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14APR2024
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Am liebsten möchte man ihn weglassen, den Bibeltext, der heute in der katholischen Liturgie vorgesehen ist. Er ist wie ein Wespennest, in das man hineinsticht, und dann am besten das Weite sucht, um der Gefahr aus dem Weg zu gehen. Dort heißt es, dass Petrus zum Volk, also zu den anwesenden Juden, das Folgende gesagt hat:

Der Gott Abrahams, Ísaaks und Jakobs, der Gott unserer Väter, hat seinen Knecht Jesus verherrlicht, den ihr ausgeliefert und vor Pilatus verleugnet habt …[1] Petrus attackiert hier scharf seine eigenen Leute, seine Herkunft, von der er sich nun deutlich distanziert. Er wirft ihnen vor: Ihr seid schuld, dass Jesus tot ist. Ihr habt es so weit kommen lassen. Ihr seid – nein, das sagt er nicht, aber das wird man auch wegen dieser Bibelstelle später den Juden vorwerfen – ihr seid die Gottesmörder! Zwar mussten das Töten damals die Römer übernehmen, weil sie als Besatzer die Gerichtsbarkeit hatten. Aber Schuld daran waren eben die Juden. Wie häufig geht man mit seinen eigenen Leuten am härtesten ins Gericht. Petrus ist dafür ein gutes Beispiel. Er ist selbst Jude, jetzt aber auf dem neuen Weg unterwegs. Und der grenzt sich strikt gegenüber dem ab, was vorher war. Deshalb überzieht Petrus, wenn er sagt: Den Urheber des Lebens habt ihr getötet, aber Gott hat ihn von den Toten auferweckt[2]. Das hatte furchtbaren Konsequenzen, die er zwar nicht vorhersehen konnte, aber die trotzdem bis heute wirken und eine Spur des Grauens mit sich ziehen. Menschen jüdischen Glaubens wurden und werden angefeindet, ausgegrenzt, beleidigt und in ihrer Existenz bedroht. Obwohl viele, die das tun, gar nicht gläubig sind, geschweige denn über diese religiösen Feinheiten Bescheid wissen, liegt eine Wurzel eben hier. Dass die Christen sich so schroff gegen die Juden abgegrenzt haben. Und ich als Christ trage heute Verantwortung, dass die lange Tradition der christlich motivierten Judenfeindschaft aufhört. Zumal das Judentum eine meiner Wurzeln ist. Woran Petrus ja keinen Zweifel lässt, wenn er sagt: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist der Gott unserer Väter. Ja, das sind die Juden, Mütter und Väter im Glauben. Und Jesus ist ein Sohn meiner jüdischen Herkunftsfamilie.

Viele werden es nicht wahrnehmen, wenn sie heute den Bibeltext hören. Aber dieser Text ist gefährlich. Er kann missverstanden und missbraucht werden. Er muss gedeutet und klug interpretiert werden. Damit er nicht noch mehr Unheil anrichtet.

 

[1] Apostelgeschichte 3,13

[2] Apostelgeschichte 3,15

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07APR2024
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Schnellstes Tor der DFB-Geschichte! Nach dem Länderspiel der Herren-Fußballnationalelf-Elf gegen Frankreich waren die Schlagzeilen voll davon. Der Fußballer Florian Wirtz hatte nur acht Sekunden nach dem Anpfiff den Ball im Tor der französischen Elf versenkt. Unglaublich. Ich hatte das Spiel nicht gesehen, aber als ich das gelesen hab, musste ich die Szene sofort bei Youtube nachschauen. Mit eigenen Augen sehen, wie das funktionieren soll – ein Tor in 8 Sekunden. Erst als ich den Steilpass auf Wirtz, seinen kurzen Sololauf und den anschließenden Torschuss gesehen hatte, habe ich wirklich verstanden, wie das funktioniert hat: ein Tor nach 8 Sekunden.

In der Bibel wird von Jesus Auferstehung erzählt und von dem unglücklichen Jünger Thomas, der gerade nicht da war, als der auferstandene Jesus zu seinen Freundinnen und Freunden gekommen ist. Schon die dabei waren, konnten es kaum fassen, dass ein Totgeglaubter plötzlich wieder ganz lebendig unter ihnen war. Erst recht für Thomas:  Ohne das gesehen und gefühlt zu haben, kann er das nicht glauben. Ob eine Youtubevideo zum Nachschauen vor 2000 Jahren die Situation verändert hätte?

Über Thomas Geschichte wird heute in vielen evangelischen Gemeinden gepredigt. Thomas hat Glück. Jesus erscheint auch ihm noch einmal und fordert ihn sogar auf, die Wundmale der Kreuzigung an seinen Händen zu berühren. Auf mich wirkt das, als hätte Jesus Verständnis für Thomas Lage. Dass es einfacher ist, an so etwas Unglaubliches wie die Auferstehung zu glauben, wenn es dafür handfeste Beweise gibt. Jesus sagt zu Thomas: Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Aber auch diejenigen dürfen sich glücklich schätzen, die mich nicht sehen und trotzdem glauben.

Was Jesus da sagt, tut mir gut. Wenn ich mir mal wieder wünsche, dass ich die Auferstehung Jesu so leicht nachschauen könnte wie das letzte Länderspiel – weiß ich, dass das nichts mit einem zu kleinen Glauben zu tun hat. In Jesu Worten kommt zum Ausdruck, dass es nicht selbstverständlich ist, so etwas Unglaubliches zu glauben. Es ist ein Geschenk, darauf vertrauen zu können, dass das Leben über den Tod gesiegt hat. Nichts, was man verstandesmäßig leisten kann. Ich bleibe ein wenig neidisch auf Thomas zurück – der den auferstandenen Jesus erleben konnte. Und vertraue darauf, dass Jesus auferstanden ist und mich begleitet – ganz ohne Beweis.

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01APR2024
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Unter all den biblischen Geschichten gibt es eine, die ich ganz besonders mag. Sie ist heute Morgen in den katholischen Gottesdiensten zu hören. Da machen sich zwei Menschen auf den Weg. Sie wollen zu einem Dorf namens Emmaus, einen Tagesmarsch von Jerusalem entfernt. Drei Tage vorher ist dort ihr Freund und Lehrer Jesus brutal hingerichtet worden. Voller Trauer sind die beiden jetzt und ernüchtert, denn alle Träume und Hoffnungen, die sie mit ihm verbunden hatten, sind geplatzt. Leere und Sinnlosigkeit machen sich breit. Sie wollen nur noch weg von dort. Unterwegs können sie gar nicht anders, als immer wieder von ihm zu sprechen. Sich immer wieder zu erinnern, wie es war mit ihm. Das kenne ich auch. Ich weiß noch, wie gut mir das vor ein paar Jahren getan hat, als mein Vater gestorben war. Dass ich von ihm erzählen konnte, immer wieder. Es hat mir geholfen, den Verlust zu begreifen. Weil Menschen da waren, die mir geduldig zugehört haben. So, wie in dieser biblischen Geschichte, in der sich ein unbekannter Fremder zu den beiden gesellt. Er hört ihnen zu, fragt nach. Ganz behutsam. Und sie spüren, wie gut ihnen das tut. Der fremde Zuhörer lässt sie nicht allein, bleibt bei ihnen, begleitet sie. In diesen beiden Wanderern finde ich mich wieder.

Am Ende der Geschichte wird den beiden Freunden klar, dass es Jesus selbst gewesen sein muss, der sie da begleitet hat. Er ist nicht mehr der, den sie mal gekannt haben. Der ist gestorben. Und doch ist er da. Bei ihnen, ganz nah. Das spüren sie in ihren Herzen. Und in dem Augenblick, in dem ihnen das bewusst wird, sehen sie ihn nicht mehr, heißt es in der Geschichte.

Als ich damals ganz am Anfang meiner Trauer stand, musste ich mir das Bild meines Vaters immer wieder anschauen. Wie in einer Angst, ich könnte ihn verlieren oder vergessen. Am Ende aber ist mir immer deutlicher geworden, dass diese Angst unbegründet war. Weil ich gemerkt habe, dass er mir nah ist und bleibt, auch wenn ich ihn nicht mehr sehe. Trauer ist ein mühsamer Weg, der Zeit und Raum braucht. Kein Sprint, eher eine Langstrecke. Und der Weg ist erst dann geschafft, wenn Leere und Hoffnungslosigkeit nach und nach einer gewissen Dankbarkeit Platz machen. Für diesen Menschen, den ich kennen und lieben durfte, und der nun da ist, wo ich nicht sein kann.

Es gibt einen Weg von der Verzweiflung zu neuer Zuversicht, von der Dunkelheit ins Licht. Davon erzählt die Geschichte. Davon erzählt Ostern.

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31MRZ2024
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Kennen Sie das? Sie stehen irgendwo – am Bahnhof, in der Supermarktschlange… - und plötzlich ruft jemand ihren Namen? Mir ist das neulich wieder passiert beim Warten auf den Zug. Von irgendwo her habe ich gehört: „Barbara“ und bin unwillkürlich zusammengezuckt. Ich habe dann schnell gesehen, dass eine andere Barbara gemeint gewesen ist. Aber ganz kurz war es wie so ein kleiner Schreck: „Kennt mich da einer? Kann hier am Bahnhof in einer fremden Stadt doch eigentlich gar nicht sein…“

Ich bin erleichtert gewesen – doch niemand, der was von mir will – aber gleichzeitig war ich auch ein klitzekleines bisschen enttäuscht. Keiner da, der etwas von mir will und mich stört – aber eben auch keiner da, den ich unerwartet wiedertreffe, über den ich mich freue – und der mich bei MEINEM Namen ruft.

Maria von Magdala ist sicher auch zusammengefahren, als sie – völlig unerwartet - ihren Namen gehört hat. Die Bibel erzählt von ihr heute, an Ostern. Maria steht einsam und verlassen auf dem Friedhof, am Grab von Jesus. Vor drei Tagen hat sie ihn am Kreuz sterben sehen müssen. Seit drei Tagen fühlt sie sich so verlassen und einsam wie niemals zuvor. Und hört plötzlich die vertraute Stimme von Jesus ihren Namen sagen: Maria. Das kann doch aber hier, auf dem Friedhof, nach seinem Tod unmöglich sein.

Jesus ist an Ostern von den Toten auferstanden – so erzählt es die Bibel. So feiern wir es heute in den Gottesdiensten, und so hat es Maria von Magdala erlebt – einfach, weil sie ihren Namen gehört hat – ausgesprochen von dem einen Menschen, der sie wirklich kennt und der wirklich sieht, wer sie ist. Maria hat Jesus nicht verloren. Er ist stärker als der Tod - aber nicht, weil er auf unerklärliche Weise wieder quicklebendig rumläuft. Sondern weil ihre besondere und innige Beziehung noch da ist. Weil der Tod sie von Jesus – und von Gott – nicht trennen kann.

Am Bahnhof neulich, da war ich kurz enttäuscht – dass es eben doch nicht mein Name war, den ich gehört habe, und ich doch nicht gemeint gewesen bin. Ich vermisse es manchmal, ihn zu hören: Von jemand, den ich lange nicht gesehen habe. Und noch viel mehr, ihn von meinem Vater zu hören, der nun schon vor über einem Jahr gestorben ist. Oder von einer Freundin, die wir erst vor kurzem haben zu Grabe tragen müssen. Ich sehne mich, nach ihrer Stimme, nach der Vertrautheit darin. Und nach der Gewissheit, dass uns nichts voneinander trennen kann – nicht einmal der Tod.

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29MRZ2024
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Lichtkreuz von Ludger Hinse Copyright: Kath. Stadtkirche Heidelberg / Gülay Keskin

Ich habe etwas bei mir festgestellt, dass mich nachdenklich gemacht hat: Der sterbende Jesus am Kreuz – diese Darstellung habe ich schon so oft gesehen, dass sie mich gar nicht mehr aufrüttelt oder provoziert.

Aber das geht nicht nur mir so. Dass der Anblick des Kreuzes für viele völlig normal geworden ist, hat auch der Künstler Ludger Hinse beobachtet. In einem Interview hat er mal gesagt: „Diese ganzen Leidenskreuze, die tausend, zehntausendfach überall hängen, die erregen ja gar nichts mehr… es kommt darauf an, dass ein Kreuz Aufsehen erregt.“

Die Kreuze von Ludger Hinse sehen deshalb ganz anders aus. Eines seiner Kunstwerke hängt seit ein paar Jahren auch in der Jesuitenkirche in Heidelberg und es fasziniert mich immer wieder, wenn ich es anschaue. Es ist ein Kreuz ganz aus Glas, und je nach Einfall des Lichtes ist es manchmal fast durchsichtig und kaum zu erkennen. Und dann ist es wieder ganz präsent und zaubert in unterschiedlichen Farben buntes Licht in den Kirchenraum: mal blau-grün, mal pink-violett. Und weil der Luftzug es sanft bewegt und es dadurch immer wieder anders aussieht, meint man fast, dass das Kreuz selbst lebendig ist.

Ludger Hinse knüpft mit seinen Lichtkreuzen an die Kreuzdarstellungen der Romanik an. Diese waren Heils- und Segenszeichen, und deshalb wurde Christus nicht leidend und mit hängendem Kopf dargestellt, sondern als Lebender: aufrecht und wie ein Sieger über den Tod. Im Lauf der Jahrhunderte hat sich das verändert und Jesus am Kreuz – so beschreibt es Ludger Hinse – „fiel in sich zusammen. Immer mehr Leid, immer mehr Leid“, sagt er. Doch für ihn ist klar: „Wir brauchen Jesus als einen, der segnet. Und das ist eben Licht und nicht Elend und Neid und Not. (…) Wir brauchen Zeichen, an denen wir uns entwickeln können, an denen wir auf-gehen, auf-steigen können.“

                                                                     

Der Blick auf Hinses Lichtkreuz ist für mich mit seiner Leichtigkeit und seinen sanften Farben ein wunderbares Zeichen für das Leben. Und das tut mir in diesem Jahr gut. Gerade weil mir der Tod von Menschen in den letzten Wochen nahegegangen ist. Und auch, weil das Leid an vielen Orten in der Welt so riesig und schrecklich ist. Ich möchte all das nicht ausblenden oder verdrängen. Gerade heute, am Karfreitag, ist es gut, dass ich wieder aufgefordert bin, ganz bewusst auf den sterbenden Jesus am Kreuz zu schauen und mich daran zu erinnern, dass Gott dem Leid nicht ausweicht, sondern mitleidet. Doch das ist eben nicht alles. Denn die Stärke des christlichen Kreuzes ist es, dass es nicht nur Zeichen des Leidens, sondern letztlich ein Hoffnungszeichen ist, ein Zeichen für das Leben.

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24MRZ2024
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Kann man Gott eigentlich sehen? Das wurde ich neulich von einem Konfirmanden gefragt. Ich habe ihm dann eine Geschichte erzählt, die mir gut gefällt. Es geht um ein Gespräch zwischen einem jüdischen Gelehrten und seinem Schüler:

„Früher gab es Menschen, die Gott direkt ins Gesicht geschaut haben. Warum gibt es das heute nicht mehr?“ Das fragt der Schüler seinen Lehrer. Der Lehrer neigt seinen Kopf, überlegt kurz und antwortet: „Weil sich niemand mehr so tief bücken will.“[1]

Wer Gott sehen will, muss sich herabbeugen, bücken, nach ganz unten schauen. So wird es auch in einem Brief in der Bibel erzählt, über den heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt wird. Jesus, der Sohn Gottes genannt wird, hat seine göttliche Pracht abgelegt und hat die Gestalt eines Knechtes angenommen, heißt es da. (Phil 2,5ff)

Und genau so haben die Menschen Jesus auch erlebt, wie einen Knecht. Er hat vor seinem Tod seinen Freunden die Füße gewaschen. Eine Arbeit eigentlich für Diener.

Jesus hat sich mit Leuten abgegeben, mit denen niemand sonst etwas zu tun haben wollte. Er hat Partei ergriffen: für die Frau, die Ehebruch begangen hat und verurteilt werden sollte.

Jesus ist in der Hierarchie ganz nach unten gegangen, um für die Menschen da zu sein. Er hat den Menschen gedient, nicht von oben herab geherrscht.

Und wie es aussieht, wenn man sich daran orientiert, das konnte man in den vergangenen Monaten in den Vesperkirchen begutachten. In vielen Kirchen gab es über die kalten Wintermonate für Menschen, die es brauchen, günstiges Essen, Kleider oder ärztliche Behandlung.

Dienen und nicht herrschen – mittlerweile haben auch viele Politikerinnen und Politiker die Vesperkirchen für sich entdeckt. Und helfen mit beim Spendensammeln oder bei der Essensausgabe. Das bringt natürlich gute Publicity; es ist aber auch eine echte Geste, ein Symbol, das sagt: "Ich habe die sozial Geächteten nicht vergessen. Ich kümmere mich um sie. Auch ganz praktisch." Es darf natürlich nicht bei Symbolen und Gesten bleiben. Hoffentlich berücksichtigen die Politiker ihre Eindrücke, die sie da mitgenommen haben, auch beim Regieren.

Dienen, nicht beherrschen. Ich finde überall da, wo Menschen Verantwortung für andere haben, ist es gut, sich daran orientieren.

 

[1] Gefunden auf: https://www.pfarrerverband.de/pfarrerverand-predigtimpulse/predigtimpulse-detailansicht?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=164&cHash=6bd59ed8b9cbb800b23eead7f8624ea8

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17MRZ2024
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Einander treu bleiben, bis in den Tod. Viele Paare versprechen sich das. Wohl auch deshalb, weil sie davon überzeugt sind: Treue steht für Liebe. Dem anderen, treu zu sein, das drückt am besten aus, dass man ihn oder sie liebt. Wer heiratet, der verspricht das seinem Partner ausdrücklich bei der Trauung. In der Kirche sowieso, aber auch auf dem Standesamt geht es um ein Versprechen, das auf Lebenszeit geschlossen wird. Treue ist offenbar ein Ideal, an dem wir gerne festhalten. Sie steht für eine Verbindung, die uns kostbar ist, heilig.

Deshalb wird in der Bibel auch die Verbindung zwischen Gott und seinem Volk so charakterisiert. Gott schließt mit denen, die an ihn glauben einen Bund. Einen Bund fürs Leben. Und weil Treue nicht selbstverständlich ist, weil es nicht jeden Tag gleich gut klappt damit, erinnert Gott von Zeit zu Zeit daran, dass es dieses Band der Treue und der Liebe gibt. Die Vorbereitungszeit auf Ostern ist so eine Zeit, in der Christen prüfen, wie es um ihre Treue zu Gott und seinem Bund bestellt ist. Deshalb wird heute in den katholischen Gottesdiensten der folgende Text aus dem Buch des Propheten Jeremia gelesen und bedacht: Ich schließe mit dem Haus Israel (…) einen neuen Bund. Er ist nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe. (…) Diesen meinen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich ihr Gebieter war. (…) Sondern so wird der Bund sein (…): Ich habe meine Weisung in ihre Mitte gegeben und werde sie auf ihr Herz schreiben.[1]

Mir gefällt daran besonders, dass ein Bund mit Gott nichts Starres ist, das ein für alle Mal gleich bleibt. Wie ich lebe und dabei Gott treu bleibe, das wandelt sich. Es ist abhängig davon, wo ich lebe, von den Ereignissen, die auf der Welt passieren, vom Kulturkreis, zu dem ich gehöre, usw. Wenn ich Gott treu bleiben will, muss ich mich der Frage stellen, was Gott von mir erwartet. „Thomas, was musst Du tun, um Gott treu zu sein, um den Bund zu erfüllen?“ Jeremia sagt unmissverständlich, wie das funktioniert. Ich muss eine Ahnung davon bekommen, wie Gott sich das Leben auf dieser Erde gedacht hat. Seine Gedanken, seine Weisung in meinem Herzen prüfen. Und dann das tun, was richtig und nötig ist.

Im Moment bedeutet das für mich vor allem Zweierlei: Mich nicht von den Todesfällen niederdrücken zu lassen, mit denen ich zu tun habe, sondern meinen Freunden, die trauern, dabei zu helfen, dass sie wieder ins Leben finden. Weil ich an einen Gott der Lebenden glaube. Und: Mein Herz nicht hart werden zu lassen, wenn ich angegriffen werde. Weil nur ein weiches Herz verstehen kann, was Gott von mir will.

 

[1] Vgl. Jeremia 31,31-33

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10MRZ2024
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Viele haben den Weckruf gehört und sind in den letzten Wochen auf die Straße gegangen: auf eine der vielen Demos gegen Rechtsradikalismus und für Demokratie. Einigen ist der Schreck wohl ordentlich in die Glieder gefahren: „Politiker, die unsere Demokratie abschaffen wollen? – So schlimm wird es schon nicht kommen.“ Oder „Mal eine Partei ganz rechts außen wählen – ist ja nicht ernst gemeint, ist nur Protest“.  Tja, von wegen!  Es ist an der Zeit, sich öffentlich zu dem zu bekennen, wofür man steht und wovon man überzeugt ist. Klare Kante zu zeigen und deutlich zu machen, wo jeder Kompromiss aufhört. Viele haben den Weckruf gehört. Er hat auch Menschen auf die Straße getrieben, die nie zuvor auf einer Demo gewesen sind.

Einen Weckruf gehört hat auch Petrus im Predigttext für den heutigen Sonntag. Da kräht frühmorgens ein Hahn, laut und eindringlich, und der Schrei fährt Petrus direkt in die Glieder. Denn noch am Abend zuvor hat er großspurig behauptet, dass er niemals von Jesu Seite weichen und sich immer und überall zu seinen Überzeugungen bekennen würde. Jesus hat darauf nur gesagt: Wart‘s ab, bis die Nacht vorbei ist und morgen früh der Hahn kräht! Du wirst noch an deine eigenen Worte denken. Und genau so ist es gekommen: Statt Farbe zu bekennen und zu dem zu stehen, an den er glaubt, hat Petrus jede Verbindung zu Jesus abgestritten. Aus Angst vor den Gegnern. Wie ein Reflex ist es aus ihm herausgeschossen, gleich dreimal: „Jesus? Nie was von gehört!“ Da hat dieser Hahn gekräht. Und Petrus im Innersten getroffen.  

Und auch wenn er zunächst geweint hat vor Wut über sich selber und aus Scham: Vernichtet hat ihn der Hahnenschrei nicht, sondern aufgerüttelt. Nie wieder hat er sich davor gedrückt, Farbe zu bekennen. Ja, er ist sogar zum Felsen einer jungen Bewegung geworden, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, in Jesu Namen auf die Straßen der Welt zu gehen und sich für Gerechtigkeit, für Frieden und Freiheit einzusetzen. Inzwischen sitzt der Hahn auf vielen Kirchtürmen. Wie ein Weckruf in Gold. Und drinnen in den Kirchen ist das alte Lied zu hören: „Es gilt ein frei Geständnis in dieser, unsrer Zeit, ein offenes Bekenntnis bei allem Widerstreit.“ Gut, wenn der Hahnenschrei uns dazu ermutigt!  

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03MRZ2024
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Von wegen sanft, von wegen friedfertig! Es gibt ein paar Geschichten in der Bibel, die fromme Christen vielleicht nicht so gerne erzählen. Weil sie einen Jesus zeigen, der so gar nicht zum Bild des immer sanften, lieben Menschenfreunds passt, das so gern gemalt wird. Die vielmehr über einen Mann berichten, der sich respektlos benimmt, ja, der sogar zu Gewaltausbrüchen fähig ist. So eine Geschichte ist zumindest heute in den katholischen Kirchen zu hören. (Joh 2,13-25). Erzählt wird, wie Jesus nach Jerusalem geht. Er will das jüdische Paschafest mitfeiern. Als er in den Vorhof des Tempels kommt, ist dieser, wie üblich zu dieser Zeit, voll mit Händlern, die alles Mögliche, vor allem aber Opfertiere anbieten. Die werden nämlich im Tempel gebraucht. Damals nichts Besonderes. Auch Jesus wusste das. Nur dieses Mal nervt es ihn offenbar ganz gewaltig. Im Tempel, so meint er, habe so etwas nichts verloren. Nicht mal im Vorhof. Es ärgert ihn so, dass er anfängt zu wüten. Er wirft die Stände der Händler um, macht sich sogar eine Geißel und drischt damit auf die Leute ein. Zugegeben, sympathisch und vorbildlich wirkt so ein Ausraster nicht gerade. Manche Gelehrten meinen, dass er mit dieser Aktion überhaupt erst in den Fokus der damaligen Behörden geraten sei. Als potenziell gefährlicher Unruhestifter.

Wie dem auch sei. Geschichten wie diese eignen sich hervorragend, um mit dem Finger auf Christinnen und Christen zu zeigen. Um zu sagen: Da habt ihr's doch! Derjenige, den ihr da immer als leuchtendes Vorbild hinstellt, war auch nicht besser als alle anderen. Für mich erscheint Jesus hier aber vor allem als Mensch. Einer wie Sie und ich. Einer, der Emotionen hatte, die auch mal mit ihm durchgegangen sind. Weil er für seine Sache zutiefst gebrannt hat. Und weil ihm dieser Ort der Begegnung mit Gott viel zu wichtig, ja heilig war, um auch als Platz für Geschäftemacher durchzugehen. Und das macht ihn für mich dann doch zum Vorbild.

Im kollektiven Gedächtnis ist letztlich auch nicht diese Episode hängen geblieben, sondern Sätze von ihm wie „Liebt eure Feinde und tut Gutes denen, die euch hassen“, oder „Selig die Sanftmütigen, denn ihnen gehört das Himmelreich“. Sätze für die Ewigkeit. Allein das schon spricht für sich. Und wie die Bibel es schildert, hat er das auch nicht nur gesagt. Er hat es gelebt und ist sogar dafür gestorben. Am Ende kommt es auf die Gesamtbilanz eines Lebens an. Jedes Lebens. Auch meines eigenen. Denn sie ist es, die vor Gott zählt, den Jesus liebevoll Abba, Papa, genannt hat.

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25FEB2024
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In einem Hollywoodfilm wäre es der Regen. Der setzt immer dann ein, wenn es eigentlich nicht noch schlimmer werden kann und sich die Filmhelden in einer aussichtslosen Situation befinden.

Hier ist es kein Regen, sondern Schlangen. Das Volk Israel ist auf dem Weg zur Freiheit. Allerdings schon lange. Sehr lange. Jahrzehntelang, so erzählt es die Bibel, wandern sie schon durch die Wüste. Und die Stimmung kippt langsam. Das Essen will nicht mehr richtig schmecken, das Ziel ist nicht in Sicht, sie fühlen sich heimatlos. Und dann tauchen auch noch Schlangen auf. So richtig tödliche Schlangen. Auch das noch.

Schlangen sind heute nicht unser Problem. Allerdings kenne ich das „auch das noch“-Gefühl: Fast war der Weg durch die Pandemie geschafft, da kam der Krieg in der Ukraine. Gleichzeitig die Sorge um den Klimawandel. Dann der Konflikt im Nahen Osten. Erst kürzlich: Die Sorge um ein Erstarken rechtsextremer Kräfte. Und innerhalb der Kirche: Das Bewusstwerden darüber, wie viele Menschen von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Vieles ist bei uns anders. Aber auch ich habe, wie die Israeliten das Gefühl: nicht auch das noch.

Die Israeliten wenden sich angesichts der tödlichen Gefahr an Gott. Sie spüren, dass sie auf ihn geworfen sind. Dass er noch einmal eine ganz andere Möglichkeit ist. Gott präsentiert durch Mose Hilfe. Das erzählt der Bibeltext, über den heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt wird. Sie sollen ihren Blick von den Schlangen auf dem Boden lösen und nach oben schauen – Auf eine Schlange aus Bronze, die an einem langen Stab angebracht ist. Wer zu dieser Schlange aufschaut, bleibt gesund, auch wenn die Schlange gebissen hat. Eine kuriose Geschichte. Und fremd.

Was mir aber einleuchtet, ist das „den-Blick-Nach-Oben richten“. Das scheint mir auch heute eine heilsame Strategie. Denn wenn ich mit meinem Blick nur bei den unüberwindbaren Gefahren bleibe, dann verliere ich mich in den negativen Gedanken und der Hilflosigkeit. Und bin wie gebissen vom Hass, vom Gegeneinander und der Resignation. Ich glaube, wir können aus dem Gefühl, dass alles zu viel ist, nicht allein herauskommen. Das übersteigt unsere Möglichkeiten. Ich brauche den Blick nach oben. Zu Gott, dessen Sohn für unüberwindbare Liebe gestorben ist. Den der Hass nicht für immer kleingekriegt hat. Zu Gott, von dem gesagt wird, dass nichts von seiner Liebe trennen kann. Zu Gott, der diese Welt nicht vergessen hat, sondern in ihr Mensch geworden ist.  

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