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29MRZ2024
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Lichtkreuz von Ludger Hinse Copyright: Kath. Stadtkirche Heidelberg / Gülay Keskin

Ich habe etwas bei mir festgestellt, dass mich nachdenklich gemacht hat: Der sterbende Jesus am Kreuz – diese Darstellung habe ich schon so oft gesehen, dass sie mich gar nicht mehr aufrüttelt oder provoziert.

Aber das geht nicht nur mir so. Dass der Anblick des Kreuzes für viele völlig normal geworden ist, hat auch der Künstler Ludger Hinse beobachtet. In einem Interview hat er mal gesagt: „Diese ganzen Leidenskreuze, die tausend, zehntausendfach überall hängen, die erregen ja gar nichts mehr… es kommt darauf an, dass ein Kreuz Aufsehen erregt.“

Die Kreuze von Ludger Hinse sehen deshalb ganz anders aus. Eines seiner Kunstwerke hängt seit ein paar Jahren auch in der Jesuitenkirche in Heidelberg und es fasziniert mich immer wieder, wenn ich es anschaue. Es ist ein Kreuz ganz aus Glas, und je nach Einfall des Lichtes ist es manchmal fast durchsichtig und kaum zu erkennen. Und dann ist es wieder ganz präsent und zaubert in unterschiedlichen Farben buntes Licht in den Kirchenraum: mal blau-grün, mal pink-violett. Und weil der Luftzug es sanft bewegt und es dadurch immer wieder anders aussieht, meint man fast, dass das Kreuz selbst lebendig ist.

Ludger Hinse knüpft mit seinen Lichtkreuzen an die Kreuzdarstellungen der Romanik an. Diese waren Heils- und Segenszeichen, und deshalb wurde Christus nicht leidend und mit hängendem Kopf dargestellt, sondern als Lebender: aufrecht und wie ein Sieger über den Tod. Im Lauf der Jahrhunderte hat sich das verändert und Jesus am Kreuz – so beschreibt es Ludger Hinse – „fiel in sich zusammen. Immer mehr Leid, immer mehr Leid“, sagt er. Doch für ihn ist klar: „Wir brauchen Jesus als einen, der segnet. Und das ist eben Licht und nicht Elend und Neid und Not. (…) Wir brauchen Zeichen, an denen wir uns entwickeln können, an denen wir auf-gehen, auf-steigen können.“

                                                                     

Der Blick auf Hinses Lichtkreuz ist für mich mit seiner Leichtigkeit und seinen sanften Farben ein wunderbares Zeichen für das Leben. Und das tut mir in diesem Jahr gut. Gerade weil mir der Tod von Menschen in den letzten Wochen nahegegangen ist. Und auch, weil das Leid an vielen Orten in der Welt so riesig und schrecklich ist. Ich möchte all das nicht ausblenden oder verdrängen. Gerade heute, am Karfreitag, ist es gut, dass ich wieder aufgefordert bin, ganz bewusst auf den sterbenden Jesus am Kreuz zu schauen und mich daran zu erinnern, dass Gott dem Leid nicht ausweicht, sondern mitleidet. Doch das ist eben nicht alles. Denn die Stärke des christlichen Kreuzes ist es, dass es nicht nur Zeichen des Leidens, sondern letztlich ein Hoffnungszeichen ist, ein Zeichen für das Leben.

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24MRZ2024
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Kann man Gott eigentlich sehen? Das wurde ich neulich von einem Konfirmanden gefragt. Ich habe ihm dann eine Geschichte erzählt, die mir gut gefällt. Es geht um ein Gespräch zwischen einem jüdischen Gelehrten und seinem Schüler:

„Früher gab es Menschen, die Gott direkt ins Gesicht geschaut haben. Warum gibt es das heute nicht mehr?“ Das fragt der Schüler seinen Lehrer. Der Lehrer neigt seinen Kopf, überlegt kurz und antwortet: „Weil sich niemand mehr so tief bücken will.“[1]

Wer Gott sehen will, muss sich herabbeugen, bücken, nach ganz unten schauen. So wird es auch in einem Brief in der Bibel erzählt, über den heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt wird. Jesus, der Sohn Gottes genannt wird, hat seine göttliche Pracht abgelegt und hat die Gestalt eines Knechtes angenommen, heißt es da. (Phil 2,5ff)

Und genau so haben die Menschen Jesus auch erlebt, wie einen Knecht. Er hat vor seinem Tod seinen Freunden die Füße gewaschen. Eine Arbeit eigentlich für Diener.

Jesus hat sich mit Leuten abgegeben, mit denen niemand sonst etwas zu tun haben wollte. Er hat Partei ergriffen: für die Frau, die Ehebruch begangen hat und verurteilt werden sollte.

Jesus ist in der Hierarchie ganz nach unten gegangen, um für die Menschen da zu sein. Er hat den Menschen gedient, nicht von oben herab geherrscht.

Und wie es aussieht, wenn man sich daran orientiert, das konnte man in den vergangenen Monaten in den Vesperkirchen begutachten. In vielen Kirchen gab es über die kalten Wintermonate für Menschen, die es brauchen, günstiges Essen, Kleider oder ärztliche Behandlung.

Dienen und nicht herrschen – mittlerweile haben auch viele Politikerinnen und Politiker die Vesperkirchen für sich entdeckt. Und helfen mit beim Spendensammeln oder bei der Essensausgabe. Das bringt natürlich gute Publicity; es ist aber auch eine echte Geste, ein Symbol, das sagt: "Ich habe die sozial Geächteten nicht vergessen. Ich kümmere mich um sie. Auch ganz praktisch." Es darf natürlich nicht bei Symbolen und Gesten bleiben. Hoffentlich berücksichtigen die Politiker ihre Eindrücke, die sie da mitgenommen haben, auch beim Regieren.

Dienen, nicht beherrschen. Ich finde überall da, wo Menschen Verantwortung für andere haben, ist es gut, sich daran orientieren.

 

[1] Gefunden auf: https://www.pfarrerverband.de/pfarrerverand-predigtimpulse/predigtimpulse-detailansicht?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=164&cHash=6bd59ed8b9cbb800b23eead7f8624ea8

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17MRZ2024
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Einander treu bleiben, bis in den Tod. Viele Paare versprechen sich das. Wohl auch deshalb, weil sie davon überzeugt sind: Treue steht für Liebe. Dem anderen, treu zu sein, das drückt am besten aus, dass man ihn oder sie liebt. Wer heiratet, der verspricht das seinem Partner ausdrücklich bei der Trauung. In der Kirche sowieso, aber auch auf dem Standesamt geht es um ein Versprechen, das auf Lebenszeit geschlossen wird. Treue ist offenbar ein Ideal, an dem wir gerne festhalten. Sie steht für eine Verbindung, die uns kostbar ist, heilig.

Deshalb wird in der Bibel auch die Verbindung zwischen Gott und seinem Volk so charakterisiert. Gott schließt mit denen, die an ihn glauben einen Bund. Einen Bund fürs Leben. Und weil Treue nicht selbstverständlich ist, weil es nicht jeden Tag gleich gut klappt damit, erinnert Gott von Zeit zu Zeit daran, dass es dieses Band der Treue und der Liebe gibt. Die Vorbereitungszeit auf Ostern ist so eine Zeit, in der Christen prüfen, wie es um ihre Treue zu Gott und seinem Bund bestellt ist. Deshalb wird heute in den katholischen Gottesdiensten der folgende Text aus dem Buch des Propheten Jeremia gelesen und bedacht: Ich schließe mit dem Haus Israel (…) einen neuen Bund. Er ist nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe. (…) Diesen meinen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich ihr Gebieter war. (…) Sondern so wird der Bund sein (…): Ich habe meine Weisung in ihre Mitte gegeben und werde sie auf ihr Herz schreiben.[1]

Mir gefällt daran besonders, dass ein Bund mit Gott nichts Starres ist, das ein für alle Mal gleich bleibt. Wie ich lebe und dabei Gott treu bleibe, das wandelt sich. Es ist abhängig davon, wo ich lebe, von den Ereignissen, die auf der Welt passieren, vom Kulturkreis, zu dem ich gehöre, usw. Wenn ich Gott treu bleiben will, muss ich mich der Frage stellen, was Gott von mir erwartet. „Thomas, was musst Du tun, um Gott treu zu sein, um den Bund zu erfüllen?“ Jeremia sagt unmissverständlich, wie das funktioniert. Ich muss eine Ahnung davon bekommen, wie Gott sich das Leben auf dieser Erde gedacht hat. Seine Gedanken, seine Weisung in meinem Herzen prüfen. Und dann das tun, was richtig und nötig ist.

Im Moment bedeutet das für mich vor allem Zweierlei: Mich nicht von den Todesfällen niederdrücken zu lassen, mit denen ich zu tun habe, sondern meinen Freunden, die trauern, dabei zu helfen, dass sie wieder ins Leben finden. Weil ich an einen Gott der Lebenden glaube. Und: Mein Herz nicht hart werden zu lassen, wenn ich angegriffen werde. Weil nur ein weiches Herz verstehen kann, was Gott von mir will.

 

[1] Vgl. Jeremia 31,31-33

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10MRZ2024
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Viele haben den Weckruf gehört und sind in den letzten Wochen auf die Straße gegangen: auf eine der vielen Demos gegen Rechtsradikalismus und für Demokratie. Einigen ist der Schreck wohl ordentlich in die Glieder gefahren: „Politiker, die unsere Demokratie abschaffen wollen? – So schlimm wird es schon nicht kommen.“ Oder „Mal eine Partei ganz rechts außen wählen – ist ja nicht ernst gemeint, ist nur Protest“.  Tja, von wegen!  Es ist an der Zeit, sich öffentlich zu dem zu bekennen, wofür man steht und wovon man überzeugt ist. Klare Kante zu zeigen und deutlich zu machen, wo jeder Kompromiss aufhört. Viele haben den Weckruf gehört. Er hat auch Menschen auf die Straße getrieben, die nie zuvor auf einer Demo gewesen sind.

Einen Weckruf gehört hat auch Petrus im Predigttext für den heutigen Sonntag. Da kräht frühmorgens ein Hahn, laut und eindringlich, und der Schrei fährt Petrus direkt in die Glieder. Denn noch am Abend zuvor hat er großspurig behauptet, dass er niemals von Jesu Seite weichen und sich immer und überall zu seinen Überzeugungen bekennen würde. Jesus hat darauf nur gesagt: Wart‘s ab, bis die Nacht vorbei ist und morgen früh der Hahn kräht! Du wirst noch an deine eigenen Worte denken. Und genau so ist es gekommen: Statt Farbe zu bekennen und zu dem zu stehen, an den er glaubt, hat Petrus jede Verbindung zu Jesus abgestritten. Aus Angst vor den Gegnern. Wie ein Reflex ist es aus ihm herausgeschossen, gleich dreimal: „Jesus? Nie was von gehört!“ Da hat dieser Hahn gekräht. Und Petrus im Innersten getroffen.  

Und auch wenn er zunächst geweint hat vor Wut über sich selber und aus Scham: Vernichtet hat ihn der Hahnenschrei nicht, sondern aufgerüttelt. Nie wieder hat er sich davor gedrückt, Farbe zu bekennen. Ja, er ist sogar zum Felsen einer jungen Bewegung geworden, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, in Jesu Namen auf die Straßen der Welt zu gehen und sich für Gerechtigkeit, für Frieden und Freiheit einzusetzen. Inzwischen sitzt der Hahn auf vielen Kirchtürmen. Wie ein Weckruf in Gold. Und drinnen in den Kirchen ist das alte Lied zu hören: „Es gilt ein frei Geständnis in dieser, unsrer Zeit, ein offenes Bekenntnis bei allem Widerstreit.“ Gut, wenn der Hahnenschrei uns dazu ermutigt!  

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03MRZ2024
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Von wegen sanft, von wegen friedfertig! Es gibt ein paar Geschichten in der Bibel, die fromme Christen vielleicht nicht so gerne erzählen. Weil sie einen Jesus zeigen, der so gar nicht zum Bild des immer sanften, lieben Menschenfreunds passt, das so gern gemalt wird. Die vielmehr über einen Mann berichten, der sich respektlos benimmt, ja, der sogar zu Gewaltausbrüchen fähig ist. So eine Geschichte ist zumindest heute in den katholischen Kirchen zu hören. (Joh 2,13-25). Erzählt wird, wie Jesus nach Jerusalem geht. Er will das jüdische Paschafest mitfeiern. Als er in den Vorhof des Tempels kommt, ist dieser, wie üblich zu dieser Zeit, voll mit Händlern, die alles Mögliche, vor allem aber Opfertiere anbieten. Die werden nämlich im Tempel gebraucht. Damals nichts Besonderes. Auch Jesus wusste das. Nur dieses Mal nervt es ihn offenbar ganz gewaltig. Im Tempel, so meint er, habe so etwas nichts verloren. Nicht mal im Vorhof. Es ärgert ihn so, dass er anfängt zu wüten. Er wirft die Stände der Händler um, macht sich sogar eine Geißel und drischt damit auf die Leute ein. Zugegeben, sympathisch und vorbildlich wirkt so ein Ausraster nicht gerade. Manche Gelehrten meinen, dass er mit dieser Aktion überhaupt erst in den Fokus der damaligen Behörden geraten sei. Als potenziell gefährlicher Unruhestifter.

Wie dem auch sei. Geschichten wie diese eignen sich hervorragend, um mit dem Finger auf Christinnen und Christen zu zeigen. Um zu sagen: Da habt ihr's doch! Derjenige, den ihr da immer als leuchtendes Vorbild hinstellt, war auch nicht besser als alle anderen. Für mich erscheint Jesus hier aber vor allem als Mensch. Einer wie Sie und ich. Einer, der Emotionen hatte, die auch mal mit ihm durchgegangen sind. Weil er für seine Sache zutiefst gebrannt hat. Und weil ihm dieser Ort der Begegnung mit Gott viel zu wichtig, ja heilig war, um auch als Platz für Geschäftemacher durchzugehen. Und das macht ihn für mich dann doch zum Vorbild.

Im kollektiven Gedächtnis ist letztlich auch nicht diese Episode hängen geblieben, sondern Sätze von ihm wie „Liebt eure Feinde und tut Gutes denen, die euch hassen“, oder „Selig die Sanftmütigen, denn ihnen gehört das Himmelreich“. Sätze für die Ewigkeit. Allein das schon spricht für sich. Und wie die Bibel es schildert, hat er das auch nicht nur gesagt. Er hat es gelebt und ist sogar dafür gestorben. Am Ende kommt es auf die Gesamtbilanz eines Lebens an. Jedes Lebens. Auch meines eigenen. Denn sie ist es, die vor Gott zählt, den Jesus liebevoll Abba, Papa, genannt hat.

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25FEB2024
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In einem Hollywoodfilm wäre es der Regen. Der setzt immer dann ein, wenn es eigentlich nicht noch schlimmer werden kann und sich die Filmhelden in einer aussichtslosen Situation befinden.

Hier ist es kein Regen, sondern Schlangen. Das Volk Israel ist auf dem Weg zur Freiheit. Allerdings schon lange. Sehr lange. Jahrzehntelang, so erzählt es die Bibel, wandern sie schon durch die Wüste. Und die Stimmung kippt langsam. Das Essen will nicht mehr richtig schmecken, das Ziel ist nicht in Sicht, sie fühlen sich heimatlos. Und dann tauchen auch noch Schlangen auf. So richtig tödliche Schlangen. Auch das noch.

Schlangen sind heute nicht unser Problem. Allerdings kenne ich das „auch das noch“-Gefühl: Fast war der Weg durch die Pandemie geschafft, da kam der Krieg in der Ukraine. Gleichzeitig die Sorge um den Klimawandel. Dann der Konflikt im Nahen Osten. Erst kürzlich: Die Sorge um ein Erstarken rechtsextremer Kräfte. Und innerhalb der Kirche: Das Bewusstwerden darüber, wie viele Menschen von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Vieles ist bei uns anders. Aber auch ich habe, wie die Israeliten das Gefühl: nicht auch das noch.

Die Israeliten wenden sich angesichts der tödlichen Gefahr an Gott. Sie spüren, dass sie auf ihn geworfen sind. Dass er noch einmal eine ganz andere Möglichkeit ist. Gott präsentiert durch Mose Hilfe. Das erzählt der Bibeltext, über den heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt wird. Sie sollen ihren Blick von den Schlangen auf dem Boden lösen und nach oben schauen – Auf eine Schlange aus Bronze, die an einem langen Stab angebracht ist. Wer zu dieser Schlange aufschaut, bleibt gesund, auch wenn die Schlange gebissen hat. Eine kuriose Geschichte. Und fremd.

Was mir aber einleuchtet, ist das „den-Blick-Nach-Oben richten“. Das scheint mir auch heute eine heilsame Strategie. Denn wenn ich mit meinem Blick nur bei den unüberwindbaren Gefahren bleibe, dann verliere ich mich in den negativen Gedanken und der Hilflosigkeit. Und bin wie gebissen vom Hass, vom Gegeneinander und der Resignation. Ich glaube, wir können aus dem Gefühl, dass alles zu viel ist, nicht allein herauskommen. Das übersteigt unsere Möglichkeiten. Ich brauche den Blick nach oben. Zu Gott, dessen Sohn für unüberwindbare Liebe gestorben ist. Den der Hass nicht für immer kleingekriegt hat. Zu Gott, von dem gesagt wird, dass nichts von seiner Liebe trennen kann. Zu Gott, der diese Welt nicht vergessen hat, sondern in ihr Mensch geworden ist.  

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18FEB2024
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Eine Woche mit mir allein. Ohne Handy, Internet und Bücher. Das mache ich jedes Jahr ein Mal. Schön und herausfordernd zugleich. Schön, weil es gut tut, mal aus dem Alltag rauszukommen. Alles hinter mir zu lassen und durchzuatmen. Zeit nur für mich und für Gott. Aber es kann auch ganz schön hart sein – weil mich dann nichts mehr von mir selbst ablenkt. Ich werde mit dem konfrontiert, was unter der Oberfläche liegt. Auch mit dem Dunklen, mit meinen Fragen, Zweifeln und Ängsten, die ich sonst lieber zugedeckt lasse. Innerlich geht es in dieser Zeit also keineswegs ruhig zu.

Das eigene Leben anschauen und ganz auf sich selbst gestellt sein – das kann hart sein. Diese Erfahrung hat auch Jesus gemacht. Die Bibel berichtet, dass Jesus 40 Tage in der Wüste ist. Eine Zeit, in der es ordentlich zur Sache geht. Vom Satan und wilden Tieren ist die Rede. Aber auch von Engeln. In katholischen Gottesdiensten klingt das heute so: „In jener Zeit trieb der Geist Jesus in die Wüste. Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste und wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.“ (Mk 1, 12f.)

Der Satan – er steht bildlich für das Böse. Für Gedanken und Phantasien, die mich ausdauernd belagern, und die mich wegbringen möchten von einem Leben, das mir und anderen gut tut. Zum Beispiel, wenn ich mich mit anderen vergleiche und der Neid Platz bekommt. Das schafft erst in mir Unfrieden - und dann auch im Miteinander mit anderen.

Und wenn ich an mir selbst zweifle oder einsam bin, dann fühlen sich diese Gedanken manchmal an wie wilde Tiere, die über mich herfallen und laut brüllen. Wie Raubtiere tigern die Gedanken dann durch den Kopf und machen mich unruhig.

Dass auch Jesus davon nicht verschont geblieben ist, beruhigt mich. Er kennt das Böse und weiß, dass es gelingen kann, sich dagegen zu stellen. Und mit den wilden Tieren hat er gelernt zu leben. Sie müssen gar nicht verschwinden, aber ich kann sie kennenlernen und zähmen. Wenn ich mir klar mache, dass ich immer mal wieder Anerkennung oder auch körperliche Nähe brauche, dann können mich diese Bedürfnisse begleiten ohne übermächtig zu werden.

Im März habe ich wieder eine stille Woche geplant. Was dieses Jahr zum Vorschein kommen wird, kann ich heute nur ahnen. Aber aus den letzten Jahren weiß ich, dass die Tage mir gut tun, um so manches Chaos im Kopf zu sortieren. Und hoffentlich geht es mir so wie Jesus in der Wüste: er hatte nicht nur die Einsamkeit und die wilden Tiere an seiner Seite, sondern auch die Engel Gottes.

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11FEB2024
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Immer wieder einmal jagt mir das, was da so alles in der Bibel steht, einen ziemlichen Schrecken ein. Und zwar aus gleich mehreren Gründen.

Erstens erschreckt mich, wie aktuell viele Stellen der Bibel sind. Die beißende Kritik beim Propheten Amos zum Beispiel. Von ihm ist heute in den evangelischen Gottesdiensten zu hören. Er kritisiert das Wirtschaftssystem und die Reichen seiner Zeit. Die einfachen Leute damals sind mehr und mehr in die Abhängigkeit von den Reicheren geraten. Immer stärker konnten die den Schwächeren ihre Bedingungen aufzwingen. Und wurden so immer reicher und die Armen immer ärmer und ärmer.

Das war vor ungefähr 2800 Jahren im damaligen Königreich Israel. Die Kritik heutzutage an der Ungerechtigkeit im globalen Handel klingt in meinen Ohren aber ganz ähnlich, und ich frage mich: Lernen die Menschen wirklich nichts dazu? Seit Jahrtausenden immer das gleiche: Die Gier gewinnt?

Mich erschreckt, dass sich daran scheinbar niemals etwas ändern wird. Noch tiefer fährt es mir aber in die Glieder, wenn ich den Propheten wirklich ernst nehme. Dann kann ich nämlich nicht einfach mit dem Finger auf „DIE Reichen und Mächtigen“ zeigen. Amos hält ja nicht einfach „Denen da oben“ den Spiegel vor, sondern dem ganzen ungerechten System. Jeder, der da mitmacht und drinsteckt, ist Teil davon. Also auch ich. Ich kaufe gerne billig ein, profitiere von den Vorteilen des Welthandels, und frage nicht so gerne danach, wo die Nachteile liegen. Und verstecke mich dann nur zu gerne hinter der Tatsache, dass ich das große ganze ja eh nicht ändern kann. Und gar keine Möglichkeit habe, aus dem System auszusteigen.

Das ist der letzte Schrecken, den mir der Prophet Amos einjagt: Dass ich die Möglichkeit wahrscheinlich wirklich nicht habe – auszusteigen aus dem System. Und viele große und kleine Unternehmen oder die Politik auch nicht. Man kann niemandem in dem System pauschal verurteilen oder zum allein Schuldigen erklären.

Man kann sich nur an die eigene Nase fassen, denke ich. Wenn wir Menschen in den Spiegel schauen, den der biblische Prophet Amos uns Menschen vorhält, dann sehen wir: Es gibt immer jemanden, der schwächer ist, als man selbst. Sogar wenn man nicht viel hat, gibt es sicher einen, der noch schlechter dran ist.

Den Propheten ernst nehmen – sich an die eigene Nase fassen und die Schuld für das Unrecht in der Welt nicht auf „die da oben“ abschieben. Mir jagt das einen Schrecken ein – ein Erschrecken vor mir selbst.

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04FEB2024
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Zwei Freunde von mir sind überraschend gestorben. Einer ist ein Klassenkamerad von mir; wir saßen im November noch nebeneinander bei unserem Jahrgangstreffen. Den anderen kennen Sie vielleicht sogar. Stefan Warthmann. Er spricht seit Jahren regelmäßig Beiträge hier im SWR. Wir sind auch schon lange befreundet, weil wir miteinander studiert haben. Und nun sind beide tot, weil ihr Herz nicht mehr mitgemacht hat, von einer Minute auf die nächste. Wie schrecklich für die, die zurückbleiben. Auch für mich ist es unfassbar.

 

Was ich für mich nicht als Zufall durchgehen lassen kann: Dass heute in den katholischen Gottesdiensten ein Bibeltext aus dem Buch Ijob dran ist, der exakt dazu passt. Bei Ijob geht es darum, dass ihm plötzlich ein schreckliches Unglück geschieht, weil alle sterben, die Ijob nahe waren. Und er sich nun damit auseinandersetzen muss, was das heißt: die zu verlieren, die man liebt, ohne Warnung, aus heiterem Himmel; brutal erinnert zu werden, wie vergänglich das eigene Leben ist; und irgendwie das alles mit Gott in Verbindung zu bringen. Ijob glaubt, dass Gott gut und gerecht ist. Aber wie passt das zu dem, was ihm widerfährt? Wieder und wieder beschreibt Ijob die offene Wunde, die entsteht, wenn der Tod das Leben zerreißt. Er sagt: Schneller als das Weberschiffchen eilen meine Tage, sie gehen zu Ende, ohne Hoffnung. Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist! Nie mehr schaut mein Auge Glück[1].

 

Der plötzliche Tod meiner Freunde macht mich sprachlos. Ich kann zuhören, wenn ich bei denen bin, die den beiden besonders nahestanden. Manchmal kann ich auch weinen. Trösten kann ich kaum. Wie auch? Ich spüre, dass es mich unruhig macht, dem Tod so nahe zu kommen, auch meinem eigenen. Dann laufe ich hin und her und liege nachts wach. Ijob versucht zu klagen, Gott seine Wut entgegen zu schleudern. Und macht damit seine eigenen Erfahrungen. Es entlastet ihn. Aber gut weiterleben kann er so nicht. Wer mit dem Tod hautnah konfrontiert ist, hat mehr Fragen als Antworten. Dass ein Mensch stirbt, von einem Tag auf den anderen nicht mehr da ist, das übersteigt meine Vorstellungskraft. Ich verstehe es schlicht nicht, und muss trotzdem weiterleben. Ijob hat Recht: Mein Leben ist nur ein Hauch. Aber mein Leben ist auch groß und wunderbar. So wie das Leben meiner Freunde auch. Einmalig und unvergesslich. Wenn dann noch stimmt, was ich glaube, dass Gott uns zu sich nimmt, danach, dann geht das Weiterleben wenigstens ein bisschen leichter.

 

[1] Ijob 7,6f.

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28JAN2024
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Manchmal da möchte man doch Gefühle oder Momente am liebsten einschließen. Für immer darin leben. Dann, wenn man voller Glück ist, ganz mit sich im Reinen, es keinerlei Störfaktoren gibt. Diese Situationen und Augenblicke dauerhaft zu konservieren – das wäre es! 

So einfach geht das leider nicht. Die Hochs des Lebens sind flüchtig. Einfrieren und auftauen, wann man möchte, kann man solche Glücksmomente leider nicht. Oft muss man wieder quälend lange sie warten. 

Für mich ist Weihnachten so ein Moment, den ich gerne festhalten würde. Klar, nicht alles an Weihnachten ist perfekt. Aber trotzdem: Ich finde an Heiligabend und den nachfolgenden Feiertagen legt sich immer so eine Ruhe übers Land. Familie und Freunde treffen sich. Über die Weihnachtstage ist alles andere unwichtig. Weihnachtsstimmung breitet sich aus. Ich habe jedes Jahr den Eindruck: Das tut uns gut. 

Heute wird in vielen Kirchen nochmals an Weihnachten erinnert. Denn in einigen Traditionen endet die Weihnachtszeit erst am 2. Februar. In vielen evangelischen Kirchen wird dabei über einen Abschnitt aus dem 2. Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth gepredigt. Paulus macht den Leserinnen und Lesern Mut:

Wir stehen von allen Seiten unter Druck, aber wir werden nicht erdrückt. Wir sind ratlos, aber wir verzweifeln nicht. Wir werden verfolgt, aber wir sind nicht im Stich gelassen. (2Kor 4,8) 

Paulus erinnert an die Kraft, die durch Jesus in die Welt gekommen ist. Er schreibt seinen Brief Jahrzehnte nach Jesu Tod. Aber Jesus Botschaft hat weitergelebt und die Menschen ermutigt und gestärkt. Das ist bis heute so. Deshalb feiern wir immer noch Weihnachten, die Geburt Jesu. Da kommt eine Kraft in unser Leben, die uns stützt und trägt. 

Die Weihnachtsstimmung lässt sich vielleicht nicht einschließen. Aber Weihnachten wirkt weiter. Das Fest ermutigt. Und wenn ich mich an diese friedlichen, fröhlichen, erfüllenden Weihnachtsmomente zurückerinnere, zieht mich das hoch, wenn ich ratlos oder verzweifelt bin. 

 

     

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