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Ende Januar habe ich mich einer besonderen Herausforderung gestellt. Viel hat es dafür nicht gebraucht. Nur PC, Internet und ein paar Minuten Zeit. Die Challenge hieß „Everynamecounts“, also „Jeder Name zählt“. Anlass war der 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz und die Aufgabe war, dass innerhalb einer Woche fast 30.000 Häftlingspersonalkarten für ein online-Archiv digitalisiert werden sollten.
Gestartet haben die Challenge die Arolsen Archives, das weltweit größte Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Sie haben die Häftlingspersonalkarten eingescannt und dann Freiwillige gesucht, die mithelfen, Namen und Geschichten der KZ-Inhaftierten sichtbar zu machen. Viele haben mitgemacht und wie ich Namen und Vornamen, Geburtsdaten, letzter Wohnort, Religion, aber auch die Häftlingsnummern eingegeben. Ich musste manches Mal kräftig schlucken und tief durchatmen, wenn ich gesehen habe, wie jung die Menschen waren, als sie ins KZ gekommen sind. Und das nur, weil sie Juden waren oder homosexuell oder nicht ins System der Nazis passten.
Einmal mehr wurde mir bewusst, dass so etwas nie wieder geschehen darf, und dass es an uns allen liegt, unsere Gesellschaft mitzugestalten. Wir sollten gut aufeinander achtgeben, damit Minderheiten nicht übersehen oder noch mehr benachteiligt werden. Weil sie die Sprache nicht können, weil sie Kinder sind oder krank oder weil sie das Geld nicht haben, um gesellschaftlich mithalten zu können: Andere Klamotten, Urlaub nur zuhause. Schnell ist man außen vor.
Mir macht Mut, dass zur Zeit viele Menschen auf die Straße gehen – für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Davon wird nicht sofort alles besser, aber ich hoffe, dass viele sich dadurch aufrütteln lassen, berühren lassen und in ihrem Umfeld genauer hinsehen und hinhören. Und dass sie dann merken, was sie anpacken und verändern können. Sei es, sich so kurz vor der Bundestagswahl noch einmal gut zu informieren, oder sich für den Kollegen einzusetzen, mit dem sich viele schwer tun.
In katholischen Gottesdiensten ist heute der Abschnitt aus der Bibel zu hören, in dem Jesus die ersten Menschen auffordert, mit ihm zu gehen, ihm nachzufolgen. Simon, Jakobus und Johannes werden mitten aus ihrem Alltag als Fischer gerissen (vgl. Lk 5,1-11). Und was heißt „Jesus nachfolgen“ heute? Vermutlich gehört dazu, dass ich, wenn ich als Christ leben möchte, immer wieder meine Gewohnheiten überdenke. Dass ich vielleicht auch Nachteile in Kauf nehme. Dass ich mich ergreifen und hinterfragen lasse von einem Gott, der uns Menschen braucht, damit seine Botschaft in der Welt ankommen kann. Die Botschaft von einem gütigen und menschenfreundlichen Gott. Einem, der sich gerade der Schwachen annimmt. Und für den jeder Mensch zählt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41578Mose ist ein Prophet. Aber das war er nicht von Anfang an. Wie er das wurde, davon erzählt uns die Bibel. Mose lebt zu der Zeit, in der die Israeliten in Ägypten versklavt sind. Er erträgt das Leid seiner Landsleute nicht und erschlägt vor Wut darüber einen ägyptischen Sklavenaufseher. Und daraufhin muss er fliehen – muss weg aus Ägypten und flieht in die Wüste. Dort hütet er Ziegen und Schafe, zieht durch sandige und staubige Landschaften im Nirgendwo. Und hat dabei das Gefühl, dass auch er versandet; dass er nicht mehr weiß, in welche Richtung es gehen soll für ihn und sein Leben. Aber genau dort irgendwo im Nirgendwo hat Mose eine beeindruckende Begegnung. Ja, es ist wohl die Begegnung seines Lebens, erzählt die Bibel:
Mose ist allein unterwegs in der Steppe. Da sieht er, wie ein Dornbusch lichterloh in Flammen steht - und trotzdem nicht verbrennt. Mose will da näher dran. Aber Gott hält ihn zurück: „Zieh erst mal Deine Schuhe aus.“, befiehlt er: „Du betrittst hier heiligen Boden, meinen Bereich.“
Mose begegnet also Gott selbst - aber warum er deshalb seine Schuhe ausziehen muss, das leuchtet mir nicht sofort ein. Andererseits - ich würde ja auch nicht mit meinen schmutzigen Gartenschuhen zu einer wichtigen Verabredung gehen. Oder in die Kirche zum Gottesdienst. Eine wichtige Begegnung verdient es, dass ich nicht den Staub und den Schmutz von dem, was hinter mir liegt, an den Füßen mitschleppe.
So ist es auch bei Mose: In dem Moment, in dem Mose Gott begegnet, verlässt er seinen bisherigen Alltag. Und was er bei diesem Zusammentreffen erlebt, das richtet sein Leben völlig neu aus. Gott gibt ihm eine Richtung: Im Namen Gottes soll er zum Propheten werden, zum Anführer für sein Volk. Er soll die Israeliten aus Knechtschaft und Unterdrückung in Ägypten befreien. Das ist die neue Richtung für sein Leben. Sein neuer Alltag, dem er „begegnet“ bei der Begegnung seines Lebens.
Und für diesen neuen Alltag muss Mose seine Schuhe auch wieder anziehen. Er braucht gutes Schuhwerk. Denn auch die neuen Wege werden staubige Wege sein. Aber er weiß jetzt, dass es Gott ist, der ihn auf diese Wege geschickt hat. Die Wege werden deshalb nicht leichter, aber sie bekommen Sinn und Ziel. Und auf ihnen liegt Gottes Versprechen: „Ich bin bei dir. Zieh deine Schuhe an und geh los!“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41510Lachen oder weinen? Manchmal weiß ich nicht so genau, was von beiden ich tun soll. Wenn mir jemand etwas als Wahrheit verkaufen will, von dem ich weiß, dass es definitiv nicht stimmt. Russland ist eine Demokratie. Oh nein, leider nein, schön wär’s, das ist zum Weinen. Aber lächerlich macht sich der, der es behauptet, wenn es nur nicht so bitter wäre. Für dieses weite Land mit seiner großen Geschichte und vielen wunderbaren Menschen.
Lachen oder weinen? Wenn ich von Gott spreche, will ich etwas Positives sagen, was anderen guttut, wenn sie müde sind oder traurig über den Tod oder frustriert vom Leben. Ich habe eine frohe Botschaft zu verkünden. Gott will nicht den Tod. Jesus will die stärken, die mühselig und beladen sind. Nur manchmal denke ich mir: Das ist zu einseitig. Wenn mir eine Mutter ihr Herz ausschüttet und erzählt, dass sie sich nicht mehr zu helfen weiß, weil ihre Jüngste hochbegabt und sensibel ist und sich gleichzeitig im normalen Leben nicht zurechtfindet. Sie beginnt dann zu weinen, weil sie sich so ohnmächtig vorkommt. Und das fühlt sich richtig an.
Lachen oder weinen? Heute wird in den katholischen Gottesdiensten ein Bibeltext aus dem Buch Nehemia im Alten Testament der Bibel vorgetragen, der nur wegen eines Satzes berühmt ist. Der Satz lautet: Die Freude am Herrn ist eure Stärke[1]. Dem stimme ich zu. Gott als den zu erleben, der mein Leben hell macht, der mir eine Richtung zeigt, bei dem ich mich auch in schweren Zeiten aufgehoben weiß, das macht mich froh. Aber manchmal, wenn ich an Gott denke und mir dabei bestimmte Gedanken vor Augen führe, die ich aus der Bibel kenne, dann werde ich nachdenklich und zuweilen sehr traurig. Zum Beispiel Die Letzten werden die ersten sein[2] – und ich sehe, wie sehr unsere Welt auf Leistung ausgelegt ist. Oder Lasst die Kinder zu mir kommen, denn ihnen gehört das Himmelreich[3]– gleichzeitig denke ich daran, dass Kindern von Priester missbraucht wurden oder und dass immer mehr Kinder an der Armutsgrenze leben sogar im reichen Deutschland.
Lachen oder weinen? In der gleichen Bibelstelle, die heute dran ist, heißt es nämlich auch, und zwar unmittelbar bevor die Freude an Gott beschworen wird: Alle Leute weinten nämlich, als sie die Worte der Weisung hörten[4]. Ja, das ist so, dass es zum Weinen ist, wenn die nüchterne Realität auf das prallt, was Gott eigentlich will. Dann ist es gut, traurig zu sein, die Trauer sehr ernst zu nehmen. Damit ich dranbleibe und nicht vergesse, dass noch lange nicht alles gut ist.
[1] Nehemia 8,10
[2] Matthäus 19,30
[3] Markus 10,14
[4] Nehemia 8,9
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41461Instagram oder Facebook-Gruppen geben ihren Nutzern fast immer Verhaltensregeln fürs Posting mit: die sogenannte Nettiquette – kennen Sie vielleicht. Oder in der Schule - da hängen manchmal die Klassenregeln an der Wand: Verhaltensregeln für ein respektvolles Miteinander.
Der Bibeltext, der heute in vielen evangelischen Gottesdiensten im Mittelpunkt steht, ist auf den ersten Blick auch eine Art Liste von Verhaltensregeln. Er stammt aus einem Brief, den der Apostel Paulus an die frühen Christen in Rom geschrieben hat. Allerdings: Laut gelesen und in einer modernen Übersetzung scheint es doch um etwas anderes zu gehen als bloße Nettiquette. Hören Sie einen Auszug von dem was Paulus da aufzählt: (aus Römer 12 nach der Übersetzung von Oda Wischmeyer)
9 Die Liebe sei ungeheuchelt. Verabscheut das Böse, hängt dem Guten an. 10 In der Bruderliebe – oder Geschwisterliebe - seid einander herzlich zugetan. (...)Im Geist seid brennend. Dem Herrn dient. 12 In Hoffnung seid fröhlich, in Trübsal geduldig, im Gebet beharrlich, (...)
Nein. Das ist keine Aufzählung oder Liste von Verhaltensregeln für Mitglieder der römischen Gemeinde frei nach dem Motto: „Wenn Du hier Mitglied wirst, dann sind das die Regeln, die an der Wand hängen.“ Der christliche Glaube war für römische Bürger vor fast 2000 Jahren ja etwas völlig neues. Und Mitglied einer Gemeinde zu werden ein großer Schritt - ein Schritt aus Überzeugung, und die krempelt die innere Haltung eines Menschen um. „Die Liebe sei ungeheuchelt“ schreibt Paulus, also keine routinemäßige Freundlichkeit, kein ordentlicher Umgang mit anderen Gemeindegliedern – sondern lebendige und brennende Liebe.
Oder wenn er schreibt: „In Hoffnung seid fröhlich, in Trübsal geduldig, im Gebet beharrlich...“ Dann beschreibt er ein Lebensgefühl: von Glauben und Vertrauen auf Gott getragen! Selbst in noch so schweren Zeiten: Fröhlich hoffen, die Geduld nicht verlieren und dran bleiben an Gott, beten...
Ob mich mein eigener Glaube selbst so umkrempelt? Frage ich mich angesichts der eindringlichen Worte von Paulus... Ich möchte das gerne zulassen. Möchte gerne auf Gott vertrauen und mich von der inneren Haltung packen lassen, die Paulus in seinem Brief beschreibt:
„Im Geist seid brennend. Dem Herrn dient. In Hoffnung seid fröhlich, in Trübsal geduldig, im Gebet beharrlich, (...) Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden. Seid eines Sinnes untereinander. (...)“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41415Es war während eines Familienurlaubs an der Küste. Dicke Wolken standen am Himmel, aus denen es immer wieder regnete. Ein kräftiger Wind blies uns ins Gesicht. Doch dann, in einer kurzen Regenpause, riss plötzlich die Wolkendecke auf. Ein Stück blauer Himmel kam zum Vorschein und ein paar Sonnenstrahlen brachen durch die graue Wolkendecke. Ein magischer Moment.
Dieses Bild habe ich seitdem vor Augen, wenn ich die biblische Geschichte von der Taufe Jesu im Jordan höre. Wie Jesus sich da geduldig einreiht in die Schlange der Wartenden. Wie er dann endlich vor dem Täufer Johannes steht. Und - nachdem er getauft ist - wie sich mit einem Mal der Himmel öffnet. „Und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab“, heißt es da. Spätestens hier dürfte klar sein, dass das kein historischer Tatsachenbericht ist. Es ist ein Bild. Ein ziemlich starkes sogar. Ein Bild dafür, dass Erde und Himmel sich verbinden. Das Sichtbare und das Unsichtbare. Leben und Glauben.
Natürlich weiß ich, dass die grauen Wolken an der Küste und das Blau darüber nicht der Himmel sind, von dem diese Geschichte von der Taufe Jesu erzählt. Der Himmel, aus dem es stürmt und regnet, ist eben nicht der Himmel, wo Gott zu finden ist. Aber vielleicht brauchen wir einfach solche Bilder. Weil wir Menschen sind. Erdverbunden und sinnlich zugleich. Es ist wie mit der Liebe. Die kann ich in den blumigsten Worten besingen. Doch die schönsten Worte nützen nichts, wenn ich Liebe nicht auch gespürt und erfahren habe. Ganz körperlich und sinnlich. Von Mensch zu Mensch.
Für mich berührt das Bild vom offenen Himmel deshalb eine tiefe Sehnsucht, die Menschen haben. Dass da doch noch mehr sein muss als das oft so schwer erträgliche Klein-Klein hier auf der Erde. Dass mein Leben einmal nicht im Nichts endet. Sondern, dass da etwas sein wird, dass ich mir jetzt hier noch nicht vorstellen kann. Und auch: Dass es eine größere Gerechtigkeit geben muss. Weil so viel Unrecht und Gewalt geschieht, die nie gesühnt wird und weil die Sehnsucht nach Gerechtigkeit nicht ungestillt bleiben kann.
Der Publizist Heribert Prantl hat einmal gesagt: Die Kirche könne idealerweise der Ort sein, an dem der Himmel offen ist. Das sollte nicht nur für die Kirche, sondern für jede Religion gelten. Dass sie Menschen, die suchen, den Himmel offenhält. Weil der offene Himmel ein Bild ist für Hoffnung. Hoffnung, dass es gut ausgehen wird. Egal, was kommt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41386Einfach traumhaft schön. Nach Weihnachten fahre ich oft in die Berge. Und besonders genieße ich da immer wieder den abendlichen Blick in den Himmel. Die Sterne glitzern und funkeln. Es scheinen unendlich viele zu sein.
Der Theologe Friedrich Schleiermacher entdeckte beim Blick in die Weiten des Universums sogar sein religiöses Gefühl. Für Schleiermacher, der um 1800 gelebt und gewirkt hat, war Religion nicht mit Vernunft zu fassen oder durch moralisches Handeln begründbar. Er hat Religion als ein Gefühl verstanden, das sich einstellt, wenn einem bewusst wird, wie abhängig wir von dem sind, was uns umgibt. Und der Blick in die Weiten des Universums hat ihm das verdeutlicht. Religion war für Schleiermacher „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“.
Wenn ich den nächtlichen Sternenhimmel betrachte, kann ich das gut nachvollziehen. Da steht mir vor Augen, dass es etwas Größeres, Unendliches geben muss, das ich mit meinem begrenzten Verstand und meinen menschlichen Worten nie ganz erfassen kann. Aber es ist da, ich kann es fühlen.
So in etwa muss es auch den sogenannten heiligen drei Königen ergangen sein. Über ihre Reise zu dem neugeborenen Jesus wird heute in viele Kirchen gepredigt. Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war, (Mt 2,9).
Die Könige reisen um die halbe Welt, folgen dem Stern und der führt sie direkt zu Jesus. Sie haben beim Betrachten des Sterns offensichtlich gefühlt: Da ist etwas Besonderes passiert. Und der Stern führt sie direkt zu Gott. Allerdings nicht in die Weiten des Universums, sondern in den Stall zu einem neugeborenen Kind.
Denn in Jesus ist Gott, der Unendliche, Mensch geworden und auf die Erde gekommen. Er bringt so etwas von seiner Göttlichkeit zu uns. Das Göttliche hat sich mit dem Menschlichen in Jesus verbunden.
Deshalb fühle ich mich nachts unter dem Sternenhimmel, zwar manchmal klein und unbedeutend, aber nicht einsam und verlassen. Denn Gott ist in seiner Unendlichkeit nicht unerreichbar. Er ist uns durch Jesus ganz nahegekommen. Er hat sich in Jesus gezeigt. Und beim Blick in die Sterne kann ich etwas von seiner unendlich guten Macht fühlen. Einfach ein göttlicher Anblick.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41203Johanna ist mein Patenkind und acht Jahre alt. Neulich waren wir zusammen in der Kirche und im Gottesdienst wurden wir aufgefordert, uns gegenseitig zu segnen. Ich habe ihr ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet und dann umgekehrt sie mir. Für mich ein besonderer Moment. Der Segen ging hin und her und Johanna und ich: wir beide mittendrin.
Gesegnet zu werden ist für mich etwas Besonderes. Vor allem, wenn mir eine Person direkt gegenübersteht, in die Augen schaut und mir mit den Fingerspitzen ein Kreuzzeichen auf die Stirn macht. In diesen Momenten wird mir bewusst: Ich bin gemeint. Mir wird gerade Gutes gesagt. Und in dieser Nähe eines anderen Menschen erahne ich, dass auch Gott mir nahe ist.
Gott segnet die Menschen – das kenne ich. Und bislang war für mich klar: der Segen geht quasi von oben nach unten, von Gott zum Menschen. Doch dass der Segen auch in die andere Richtung, also vom Menschen zu Gott gehen kann – das ist für mich ein eher ungewöhnlicher Gedanke.
Nicht für die Bibel. Da geht der Segen hin und her. Ganz bildlich wird das bei der Geschichte von Jakob, im ersten Buch der Bibel beschrieben. Jakob träumt, dass die Boten Gottes auf einer Himmelsleiter von Gott zu Jakob und von Jakob zu Gott steigen. Auf und ab. Himmel und Erde sind miteinander verbunden und Gott verspricht Jakob: „Ich bin bei dir. Ich behüte dich, wohin auch immer du gehst.“ (Gen 28,12ff.)
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die ersten Christen die Erzählung von Jakob und dem Segen, der hin- und hergeht, gekannt haben. Und auf diesem Hintergrund schreibt Paulus in einem Brief an die Menschen in Ephesus: „Gesegnet sei Gott (…).“ Und kurz darauf schreibt er weiter: „Gott hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel.“ (Eph 1,3)
Ich finde das einen schönen Gedanken am Beginn dieses neuen Jahres: Gott segnet mich und diesen Segen kann ich weitergeben. An andere Menschen und eben auch an Gott. Und so teile ich mit Gott nicht nur das, was mir gerade schwer auf der Seele liegt und wo ich ihn vermisse und seinen Segen brauche. Sondern ich segne ihn auch. Also ich suche die Nähe zu ihm, danke ihm und teile mit ihm das Schöne, das es in meinem Leben gibt.
Der Segen – er geht hin und her. Eine Verbindung, die mich trägt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41349Kaum geboren, schon auf der Flucht. Das ist keine schöne Geschichte, aber sie gehört zu Weihnachten dazu. Sie passt so gar nicht zur Festtagsstimmung, zur ruhigen Zeit „zwischen den Jahren.“ Aber so geht die Weihnachtsgeschichte nun mal weiter: Gerade erst ist Jesus geboren und wurde begrüßt als ein ganz besonderes Kind. Sogar Könige aus fernen Landen machten sich auf und beteten dieses Kind an. Doch kaum ist der hohe Besuch aus dem Morgenland wieder gegangen, da muss der Säugling mit seinen Eltern vor König Herodes fliehen. Denn der sieht in ihm einen gefährlichen Konkurrenten und will ihn ausschalten. Herodes setzt all seine Macht ein und befiehlt, alle neugeborenen Kinder rund um Bethlehem zu töten. Da packt Josef seine kleine Familie auf einen Esel und flieht mit Frau und Kind nach Ägypten.
Ist die Geschichte genau so passiert? Ich weiß es nicht. Aber das ist auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass sie so typisch ist für Jesus und sein Leben. Denn genauso wie am Anfang ist es ihm auch am Ende des Lebens ergangen: Erst wird er groß gefeiert und danach wird es lebensgefährlich. Am Anfang seines Lebens: Seine Geburt, zwar in einem armen Stall, aber, ein großer Engelschor und ein heller Komet, der den Königen den Weg gezeigt hat und auch noch kostbare Geschenke: Gold, Weihrauch, Myrrhe. Und dann: die Todesdrohung, die Flucht, Hals über Kopf in die Fremde. Und am Ende seines Lebens wieder das Gleiche: Der glorreiche Einzug in Jerusalem, zwar auf einem Esel, aber gefeiert vom Volk als Star, mit rotem Teppich und Hosianna-Rufen. Und kurz darauf: Verhaftung und Verurteilung durch Pontius Pilatus und der Tod am Kreuz.
Ja, typisch Jesus: Er hat sich nie beeindrucken lassen vom Jubel der Menschen. Er hat sich aber auch nicht beeindrucken lassen von denen, die meinen, die Welt zu beherrschen. Er ist Machtspielen aus dem Weg gegangen, denn er wollte sie ja gar nicht haben, diese Macht. Er ist einfach seinen Weg gegangen auf dieser Welt. Weil er genau wusste, wer wirklich Macht hat am Ende. Und er nimmt uns gerne mit auf diesen Weg, der an Weihnachten beginnt. Er hat uns nicht versprochen, dass es ein einfacher Weg ist. Aber es ist auf jeden Fall einer der sich lohnt, denn es ist ein guter Weg: Gottes Weg mit uns Menschen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41202Allen, die heute nochmals sanfte weihnachtliche Gedanken erwarten, macht die katholische Liturgie einen Strich durch die Rechnung. Der Zweite Weihnachtsfeiertag ist ein Heiligengedenktag, der des Stephanus. Und der Hl. Stephanus gilt als erster Märtyrer der Kirchengeschichte. In der Apostelgeschichte wird berichtet, dass er zur ersten Christengemeinde in Jerusalem gehört hat und besonders eifrig dabei war, den neuen Glauben zu verkünden. Und zwar nicht nur mit Worten, sondern es heißt von ihm: Stéphanus aber tat, voll Gnade und Kraft, Wunder und große Zeichen unter dem Volk[1]. Das hat Aufsehen erregt und die traditionellen jüdischen Gläubigen gegen ihn aufgebracht. Bis sie ihn schließlich zu Tode steinigten.
Weshalb aber wird diese grausame Geschichte an Weihnachten erzählt? Klar, es gehört zum Anfang des Christentums und damit auch zu Weihnachten, dass seine Anhänger verfolgt wurden. Für mich liegt der tiefere Grund aber woanders. Es gibt nämlich eine Parallele zwischen dem, was Lukas in seinem Evangelium als Weihnachtsgeschichte erzählt und dem, was er in seinem zweiten Buch, der Apostelgeschichte, von der Steinigung des Stephanus berichtet. In beiden Texten ist davon die Rede, dass der Himmel offen ist und Gottes Herrlichkeit dabei zeigt. Wörtlich heißt es heute im Bibeltext: Stephanus aber, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen und rief: Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen[2]. Das erleben so auch die Hirten, die auf dem Feld bei Betlehem ihre Schafe hüten. Die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie[3]und sie verstehen: Das Kind im Stall ist Gottes Weg, um ihnen eine neue Perspektive zu geben, um die Welt zu retten.
Der offene Himmel, bei der Geburt und beim Tod. Und hoffentlich immer wieder dazwischen. Solange wir leben und besonders an den wichtigen Stellen. Das ist Gottes Angebot an uns. Ich erinnere mich, dass es mir an wenigen Stellen in meinem Leben so ging. Zum Beispiel als ich vor einer großen Operation noch wach dalag und auf die Narkose gewartet habe und ich mir die Menschen vor Augen geführt habe, für die ich mich verantwortlich fühle und die ich liebe. Da war ich sehr traurig und habe mich gefürchtet. Aber mittendrin war auch etwas von Gott, ein kleiner Funke seines Glanzes, ein offener Himmel - den ich seither in mir bewahre und nie mehr hergebe.
[1] Apostelgeschichte 6,8
[2] Apostelgeschichte 7,55f.
[3] Lukas 2,9
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41259Ich würde heute Morgen so gerne sagen: „Fröhliche Weihnachten!“ Aber, liebe Hörerinnen und Hörer, natürlich weiß ich ja gar nicht, ob Sie heute Morgen überhaupt fröhlich sind. Und nach dem Anschlag in Magdeburg gehen mir die Worte auch nur schwer über die Lippen.
Ich hätte mir eben gerne einen fröhlichen Weihnachtsmorgen vorgestellt. Wie in manchen Wohnungen der eine oder die andere ein bisschen früher aufsteht als alle anderen und sich erst mal eine Tasse Kaffee oder Tee machen. Vielleicht liegt noch etwa Geschenkpapier auf dem Boden herum? Eine gute Zeit, um ein bisschen aufzuräumen …
So stelle ich es mir gerne vor – und weiß trotzdem genau, dass viele Menschen heute allein aufstehen – und auch an Heilig Abend allein gewesen sind. Dass die Nachrichten aus Magdeburg ein leiser Schatten über allem sind. Oder dass in manchen Familien gerade das Chaos ausbricht – weil man los muss um die Großeltern besuchen oder die Schwiegereltern. Oder weil bei einem selbst der Besuch im Anmarsch ist.
Trotzdem. Ganz vorsichtig wünsche ich Ihnen und mir heute Morgen: Fröhliche Weihnachten. Trotz allem, was gerade schwer ist.
Trotzig zu sein ist nämlich nicht das schlechteste, finde ich. Auch wenn wir die Schatten von Krieg und sinnloser Gewalt nicht aus unserem Leben verbannen können. Und auch, wenn ich an Sorgen und Problemen in meinem Leben vielleicht zum tausendsten Male scheitere - was hilft es, aufzugeben? Dann doch lieber trotzig an der Hoffnung festhalten - das Zutrauen nicht verlieren und neuen Anlauf nehmen!
Gerade an Weihnachten kommt mir Gott ganz ähnlich trotzig vor: Er gibt einfach nicht auf, uns Menschen auf den Weg des Friedens zu bringen. In einer Bibelstelle, die heute in vielen Gottesdiensten zu hören ist, heißt es: „Im Anfang war das Wort“ (Joh 1,1) Gemeint ist damit: Von Anfang an ist Gott da, mit seinem Wort, und sein Wort von Frieden und Gerechtigkeit bleibt gültig – egal, ob wir Menschen es nun hören wollen oder nicht. Und wenn wir es vielleicht kaum noch hören können – vor lauter Nöten, Krisen du Sorgen des Lebens - dann nimmt er eben noch einmal einen neuen Anlauf und schickt seinen eigenen Sohn in die Welt – und mit ich all die Liebe, die er zu uns Menschen hat.
Jesus wird es nicht leicht haben mit uns. Er wird uns von unseren schlechtesten Seiten kennen lernen. Unsere Fähigkeit zu hassen und zu zerstören. Aber aufgeben wird er nicht. Und lässt sich nicht aufhalten, immer wieder neu Anlauf zu nehmen, um unsere Herzen zu erreichen. Immer wieder neu, jedes Jahr an Weihnachten.
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