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24MRZ2024
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Andreas Pietschmann Copyright: Mathias Bothor

Christopher Hoffmann trifft: Andreas Pietschmann.

Der Schauspieler ist immer wieder im deutschen Fernsehen zu sehen. Etwa im Tatort, bei Wilsberg oder Polizeiruf 110. Mit der Netflix-Serie „Dark“ feierte er dann 2017 seinen internationalen Durchbruch - in der Hauptrolle als Jonas. Mich hat er aber schon früher begeistert. Und zwar als Jesus! Denn in der italienisch-deutschen Koproduktion „Ihr Name war Maria“ spielt Andreas Pietschmann den Sohn Gottes. Wie war das für ihn?

Es ist natürlich eine andere Rolle als jede andere, das ist völlig klar. Und für dich als Schauspieler ist auch klar: Normalerweise begegnet dir sowas nie im Leben, dass du so eine Figur spielst. Ich habe dann das Neue Testament noch mal genau studiert- das waren natürlich ganz besondere Texte. Und ganz tolle Inhalte, mit denen zu beschäftigen sich total lohnt und was für einen Schauspieler eine ganz besondere Aufgabe ist.

Gab es einen Bibeltext, der Andreas Pietschmann persönlich besonders gepackt hat?

Ich erinnere mich, dass ich sehr beeindruckt war von der Bergpredigt. Und da ist mir aufgefallen, dass diese Texte viel schöner sind, als ich sie in Erinnerung hatte aus Lesungen oder aus Kirchbesuchen einerseits und andererseits, was für ein Werkzeugasten das ist für ein gutes Leben. All das, was da gesagt wird, taugt wahnsinnig gut eigentlich, um die Welt zu einer besseren zu machen, wenn jeder das etwas mehr beherzigen würde.

Dabei ist Andreas Pietschmann alles andere als unkritisch gegenüber Religion:

Menschen tendieren dazu - gerade wenn es um Religion geht - in allen Religionen sie sich zu Nutze zu machen zur Sicherung ihrer eigenen Position, zur Machtsicherung, zur Ausübung von Macht leider auch. Das ist die große Gefahr. Würde man aber ganz nüchtern und von all dem befreit diese Texte sich ansehen, insbesondere in der Bergpredigt, dann taugt es zu einer sehr guten Lebensanleitung, also ein gutes Leben zu führen.

 „Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit – denn sie werden satt werden“ (Mt 5,6), steht da zum Beispiel. Und: „Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden“ (Mt 5,7). Auch Andreas Pietschmann orientiert sich in seinem Leben an diesen Worte Jesu. Glaubt er auch an Gott und an einen Sinn im Leben?

Ich habe immer das Gefühl gehabt, irgendwie muss noch über den Zufall hinaus – und das habe ich auch nach wie vor - was anderes Ursache sein für mein Dasein und auch Ziel sein für mein Dasein. Und das mag ich auch immer noch glauben. Ich habe kein Wissen, ich habe einen Glauben, ich habe eine Hoffnung.

 Mit 19 Jahren hat Andreas Pietschmann einen schweren Autounfall. Er überlebt…

…und ich habe das schon für mich als Auftrag gesehen, einerseits und als Chance andererseits, dass Dinge noch passieren mit mir und dass ich noch Aufgaben zu erfüllen habe. Und ich finde das ein recht gesundes Bewusstsein, was einem Zuversicht gibt und auch Kraft gibt und Motivation nicht aufzugeben und auch sein Leben mitunter als Dienst zu sehen.

Ich treffe Andreas Pietschmann in Berlin-Pankow, wo er mit seiner Frau, der Schauspielerin Jasmin Tabatabai und seinen drei Kindern lebt. Der 55-Jährige setzt sich gemeinsam mit der Hilfsorganisation „Save the children“ für Kinder ein, die in Kriegen hungern und leiden – auch in vergessenen Krisen wie in Syrien, wo der Konflikt inzwischen schon seit 13 Jahren andauert. Dort sind gerade über 16 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen – ein trauriger Rekord seit Kriegsausbruch:

So viele Leute wie aktuell - und gerade Kinder, Jungen und Mädchen -  in Syrien leiden, gab es noch nie. Und wir dürfen das nicht vergessen, dass die Kinder da wenigstens zu essen und ein Dach über dem Kopf bekommen und irgendwie eine Perspektive bekommen, wenn sie spüren: da sind noch Menschen, die denken an uns.

 Aber Andreas Pietschmann verschließt auch nicht die Augen vor dem Leid vor der eigenen Haustür. In seiner Nachbarschaft unterstützt er das Kinderhospiz „Sonnenhof“ in Pankow…warum?

Es handelt sich da um eine meist für alle Menschen unsichtbaren Nische in unserer Gesellschaft, die es aber gibt – also Leute, die in solcher Not sind, werden meisten nicht gesehen.

 Und das will Andreas Pietschmann ändern:  Er beteiligt sich an Fußball-Benefizturnieren, denn als junger Mann hat er selbst in der dritten Bundesliga für die „Würzburger Kickers“ gespielt und bis heute ist das runde Leder seine große Leidenschaft. Und als passionierter Motorradfahrer sammelt er mit vielen anderen Bikern auch bei der sogenannten „Sonnenhoftour“ Geld. Immer wieder geht der sensible Botschafter aber auch selbst vor Ort und trifft im Hospiz Kinder, die an schweren, unheilbaren Krankheiten leiden und deren Familien:

Das ist ein ganz besonderer Ort. Und zwar, was mich eben so beeindruckt hat, nicht nur ein Ort von Trauer natürlich und von Innehalten und von Schmerz, sondern -  weil diese Leute so eine unglaubliche Energie da haben -  auch ein Ort von Hoffnung. Und das ist wahrscheinlich auch der einzige Weg, wie man helfen kann: Wenn die Hoffnung da ist und die Kraft da ist, wenn die Liebe da ist, um sich um diese Menschen zu kümmern, um diesen Menschen, die in dieser traurigen Extremsituation sind, Hoffnung zu geben.

 Andreas Pietschmann bewundert deshalb die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kinderhospiz sehr:

Und für diese Arbeit braucht man natürlich einerseits eine unglaubliche Hilfsbereitschaft und Hingabe, aber auch ein breites und starkes Kreuz, denn man ist natürlich täglich mit dem Tod konfrontiert und auch einfach mit Menschen, denen er bevorsteht. Und die sich dadurch in einer Extremsituation befinden.

Leid und Tod – das ist auch Thema der bevorstehenden Karwoche. Gibt die Osterhoffnung, der Glaube an Auferstehung, auch Andreas Pietschmann persönlich Kraft?

Ich habe die Hoffnung, dass ich den von mir geliebten Menschen nach meinem Tod auch wieder begegne, ja.

Das hoffe und glaube ich auch. Und wir beide glauben daran, wie wichtig diese Botschaft von der Liebe, die stärker ist als der Tod, auch in unserer Welt heute weiterhin bleibt.  

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17MRZ2024
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Mateo Weida Copyright: Ludmilla Parsayk

Martina Steinbrecher, evangelische Kirche, trifft: Mateo Weida (39), evangelischer Jugendpfarrer in Stuttgart. Zusammen mit seinem katholischen Kollegen Max Magiera hat er in der Nikolauskirche einen Kreuzweg speziell für Jugendliche aufgebaut. Dort wird man mit dem Leidensweg von Jesus konfrontiert. Und mit sich selbst. 

Bei unserem Treffen in der katholischen Kirche Sankt Nikolaus im Stuttgarter Osten steht Mateo Weida auf einer Leiter und schraubt einen Lautsprecher an ein großes Holzgestell. Der evangelische Jugendpfarrer ist zufrieden: Die Segensdusche funktioniert schon mal.  

Eine Segensdusche war im letzten Jahr die große Attraktion. Da konnte man durchlaufen oder sich drunterstellen und hat dann gute Worte zugesprochen bekommen. Quasi Segensworte. Und diesmal sind das Lobesworte und Worte, die irgendwie zusprechen: Hey, du schaffst das!

Wer auf einem roten Teppich unter dem Holzgestell durchgeht, löst durch einen Bewegungsmelder die Dusche aus: Aus dem Lautsprecher rieseln aufmunternde Worte. So funktioniert die erste von sieben Stationen des ökumenischen Jugendkreuzwegs, den Mateo Weida hier mit seinem katholischen Kollegen Max Magiera aufgebaut hat. Sie knüpft an den Palmsonntag an: Bei seinem Einzug in Jerusalem hat Jesus eine große Menschenmenge lautstark zugejubelt. Ein Gefühl wie unter einer Segensdusche. Für Jesus war es aber auch der Beginn eines Leidensweges, der in den Tod geführt hat.    

Die Beschäftigung mit der Passionsgeschichte zeigt einem das unglaubliche Leid einer Person vor 2000 Jahren, ordnet die so ein bisschen ein und lässt gleichzeitig auch zu, dass es ok ist, in Krisen zu sein, dass es ok ist zu leiden, dass nicht immer alles happy sein muss.

Mateo Weida ist es wichtig, Jugendlichen zu signalisieren: Auch wenn du jung bist und die Gesellschaft es vielleicht von dir erwartet, musst du nicht immer gut drauf sein. Die weiteren Stationen des Kreuzwegs geben deshalb Anregungen für die Auseinandersetzung mit Krisen, mit Grenzüberschreitungen, mit Schuld.  Da hängt zum Beispiel ein gesprungener Spiegel an der Wand über einem Waschbecken. Pilatus fällt mir ein, der nach der Befragung von Jesus seine Hände in Unschuld wäscht. Solche Bibelkenntnisse sind aber nicht erforderlich. Wichtig ist, dass man bereit ist, sich selbst zu begegnen   

An dieser Station geht es um die Selbstreflexion der Jugendlichen, die vor dem Spiegel stehen. Vor dem Waschbecken stehen, sich überlegen, in welchen Situationen bin ich drin? Wo fühle ich mich schuldig? Wo fühle ich mich nicht schuldig? Wie geht es mir damit?

Wann kommt mir ein anderer Mensch zu nahe? Wie sage ich Stopp, wenn ich etwas übergriffig finde? Was könnten einmal meine letzten Worte sein? Der Jugendkreuzweg, meint Mateo Weida, bietet viele Möglichkeiten, sich auf kreative Weise mit solchen Fragen zu beschäftigen. Er greift aber auch gesellschaftspolitische Themen auf:

Momentan ist ja in aller Munde die Frage nach dem Rechtsruck in Deutschland. Und diese Station gibt die Möglichkeit zu sagen, hey, wir stehen dafür ein, dass wir gut miteinander umgehen, dass wir nicht über andere lästern. Gegen welche Worte wollen wir protestieren? Welches Wort des Onkels, das am Essenstisch wieder gesagt wurde, möchte ich eigentlich kommentieren und sagen, hey, das sehe ich anders?

Mateo Weida möchte Jugendliche sprachfähig machen, sich auch zu schweren Themen und in herausfordernden Situationen zu äußern. Eine eigene Lieblingsstation hat er auch.  Dass die vertrauten Konzepte immer mit der Kreuzigung enden, gefällt dem 39-Jährigen nicht. Deshalb geht es beim Jugendkreuzweg in der Nikolauskirche noch eine Station weiter:  

Und dann kommt man in diesen großen Raum, wo in der Mitte dieser Buzzer steht, und kann dahinlaufen. Und wenn man da draufdrückt, dann kann man sich quasi so ein Gefühl von Ostern herbuzzern.  

Was genau passiert, wenn man auf den roten Buzzer drückt, soll nicht verraten werden. Und obwohl Mateo Weida dieses Ostererlebnis so wichtig ist, weiß er auch, dass es oft gar nicht in unserer Macht steht, dass eine Geschichte gut ausgeht.   

Es gibt schwierige Situationen, da möchte man nicht einfach nur „und jetzt ist doch alles happy am Ende“ draufklatschen. Und deswegen wollen wir es den Leuten freistellen, ob sie jetzt gerade da bereit sind, über Neuanfang und Hoffnung zu hören oder ob sie sagen, hey, sie brauchen eigentlich noch ein bisschen Zeit, erstmal diese Krise zu verarbeiten. Und das ist dann auch okay.

Manchmal sind die Erfahrungen, die ein Mensch auf einem Leidensweg macht, am Ende sogar wichtiger als das große Happy End. Mateo Weida wünscht sich, dass die Jugendlichen, die sich beim Jugendkreuzweg mit Jesus identifizieren, am Ende spüren, dass Jesus sich umgekehrt auch mit ihnen identifiziert:

Man geht mit Jesus diesen Leidensweg mit und erlebt dabei, dass Jesus den eigenen Leidensweg und den eigenen Lebensweg eben auch genauso mitgeht und genauso begleitet.

Noch bis zum kommenden Sonntag ist der ökumenische Jugendkreuzweg in der Stuttgarter Nikolauskirche tagsüber geöffnet. Zum Abschluss gibt’s dort ein Konzert:

Wir enden den Jugendkreuzweg mit „MoveDove“. Das ist eine Band, die ganz viel Raumästhetik macht. Die nehmen ihre Synthesizer, machen da ganz viel mit Vocodern und machen aus alten Psalmtexten sphärische Musik, die unwahrscheinlich schön in solche Kirchenräume passt.

Weitere Informationen über Öffnungszeiten und über das Abschlusskonzert finden Sie auf: https://t1p.de/29y4h

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10MRZ2024
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Barbara Janz-Spaeth Copyright: Ulrich Pfeiffer

… und mit Bärbel Janz-Spaeth. Sie ist Theologin und Autorin – und kennt sich aus in der Bibel. Vor allem, wenn es um Frauengeschichten dort geht. Ich treffe sie in ihrem Büro in Stuttgart, und wir schauen nochmals in die vergangene Woche. Vorgestern sind Frauen weltweit im Mittelpunkt gestanden, am Weltfrauentag. An diesem Tag frage ich mich jedes Jahr: Was wäre eigentlich, wenn für Frauen und Männer in der katholischen Kirche gleiche Rechte gelten würden: Hätte das nicht Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft?

Natürlich, da könnte Kirche ganz viel bewirken, sie könnte ihre Botschaft in der Praxis verkünden, indem sie hier wirklich Gerechtigkeit einfordert. Und das heißt auf Augenhöhe miteinander umzugehen, aber nicht in Pseudostrukturen.

Die Botschaft des Christentums ist uralt. Gerade wenn’s um die Stellung von Frauen geht. Sie ist in der Bibel grundgelegt. Bärbel Janz-Spaeth wiederholt sie, sicher zum x-tausendsten Mal. Aber immer noch mit leidenschaftlicher Überzeugung:

Wir sind Geschöpfe Gottes und als solche kommt uns allen wirklich die gleiche Würde zu. Und das heißt, jeder Mensch ist zunächst einfach gut, so wie er sie ist und in Ordnung und wertvoll und Teil dieser Erde. Und in jedem Mensch steckt etwas von dieser göttlichen Kraft und göttlichen Spur. Und das will ich auch mit Menschen entdecken, wenn ich unterwegs bin.

Unterwegs ist Bärbel Janz-Spaeth oft. Im Gepäck hat sie Geschichten von Frauen in der Bibel und ne ganze Menge Lebenserfahrung. Sie gestaltet Gottesdienste für Frauen; und immer wieder nimmt sie sich Zeit, um junge Frauen zu begleiten, die Fragen stellen. Ans Leben, an die Zukunft, an ihre eigene Zukunft als Frau in dieser Gesellschaft.

Wie kann man Familie in Zukunft leben? Ist es nur die Ehe? Wären's nicht offenere Lebensformen wie die WGs, wo sehr wohl Partner, Partnerinnen, Familie miteinander in einem gemeinschaftlichen Wohnen zusammen sind, Kinderbetreuung sich aufteilen, die Haushaltsarbeit aufteilen, aber auch politisch sich engagieren? Da denken die drüber nach.

Könnte sie das als katholische Christin guten Gewissens mittragen, frage ich sie? Das entspricht doch ganz und gar nicht dem klassischen Familienbild der Kirche? Ihre Antwort überrascht mich, weil sie wieder an die Anfänge des Christentums zurückgeht.

Das ist ja zutiefst biblisch, weil sozusagen das Christentum eine neue Familie geschaffen hat, wo alle miteinander die Familie bilden, also als Gemeinschaft derer, die an diesen Gott und an diesen Jesus Christus glauben. Da ging es überhaupt nicht darum, ob die verheiratet sind oder sonst was.

Das wäre in der Tat eine ganz andere Lebenssituation für Frauen und Kinder. Bärbel Janz-Spaeth ist da mittlerweile ganz klar in ihrer Haltung und findet, dass Kirche längst die vielen unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens würdigen sollte und damit anerkennen würde:

Von unserem Verständnis, was Menschsein ausmacht, aber auch wirklich Gottes Gemeinschaft ausmacht, das praktiziert ihr! Mir geht es gar nicht darum, jetzt Familie abzuschaffen, sondern zu sagen: Offensichtlich gibt es noch mehr Möglichkeiten, als wir uns vorgestellt haben.

Bärbel Janz-Spaeth arbeitet als Referentin für Bibelpastoral in Stuttgart. Einen besonderen Blick hat sie auf die Geschichten über Frauen in der Bibel. Weil sie findet, dass sie uns noch heute inspirieren können, neu nachzudenken.

Sie erzählt mir zum Beispiel von Rebekka im Buch Genesis im Alten Testament. Die wehrt sich gegen die Tradition, dass nur ihr ältester Sohn den Segen des Vaters bekommt. Oder die Frau von Tobit. Deren Mann wird im Alter blind und traut ihr nicht mehr. Sie beklagt sich, wie er sie nach so vielen Ehejahren so behandeln kann.

Sie haben ganz viele Erzählungen in diesen biblischen Texten, die diese patriarchalen Muster aufbrechen, in Frage stellen, hinterfragen und da sage ich: Da müssen Frauen fantasievoll werden, einfallsreich werden. Und dann ändern sie einfach normativ Strukturen, indem sie Dinge nicht mehr machen oder ganz anders machen.

Ich frage sie nach einem Beispiel, wo das heute in der Kirche überhaupt möglich ist. Bärbel Janz-Spaeth denkt sofort an die Reformbewegung in der katholischen Kirche, Maria 2.0. Weil Frauen endlich kreativ darauf reagiert haben, dass sie aus der Kirche ausgeschlossen sind.

Das haben sie deutlich gemacht, indem sie einfach alles vor der Kirche auf dem Kirchhof gemacht haben. Und ich sage schon lange: Geht auf den Marktplatz, geht an ganz andere Plätze und verkündet euren Glauben. Weil Glaube verkünden, Glaube, leben, Glaube praktizieren, hängt nicht ausschließlich davon ab, dass das im Kirchenraum stattfindet.

Ich möchte zum Ende nochmals zurück zu den jungen Frauen, die Bärbel Janz-Spaeth begleitet. Weil mich interessiert, was sie denkt: Wächst da eine Generation heran, die es anders macht, die das Potenzial hat, Gesellschaft und vielleicht sogar Kirche zu verändern? Ihre Antwort ist nicht so eindeutig, wie ich es gehofft hatte:

Ich erlebe einen Teil sehr klar und politisch sehr deutlich engagiert, die ganz reflektiert Positionen vertreten. Ich erlebe einen anderen Teil als sehr angepasst. Und ich erlebe einen Teil, der Rollenbilder nicht in Frage stellt, sondern Rollenbilder vertritt, von denen ich dachte, die wären längst überwunden.

Und trotzdem sagt Bärbel Janz-Spaeth, sie kann von allen jungen Frauen lernen. Auch was deren Einsatz für die Schöpfung, für Klimagerechtigkeit und nachhaltigen Lebensstil angeht:

Sie tun es einfach. Und machen einem dadurch deutlich: Denk mal drüber nach, wohin deine Lebensweise führt. Und dann gucke ich meine vollen Schränke an und denke: Hier kannst du lernen, wie du entrümpelst. Also das ist schon auch als Anfrage an unsere Generation gedacht und praktiziert. Und zu Recht.

Der Austausch zwischen den Generationen, der ist wichtig und wertvoll, sagt sie. Wenn es dabei allerdings ums Thema Kirche geht, dann hört sie von vielen jungen Frauen unmissverständlich:

Geschlechtergerechtigkeit, diese Missachtung in der katholischen Kirche, die ist wirklich ein wesentliches Motiv zu sagen: Hier werde ich mich nicht mehr engagieren und hier kämpfe ich auch nicht mehr. Bevor sich das nicht ändert.

Es gibt also viele Gründe, weshalb Kirche da unbedingt die Strukturen aufbrechen muss! Und bis dahin werde ich weiter hoffen und mich fragen: Wie würde sich unsere Gesellschaft verändern, wenn Kirche die Botschaft tatsächlich leben würde - vor Gott sind alle gleich!

 

Barbara Janz-Spaeth/Hildegard König/Claudia Sticher, „Zeigt euch! – 21 Porträts namenloser Frauen der Bibel“, Patmos Verlag

 

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03MRZ2024
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Kerstin Söderblom Copyright: Gustav Kuhweide

Am Bildschirm bin ich mit Kerstin Söderblom verabredet. Ihr Buch „Queersensible Seelsorge“ hab‘ ich gerne gelesen und frage die Mainzer Hochschulpfarrerin erst mal, woher das Wort „queer“ eigentlich kommt.

Es heißt auf deutsch so was wie komisch, seltsam, verrückt, pervers. Es ist ein englisches Wort und ist eigentlich ein Schimpfwort für Lesben, Schwule, Trans- und Inter-Personen. Dieses Wort hat eine interessante Wendung gemacht. In den 80er/90er Jahren ist aus diesem Wort eine stolze Selbstbezeichnung geworden

„Queer“ – das klingt für manche ganz selbstverständlich. Anderen bleibt das Wort fremd und sie fragen sich, ob es keine wichtigeren Themen gibt. -  Kerstin Söderblom hat ihr Buch nun deshalb geschrieben, weil sie als Seelsorgerin herausgefunden hat: Es gibt gerade bei vielen jungen Menschen große Themen und Fragen rund um ihre sexuelle, geschlechtliche und religiöse Identität.

Mein Ziel war es, meine ersten drei Jahre als Hochschulpfarrerin auszuwerten, weil mir dort von meiner ersten Minute an sehr, sehr viele queere Personen begegnet sind, die bei mir Seelsorge und Beratung gesucht haben. Das war zunächst nicht zufällig. Ich bin selber offen lesbisch und das ist bekannt. Trotzdem war es für mich bemerkenswert, wie viele junge Studierende, Anfang zwanzig, im Grunde gekämpft haben mit ihrem Coming-out oder mit Fragen der Transition, also geschlechtsangleichenden Maßnahmen - und immer in Kombination mit Religion.

In diesen Begegnungen wird Kerstin Söderblom klar, wie wenig sich eigentlich geändert hat. Und das ist sehr auffällig, denn schließlich stimmt es doch auch, wenn die 60-jährige feststellt, was sich den letzten 30 Jahren verändert hat.

Kirchenrechtlich sind wir in den evangelischen Kirchen in Deutschland sehr viel weiter gekommen. Es gibt keine wirklich starke Form der Diskriminierung mehr, sondern Gleichberechtigung bis hin zur Trauung. Transpersonen müssen vielleicht die Gemeinde wechseln, aber es gibt absolut Anerkennung, dass selbstverständlich Transpersonen existieren und genau wie alle anderen Gottes geliebte Kinder sind.

Was theologisch richtig ist, ist eben noch lange keine selbstverständliche kirchliche Kultur. Was jahrhundertelang gelehrt wurde, lässt sich wohl auch nicht in einer Generation verändern. Und manchmal erleben queere Menschen Kirche auch als unglaubwürdig, weil zwar gesagt wird, dass „alle“ willkommen sind, aber sie dann doch ganz schnell spüren, dass sie gemieden oder ausgegrenzt werden. Oft ist ja auch vorausgegangen, dass

queere Personen sehr schlechte Erfahrungen in Kirchenräumen gemacht haben, in Gruppen, die gesagt haben, dass queere Personen sündig sind oder nicht gottgewollt sind oder Christ*innen zweiter Klasse.

Und deshalb gibt es immer noch einen hohen Bedarf an queersensibler Seelsorge – und es braucht eine Brückenbauerin zwischen schlechten und besseren Erfahrungen, zwischen gestern und heute, zwischen queerer und kirchlicher Welt.  Die Mainzer Hochschulpfarrerin wandert gerne zwischen Welten, die auf den ersten Blick nicht zusammen gehören.

Ich bin zwar Theologin und Pfarrerin, gleichzeitig auch lesbische und queere Aktivistin und setze mich sehr mit Fragen von sozialer Gerechtigkeit und Menschenrechten auseinander. Da sehe ich mich als Brückenbauerin zwischen denen, die häufig gesellschaftspolitisch unterwegs sind und die zum Teil mit Kirche oder religiösen Kreisen überhaupt nichts zu tun haben. Und umgekehrt religiöse Kreise, die nicht so viel mit säkularen Menschenrechtsaktivisti*innen zu tun haben.  

Brückenbauen zwischen Menschen und Gruppen. Schon im römischen Reich eine priesterliche Aufgabe – und auch der Papst hat ja den Titel Pontifex Maximus, größter Brückenbauer. Kerstin Söderblom sieht ihre Begabung zum Brückenbauen vor allem seelsorglich. Sie erzählt mir davon, wie

ein schwuler Mann, der mit seinem Partner schon viele Jahre zusammen lebte  … aus dem Nichts an einem Herzinfarkt gestorben ist. Und das Problem war, dass die Eltern dieses schwulen Mannes nicht wussten, dass der Mann schwul ist und auch den Partner nicht kannten. Und nun ging es darum, wo wird der Mann beerdigt und wie wird diese Traueransprache gehalten, ohne dass da immer nur die Hälfte der Geschichte erzählt wird.

Und dann baut Kerstin Söderblom tragende Brücken: Sie bringt Partner und Eltern zusammen – und sie gestaltet eine für beide Seiten stimmige Beerdigung. Sie macht sensibel dafür, dass alles auch ganz anders sein kann. Sie lädt ein, die verborgenen Seiten des Lebens zu erahnen, zu würdigen und freizulegen. Ihre starke Motivation zum Brückenbauen schöpft sie aus der Erfahrung,

dass queere Menschen, die sich selbst als gläubig oder religiös bezeichnen, häufig solche sind, die zwischen allen Stühlen sind. Nämlich in der queeren Community häufig schräg angeguckt werden, weil sie noch was mit Religion und Kirche zu tun haben. Und in der … kirchlichen Welt, weil sie queer sind – und deshalb finde ich es gerade wichtig, dass kirchliche Orte da 'ne Sensibilität dafür haben, dass gerade diese Personen auch in religiösen Kreisen respektiert und angenommen werden.

Und in dieser Willkommenskultur geht es in meinen Augen nicht darum, die Interessen einer queeren Minderheit oder Lobbygruppe zu berücksichtigen. Es geht darum, eine Gemeinschaft zu sein, in der es sich erübrigt, in Kategorien von richtig und falsch, von stark und schwach, von Vielen oder Wenigen einzuteilen. Es geht um die ganze Kirche und um die Herzensmitte des Glaubens.

Das ist doch der christliche Auftrag, zu sagen: Du bist Gottes geliebtes Kind, in Gottes Ebenbild gemacht. Herzlich willkommen!

 

Mehr von Kerstin Söderblom:

https://kerstin-soederblom.de

 

Buchtipp: Kerstin Söderblom, Queersensible Seelsorge, Göttingen 2023

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39445
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25FEB2024
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Isabel Schayani Copyright: Katharina Köll

Christopher Hoffmann trifft: Isabel Schayani, Journalistin und Moderatorin.

Wenn irgendwo eine humanitäre Krise ausbricht, ist sie für die ARD vor Ort: als das Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos abgebrannt ist. Oder direkt in den ersten Tagen des russischen Angriffskrieges vor zwei Jahren. Live hat sie von der ukrainisch-polnischen Grenze in den Tagesthemen über den Exodus von Frauen und Kindern berichtet. Aber sie vergisst in der Masse nie den einzelnen Menschen. Das fasziniert mich so an ihr. In ihrem aktuellen Buch „Nach Deutschland“* hat sie fünf Menschen auf der Flucht über eine lange Zeit intensiv begleitet. Auch Ruhi aus dem Iran, der wie die Autorin selbst der Religion der Bahai angehört. Die Bahai repräsentieren die jüngste Weltreligion und werden im Iran, dem Land, aus dem Schayanis Vater in den 1950er Jahren nach Deutschland kam, systematisch verfolgt. Isabel Schayani ist dankbar, dass sie in Deutschland geboren und groß geworden ist:

Es gibt so viele Sachen, die so normal sind für uns wie die Luft zum Atmen, die aber so ungewöhnlich sind für Menschen, die in Autokratien leben mussten. Ich war zwölf, als die Revolution im Iran stattfand und ich konnte aktiv sein, ich konnte als Frau die Klappe aufmachen oder es lassen, ich habe eine unglaubliche Freiheit hier. Gleichzeitig jemand, der genauso alt ist wie ich und im Iran aufgewachsen ist und Bahai ist, der ist total an den Rand gedrückt worden. Was ich damit sagen will, ist: Ich genieße hier wirklich durch die Verfassung geschützt die Selbstverständlichkeit meine Religion ausüben zu dürfen und dort ist es so, dass die Leute einen derart hohen Preis mit ihrer eigenen Biografie zahlen müssen - das treibt mich unheimlich an.

Was sie auch antreibt: Ihr Glaube an Gott. In ihrer Kölner Bahai-Gemeinde ist sie sehr aktiv – was bedeutet ihr Religion?

Dadurch, dass wir jeden Tag in den Schriften lesen, müssen wir sozusagen den Kanal nach oben lebendig halten, also das mystische Verhältnis zu Gott- das ist das eine, ich glaube, das braucht man. Das muss sozusagen immer hin- und herfunken. Das ist das, was am Ende dem Herzen und der Seele das Leben gibt. Und dann ist es aber das andere sozusagen, dass man ins praktische Tun kommt und mit der Gemeinde zusammen was macht.

Und dabei alle Menschen im Blick hat, weil alle Geschöpfe Gottes sind. Dieser Glaube verbindet mich als Christ mit der Bahai Isabel Schayani:

Ja, ich denk immer: Wenn alle Menschen vor Gott gleich sind, was ja überhaupt nicht nur ein Glaube ist, den die Bahai haben, sondern den gibt es ja in allen Religionen- wenn das sozusagen die Überschrift ist, dann muss man ja versuchen, das irgendwie in den Alltag zu übersetzen. Und das ist das, was ich sowohl mit meiner Arbeit, als, auch wenn ich in der Gemeinde aktiv bin, versuche.

Und wir beide finden noch mehr Gemeinsamkeiten:

Diese Demut oder dieses sich Niederbeugen vor einer großen Kraft, das verbindet einen, weil man diese Ehrfurcht hat. Nämlich dass der Mensch sich tugendhaft entwickeln soll, um jetzt mal dieses etwas altmodische Wort zu benutzen, damit er sich entwickelt fürs Leben nach dem Tod.

Und wer ist für Isabel Schayani Gott?

Also Gott ist eine Macht, die Quelle aller Liebe, die aber absolut ist, und ich bin sozusagen das relative Wesen, die Isabel Schayani, die diesen Gott nur bedingt erfassen kann und dafür wahrscheinlich Religion und Offenbarer braucht. Gott ist die Kraft, das ist mein Glaube, die mich wahrscheinlich nie verlässt und auf die wir uns immer verlassen können.

Ich treffe Isabel Schayani in Köln. Die vielfach preisgekrönte Journalistin moderiert den Weltspiegel und ist Programmchefin von „wdrforyou“, einem Online-Angebot auf Arabisch, persisch, englisch und deutsch für Menschen, die hierhin geflüchtet sind. Integration liegt ihr am Herzen – und da sieht Schayani die Kirchen als wichtige Partner: 

Der Papst hat das Thema absolut auf dem Schirm, sonst wäre er nicht auf Lampedusa gewesen, würde das Thema immer wieder ansprechen und bringt dann da auch finde ich einen Ton von Gerechtigkeit und Menschlichkeit mit großer Deutlichkeit rein. Und in der evangelischen Kirche ist es natürlich auch wichtig – die haben ihr eigenes Boot gechartert, um Seenotrettung voranzutreiben.

Aber auch hier in Deutschland erlebt sie immer wieder Ehrenamtliche, die sich für geflüchtete Menschen einsetzen. Sie glaubt, die Kirchen sind …

… ein so wichtiger Baustein von Zivilgesellschaft. Die lebendige Zivilgesellschaft ist zum Teil – nicht ausschließlich, aber – ist zum Teil ja ganz stark getragen von Kirchenarbeit und diese Gemeindearbeit vor Ort, ja hallo, die ist es doch, die am Ende Integration möglich macht, oder nicht?

Sie hat sogar eine, wie ich finde, super spannende These: Flucht und Migration seien in der Bibel von Abraham über Mose bis zu Jesus, Maria und Josef so sehr Thema, dass sie zum Wesen des Christentums gehören:

Ich glaube, dass die Geschichten eigentlich alle im Christentum vorhanden sind und deshalb auch bei Christen wirken. Also ich sag Ihnen mal: in meinem Vorort, in Köln, wo ich wohne, da ist eine Dame aus der katholischen Kirche, die hat da jetzt dreimal die Woche ein junges afghanisches Mädchen unterrichtet, damit sie nicht auf die Förderschule muss. Da habt ihr so ein Potenzial und ihr habt es wirklich in eurer DNA, diesen Stoff, diese Thematik!

Gestrandete Menschen, die in Athen, Paris oder Calais auf der Straße leben oder in Deutschland in einer Asylunterkunft vereinsamen - Isabel Schayani interviewt sie immer wieder. Gibt ihnen eine Stimme. Und weiß deshalb, welchen Unterschied Helfer machen, egal ob in der Kirche oder einer anderen Organisation, die sich für geflüchtete Menschen engagieren:

Das sind am Ende die, die den Leuten hier in Deutschland regelrecht das Leben retten. Das wissen die auch alle. Also jemand, der das jetzt hört, und der sich da engagiert, der weiß, warum er das macht. Die werden aber so wenig gelobt. Aber das sind die Leute, die den Unterschied machen. Echt. Und das ist so wertvoll. Und Kirche ist gesegnet mit solchen Leuten. Ihr müsst die pampern und fördern! Das ist so toll.

Wenn die deutsch-iranische Reporterin von Teheran spricht, dann allerdings legen sich Sorgenfalten auf die Stirn der Wahl-Rheinländerin. Sie wird deutlich:

Wir haben auf den Iran geblickt vor ungefähr anderthalb Jahren, als die jungen Frauen und Männer so mutig auf die Straße gegangen sind und wahnsinnig viel riskiert haben. Aber wenn wir uns angucken, was jetzt tatsächlich passiert: Dann gibt es jetzt Hinrichtungen, dann gibt es weitere Inhaftierungen, und was im Gefängnis passiert und ich bin da auch im Kontakt, das ist jetzt viel härter geworden. Und das ist etwas, was sehr besorgniserregend ist. 

Deshalb brauch es ihrer Meinung nach auch dringend mehr humanitäre Visa für Menschen aus dem Iran, also legale Einreisen.  Denn auch hier verliert Isabel Schayani trotz der Komplexität des Themas, nie den Blick für den einzelnen Menschen.

 

*Isabel Schayani: Nach Deutschland. Fünf Menschen. Fünf Wege. Ein Ziel. Verlag C.H. Beck. München 2023.

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18FEB2024
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Bettina Klünemann Foto: Dagmar Brunk

Annette Bassler trifft Bettina Klünemann, Notfallseelsorgerin, Flughafenpfarrerin Frankfurt/Main

Teil 1- Halt im freien Fall

Bettina Klünemann ist Pfarrerin am Frankfurter Flughafen und war schon immer Notfallseelsorgerin. Angefangen hat sie damit in den USA. Im Brennpunktviertel einer Großstadt. Im Krankenhaus dort war sie Teil des Teams. Das hat im Emergency-Room die akuten Notfälle aufgenommen und behandelt.

Das war jetzt Downtown, das heißt, wir hatten jede Nacht Leute, die mit Stichverletzungen, nach irgendwelchen Bandenkriegen, mit Schussverletzungen angekommen sind. Leute, die nach Autounfällen angekommen sind.

Und in der Situation hat sie sich erst mal um die Angehörigen gekümmert.

Und dann konnte ich einfach versuchen, den Druck von dem Rest des Teams wegzunehmen, um zu erklären, was sind die Prozesse im Krankenhaus, was ist, was brauchts, wie werden sie versorgt und sowas.

Ein Theologe hat mal gesagt: „Dem Hungrigen erscheint Gott als ein Stück Brot.“ Also- Gott erscheint immer als das, was Leben rettet. Das Ärzteteam behandelt dazu den Körper. Was „behandelt“ Bettina Klünemann?

Die Leute brauchen Unterstützung. Denen gibt man nicht nur einen Stuhl und ein Glas Wasser, sondern da ist es gut, wenn da jemand noch mit dabei ist, einfach Zeit mit denen verbringt und hilft, einfach so eine Leitplanke zu sein in der Situation.

Da sein- mit viel Zeit und Aufmerksamkeit. Das leuchtet mir ein. Aber wie kann man Leitplanke sein für Menschen, die von jetzt auf gleich in eine Katastrophe geraten sind und die den Boden unter den Füßen verloren haben? Die gerade ins Bodenlose fallen?
Vielleicht dadurch, dass man selber Halt ist, mit seiner ganzen Person?

Dieses Sprichwort „Not lehrt beten“ ja also, wenn die Menschen selbst in dem Moment das nicht gekonnt haben. Aber dann haben sie mich vielleicht auch gebeten. Und wussten, dann ist es da in guten Händen. Oder: „Die findet vielleicht jetzt Worte, wo ich keine Worte finden kann.“  

Es ist ein großes Geschenk, wenn jemand sich in der Not plötzlich gehalten fühlt. Das kann man nicht machen. Als Notfallseelsorgerin erlebt Bettina Klünemann aber oft, dass ihr Vertrauen ansteckend ist. Das Vertrauen, dass man nicht tiefer fallen kann als in Gottes Hand. Das wirkt weiter. Sogar bei Muslimen. Als Seelsorgerin am Frankfurter Flughafen hat sie heute öfters mit Muslimen zu tun. Und immer sind die dankbar, wenn sie da ist.

Weil die oftmals in dem Moment, wo sie hören, dass ich Pfarrerin bin, dann wissen:  das ist ein Mensch, der glaubt! Also das ist jemand, der hat irgendwie eine Verbindung zu einer höheren Macht! Das ist auch jemand, der betet zu Gott! Und dann, ist das wie so oft, dass wir auch miteinander beten können. Oder dass sie auch sagen: Beten Sie für uns!

So schrecklich die Not dann ist, kann sie aber auch ein Auslöser dafür sein, neue, gute Erfahrungen mit Gott und den Menschen zu machen.

Teil 2- Notfallseelsorgerin werden

Notfallseelsorge ist bei kleinen und großen Katastrophen kaum noch wegzudenken. Bettina Klünemann war schon immer als Notfallseelsorgerin im Einsatz. Erst im Krankenhaus, dann in der Gemeinde und jetzt, mit 59 Jahren am Flughafen Frankfurt. Immer wieder kommt es vor, dass Reisende ganz plötzlich versterben, dass deren Angehörige in der Fremde völlig orientierungslos sind, dass aus Krisengebieten Leute nur mit den Kleidern auf der Haut ankommen und versorgt werden müssen. Was macht sie dann?

Bevor ich meine Jacke überziehe, überlege ich wirklich: Bin ich jetzt im Moment die Richtige? Auch wenn ich noch nicht genau weiß, was mich da erwartet. Aber in dem Moment, ich muss wirklich auch für mich innerlich abchecken, was hab ich an dem Tag gemacht? Hab ich die Kapazitäten innerlich und haben es auch die Leute die mit mir kommen?  

Die mitkommen, das sind Leute aus allen möglichen Berufen, die ehrenamtliche Notfallseelsorger sind. Die werden zuerst auch von Bettina Klünemann dafür ausgebildet. Und sie lernen: das allererste und Wichtigste ist- achtsam zu sein.

Was ist da? Einfach mal die Situation wahrzunehmen, möglichst alles wahrzunehmen. Also diejenigen, die da gerade am Arbeiten sind vom Rettungsdienst, vom Notarzt, Notärztin, von der Polizei eventuell. Alle die, die da gerade in Aktion sind.

Dabei ist es wichtig, den spontanen Gefühlen und Impulsen nicht gleich zu folgen. Sondern genauer hinzusehen, auch auf sich selbst. Hinhören, sich einfühlen und- die Nähe aushalten zu den Betroffenen. Das muss man wollen. Das kann man aber auch lernen in so der Ausbildung. Mitbringen sollte man eine gewisse körperliche Fitness für Einsätze im Freien und eine gewisse Lebenserfahrung. Am wichtigsten aber ist die Freude, sich auf Menschen einzulassen. Ohne darauf zu schauen, welches Alter, welche Religion, welche Kultur dieser Mensch hat, der da Hilfe braucht.

In der Bibel kennen wir die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Und das ist genau der, der anders ist, der anders glaubt und der auch anders lebt und der andere Grundsätze erstmal hat und Werte.

Mit dieser Geschichte hat Jesus erzählt, wie wir das Gebot der Nächstenliebe verstehen sollen. Nächstenliebe kennt nämlich keine Grenzen. Sie gilt über die eigene Nation hinaus. Über die eigene Ethnie und die eigene Religion hinaus. Christliche Nächstenliebe gilt allen Menschen, weil alle Menschen Gottes Geschöpfe sind. Und deshalb kann die Kirche, die Nächstenliebe lebt, immer nur eine Kirche für alle Menschen sein. Bettina Klünemann erinnert sich an eine junge Frau. Die war aus der Kirche ausgetreten, hat sich aber zur Notfallseelsorgerin ausbilden lassen. Und die sagte mal:

Weißt du, Bettina. Ich hab jetzt erst hier am Flughafen verstanden, warum es eigentlich Kirche gibt und für was Kirche da ist! Und dann denke ich mir: Mensch, das ist gut. Ja, das ist wirklich gut. Dass wir für andere da sind.

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11FEB2024
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Shay Cullen Copyright: Weltpartner

Caroline Haro-Gnändinger trifft: Shay Cullen, Ordensmann und Menschenrechtsaktivist. Er lebt auf den Philippinen in der Nähe von Manila.

Wir sprechen miteinander, weil er gemeinsam mit Filipinos die Organisation PREDA gegründet hat. Viele Kinder haben durch PREDA aus der Armut und Ausbeutung herausgefunden und können jetzt selbstbestimmt leben. Als Erwachsene kommen einige regelmäßig zu einem Ehemaligentreffen:

Es ist ein toller Festtag, wenn sich Ehemalige hier zum Wiedersehen versammeln. Die verheiratet und groß geworden sind. Das ist ein sehr fröhlicher Tag, wenn ich alle diese Kinder sehe, die jetzt ein erfolgreiches, glückliches Leben haben.

Er und sein Team haben tausende Kinder von der Straße und aus der Zwangsprostitution geholt – seit inzwischen 50 Jahren. Shay Cullen erinnert sich, wie er ganz am Anfang aus Irland auf die Philippinen kam:

Ich kam 1969 auf die Philippinen, voller Idealismus, die Welt zu verändern. Klar, deshalb bin ich Missionar geworden.

In der Stadt Olongapo hat er gleich am Anfang gesehen, was Kinder miterleben mussten. Im Umfeld eines damaligen US-Militärstützpunkts. Dort haben Soldaten Kinder missbraucht, aber auch in Familien gab es Gewalt. Und ein riesiges Problem war und ist Sextourismus.

Ich habe herausgefunden, welche schrecklichen Verbrechen an den Kindern verübt wurden. Sie wurden Opfer von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung. Und das schon im Alter von sechs, sieben, acht Jahren.

Es ist schwer, so etwas zu hören. Denn mich erinnert das sofort auch an den Missbrauch in der Kirche. Wo das Leben vieler Kinder zerstört wurde. Mich macht das wütend und auch Shay Cullen. Er erzählt, dass die Kirchengemeinde in Olongapo damals beim Sextourismus auch weggeschaut hat. Für ihn unfassbar:

Sie haben es einfach akzeptiert, so: Naja, das ist halt so. Aber ich habe mich gefragt: Warum erheben wir nicht die Stimme wie ein Prophet und unternehmen etwas gegen diese Situation? Ich habe niemanden dort gesehen, der etwas Bedeutendes dagegen getan hätte.

Shay Cullen kann nicht wegschauen - er bekommt mit, wie verzweifelt die Kinder sind, dass sie Krankheiten bekommen und drogenabhängig werden. Und will gerade als Christ etwas tun:

Sonntags zur Kirche zu gehen und davon zu träumen, in den Himmel zu kommen, das ist nicht christlich. Sorry, wissen Sie, das ist tot. Wir wollen einen lebendigen Glauben, in dem Menschen Gutes tun, die Wahrheit verbreiten, den Kranken und den Missbrauchten helfen und die Unschuldigen schützen.

Auch ich frage mich immer wieder, was es heißt, zu glauben. Für mich gehören, wie auch für Shay Cullen, Gottesdienste und Gebete dazu. Aber auch zu handeln. Nicht nur, wenn es um Familie und Freunde geht. Aber wer ist mein Nächster konkret? Dass Shay Cullen für Menschen in Not in seiner Umgebung nicht lockergelassen hat und wirklich etwas verändern konnte, macht mir Mut. Übrigens unterstützen auch viele Ehrenamtliche aus Kirchengemeinden hier bei uns im Südwesten seine Organisation PREDA. Daher kenne auch ich seine Arbeit. Und sie berührt mich auch, weil ich Halb-Filipina bin. Für die Kinder dort hat sein Team viel erreicht.

Es ist Teamarbeit, wir sind bei all dem nicht allein. Wir haben ein sehr gutes philippinisches Team und arbeiten alle zusammen und das macht mir Mut.

Sie sind etwa 50 Leute, kooperieren mit der UNO und weiteren Kinderschutzorganisationen oder auch der Polizei. Um Kinder aus der Prostitution zu holen, aus Gefängnissen und von der Straße. Die können in der Nähe der Hauptstadt Manila ein Dach über dem Kopf bekommen, zur Schule gehen und erhalten eine ganz bestimmte Therapie, bei der sie herausschreien können, was sie erlebt haben. PREDA hat außerdem Kinderschutzgesetze im Land erkämpft und unterstützt Kinder vor Gericht:

Wir bringen ihnen Gerechtigkeit, Freiheit und ein neues Leben. Und dass sie Fälle vor Gericht gewinnen - Verurteilungen ihrer Missbrauchstäter und Menschenhändler! Und das hilft, mehr Opfer zu verhindern. Unser Traum ist natürlich, dass Kinder nirgends mehr missbraucht werden und wir wollen warnen.

Warnen, denn die Sextouristen kommen auch aus Deutschland. Das ist schrecklich. Trotz vieler Hindernisse und auch Drohungen hat Shay Cullen den Mut nicht verloren. Er kämpft gegen Armut, damit Kinder gar nicht erst in schlimme Situationen rutschen. Ich glaube, entscheidend ist, dass sein Team immer wieder an die Öffentlichkeit gegangen ist und sich ein gutes Netzwerk von Unterstützern aufgebaut hat.

Glauben zu haben heißt, ganz davon überzeugt zu sein, dass das Gute und die Wahrheit und die Gerechtigkeit das Böse besiegen. Jesus hat ganz klar gemacht, dass wir Gutes tun müssen und für die Rechte jedes Menschen kämpfen und uns für Kinder stark machen sollen. Eines Tages, so glauben wir, werden wir hoffentlich das Schlechte überwinden, genau das ist der Glaube.

Und jeder kann etwas bewegen, findet er: sich für Geflüchtete einsetzen oder sich um einsame Nachbarn kümmern. Und so konsumieren, dass die Produzenten weltweit von ihrem Einkommen leben können. PREDA will als nächstes anstoßen, dass ein Gericht entsteht, speziell für Straftaten an Kindern, damit Täter schneller bestraft werden.

Die Richter sind ziemlich unorganisiert und sehr langsam. Und wir versuchen, das zu ändern. Wir setzen uns gerade für ein Kindergericht ein. Wir haben oft Konzepte für Politiker entwickelt und damit hatten wir schon oft Erfolg und jetzt geht’s eben um ein Kindergericht, wo nur Fälle von Kindern verhandelt werden sollen.

Shay Cullen ist inzwischen 80 und er hat ein Team mit Nachfolgern aufgebaut. Ich finde, es ist wichtig, dass sein Lebenswerk und dieser große Einsatz für Kinder in Not weitergehen.

                

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04FEB2024
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Cheyenne Dziurczik Foto: privat

Wolf-Dieter Steinmann trifft Cheyenne Dziurczik aus Mainz, ehrenamtliche Hospizbegleiterin.

Mitten im Gespräch mit Cheyenne Dziurczik ist mir dieser Satz eingefallen: „Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel.“ Stimmt, sie hat auch was von nem Engel: geerdet, himmlisches Lachen, Lebensfreude und Hingabe zu Menschen.
Beim ambulanten Hospizdienst in Mainz engagiert sich Cheyenne Dziurczik ehrenamtlich, schenkt ihre Zeit. Z.B. einem noch gar nicht so alten Mann.

Er ist jetzt 65. Leider an Krebs erkrankt. Wir halten telefonisch regelmäßig Kontakt und ja, trinken auch des Öfteren mal einen gemeinsamen Tee zusammen.

Sie ist noch keine 30 Jahre alt. Trotzdem macht sie das und sie würde auch ins stationäre Hospiz mitgehen, wo Sterbende in den letzten Wochen begleitet werden. Leben solle auch dort spürbar sein.

In meinen Begleitungen geht es ganz, ganz viel um das Leben, gar nicht mal extrem viel um den Tod oder das Sterben an sich. Das ist natürlich auch Thema. Ich denke, das ist auch für die Verarbeitung sehr wichtig, dass man auch auf die lustigen und schönen Dinge im Leben zurückblicken kann. Es wird schon sehr viel gelacht.

Und lacht dabei. Das Leben soll immer wieder blühen. -
Damit man als Ehrenamtliche reflektiert begleiten kann, durchläuft man bei der Mainzer Hospizgesellschaft einen Grund- und Aufbaukurs. Weit über 100 Stunden.

Wie gehe ich mit den Sterbenden um, wie ist die Kommunikation, aber auch, warum entscheide ich mich dafür, ehrenamtlich in diesem Bereich tätig zu sein? Wo sind meine eigenen Grenzen?

Ihr erster Freund ist ums Leben gekommen, da war sie 15. Das war traumatisch. Aber nicht traumatisierend. Cheyenne engagiert sich auch, weil sie menschlich wachsen will, und aus Neugierde.

Was passiert noch mal am Lebensende und was sind auch noch mal Ziele oder Gedanken von den Menschen.
Dadurch, dass ich da sehr, sehr viel mit mir selbst dann auch irgendwie erarbeitet habe, war das dann so der Weg.

Sie will begleiten, Angehörige entlasten, und auch mal ein bisschen ablenken. Die Krankheit soll nicht alles beherrschen.

 Ja, die Krankheit, das ist einfach Scheiße. Da steht die Welt erstmal komplett auf dem Kopf. Aber es gibt eben auch am Lebensende noch schöne Seiten. Das zu zeigen, mitzugeben. Das ist viel mehr die Intention dahinter als den Leuten zu helfen, weil das kann ich nicht.

Sie gibt Zeit und Lebensfreude, damit auch diese Phase des Lebens, ja, „gefeiert“ wird. Das Leben geehrt. Aber dann muss ich sie doch auch fragen: Kriegt sie auch was zurück? Ja, sagt sie, viel Dankbarkeit.

Und noch mal ein anderes Lebensgefühl. Weil man einfach noch mal geerdeter wird: Diese kleinen Alltagssituationen, über die man sich banal aufregt, die sind nach den Begleitungen verpufft. Das Leben ist eigentlich so schön. Man kann dankbar sein für das, was man hat.

Ich bin sicher: Cheyenne Dziurczik tut Menschen gut. Wenn sie mit Schmerzen  zu ihr, als Physiotherapeutin, kommen. Demnächst wird sie andere dazu auch ausbilden. Mit noch nicht mal 30.
Und auch ehrenamtlich tut sie gut: begleitet Sterbende ambulant über die Mainzer Hospizgesellschaft. Kraft dafür geben ihr die Supervision dort und sie hat Rückhalt im Netzwerk ihrer großen Familie. Das trägt. Vor 50 Jahren sind ihre Großeltern aus Polen gekommen.

Kraft nehme ich tatsächlich viel aus meinem familiären Umfeld, aber auch der Rollendefinition.
Ich fühle als Cheyenne sehr mit, hab am Sterbebett auch geweint. Aber ich trauere danach auch nicht weiter. Es ist dann ein Abschluss, den man finden muss, dann hat man eben auch wieder Energie für was Neues.

Vermutlich kann man sich auf neue Begegnungen nicht ganz einlassen, wenn man nicht Abschied nehmen konnte. Und dazu spielt auch der Kopf eine wichtige Rolle: Welchen Sinn sieht man für die, die uns vorausgehen.

Tatsächlich ist es so für mich, dass alle irgendwie in den Himmel kommen. Für mich gibt es keine Hölle. Und ab und zu hab ich auch den Eindruck, dass in verschiedenen Situationen dann wirklich auch kleine Schutzengel draus werden. Und man so Situationen als Angehöriger auch ein Stück weit besser verkraften kann.

Diese umfassend lebensbejahende Einstellung hilft wohl, dass sie ihrem Anspruch gerecht werden kann: Ganz da zu sein für Angehörige und Gehende. Sie will dem gerecht werden, dass auch das Lebensende individuell ist und das auch mit ermöglichen.

So sein, wie man ist. Ohne irgendwie die Menschen versuchen wollen, in eine Richtung zu lenken. Alles fühlen zu lassen, was irgendwie an Emotionen aufkommt, es ist alles erlaubt. Dass keiner wirklich alleine ist, da sein und zuhören.

Sie erlebt, dass sie dabei auch selbst sehr viel bekommt. Sie hatte Sorge, gibt sie zu, als sie zum ersten Mal im Hospiz dabei war in der letzten Stunde. Aber es muss gut gewesen sein.

Weil das ein unheimlich friedlicher Moment war. Da habe ich das erste Mal so die Ehrfurcht gespürt und ganz tiefe Dankbarkeit. Dass ich einfach diesen Moment miterleben durfte.

Zum Abschluss gibt mir Cheyenne Dziurczik noch etwas ganz Praktisches mit. Klingt beinahe wie eine Kleinigkeit. Aber vielleicht ist es in Wahrheit doch auch fundamental, wie es uns gelingen kann, einander menschlich loszulassen.

Immer sich verabschieden. Wenn es nur gerade mal eine Kaffeetasse oder, ja, mal ein Toilettengang ist, sollte man sich vorher verabschieden.

 

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28JAN2024
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Marcus Grünewald Copyright: Bistum Mainz/Hoffmann

… und mit Marcus Grünewald. Seit zwei Jahren ist er der Umweltbeauftragte des Bistums Mainz und der erste, der diese Aufgabe auch hauptamtlich übernimmt. Darin kommt zum Ausdruck, dass Umwelt- und Klimaschutz eben kein Neben-Thema mehr ist, sondern etwas, das drängt und das ins Zentrum gehört. Nicht nur, weil es der Gesetzgeber inzwischen so vorschreibt, sondern weil es für Christinnen und Christen selbstverständlich sein muss, die Schöpfung so gut es geht zu schützen, statt sie immer weiter zu ruinieren. Und da hat sich in den letzten Jahren offenbar Einiges zum Besseren verändert.

Also das Bewusstsein, dass wir handeln müssen, das ist da und da gibt es auch kaum noch Diskussionen darüber. Problematisch ist, wie überall: die Kolleginnen und Kollegen sind bis an die Grenzen der Belastbarkeit in Arbeit. Aber dieses: „Ja bleib mir vom Leib. Umweltschutz brauchen wir nicht.“ Das hat sich radikal geändert, das ist klar.

Nun weiß ich aber auch als Privatmann, dass wirksamer Klimaschutz nicht nur Arbeit macht, sondern auch richtig teuer sein kann und die finanziellen Spielräume der Kirchen werden gerade drastisch enger.

Bei den finanziellen Mitteln ist es einfach auch ein Rechenexempel. Wenn ich Photovoltaik installiere, dann muss ich in Vorleistung gehen. Aber die Einsicht, dass unser Handeln in fünf, zehn, 15 Jahren viel, viel teurer kommt, die ist da und trotzdem bleibt es eine Gratwanderung zwischen dem, was wir müssten und sollten und dem, was wir können.

Und wie kann ich mir das vorstellen, was ein kirchlicher Umweltbeauftragter so tut?

Mein Hauptauftrag ist die Umsetzung des Klimaschutzkonzeptes. Wir wollen bis spätestens 2045 klimaneutral sein und dieses Konzept in Aktionen, in Projekte zu übersetzen, das ist mein Hauptauftrag. Es gibt die Möglichkeit, besonders interessante Projekte zu Leuchtturmprojekten zu machen, die wir auch finanziell unterstützen. Und letztlich kann ich fachliche Kompetenz vermitteln. Und da kommt mir auch mein zweiter Arbeitsplatz an der TH in Bingen zugute. Da sitzt die geballte Fachkompetenz.

Denn seit vielen Jahren schon arbeitet er als Studierendenseelsorger an der Technischen Hochschule Bingen, wo sie unter anderem auch intensiv zu Umwelt- und Klimaschutz forschen.

Mir wird schnell klar, dass Marcus Grünewald keiner sein will, der mit erhobenem Zeigefinger rumläuft und andere damit nervt, was sie alles immer noch falsch machen.

Ich will mit allem, was ich tue, ein Angebot machen, und das ist eine Gratwanderung. Nicht zu viel, die Menschen auch nicht bedrängen, sondern immer wieder sagen: Ich mach dir ein Angebot, das du annehmen oder auch ablehnen kannst. Und trotzdem können wir noch gut miteinander umgehen.

Für mich ist das katholisch im besten Sinne. Immer wieder klar zu sagen, was ist und was Not tut und trotzdem leben und auch den anderen leben lassen. Und das Gottvertrauen haben, dass das Richtige sich am Ende dennoch durchsetzen wird.

Nun erlebe ich ja selbst, dass ich zwar viel darüber weiß, wie ich umwelt- und klimaschonender leben könnte – es aber oft genug nicht mache. Das geht vielen so. Warum eigentlich?

Weil wir alle Menschen sind. Ich auch. Wir sind alle Menschen mit unseren Routinen, aus denen es ganz schwer fällt auszubrechen. Mit unseren Bequemlichkeiten, vielleicht auch mit unseren Ängsten, dass wir da vielleicht ein Stück Lebensqualität verlieren. Ich kann es aus meiner Sicht verstehen. Auch mir geht es so, dass ich immer wieder denke: jetzt hättest du mal das Auto stehen lassen können! Ich bin deshalb auch kein Freund von grundsätzlichen, radikalen Verboten: Ihr dürft jetzt nicht mehr fliegen! Fliegt weniger, fliegt alle zwei Jahre oder statt dreimal im Jahr nur noch einmal im Jahr. Aber wem die griechischen Inseln so wichtig sind, dass er sie gerne mal sehen würde. Ja, okay, dann flieg hin.

Es ist die Kunst der kleinen Schritte. Der Weg dauert länger, aber auch er führt zum Ziel und nimmt vielleicht sogar mehr Menschen mit. Doch Bewahrung der Schöpfung, das heißt für ihn noch viel mehr als die Reduktion von CO2. Darum wünscht er sich …

Dass wir nicht nur auf das Klima schauen. Lasst uns auf das Klima schauen. Aber diesen anderen großen Bereich des Lebensschutzes, des Tierschutzes, der Bewahrung der göttlichen Schöpfung nicht vergessen.

Fragen, bei denen es inzwischen ja oft grundsätzlich und damit ruppig wird. Zwischen denen, denen alles viel zu langsam geht und den anderen, die sich gegängelt und bevormundet fühlen.

Es geht um einen Weg miteinander. Das Gegeneinander ist mir in unserer momentanen Gesellschaft und momentanen Umgang viel zu stark. Kaum macht einer den Mund auf, schreien die Ersten los und umgekehrt. Miteinander reden, gemeinsam Wege gehen. Und dann, bin ich der festen Überzeugung, finden wir Lösungen.

Ist das vielleicht sogar seine wichtigste Aufgabe? Menschen zusammenzubringen?

Ja, da müsste ich sogar noch viel mehr Zeit haben. Menschen, die das gleiche Anliegen haben, zusammenzubringen. Momentan, glaube ich, ist meine Aufgabe doch eher, den Finger in die diversen Wunden zu legen und zu sagen: Bei allem Verständnis, aber hier müssten wir jetzt mal einen Schritt weiterkommen. Ich mache das, glaube ich, auf eine gute Form. Ich mache das mit viel Verständnis. Aber wer mich kennt weiß auch, durchaus mit viel Penetranz.

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21JAN2024
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Matthias Hiller Pfarrer und Flughafenseelsorger vor dem Flughafen Stuttgart. Bild: Evangelische Landeskirche in Württemberg

Barbara Wurz von der evangelischen Kirche trifft Diakon Matthias Hiller. Er ist Flughafenseelsorger und betreut - zusammen mit seiner katholischen Kollegin und einem Kreis von Ehrenamtlichen – nicht nur die Reisenden, die in Stuttgart ab- und anreisen. Auch fürs Personal an den Terminals, in der Abfertigung oder den Sicherheitskräften ist er Ansprechpartner. Besonders dann, wenn es um Dinge geht, für die sonst keine Stelle zuständig ist. Matthias Hiller dem Team begegnen bei ihrer Arbeit die unterschiedlichsten Menschen – vom Unternehmer bis zum Asylbewerber. Aber alle befinden sich in einer besonderen Situation, sind auf Reisen, verlassen das Vertraute und stehen an der Schwelle zu einem neuen Ort. Und das bringt manche Überraschungen mit sich. 

Es sind tausende, die jeden Tag am Stuttgarter Flughafen abfliegen oder ankommen, aus den unterschiedlichsten Gründen unterwegs sind und ihren Rollkoffer hinter sich herziehen. Im Gepäck dabei ist aber immer auch die eigene Lebensgeschichte. Diakon Matthias Hiller von der Flughafenseelsorge weiß aus Erfahrung, dass dieses Seelengepäck gerade am Flughafen ganz unerwartet zum Vorschein kommen kann. Es sind zwar nur 100 Meter durch den Check-in, aber dahinter ist plötzlich alles anders

In dem Augenblick, wo ich auf den Weg nach Rom bin, schwäbelt es um mich herum nicht mehr. Plötzlich ist die Familie, die ganze Situation, alles, was mich bewegt hat hinter mir und der Fokus ist: Ich in Rom an - Leonardo da Vinci Flughafen - und alles ist anders.

Abheben, den festen Boden und das alltägliche Leben hinter sich lassen; und das an einem Ort wie dem Flughafen mit seinen ganz eigenen Regeln und Abläufen, die alles andere als alltäglich sind: Wo sonst bitte lässt man sich von wildfremden Menschen von oben bis unten abtasten oder seine persönlichen Sachen durchwühlen? Zu fliegen ist eine Ausnahmesituation, weiß Matthias Hiller. Und die führt so manchen Fluggast kurz vor Reisebeginn zu ihm

Die bringt durchaus auch Dinge hoch, wo man spürt, da möchte ich noch mal drüber reden. Aber hier, während des Wartens fällt mir auf: da war eine Situation, da muss ich mit jemandem drüber reden, weil ich weiß, das macht mir Bauchweh, da kann ich heut Nacht nicht drüber schlafen. Und dann gibt es bei uns durchaus Räume und Möglichkeiten, darüber zu reden. 

So war es auch, als einmal ein Fluggast mit dem unguten Gefühl im Bauch zu Hiller gekommen ist, dass er eine Situation hinter sich zurückgelassen hat, bei der eine echte Katastrophe drohen könnte.

Dann kam es zu einem längeren Gespräch, und wir konnten das dann übernehmen und über die kirchliche Struktur jemand dort hinschicken. Und es war tatsächlich so, dass da ein Betrieb vor dem Ruin stand und Seniorchef und Juniorchef so miteinander umgingen, dass zu befürchten war, dass da bis zu Gewalt kommt.

Die Flughafenseelsorge ist gut vernetzt und so konnte über den Handwerkerverband und die örtliche Kirchengemeinde Schlimmeres verhindert werden.

Natürlich geht es nicht immer so dramatisch zu. Und es sind auch nicht immer die Passagiere, mit denen Matthias Hiller zu tun hat. 

Matthias Hiller leitet seit 2019 zusammen mit seiner katholischen Kollegin, Mechthild Foldenauer die Stuttgarter Flughafenseelsorge, zu dem auch ein Team von etwa 30 Ehrenamtlichen gehört. So ein Flughafen ist wie ein eigener kleiner Kosmos mit seinen ganz eigenen Regeln. Und obwohl Matthias Hiller ein fester Bestandteil dieses kleinen Kosmos ist, kann er gleichzeitig gesunde Distanz bewahren. Ein Stück weit bleibt er Außenstehender und kann deshalb manchmal genau da helfen, wo der Kosmos Flughafen an seine Grenzen stößt.

Wir sind ein Dienstleister für alle Fälle, wo es am Flughafen keinen Dienstleister gibt. Das heißt, wir übernehmen das, was im Betriebsablauf an menschlichen Tiefen und Untiefen entsteht. Das können ganz lustige Fälle sein wie Jemand hat versehentlich statt des Reisepasses das, was daneben liegt, aus der Schublade geholt und möchte nach Rom fliegen. Und dann war es das Sparbuch der örtlichen Sparkasse.

Aber auch die Menschen, die am Flughafen arbeiten – vom Check-in über die Beamten der Bundespolizei, die Angestellten der Verkaufsstellen bis hin zum Kabinenpersonal  – kommen gerne bei der Flughafenseelsorge auf eine Tasse Kaffee und ein paar freundliche Worte vorbei.

Wenn man in dem Beruf ist, steht man sehr viel in der Öffentlichkeit. Und es sind die Menschen im Check-in, die andere Menschen in der Sicherheitskontrolle anfassen, in andere Leute Handtaschen herumwühlen müssen. Das ist durchaus nicht immer so einfach und das sind wir gerne bereit, mitzuhelfen, mitzudenken, auch zu schauen, was tut den Menschen gut?

Was tut den Menschen gut? Egal ob Passagiere oder Personal. Matthias Hiller stellt diese Frage ganz bewusst mit den Worten, mit denen auch Jesus in der Bibel gerne gefragt hat: „Was willst Du, dass ich Dir tun soll?“ Und das aus gutem Grund:

Das heißt, wir helfen ausdrücklich nicht mit dem, was wir denken. Wir denken manchmal, dem Menschen sollte man eine Duschmarke für die Dusche am Flixbus-Busbahnhof drüben geben. Aber was er tatsächlich braucht, kann er nur selber benennen. Und gerade so ein ungeduschter Spargelstecher aus Georgien, der braucht nichts Wichtigeres als einen Anruf in seiner Heimat, dass hier was nicht geklappt hat und er in Kontakt treten muss und ein georgisches Handy funktioniert nicht. Dann ermöglichen wir den Anruf.

Das ist es, was die Flughafenseelsorge in Stuttgart und die Arbeit von Matthias Hiller ausmacht: Den einzelnen Menschen sehen mit dem, was der gerade dringend braucht. Und damit einen Beitrag leisten, den Flughafen zu einem menschenfreundlichen Ort zu machen.

 

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