mensch nicht glauben und auch nicht beten kann oder will?

Manche entschuldigen sich und sagen Frau Fleischer, ich bin gar nicht katholisch. Und dann sage ich: Ich glaube, das spielt jetzt keine Rolle. Und dann kommt man miteinander ins Gespräch. Und das Gespräch ist, glaube ich, das Entscheidende. Einfach diese Präsenz, dieses Da sein.

Denn am Ende ist etwas anderes wichtig. Und das gilt für jeden Menschen, ob gläubig oder nicht.

Mein Ansatz ist es zu sagen: Die Trauer muss nie zu Ende sein, aber sie muss sich wandeln ... Ein Trauernder muss nicht loslassen. Er hat schon losgelassen. Ich muss den Verlust nicht verarbeiten, sondern ich muss lernen, mit diesem Verlust zu leben. Und wenn ich den Verlust spüre, aber er schmerzt nicht mehr so sehr, dann habe ich wieder Schritte ins Leben getan.

Um die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod und das, worauf Kerstin Fleischer selbst hofft, geht es gleich.

… ich spreche mit meiner Kollegin Kerstin Fleischer, die im Bistum Speyer als Seelsorgerin für trauernde und sterbende Menschen da ist. Auch an einem besonderen Ort, dem Hospiz. Eine Einrichtung, in der Menschen ihre letzten Lebenswochen oder -tage verbringen können. Ein Ort, mit dem Viele vor allem wohl Traurigkeit und Tod verbinden.

Das ist oft die Angst und die Scheu, an diesen Ort zu gehen, weil es dann ernst wird. Und im Nachhinein, im Rückblick sagen viele: Schade, dass ich nicht schon viel früher die Entscheidung getroffen habe, ins Hospiz zu gehen, weil sie erleben, dass nicht dieses Sterben-müssen im Mittelpunkt steht, sondern tatsächlich das Leben.

Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Macht sie das Abschiednehmen leichter?

Wenn ich einen Glauben habe, wenn ich eine Idee habe, was passiert mit diesem Menschen, wenn er stirbt? Wo ist dieser Mensch? An was glaube ich? Das trägt und das macht mir den Abschied, glaube ich, tatsächlich ein bisschen leichter. Weil ich nicht das Gefühl habe, jetzt kommt ein Loch oder ein Nichts, sondern ich weiß oder ich glaube daran, er oder sie ist bei Gott oder an einem guten Ort. Und diese Hoffnung, das ist wirklich was ganz, ganz Entscheidendes.

Worauf sie persönlich hofft drängt Kerstin Fleischer aber keinem auf. Darüber spricht sie nur, wenn sie jemand ausdrücklich danach fragt, und ich habe sie gefragt.

Ich für mich, ich glaub, dass im Moment des Sterbens Gott mir seinen Engel schickt, der mich führt von Dunkelheit und Nacht ins Licht, und dass ich in diesem Licht leben darf, in diesem Osterlicht. Das ist mein Glauben, meine Hoffnung. Und das tröstet mich, wenn ich Abschied nehme von meinen Lieben.

Denn das musste sie selbst, als ihr Vater in der Coronapandemie starb.

Ich habe vielleicht in dem Moment in dieser Zeit noch so stark wie nie zuvor erlebt, wirklich von Menschen, von Gott getragen zu sein. Und das war für mich eine großartige Erfahrung, das auch spüren zu dürfen. Und ich für mich wünsche mir, dass ich auch in 20 Jahren bei irgendeinem Ereignis noch traurig sein darf, dass mein Papa das jetzt nicht mehr erleben darf. Dann bin ich keine Trauernde. Aber ich bin traurig über diesen Moment. Ich habe diesen Schmerz, aber nach und nach wandelt sich dieser Schmerz in eine kostbare Erinnerung. Und das bleibt. Und das darf ich mit hinein in mein Leben nehmen.

Heute, an Ostern, feiern Christen ja die große Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort ist.

Genau das, was wir an Ostern jetzt feiern, das darf ich auch erleben. Auch wenn mir jemand Liebes stirbt, geh ich aus diesem Weg durch die Trauer hindurch wieder zurück ins Leben. Und das ist Ostern!

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29MRZ2024
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Barbara Wurz und Ernst-Wilhelm Gohl, Landesbischof der evangelischen Kirche in Württemberg.

Barbara Wurz trifft  Ernst-Wilhelm Gohl, Landesbischof der evangelischen Kirche in Württemberg.

Eine seiner wichtigsten Aufgaben als Bischof: der Kirche ein Gesicht geben und öffentlich Stellung beziehen zu den Themen, die gerade dran sind. Gar nicht so leicht in einer Zeit, in der viele Menschen die Kirchen sehr kritisch wahrnehmen: zum Beispiel ihre Sprache oder Musik:

Also das Beste, das mir jemand sagte, als wir ein neues Lied gesungen haben. Mensch, ich wusste gar nicht, dass Sie so moderne Lieder singen. Und dann sage ich: So modern ist das gar nicht, das ist jetzt 50 Jahre alt.

Wenn sich die Menschen moderne Musik im Gottesdienst also gar nicht vorstellen können, dann sagt das schon viel über das Bild von Kirche in ihren Köpfen. Die Kritik reicht aber noch deutlich tiefer:

dass sie vom Leben weg ist, dass sie keinen Bezug hat zum Leben. Was hat der Glaube mit meinem Leben zu tun? Ich brauch‘s nicht.

Vielen Menschen geht es gut, meint Gohl. Und scheinbar lässt sich heutzutage alles im Leben kontrollieren oder steuern – auch ohne Kirche und ohne Beistand von oben. Es kann aber auch ganz anders kommen:

Aber ich glaube, es zeigt sich ja gerade in Situationen, wo dein Leben anders läuft, als du dir das vorstellst, wo du erlebst, dass eben das nicht stimmt: ‚Wenn du dir nur Mühe gibst oder wenn du dich gesund ernährst, kannst du nicht krank werden.‘ Und wie alle die Sprüche heißen, die meinen, wir hätten das Leben in der Hand (…), da kommt plötzlich eine andere Dimension und bricht ein. Und da hat natürlich der Glaube für mich als sehr tragende Antwort.

Eine Antwort, die für ihn viel mit dem heutigen Karfreitag zu tun hat.

Der Karfreitag zeigt mir: Es gibt Situationen, die hast du nicht im Griff und die gehören zum menschlichen Leben dazu. Wenn Jesus am Kreuz ruft Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Das ist wohl der tiefste Punkt, den Du an Verzweiflung haben kannst. Und (…) es tut mir gut, wenn ich das einfach zulassen kann. Es gibt Situationen, da weiß ich nicht aus noch ein. Ich bin nur verzweifelt und das gibt es im Leben und das hat seinen Platz.

Um den schweren Seiten des Lebens ihren Platz einzuräumen ist es für Ernst-Wilhelm Gohl wichtig, an Karfreitag auch einmal zur Ruhe zu kommen.

Da erlebe ich als Erstes, dass mir das wahnsinnig schwerfällt: die Stille. Wir sind es meist gewohnt, dass man immer aktiv ist. Und ich glaube, das ist auch eine Erfahrung, die wir modernen Menschen wieder viel stärker machen müssen.

Und erzählt mir von einer eindrücklichen Begegnung aus seiner Zeit als Gemeindepfarrer: Mit einer alten Dame, die lange die Mesnerin der Kirche gewesen war:

plötzlich hatte die ein Schlaganfall und ich habe sie besucht und werde es nie vergessen, wie sie im Bett liegt. Eine Dame aus Siebenbürgen und mit ihrem alten Akzent, den Finger hebt mit der Hand, die nicht gelähmt war und sagt: „Der Herr hat mich in die Ruhe getan. Das muss ich noch lernen.“ Das fand ich ein unheimlich starker Satz.

Ernst-Wilhlem Gohl ist überzeugt: Es schadet unserer Gesellschaft, wenn wir die Ruhe nicht mehr aushalten. Denn in der Ruhe beginnt das Nachdenken – auch über die eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten. Über das, was die Bibel „Sünde“ nennt.

Die Ursünde nach der Bibel (…) ist, dass der Mensch sagt: Ihr werdet sein wie Gott. (…) Ich bin der letzte Maßstab und ich glaube, wir laden überall Schuld auf uns, wo wir uns zum Maßstab machen und eben nicht mehr sehen, dass mein Gegenüber genauso Gottes geliebtes Geschöpf ist und genau gleichen Wert hat wie ich (...) Wir könnten jede Krise, glaube ich, durchbuchstabieren, dass es letztendlich darum geht: Ich bin das Maß aller Dinge, die anderen sind mir egal.

Der Mensch darf sich nicht zum Maß aller Dinge machen. Und schon gar nicht darf er sich über andere erheben. Auch davon erzählt der Tod von Jesus am Kreuz.
Wir haben unser Leben nicht voll und ganz im Griff, und wir gehen auch nicht ohne Schuld und Egoismus durchs Leben. Unser Leben bleibt bruchstückhaft. Und das verschwindet auch nicht einfach so, nur weil wir in drei Tagen Ostern feiern: Die Auferstehung Jesu von den Toten. Ernst-Wilhelm Gohl meint:

Ostern wischt ja nicht das weg, was geschehen ist. Aber Ostern lässt in einem anderen Glanz erscheinen. Und das heißt für mich, dass ich die Gebrochenheit in meinem Leben zulassen, auch dazu stehen kann, weil ich weiß, dass auch ich mit all meiner Bruchstückhaftigkeit, auch mit meinem Scheitern (…) einfach in Gottes Liebe aufgehoben bin. (…) weil ich weiß von Ostern her, dass mich nichts von Gottes Liebe trennen kann.

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24MRZ2024
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Andreas Pietschmann Copyright: Mathias Bothor

Christopher Hoffmann trifft: Andreas Pietschmann.

Der Schauspieler ist immer wieder im deutschen Fernsehen zu sehen. Etwa im Tatort, bei Wilsberg oder Polizeiruf 110. Mit der Netflix-Serie „Dark“ feierte er dann 2017 seinen internationalen Durchbruch - in der Hauptrolle als Jonas. Mich hat er aber schon früher begeistert. Und zwar als Jesus! Denn in der italienisch-deutschen Koproduktion „Ihr Name war Maria“ spielt Andreas Pietschmann den Sohn Gottes. Wie war das für ihn?

Es ist natürlich eine andere Rolle als jede andere, das ist völlig klar. Und für dich als Schauspieler ist auch klar: Normalerweise begegnet dir sowas nie im Leben, dass du so eine Figur spielst. Ich habe dann das Neue Testament noch mal genau studiert- das waren natürlich ganz besondere Texte. Und ganz tolle Inhalte, mit denen zu beschäftigen sich total lohnt und was für einen Schauspieler eine ganz besondere Aufgabe ist.

Gab es einen Bibeltext, der Andreas Pietschmann persönlich besonders gepackt hat?

Ich erinnere mich, dass ich sehr beeindruckt war von der Bergpredigt. Und da ist mir aufgefallen, dass diese Texte viel schöner sind, als ich sie in Erinnerung hatte aus Lesungen oder aus Kirchbesuchen einerseits und andererseits, was für ein Werkzeugasten das ist für ein gutes Leben. All das, was da gesagt wird, taugt wahnsinnig gut eigentlich, um die Welt zu einer besseren zu machen, wenn jeder das etwas mehr beherzigen würde.

Dabei ist Andreas Pietschmann alles andere als unkritisch gegenüber Religion:

Menschen tendieren dazu - gerade wenn es um Religion geht - in allen Religionen sie sich zu Nutze zu machen zur Sicherung ihrer eigenen Position, zur Machtsicherung, zur Ausübung von Macht leider auch. Das ist die große Gefahr. Würde man aber ganz nüchtern und von all dem befreit diese Texte sich ansehen, insbesondere in der Bergpredigt, dann taugt es zu einer sehr guten Lebensanleitung, also ein gutes Leben zu führen.

 „Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit – denn sie werden satt werden“ (Mt 5,6), steht da zum Beispiel. Und: „Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden“ (Mt 5,7). Auch Andreas Pietschmann orientiert sich in seinem Leben an diesen Worte Jesu. Glaubt er auch an Gott und an einen Sinn im Leben?

Ich habe immer das Gefühl gehabt, irgendwie muss noch über den Zufall hinaus – und das habe ich auch nach wie vor - was anderes Ursache sein für mein Dasein und auch Ziel sein für mein Dasein. Und das mag ich auch immer noch glauben. Ich habe kein Wissen, ich habe einen Glauben, ich habe eine Hoffnung.

 Mit 19 Jahren hat Andreas Pietschmann einen schweren Autounfall. Er überlebt…

…und ich habe das schon für mich als Auftrag gesehen, einerseits und als Chance andererseits, dass Dinge noch passieren mit mir und dass ich noch Aufgaben zu erfüllen habe. Und ich finde das ein recht gesundes Bewusstsein, was einem Zuversicht gibt und auch Kraft gibt und Motivation nicht aufzugeben und auch sein Leben mitunter als Dienst zu sehen.

Ich treffe Andreas Pietschmann in Berlin-Pankow, wo er mit seiner Frau, der Schauspielerin Jasmin Tabatabai und seinen drei Kindern lebt. Der 55-Jährige setzt sich gemeinsam mit der Hilfsorganisation „Save the children“ für Kinder ein, die in Kriegen hungern und leiden – auch in vergessenen Krisen wie in Syrien, wo der Konflikt inzwischen schon seit 13 Jahren andauert. Dort sind gerade über 16 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen – ein trauriger Rekord seit Kriegsausbruch:

So viele Leute wie aktuell - und gerade Kinder, Jungen und Mädchen -  in Syrien leiden, gab es noch nie. Und wir dürfen das nicht vergessen, dass die Kinder da wenigstens zu essen und ein Dach über dem Kopf bekommen und irgendwie eine Perspektive bekommen, wenn sie spüren: da sind noch Menschen, die denken an uns.

 Aber Andreas Pietschmann verschließt auch nicht die Augen vor dem Leid vor der eigenen Haustür. In seiner Nachbarschaft unterstützt er das Kinderhospiz „Sonnenhof“ in Pankow…warum?

Es handelt sich da um eine meist für alle Menschen unsichtbaren Nische in unserer Gesellschaft, die es aber gibt – also Leute, die in solcher Not sind, werden meisten nicht gesehen.

 Und das will Andreas Pietschmann ändern:  Er beteiligt sich an Fußball-Benefizturnieren, denn als junger Mann hat er selbst in der dritten Bundesliga für die „Würzburger Kickers“ gespielt und bis heute ist das runde Leder seine große Leidenschaft. Und als passionierter Motorradfahrer sammelt er mit vielen anderen Bikern auch bei der sogenannten „Sonnenhoftour“ Geld. Immer wieder geht der sensible Botschafter aber auch selbst vor Ort und trifft im Hospiz Kinder, die an schweren, unheilbaren Krankheiten leiden und deren Familien:

Das ist ein ganz besonderer Ort. Und zwar, was mich eben so beeindruckt hat, nicht nur ein Ort von Trauer natürlich und von Innehalten und von Schmerz, sondern -  weil diese Leute so eine unglaubliche Energie da haben -  auch ein Ort von Hoffnung. Und das ist wahrscheinlich auch der einzige Weg, wie man helfen kann: Wenn die Hoffnung da ist und die Kraft da ist, wenn die Liebe da ist, um sich um diese Menschen zu kümmern, um diesen Menschen, die in dieser traurigen Extremsituation sind, Hoffnung zu geben.

 Andreas Pietschmann bewundert deshalb die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kinderhospiz sehr:

Und für diese Arbeit braucht man natürlich einerseits eine unglaubliche Hilfsbereitschaft und Hingabe, aber auch ein breites und starkes Kreuz, denn man ist natürlich täglich mit dem Tod konfrontiert und auch einfach mit Menschen, denen er bevorsteht. Und die sich dadurch in einer Extremsituation befinden.

Leid und Tod – das ist auch Thema der bevorstehenden Karwoche. Gibt die Osterhoffnung, der Glaube an Auferstehung, auch Andreas Pietschmann persönlich Kraft?

Ich habe die Hoffnung, dass ich den von mir geliebten Menschen nach meinem Tod auch wieder begegne, ja.

Das hoffe und glaube ich auch. Und wir beide glauben daran, wie wichtig diese Botschaft von der Liebe, die stärker ist als der Tod, auch in unserer Welt heute weiterhin bleibt.  

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17MRZ2024
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Mateo Weida Copyright: Ludmilla Parsayk

Martina Steinbrecher, evangelische Kirche, trifft: Mateo Weida (39), evangelischer Jugendpfarrer in Stuttgart. Zusammen mit seinem katholischen Kollegen Max Magiera hat er in der Nikolauskirche einen Kreuzweg speziell für Jugendliche aufgebaut. Dort wird man mit dem Leidensweg von Jesus konfrontiert. Und mit sich selbst. 

Bei unserem Treffen in der katholischen Kirche Sankt Nikolaus im Stuttgarter Osten steht Mateo Weida auf einer Leiter und schraubt einen Lautsprecher an ein großes Holzgestell. Der evangelische Jugendpfarrer ist zufrieden: Die Segensdusche funktioniert schon mal.  

Eine Segensdusche war im letzten Jahr die große Attraktion. Da konnte man durchlaufen oder sich drunterstellen und hat dann gute Worte zugesprochen bekommen. Quasi Segensworte. Und diesmal sind das Lobesworte und Worte, die irgendwie zusprechen: Hey, du schaffst das!

Wer auf einem roten Teppich unter dem Holzgestell durchgeht, löst durch einen Bewegungsmelder die Dusche aus: Aus dem Lautsprecher rieseln aufmunternde Worte. So funktioniert die erste von sieben Stationen des ökumenischen Jugendkreuzwegs, den Mateo Weida hier mit seinem katholischen Kollegen Max Magiera aufgebaut hat. Sie knüpft an den Palmsonntag an: Bei seinem Einzug in Jerusalem hat Jesus eine große Menschenmenge lautstark zugejubelt. Ein Gefühl wie unter einer Segensdusche. Für Jesus war es aber auch der Beginn eines Leidensweges, der in den Tod geführt hat.    

Die Beschäftigung mit der Passionsgeschichte zeigt einem das unglaubliche Leid einer Person vor 2000 Jahren, ordnet die so ein bisschen ein und lässt gleichzeitig auch zu, dass es ok ist, in Krisen zu sein, dass es ok ist zu leiden, dass nicht immer alles happy sein muss.

Mateo Weida ist es wichtig, Jugendlichen zu signalisieren: Auch wenn du jung bist und die Gesellschaft es vielleicht von dir erwartet, musst du nicht immer gut drauf sein. Die weiteren Stationen des Kreuzwegs geben deshalb Anregungen für die Auseinandersetzung mit Krisen, mit Grenzüberschreitungen, mit Schuld.  Da hängt zum Beispiel ein gesprungener Spiegel an der Wand über einem Waschbecken. Pilatus fällt mir ein, der nach der Befragung von Jesus seine Hände in Unschuld wäscht. Solche Bibelkenntnisse sind aber nicht erforderlich. Wichtig ist, dass man bereit ist, sich selbst zu begegnen   

An dieser Station geht es um die Selbstreflexion der Jugendlichen, die vor dem Spiegel stehen. Vor dem Waschbecken stehen, sich überlegen, in welchen Situationen bin ich drin? Wo fühle ich mich schuldig? Wo fühle ich mich nicht schuldig? Wie geht es mir damit?

Wann kommt mir ein anderer Mensch zu nahe? Wie sage ich Stopp, wenn ich etwas übergriffig finde? Was könnten einmal meine letzten Worte sein? Der Jugendkreuzweg, meint Mateo Weida, bietet viele Möglichkeiten, sich auf kreative Weise mit solchen Fragen zu beschäftigen. Er greift aber auch gesellschaftspolitische Themen auf:

Momentan ist ja in aller Munde die Frage nach dem Rechtsruck in Deutschland. Und diese Station gibt die Möglichkeit zu sagen, hey, wir stehen dafür ein, dass wir gut miteinander umgehen, dass wir nicht über andere lästern. Gegen welche Worte wollen wir protestieren? Welches Wort des Onkels, das am Essenstisch wieder gesagt wurde, möchte ich eigentlich kommentieren und sagen, hey, das sehe ich anders?

Mateo Weida möchte Jugendliche sprachfähig machen, sich auch zu schweren Themen und in herausfordernden Situationen zu äußern. Eine eigene Lieblingsstation hat er auch.  Dass die vertrauten Konzepte immer mit der Kreuzigung enden, gefällt dem 39-Jährigen nicht. Deshalb geht es beim Jugendkreuzweg in der Nikolauskirche noch eine Station weiter:  

Und dann kommt man in diesen großen Raum, wo in der Mitte dieser Buzzer steht, und kann dahinlaufen. Und wenn man da draufdrückt, dann kann man sich quasi so ein Gefühl von Ostern herbuzzern.  

Was genau passiert, wenn man auf den roten Buzzer drückt, soll nicht verraten werden. Und obwohl Mateo Weida dieses Ostererlebnis so wichtig ist, weiß er auch, dass es oft gar nicht in unserer Macht steht, dass eine Geschichte gut ausgeht.   

Es gibt schwierige Situationen, da möchte man nicht einfach nur „und jetzt ist doch alles happy am Ende“ draufklatschen. Und deswegen wollen wir es den Leuten freistellen, ob sie jetzt gerade da bereit sind, über Neuanfang und Hoffnung zu hören oder ob sie sagen, hey, sie brauchen eigentlich noch ein bisschen Zeit, erstmal diese Krise zu verarbeiten. Und das ist dann auch okay.

Manchmal sind die Erfahrungen, die ein Mensch auf einem Leidensweg macht, am Ende sogar wichtiger als das große Happy End. Mateo Weida wünscht sich, dass die Jugendlichen, die sich beim Jugendkreuzweg mit Jesus identifizieren, am Ende spüren, dass Jesus sich umgekehrt auch mit ihnen identifiziert:

Man geht mit Jesus diesen Leidensweg mit und erlebt dabei, dass Jesus den eigenen Leidensweg und den eigenen Lebensweg eben auch genauso mitgeht und genauso begleitet.

Noch bis zum kommenden Sonntag ist der ökumenische Jugendkreuzweg in der Stuttgarter Nikolauskirche tagsüber geöffnet. Zum Abschluss gibt’s dort ein Konzert:

Wir enden den Jugendkreuzweg mit „MoveDove“. Das ist eine Band, die ganz viel Raumästhetik macht. Die nehmen ihre Synthesizer, machen da ganz viel mit Vocodern und machen aus alten Psalmtexten sphärische Musik, die unwahrscheinlich schön in solche Kirchenräume passt.

Weitere Informationen über Öffnungszeiten und über das Abschlusskonzert finden Sie auf: https://t1p.de/29y4h

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10MRZ2024
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Barbara Janz-Spaeth Copyright: Ulrich Pfeiffer

… und mit Bärbel Janz-Spaeth. Sie ist Theologin und Autorin – und kennt sich aus in der Bibel. Vor allem, wenn es um Frauengeschichten dort geht. Ich treffe sie in ihrem Büro in Stuttgart, und wir schauen nochmals in die vergangene Woche. Vorgestern sind Frauen weltweit im Mittelpunkt gestanden, am Weltfrauentag. An diesem Tag frage ich mich jedes Jahr: Was wäre eigentlich, wenn für Frauen und Männer in der katholischen Kirche gleiche Rechte gelten würden: Hätte das nicht Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft?

Natürlich, da könnte Kirche ganz viel bewirken, sie könnte ihre Botschaft in der Praxis verkünden, indem sie hier wirklich Gerechtigkeit einfordert. Und das heißt auf Augenhöhe miteinander umzugehen, aber nicht in Pseudostrukturen.

Die Botschaft des Christentums ist uralt. Gerade wenn’s um die Stellung von Frauen geht. Sie ist in der Bibel grundgelegt. Bärbel Janz-Spaeth wiederholt sie, sicher zum x-tausendsten Mal. Aber immer noch mit leidenschaftlicher Überzeugung:

Wir sind Geschöpfe Gottes und als solche kommt uns allen wirklich die gleiche Würde zu. Und das heißt, jeder Mensch ist zunächst einfach gut, so wie er sie ist und in Ordnung und wertvoll und Teil dieser Erde. Und in jedem Mensch steckt etwas von dieser göttlichen Kraft und göttlichen Spur. Und das will ich auch mit Menschen entdecken, wenn ich unterwegs bin.

Unterwegs ist Bärbel Janz-Spaeth oft. Im Gepäck hat sie Geschichten von Frauen in der Bibel und ne ganze Menge Lebenserfahrung. Sie gestaltet Gottesdienste für Frauen; und immer wieder nimmt sie sich Zeit, um junge Frauen zu begleiten, die Fragen stellen. Ans Leben, an die Zukunft, an ihre eigene Zukunft als Frau in dieser Gesellschaft.

Wie kann man Familie in Zukunft leben? Ist es nur die Ehe? Wären's nicht offenere Lebensformen wie die WGs, wo sehr wohl Partner, Partnerinnen, Familie miteinander in einem gemeinschaftlichen Wohnen zusammen sind, Kinderbetreuung sich aufteilen, die Haushaltsarbeit aufteilen, aber auch politisch sich engagieren? Da denken die drüber nach.

Könnte sie das als katholische Christin guten Gewissens mittragen, frage ich sie? Das entspricht doch ganz und gar nicht dem klassischen Familienbild der Kirche? Ihre Antwort überrascht mich, weil sie wieder an die Anfänge des Christentums zurückgeht.

Das ist ja zutiefst biblisch, weil sozusagen das Christentum eine neue Familie geschaffen hat, wo alle miteinander die Familie bilden, also als Gemeinschaft derer, die an diesen Gott und an diesen Jesus Christus glauben. Da ging es überhaupt nicht darum, ob die verheiratet sind oder sonst was.

Das wäre in der Tat eine ganz andere Lebenssituation für Frauen und Kinder. Bärbel Janz-Spaeth ist da mittlerweile ganz klar in ihrer Haltung und findet, dass Kirche längst die vielen unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens würdigen sollte und damit anerkennen würde:

Von unserem Verständnis, was Menschsein ausmacht, aber auch wirklich Gottes Gemeinschaft ausmacht, das praktiziert ihr! Mir geht es gar nicht darum, jetzt Familie abzuschaffen, sondern zu sagen: Offensichtlich gibt es noch mehr Möglichkeiten, als wir uns vorgestellt haben.

Bärbel Janz-Spaeth arbeitet als Referentin für Bibelpastoral in Stuttgart. Einen besonderen Blick hat sie auf die Geschichten über Frauen in der Bibel. Weil sie findet, dass sie uns noch heute inspirieren können, neu nachzudenken.

Sie erzählt mir zum Beispiel von Rebekka im Buch Genesis im Alten Testament. Die wehrt sich gegen die Tradition, dass nur ihr ältester Sohn den Segen des Vaters bekommt. Oder die Frau von Tobit. Deren Mann wird im Alter blind und traut ihr nicht mehr. Sie beklagt sich, wie er sie nach so vielen Ehejahren so behandeln kann.

Sie haben ganz viele Erzählungen in diesen biblischen Texten, die diese patriarchalen Muster aufbrechen, in Frage stellen, hinterfragen und da sage ich: Da müssen Frauen fantasievoll werden, einfallsreich werden. Und dann ändern sie einfach normativ Strukturen, indem sie Dinge nicht mehr machen oder ganz anders machen.

Ich frage sie nach einem Beispiel, wo das heute in der Kirche überhaupt möglich ist. Bärbel Janz-Spaeth denkt sofort an die Reformbewegung in der katholischen Kirche, Maria 2.0. Weil Frauen endlich kreativ darauf reagiert haben, dass sie aus der Kirche ausgeschlossen sind.

Das haben sie deutlich gemacht, indem sie einfach alles vor der Kirche auf dem Kirchhof gemacht haben. Und ich sage schon lange: Geht auf den Marktplatz, geht an ganz andere Plätze und verkündet euren Glauben. Weil Glaube verkünden, Glaube, leben, Glaube praktizieren, hängt nicht ausschließlich davon ab, dass das im Kirchenraum stattfindet.

Ich möchte zum Ende nochmals zurück zu den jungen Frauen, die Bärbel Janz-Spaeth begleitet. Weil mich interessiert, was sie denkt: Wächst da eine Generation heran, die es anders macht, die das Potenzial hat, Gesellschaft und vielleicht sogar Kirche zu verändern? Ihre Antwort ist nicht so eindeutig, wie ich es gehofft hatte:

Ich erlebe einen Teil sehr klar und politisch sehr deutlich engagiert, die ganz reflektiert Positionen vertreten. Ich erlebe einen anderen Teil als sehr angepasst. Und ich erlebe einen Teil, der Rollenbilder nicht in Frage stellt, sondern Rollenbilder vertritt, von denen ich dachte, die wären längst überwunden.

Und trotzdem sagt Bärbel Janz-Spaeth, sie kann von allen jungen Frauen lernen. Auch was deren Einsatz für die Schöpfung, für Klimagerechtigkeit und nachhaltigen Lebensstil angeht:

Sie tun es einfach. Und machen einem dadurch deutlich: Denk mal drüber nach, wohin deine Lebensweise führt. Und dann gucke ich meine vollen Schränke an und denke: Hier kannst du lernen, wie du entrümpelst. Also das ist schon auch als Anfrage an unsere Generation gedacht und praktiziert. Und zu Recht.

Der Austausch zwischen den Generationen, der ist wichtig und wertvoll, sagt sie. Wenn es dabei allerdings ums Thema Kirche geht, dann hört sie von vielen jungen Frauen unmissverständlich:

Geschlechtergerechtigkeit, diese Missachtung in der katholischen Kirche, die ist wirklich ein wesentliches Motiv zu sagen: Hier werde ich mich nicht mehr engagieren und hier kämpfe ich auch nicht mehr. Bevor sich das nicht ändert.

Es gibt also viele Gründe, weshalb Kirche da unbedingt die Strukturen aufbrechen muss! Und bis dahin werde ich weiter hoffen und mich fragen: Wie würde sich unsere Gesellschaft verändern, wenn Kirche die Botschaft tatsächlich leben würde - vor Gott sind alle gleich!

 

Barbara Janz-Spaeth/Hildegard König/Claudia Sticher, „Zeigt euch! – 21 Porträts namenloser Frauen der Bibel“, Patmos Verlag

 

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03MRZ2024
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Kerstin Söderblom Copyright: Gustav Kuhweide

Am Bildschirm bin ich mit Kerstin Söderblom verabredet. Ihr Buch „Queersensible Seelsorge“ hab‘ ich gerne gelesen und frage die Mainzer Hochschulpfarrerin erst mal, woher das Wort „queer“ eigentlich kommt.

Es heißt auf deutsch so was wie komisch, seltsam, verrückt, pervers. Es ist ein englisches Wort und ist eigentlich ein Schimpfwort für Lesben, Schwule, Trans- und Inter-Personen. Dieses Wort hat eine interessante Wendung gemacht. In den 80er/90er Jahren ist aus diesem Wort eine stolze Selbstbezeichnung geworden

„Queer“ – das klingt für manche ganz selbstverständlich. Anderen bleibt das Wort fremd und sie fragen sich, ob es keine wichtigeren Themen gibt. -  Kerstin Söderblom hat ihr Buch nun deshalb geschrieben, weil sie als Seelsorgerin herausgefunden hat: Es gibt gerade bei vielen jungen Menschen große Themen und Fragen rund um ihre sexuelle, geschlechtliche und religiöse Identität.

Mein Ziel war es, meine ersten drei Jahre als Hochschulpfarrerin auszuwerten, weil mir dort von meiner ersten Minute an sehr, sehr viele queere Personen begegnet sind, die bei mir Seelsorge und Beratung gesucht haben. Das war zunächst nicht zufällig. Ich bin selber offen lesbisch und das ist bekannt. Trotzdem war es für mich bemerkenswert, wie viele junge Studierende, Anfang zwanzig, im Grunde gekämpft haben mit ihrem Coming-out oder mit Fragen der Transition, also geschlechtsangleichenden Maßnahmen - und immer in Kombination mit Religion.

In diesen Begegnungen wird Kerstin Söderblom klar, wie wenig sich eigentlich geändert hat. Und das ist sehr auffällig, denn schließlich stimmt es doch auch, wenn die 60-jährige feststellt, was sich den letzten 30 Jahren verändert hat.

Kirchenrechtlich sind wir in den evangelischen Kirchen in Deutschland sehr viel weiter gekommen. Es gibt keine wirklich starke Form der Diskriminierung mehr, sondern Gleichberechtigung bis hin zur Trauung. Transpersonen müssen vielleicht die Gemeinde wechseln, aber es gibt absolut Anerkennung, dass selbstverständlich Transpersonen existieren und genau wie alle anderen Gottes geliebte Kinder sind.

Was theologisch richtig ist, ist eben noch lange keine selbstverständliche kirchliche Kultur. Was jahrhundertelang gelehrt wurde, lässt sich wohl auch nicht in einer Generation verändern. Und manchmal erleben queere Menschen Kirche auch als unglaubwürdig, weil zwar gesagt wird, dass „alle“ willkommen sind, aber sie dann doch ganz schnell spüren, dass sie gemieden oder ausgegrenzt werden. Oft ist ja auch vorausgegangen, dass

queere Personen sehr schlechte Erfahrungen in Kirchenräumen gemacht haben, in Gruppen, die gesagt haben, dass queere Personen sündig sind oder nicht gottgewollt sind oder Christ*innen zweiter Klasse.

Und deshalb gibt es immer noch einen hohen Bedarf an queersensibler Seelsorge – und es braucht eine Brückenbauerin zwischen schlechten und besseren Erfahrungen, zwischen gestern und heute, zwischen queerer und kirchlicher Welt.  Die Mainzer Hochschulpfarrerin wandert gerne zwischen Welten, die auf den ersten Blick nicht zusammen gehören.

Ich bin zwar Theologin und Pfarrerin, gleichzeitig auch lesbische und queere Aktivistin und setze mich sehr mit Fragen von sozialer Gerechtigkeit und Menschenrechten auseinander. Da sehe ich mich als Brückenbauerin zwischen denen, die häufig gesellschaftspolitisch unterwegs sind und die zum Teil mit Kirche oder religiösen Kreisen überhaupt nichts zu tun haben. Und umgekehrt religiöse Kreise, die nicht so viel mit säkularen Menschenrechtsaktivisti*innen zu tun haben.  

Brückenbauen zwischen Menschen und Gruppen. Schon im römischen Reich eine priesterliche Aufgabe – und auch der Papst hat ja den Titel Pontifex Maximus, größter Brückenbauer. Kerstin Söderblom sieht ihre Begabung zum Brückenbauen vor allem seelsorglich. Sie erzählt mir davon, wie

ein schwuler Mann, der mit seinem Partner schon viele Jahre zusammen lebte  … aus dem Nichts an einem Herzinfarkt gestorben ist. Und das Problem war, dass die Eltern dieses schwulen Mannes nicht wussten, dass der Mann schwul ist und auch den Partner nicht kannten. Und nun ging es darum, wo wird der Mann beerdigt und wie wird diese Traueransprache gehalten, ohne dass da immer nur die Hälfte der Geschichte erzählt wird.

Und dann baut Kerstin Söderblom tragende Brücken: Sie bringt Partner und Eltern zusammen – und sie gestaltet eine für beide Seiten stimmige Beerdigung. Sie macht sensibel dafür, dass alles auch ganz anders sein kann. Sie lädt ein, die verborgenen Seiten des Lebens zu erahnen, zu würdigen und freizulegen. Ihre starke Motivation zum Brückenbauen schöpft sie aus der Erfahrung,

dass queere Menschen, die sich selbst als gläubig oder religiös bezeichnen, häufig solche sind, die zwischen allen Stühlen sind. Nämlich in der queeren Community häufig schräg angeguckt werden, weil sie noch was mit Religion und Kirche zu tun haben. Und in der … kirchlichen Welt, weil sie queer sind – und deshalb finde ich es gerade wichtig, dass kirchliche Orte da 'ne Sensibilität dafür haben, dass gerade diese Personen auch in religiösen Kreisen respektiert und angenommen werden.

Und in dieser Willkommenskultur geht es in meinen Augen nicht darum, die Interessen einer queeren Minderheit oder Lobbygruppe zu berücksichtigen. Es geht darum, eine Gemeinschaft zu sein, in der es sich erübrigt, in Kategorien von richtig und falsch, von stark und schwach, von Vielen oder Wenigen einzuteilen. Es geht um die ganze Kirche und um die Herzensmitte des Glaubens.

Das ist doch der christliche Auftrag, zu sagen: Du bist Gottes geliebtes Kind, in Gottes Ebenbild gemacht. Herzlich willkommen!

 

Mehr von Kerstin Söderblom:

https://kerstin-soederblom.de

 

Buchtipp: Kerstin Söderblom, Queersensible Seelsorge, Göttingen 2023

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25FEB2024
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Isabel Schayani Copyright: Katharina Köll

Christopher Hoffmann trifft: Isabel Schayani, Journalistin und Moderatorin.

Wenn irgendwo eine humanitäre Krise ausbricht, ist sie für die ARD vor Ort: als das Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos abgebrannt ist. Oder direkt in den ersten Tagen des russischen Angriffskrieges vor zwei Jahren. Live hat sie von der ukrainisch-polnischen Grenze in den Tagesthemen über den Exodus von Frauen und Kindern berichtet. Aber sie vergisst in der Masse nie den einzelnen Menschen. Das fasziniert mich so an ihr. In ihrem aktuellen Buch „Nach Deutschland“* hat sie fünf Menschen auf der Flucht über eine lange Zeit intensiv begleitet. Auch Ruhi aus dem Iran, der wie die Autorin selbst der Religion der Bahai angehört. Die Bahai repräsentieren die jüngste Weltreligion und werden im Iran, dem Land, aus dem Schayanis Vater in den 1950er Jahren nach Deutschland kam, systematisch verfolgt. Isabel Schayani ist dankbar, dass sie in Deutschland geboren und groß geworden ist:

Es gibt so viele Sachen, die so normal sind für uns wie die Luft zum Atmen, die aber so ungewöhnlich sind für Menschen, die in Autokratien leben mussten. Ich war zwölf, als die Revolution im Iran stattfand und ich konnte aktiv sein, ich konnte als Frau die Klappe aufmachen oder es lassen, ich habe eine unglaubliche Freiheit hier. Gleichzeitig jemand, der genauso alt ist wie ich und im Iran aufgewachsen ist und Bahai ist, der ist total an den Rand gedrückt worden. Was ich damit sagen will, ist: Ich genieße hier wirklich durch die Verfassung geschützt die Selbstverständlichkeit meine Religion ausüben zu dürfen und dort ist es so, dass die Leute einen derart hohen Preis mit ihrer eigenen Biografie zahlen müssen - das treibt mich unheimlich an.

Was sie auch antreibt: Ihr Glaube an Gott. In ihrer Kölner Bahai-Gemeinde ist sie sehr aktiv – was bedeutet ihr Religion?

Dadurch, dass wir jeden Tag in den Schriften lesen, müssen wir sozusagen den Kanal nach oben lebendig halten, also das mystische Verhältnis zu Gott- das ist das eine, ich glaube, das braucht man. Das muss sozusagen immer hin- und herfunken. Das ist das, was am Ende dem Herzen und der Seele das Leben gibt. Und dann ist es aber das andere sozusagen, dass man ins praktische Tun kommt und mit der Gemeinde zusammen was macht.

Und dabei alle Menschen im Blick hat, weil alle Geschöpfe Gottes sind. Dieser Glaube verbindet mich als Christ mit der Bahai Isabel Schayani:

Ja, ich denk immer: Wenn alle Menschen vor Gott gleich sind, was ja überhaupt nicht nur ein Glaube ist, den die Bahai haben, sondern den gibt es ja in allen Religionen- wenn das sozusagen die Überschrift ist, dann muss man ja versuchen, das irgendwie in den Alltag zu übersetzen. Und das ist das, was ich sowohl mit meiner Arbeit, als, auch wenn ich in der Gemeinde aktiv bin, versuche.

Und wir beide finden noch mehr Gemeinsamkeiten:

Diese Demut oder dieses sich Niederbeugen vor einer großen Kraft, das verbindet einen, weil man diese Ehrfurcht hat. Nämlich dass der Mensch sich tugendhaft entwickeln soll, um jetzt mal dieses etwas altmodische Wort zu benutzen, damit er sich entwickelt fürs Leben nach dem Tod.

Und wer ist für Isabel Schayani Gott?

Also Gott ist eine Macht, die Quelle aller Liebe, die aber absolut ist, und ich bin sozusagen das relative Wesen, die Isabel Schayani, die diesen Gott nur bedingt erfassen kann und dafür wahrscheinlich Religion und Offenbarer braucht. Gott ist die Kraft, das ist mein Glaube, die mich wahrscheinlich nie verlässt und auf die wir uns immer verlassen können.

Ich treffe Isabel Schayani in Köln. Die vielfach preisgekrönte Journalistin moderiert den Weltspiegel und ist Programmchefin von „wdrforyou“, einem Online-Angebot auf Arabisch, persisch, englisch und deutsch für Menschen, die hierhin geflüchtet sind. Integration liegt ihr am Herzen – und da sieht Schayani die Kirchen als wichtige Partner: 

Der Papst hat das Thema absolut auf dem Schirm, sonst wäre er nicht auf Lampedusa gewesen, würde das Thema immer wieder ansprechen und bringt dann da auch finde ich einen Ton von Gerechtigkeit und Menschlichkeit mit großer Deutlichkeit rein. Und in der evangelischen Kirche ist es natürlich auch wichtig – die haben ihr eigenes Boot gechartert, um Seenotrettung voranzutreiben.

Aber auch hier in Deutschland erlebt sie immer wieder Ehrenamtliche, die sich für geflüchtete Menschen einsetzen. Sie glaubt, die Kirchen sind …

… ein so wichtiger Baustein von Zivilgesellschaft. Die lebendige Zivilgesellschaft ist zum Teil – nicht ausschließlich, aber – ist zum Teil ja ganz stark getragen von Kirchenarbeit und diese Gemeindearbeit vor Ort, ja hallo, die ist es doch, die am Ende Integration möglich macht, oder nicht?

Sie hat sogar eine, wie ich finde, super spannende These: Flucht und Migration seien in der Bibel von Abraham über Mose bis zu Jesus, Maria und Josef so sehr Thema, dass sie zum Wesen des Christentums gehören:

Ich glaube, dass die Geschichten eigentlich alle im Christentum vorhanden sind und deshalb auch bei Christen wirken. Also ich sag Ihnen mal: in meinem Vorort, in Köln, wo ich wohne, da ist eine Dame aus der katholischen Kirche, die hat da jetzt dreimal die Woche ein junges afghanisches Mädchen unterrichtet, damit sie nicht auf die Förderschule muss. Da habt ihr so ein Potenzial und ihr habt es wirklich in eurer DNA, diesen Stoff, diese Thematik!

Gestrandete Menschen, die in Athen, Paris oder Calais auf der Straße leben oder in Deutschland in einer Asylunterkunft vereinsamen - Isabel Schayani interviewt sie immer wieder. Gibt ihnen eine Stimme. Und weiß deshalb, welchen Unterschied Helfer machen, egal ob in der Kirche oder einer anderen Organisation, die sich für geflüchtete Menschen engagieren:

Das sind am Ende die, die den Leuten hier in Deutschland regelrecht das Leben retten. Das wissen die auch alle. Also jemand, der das jetzt hört, und der sich da engagiert, der weiß, warum er das macht. Die werden aber so wenig gelobt. Aber das sind die Leute, die den Unterschied machen. Echt. Und das ist so wertvoll. Und Kirche ist gesegnet mit solchen Leuten. Ihr müsst die pampern und fördern! Das ist so toll.

Wenn die deutsch-iranische Reporterin von Teheran spricht, dann allerdings legen sich Sorgenfalten auf die Stirn der Wahl-Rheinländerin. Sie wird deutlich:

Wir haben auf den Iran geblickt vor ungefähr anderthalb Jahren, als die jungen Frauen und Männer so mutig auf die Straße gegangen sind und wahnsinnig viel riskiert haben. Aber wenn wir uns angucken, was jetzt tatsächlich passiert: Dann gibt es jetzt Hinrichtungen, dann gibt es weitere Inhaftierungen, und was im Gefängnis passiert und ich bin da auch im Kontakt, das ist jetzt viel härter geworden. Und das ist etwas, was sehr besorgniserregend ist. 

Deshalb brauch es ihrer Meinung nach auch dringend mehr humanitäre Visa für Menschen aus dem Iran, also legale Einreisen.  Denn auch hier verliert Isabel Schayani trotz der Komplexität des Themas, nie den Blick für den einzelnen Menschen.

 

*Isabel Schayani: Nach Deutschland. Fünf Menschen. Fünf Wege. Ein Ziel. Verlag C.H. Beck. München 2023.

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