Zeige Beiträge 1 bis 10 von 1024 »
Im Römerbrief des Paulus heißt es: Keiner von uns lebt sich selber und keiner stirbt sich selber[1]. Dabei habe ich immer gedacht: Wenn ich einmal irgendwo ganz allein sein werde, dann, wenn ich sterbe. Das kann mir keiner abnehmen. Da kann mich keiner trösten oder unterstützen. Beim Sterben ist der Mensch ganz auf sich und ganz auf sich allein zurückgeworfen. Auch wenn noch so viele Angehörige und Freunde einen begleiten.
Für Paulus hat alles, was mit einem Menschen zu tun hat, automatisch immer auch mit Gott zu tun. Der Mensch gehört sich nicht selbst. Sein Leben ist nicht sein Eigentum. Und der Tod als Lebensende dementsprechend auch nicht. Der Mensch gehört so, wie alles auf dieser Welt dem, der sie geschaffen hat. Also Gott. So wie Paulus die menschliche Existenz versteht, kann es nicht darum gehen, dass ich mich selbst verwirkliche, dass ich möglichst viel erarbeite oder leiste. Es ist unnötig mir einen großen Namen zu machen. Wenn mir etwas gelingt, dann ist es Gott zur Ehre.
Als glaubender Mensch verstehe ich, was Paulus sagt, und ich halte es für richtig. Zumal wenn ich daran denke, wie begrenzt mein Leben ist und wie unbedeutend ich bin als einer von so vielen auf diesem Planeten. Aber von der Realität ist das weit entfernt. Wie die meisten achte ich darauf, gut dazustehen, gelobt zu werden. Ich will als Person respektiert werden, und manchmal will ich sogar im Mittelpunkt stehen. Dass ich nicht für mich selbst tue, was sich in meinem Leben abspielt… Ja, der Gedanke blitzt hin und wieder auf. Aber so weit zu gehen wie Paulus, der sagt: Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn[2]? Kaum. Das ist kein Gedanke, der in unsere so individualisierte westliche Welt passt, in der das Recht des Einzelnen fast das Höchste ist, was es gibt. Mein Leben gehört mir. Wann und wie ich sterbe, das will ich selbst bestimmen.
Vor wenigen Wochen habe ich einen Mann beerdigt. Etwas über sechzig. Er bekam letztes Jahr eine schlimme Diagnose, war seitdem schwer krank, und hat am Ende gewusst, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Bei ihm habe ich gespürt, dass der Paulus-Satz doch eine radikale Wahrheit in sich birgt. Er hat nicht mit Gott gehadert. Er hat sich nicht verzweifelt an sein Leben geklammert. Er hat gelebt, ohne um sich selbst zu kreisen, war für andere da, hat auf Gott gebaut. Und so ist er auch gestorben. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn[3]. Auch wenn es mir nicht leicht fällt, das so auszusprechen: Paulus hat Recht. Und am Ende ist es sogar ein Trost.
[1] Römerbrief 14,7
[2] Römerbrief 14,8a
[3] Römerbrief 14,8b
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38413Wie sagt man? Eine Frage, die Kinder oft hören. Wie sagt man – wenn man eine Einladung oder beim Einkaufen einen Keks bekommen hat? Na klar, danke! So bekommen Kinder es beigebracht.
Vielleicht hat es bei den schwer kranken Menschen, die von Jesus geheilt werden, einfach an der guten Kinderstube gehapert. Über diese Erzählung in der Bibel wird heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt. Jesus kommt in ein Dorf. Schwer kranke Männer flehen ihn an: Jesus, lieber Meister, erbarme dich. Die Männer sind ausgeschlossen aus der Dorfgemeinschaft. Ansteckungsgefahr! Getrennt von Familie und Freunden. Es geht ihnen wirklich mies. Sie haben Hilfe bitter nötig!
Und Jesus hilft: Die Männer werden gesund. Sie laufen ohne ein weiteres Wort überglücklich in ihr Dorf zurück. Nur einer von ihnen bleibt plötzlich stehen, dreht um und kommt nochmal zu Jesus zurück. Er dankt ihm, dankt Gott für seine Heilung, für das Geschenk am Leben teilhaben zu können. Und die anderen?
Ich denke nicht, dass man ihnen mangelnde Erziehung unterstellen sollte. Wahrscheinlich konnten sie es einfach nicht mehr erwarten, ihre Familien wieder zu sehen, ihr Leben zurückzubekommen!
Aber ich glaube, der eine, der sich bedankt, bringt doch etwas Wichtiges zum Ausdruck: Es ist ein riesiges Geschenk, das die Männer da bekommen haben. Ein Wunder, das ihnen eine Tür öffnet, die für immer verschlossen schien. Die Tür zurück in ihren Alltag.
Sie haben das wieder, was ihnen vorher vielleicht selbstverständlich erschien: Gesundheit, Familie, in einer Gemeinschaft leben. Oft realisiert man bei diesen Dingen ja erst, wie wichtig sie sind, wenn etwas davon verloren gegangen ist. Schätzt sie vorher gar nicht richtig wert, weil sie eben so alltäglich scheinen. Vielleicht hilft es, sich ab und zu mal Zeit zu nehmen und nachzudenken – womöglich sogar aufzuschreiben – wofür man gerade dankbar sein kann.
Öfter auf das Gute zu schauen: in der Welt; in meinem persönlichen Leben. Was läuft super? Wo habe ich gute Erfahrungen gemacht? Ich denke, sich das ab und zu bewusst zu machen, kann zu einer positiven Sicht auf das eigene Leben beitragen.
Denn – wie sagt man? Ich finde, auch für Erwachsene ist Danke eine gute Antwort.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38368Sie müssten ihm schon erlöster aussehen, die Christen, damit er an ihren Gott glauben könne. Das schreibt einmal der Philosoph und Religionskritiker Friedrich Nietzsche. Er trifft damit einen wunden Punkt. Denn Hand aufs Herz. Das Bild eines gelösten Menschen voll von überschwänglicher Freude ist vielleicht nicht das Erste, was vielen zu einem Christen oder einer Christin einfällt. Christ zu sein, das hat in der öffentlichen Wahrnehmung leider viel öfter diesen faden Beigeschmack von Freudlosigkeit. Von Rigorismus, Enge und Verbot. Ja, manchmal geradezu von einem regelrechten Wunsch zu leiden. Je mehr, desto besser.
Die Bibelstelle, die heute in den katholischen Gottesdiensten zu hören ist, ist daran vielleicht nicht ganz unschuldig. Denn da spricht Jesus davon, worauf es für einen echten Jünger, eine echte Jüngerin ankommt. Und dann heißt es da: Wer hinter mir hergehen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden. Zugegeben, das ist ziemlich starker Tobak. Und zahlreiche fromme Menschen haben das wohl so verstanden, dass sie Jesus dann am nächsten sind, wenn es ihnen am dreckigsten geht. Dass ein wahrer Jesusanhänger die Last des Kreuzes so richtig spüren muss und sein eigenes Leben nicht so wichtig nehmen darf. Christenleben – Opferleben. So lässt sich das auch verstehen. Und doch will ich diese Sätze nicht als Lobgesang auf das Leiden lesen. Nicht als Aufforderung, als Christ nun bitteschön das Kreuz zu suchen. Ein sorgenfreies, glückliches Leben eher verdächtig zu finden, anstatt Gott dafür von Herzen zu danken.
Die entscheidende Frage ist doch, was das heißen kann, dieses Kreuz. Wenn ich Jesus richtig verstehe, dann geht es ihm darum, konsequent zu sein, gradlinig zu bleiben. Für die Werte, die mir wichtig sind, auch einzustehen. Nicht jeder Stimmung hinterher zu laufen. Rückgrat zu zeigen. Auch dann, wenn es rau und ziemlich ungemütlich wird. Das trifft etwa auf Menschen zu, die sich aus einer tiefen christlichen Überzeugung für Schwächere einsetzen, obwohl sie dafür bedroht und angefeindet werden. Ich denke aber auch an Bürgermeisterinnen und Landräte, die standhaft demokratische Ideale verteidigen, auch wenn ihnen der populistische Gegenwind brutal ins Gesicht bläst. An Regimegegner in Russland, die für Mitmenschlichkeit lieber ins Gefängnis wandern, als sich schweigend wegzuducken. Nach dem Kreuz muss ich nicht suchen. Es kann urplötzlich im Weg stehen. Aber dann muss ich mich entscheiden, ob ich es auf mich nehmen will und dem Weg Jesu folge.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38353Wenn ich im Alltag an meine Grenzen stoße und ich merke, dass mir die Kraft ausgeht, dann braucht es manchmal nur noch eine Kleinigkeit - irgendetwas Unvorhergesehenes - und es haut mich vollends um. Als hätte es die Welt auf mich abgesehen, denke ich dann. Das ist natürlich total übertrieben. Aber trotzdem komme ich mir dann vor wie ein langer Grashalm oder ein Schilfrohr im Wind, das langsam eintrocknet und spröde wird: Ohne Widerstandskraft. Ohne Optimismus angesichts der schlechten Stimmung bei uns und den schlechten Nachrichten abends vorm Fernseher. Und wenn dann privat auch noch ein Sturm losbricht, es mir zu viel wird oder irgendetwas Unvorhergesehenes passiert, dann knicke ich um, wie ein Rohr im Wind.
Als hätte es die Welt auf mich abgesehen. Aber das hat sie natürlich nicht. Und ich will auch nicht glauben, dass sie von irgendwelchen Kräften regiert wird, die alle meine Versuche zu Nichte zu machen, ordentlich durchs Leben zu kommen. Ja, manchmal kommt es mir so vor, und ich fühle mich geknickt. Aber eben „nur“ geknickt – und nicht gebrochen.
Ich hoffe und vertraue darauf, dass da eine andere Kraft ist, die in Wirklichkeit die Welt regiert – und MEIN Leben regiert. Ein Herrscher, von dem heute in vielen evangelischen Gottesdiensten die Rede ist und von dem es in der Bibel, beim Propheten Jesaja heißt: „Das geknickte Schilfrohr wird er nicht abbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen. Unbeirrbar setzt er sich für das Recht ein. (Jesaja 42,3 in de Übersetzung „Hoffnung für alle“)
Manchmal fühle ich mich wie ein Schilfrohr im Wind. Und denke: Was kann ich armer Halm im Wind schon ausrichten gegen Ungerechtigkeit, gegen Kriege, Umweltzerstörung oder den Hunger auf der Welt. Ich werde ja schon mit meinen eigenen kleinen Problemen kaum fertig. Und ich fühle mich geknickt. Aber eben „nur“ geknickt, und nicht gebrochen.
Die Welt legt es nicht darauf an, mich zu brechen. Und die Flamme der Begeisterung will sie auch nicht auslöschen: für meine Arbeit, für mein Engagement in meinem Verein, bei einem sozialen Projekt oder auch in meiner Familie – selbst wenn der Docht gerade nur noch glimmt. Ich will glauben, dass Gott das nicht zulassen wird. Und eine Kraft als Herrscher über mein Leben eingesetzt hat, von dem es heißt: „Das geknickte Schilfrohr wird er nicht abbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen. Unbeirrbar setzt er sich für das Recht ein.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38328Wie soll es weitergehen? Wie schaffen wir ein „Miteinander“, statt immer weiter auseinander zu driften?
Eine einfache Antwort wird sich darauf nicht finden lassen, aber die Frage beschäftigt mich. Nicht nur, wenn ich auf unsere Gesellschaft schaue und leider feststellen muss, dass die extremen Positionen zunehmen. Auch mit Blick auf meine Kirche frage ich mich, wie es bei aller Unterschiedlichkeit miteinander weitergehen soll.
Der biblische Text des Propheten Jesaja, der heute in katholischen Gottesdiensten zu hören ist, zeigt eine Richtung.
Jesaja spricht da zu seinem Volk, das nach langer Zeit aus der Fremde nach Jerusalem zurückgekehrt ist. Er möchte den Menschen Mut machen, dass die schweren Zeiten vorbeigehen werden. Denn Vieles ist nicht mehr so, wie es vor dem Exil war. Da wohnen mittlerweile Fremde in Jerusalem, die Gesellschaft hat sich verändert. Auch die Glaubensgemeinschaft ist eine ganz andere. Ich denke, damals haben sich die Menschen wahrscheinlich auch gefragt: Wie soll es weitergehen? Worauf kommt es jetzt an?
Jesaja gibt eine klare Antwort: „Wahrt das Recht und übt Gerechtigkeit!“ (56,1) Jesaja rät also, in dieser Situation auf jeden Fall gerecht zu bleiben. Doch ich frage mich: was ist gerecht? Oder vielmehr: Wann werde ich anderen gerecht? Sicherlich nicht, wenn ich alle gleichbehandle. Was für den einen gut ist, ist für jemand anderen genau das Falsche. Ich glaube, wir werden einander gerecht, wenn wir füreinander da sind. Wenn ich nicht nur nach mir schaue, sondern wenn ich immer wieder mein Herz öffne, um mich in andere einzufühlen. Und wenn ich dabei auch die beachte, deren Leben sich an den Rändern abspielt oder deren Lebensentwurf mir fremd ist.
Und noch etwas ist Jesaja wichtig, deshalb fährt er fort: „Glücklich ist der Mensch, der so handelt und daran festhält! Er hält den Sabbat ein und (…) hütet sich, irgendein Unrecht zu tun.“ (Jes 56,2).
Hier kommt der Sabbat neu ins Spiel – der Ruhetag der Juden. Vielleicht pocht Jesaja deshalb so darauf ihn einzuhalten, weil er für die Menschen eine wichtige Funktion hat. Am Ruhetag habe ich Zeit über das Leben und über das Zusammenleben nachzudenken. Ich kann meine Freundschaften pflegen, ich kann mich um andere und um mich selbst kümmern. Und ich kann mir bewusstwerden, dass es etwas gibt, das größer ist als ich.
Für das Zusammenleben rät Jesaja also: Sich um Gerechtigkeit bemühen, nichts Böses tun und sich einen Tag in der Woche eine Auszeit nehmen. Vermutlich braucht es für ein gelingendes Miteinander noch etwas mehr, doch ich finde, das ist eine sehr gute Basis.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38205Heute mit Gedanken von Pfarrer Felix Weise
Es war verboten – deshalb musste ich es einfach machen! Als Kind fand ich viele Regeln, Gebote und Verbote einfach doof. Ich wollte selbst entscheiden – mit Kumpels den alten Bunker im Wald erkunden oder im Urlaub im See baden gehen – auch wenn da stand: „Der Zugang zum See ist gesperrt. „Zu gefährlich“ sagten die Eltern. Oder „Regeln sind dazu da, dass man sie einhält.“
Regeln sind doof. Das war nicht nur unsere Einstellung als Kinder. Auch bei Erwachsenen haben Regeln oft keinen allzu guten Ruf: Erfunden, um eingehalten zu werden? Erwachsener wäre es doch, selbst zu entscheiden und nicht einfach jedem Gebot oder Verbot zu gehorchen.
Im Predigttext, über den am heutigen Israelsonntag in vielen evangelischen Gemeinden gepredigt wird, findet sich eine ganz andere Wahrnehmung von Regeln oder Geboten.
Die Bibel erzählt, dass Gott selbst dem Volk der Israeliten viele Regeln und Gebote mit auf den Weg gegeben hat. Und dass die ganze Welt Israel für seine Regeln bewundern wird! Im 4. Buch Mose heißt es: „Wenn sie alle diese Gebote hören werden, dann müssen sie sagen: Was für weise und verständige Leute sind das, ein herrliches Volk!“
Was für eine andere Perspektive auf Regeln, Gebote und Verbote, die wir oft so lästig finden. Hier ist das, was Gott seinem Volk geboten hat, Grund für Bewunderung und Anerkennung. „Torah“ ist das hebräische Wort für Gesetz – aber kann auch mit Weisung oder Lehre übersetzt werden. Weisungen, wie Menschen respektvoll und auf Augenhöhe miteinander umgehen sollen. Richtlinien, um zu verhindern, dass der Zusammenhalt verloren geht oder der Respekt vor dem Leben von anderen. Gottes Gebote sind nicht einfach nur dazu da, um stur befolgt zu werden. Sie sind Weisungen, die dem Leben die richtige Richtung geben.
Zugegeben, sie schränken die eigene Entscheidungsfreiheit ein. Aber nur, damit alle gemeinsam gut leben können.
Jetzt in den Sommerferien habe ich meinen kleinen Neffen dabei erwischt, wie er den alten Bunker im Wald erkunden wollte. Das ist immer noch verboten – denn es ist immer noch gefährlich und das alte Ding einsturzgefährdet. Deshalb gehen wir jetzt lieber gemeinsam zum Baden, und zwar an einen Baggersee, der sicher ist.
Klar soll der Kleine auch mal etwas ausprobieren, seine Freiheit und seine Grenzen austesten. Aber es ist auch ganz gut, dass Gebote und Regeln ihm seine Grenzen setzten. Denn Ein gutes Gebot dient dem Leben. Und will es nicht zerstören.
Von Felix Weise von der evangelischen Kirche – gesprochen von Barbara Wurz
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38259Auf die Frage, was ich mir am meisten wünsche in meinem Leben, würde ich wohl antworten: Dass ich nicht umsonst gelebt habe. Oder anders ausgedrückt: dass sich durch mich hie und da etwas zum Guten gewandelt hat. Wenn dem so wäre, das würde mich glücklich machen. Dahinter steht für mich eine große Hoffnung: dass unsere Welt noch nicht verloren ist; dass es deshalb nicht verkehrt ist, Gutes zu tun; und dass es dabei auch auf mich ankommt, auf jeden einzelnen Menschen. Alles in allem denke ich, es wäre fatal, diese Sehnsucht aufzugeben. Weil die Sehnsucht mir Mut macht, mich antreibt. Auch weil ganz am Schluss in der Sehnsucht mein Glaube steckt: Gott wird am Ende die Welt retten. Und mein bisschen Leben ist dann dabei nicht umsonst gewesen.
Ich stelle mir vor, dass es den Jüngern auch so ging, die mit Jesus unterwegs waren. Vor zweitausend Jahren in Galiläa. Ja, dass so eine Sehnsucht in ihnen besonders ausgeprägt war: nach einer Welt, in der die Menschen einander nichts Böses antun, sondern friedlich zusammenleben. Sie haben dabei auf einen Gott gesetzt, der zwar manchmal fern war und den sie nicht immer verstanden, aber dem sie auch etwas zugetraut haben. Mehr als sich selbst. Ein Gott, der die Dinge zum Guten verwandeln konnte. Alles in allem.
Offenbar hatten die Jünger einmal ein Erlebnis, dass diesen Glauben unmissverständlich untermauert hat. Die entsprechende Bibelstelle wird heute in den katholischen Gottesdiensten gelesen. Jesus nimmt die Jünger mit auf einen Berg. Und auf einmal ereignet sich mit Jesus dort oben eine Metamorphose. Wörtlich heißt es dann: Er wurde vor ihnen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Alles, was die Jünger mit Jesus verbinden, erkennen sie auf einmal, als ob ein Blitz sie durchfahren würde: Er ist wirklich der Messias, auf den sie so lange gehofft hatten. Durch ihn stehen sie mit Gott in direkter Verbindung. Wenn sie mit ihm auf dem Weg bleiben, finden sie den Sinn für ihr Leben. Was sie da sehen, in der Vision auf dem Berg, das ist auch ihr Ziel, auf sie zugehen. Am Ende ihres Lebens werden sie so verwandelt werden wie Jesus jetzt.
Zugegeben, für moderne Ohren hört sich das merkwürdig an. Und es ist deshalb ratsam, mit derlei Visionen behutsam umzugehen. Ich hatte selbst noch nie etwas in der Art. Aber die Sehnsucht lebt trotzdem in mir: dass ich einmal das göttliche Licht schauen darf, in dem unsere Welt anders ist. Nicht mehr so geschunden, nicht vom Tod gezeichnet, sondern eben: verklärt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38206Auf so ein Frühstücksei am Sonntagmorgen gehört für mich ein bisschen Salz. Das schmeckt mir dann einfach besser. Wie so vieles. Ohne Salz geht’s nicht – hat sich auch Jesus gedacht.
Ihr seid das Salz der Erde. Das hat er in einer Rede zu seinen Anhängern gesagt. Über diese Rede wird heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt. Ihr bringt Geschmack in die Welt hat sich Jesus wohl gedacht.
Salz hat ja eine recht interessante Eigenschaft. Für sich allein ist es mehr oder weniger unbrauchbar. Statt Ei mit Salz, nur ein Löffelchen Salz? Nein danke! Salz entfaltet seinen Geschmack erst in Verbindung mit anderen Lebensmitteln. Genauer: Es kitzelt den guten Geschmack bei anderen Lebensmitteln heraus, indem es eine Symbiose mit seiner Umgebung eingeht. Im Nudelwasser zum Beispiel löst es sich ja sogar komplett auf. Und dadurch entfaltet sich der gute Geschmack.
Ich meine, das ist es auch, was Jesus seinen Anhängern sagen wollte. Ihr seid Salz, es ist gut, dass ihr da seid; ihr bringt Würze in die Welt und könnt dran mithelfen, dass das Leben der Menschen gut schmeckt. Also verbindet euch mit der Welt und eurer Umwelt und bewirkt Gutes.
Für mich ist das heute eine Ermahnung an die Kirche, sich nicht allzu sehr mit sich selbst zu beschäftigen. Sie sollte nicht zu viele Kräfte für interne Prozesse verpulvern, sondern sich dabei auf das Notwendige beschränken. Wie schaffen wir es, dass wir für die Menschen und die Gesellschaft da sind?
Ich habe den Eindruck: Manche innerhalb der Kirche würden manchmal am liebsten unter sich bleiben.
Aber Salz braucht ein Gegenüber, wie gesagt, für sich alleine ist es relativ nutzlos. Und ich glaube, auch die Kirche schafft dann Gutes, wenn sie präsent ist im Leben der Menschen. Wenn sie vor Ort Gutes bewirkt, ein offenes Ohr hat für Familien, für Menschen, die trauern, für neu Zugezogene oder für Einsame. Sie sollte dahin schauen, wo Hilfe gebraucht wird und mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zusammenarbeiten. Kirche erfüllt ihren Auftrag, wenn sie eine lebendige Verbindung mit der Welt eingeht und das Leben der Menschen schmackhafter, gerechter und besser macht. Ihr seid das Salz der Erde – das heißt für mich dabei mitzuhelfen, das Beste aus der Welt herauszukitzeln.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38095Wer einen Garten hat kennt das vielleicht. Wenn ich im Frühjahr etwa Möhren aussähe, dann treiben mit der ersten Wärme nicht nur die Gemüsepflanzen aus, sondern auch all das Unkraut, das ich dort nicht haben will. Das nervt. Aber weil ich als Laie das eine vom anderen kaum unterscheiden kann, lasse ich lieber die Finger davon. Bevor ich mit dem Unkraut am Ende auch das junge Gemüse ausreiße.
Das Unkraut einfach stehen lassen, das fordert auch der Bibeltext, der heute Morgen in den katholischen Gottesdiensten zu hören ist. „Lasst beides wachsen bis zur Ernte“, heißt es da in einem Gleichnis, das Jesus seinen Zuhörern erzählt. Und erst dann trennt das Gute vom Schlechten. Nun will Jesus natürlich keine Gartentipps geben. Ihm geht es um nichts weniger als das Himmelreich, wie er es nennt. Denn auch dort sei es eben wie bei einem Feld, auf dem die guten Pflanzen neben dem Unkraut wachsen.
Wenn ich das Bild in meine Welt übersetze, dann kann das zum einen bedeuten: Dieses Himmelreich ist längst da. Es ist hier, mitten unter uns. Das Gute ist nur oft zwischen Bosheit, Elend und Krieg versteckt und kaum zu entdecken. Zum anderen aber heißt das, dass auf Gottes großem Acker auch Platz sein darf für alle. Für die Menschen, die ich liebe und in meiner Nähe haben möchte. Die ein echter Segen sind, ein Vorgeschmack des Himmels sozusagen. Aber eben auch für all die anderen, die mich nerven, mir das Leben schwer machen. Ich kann sie mir vielleicht vom Leib halten oder kritisieren. Nur aus der Welt schaffen kann ich sie nicht. Soll ich auch gar nicht. Weil diese Welt halt kein Reservat der Guten und Reinen ist, in dem nur die einen erwünscht sind, die anderen aber nicht. Und auch, wenn mein Urteil über einen anderen Menschen längst feststeht, ich diesen Widerling am liebsten aus meinem Umfeld entfernen, bildlich gesprochen also ausreißen möchte - bei Gott muss das noch lange nicht so sein. Vorsicht also vor vernichtenden Urteilen über andere. Das endgültige Urteil über ein Menschenleben steht allein Gott zu.
Was bleibt mir also? Die in meiner Umgebung, die mich stören und auf die Palme bringen, auszuhalten. Das ist oft leichter gesagt als getan. Aber es macht diese Welt zu einem einzigen, großen Trainingscamp für die Toleranz. Für die Fähigkeit, uns gegenseitig zu ertragen. Am Ende ist das wohl die einzige Möglichkeit, in Frieden miteinander auszukommen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38041Wenn zwei sich Hals über Kopf ineinander verlieben, dann ist ihnen die Welt um sie herum meistens ziemlich schnuppe. Die beiden haben dann nur noch Augen füreinander und leiden an mindestens mittelschwerem Realitätsverlust. Liebe macht blind, sagt der Volksmund. Blind für das, was außerhalb dieser Liebe in der Weltgeschichte alles vor sich geht, blind für alles, was am anderen nicht aus Gold und Zucker ist.
Anscheinend macht diese Art von Blindheit noch nicht einmal vor Gott selber Halt. Im Buch des Propheten Jesaja lese ich, wie Gott das Völkchen Israel geradezu anschmachtet: „Du bist kostbar und wertvoll für mich und ich hab dich lieb. Deshalb gebe ich Menschen für dich preis und setze Völker für dein Leben aufs Spiel. Ich habe Ägypten als Kaufpreis für dich bezahlt, dazu noch viele andere Länder.“ Wer die Geschichte Israels kennt, kann bei dieser Darstellung nur mit dem Kopf schütteln. Denn in Wirklichkeit verhält es sich genau andersherum: Das kleine Land wird immer wieder zum Spielball der umliegenden Großmächte, wird mal von Ägypten im Westen beherrscht, mal von den Assyrern oder Babyloniern im Osten überrannt. Auf dem Auge historischer Tatsachen scheint Gott jedenfalls völlig blind zu sein.
Trotzdem ist mir seine realitätsferne närrische Liebe sehr sympathisch. Denn weil sie vieles ausblendet, hat sie auch keine Angst vor dem, was groß und mächtig gegen sie zu sprechen scheint. Weil sie blind ist, kann sie auch nicht geblendet werden. Unbeirrt bleibt sie dem Geliebten treu.
Ich lerne daraus: Wer sich immer nur an das hält, was realistisch scheint, wird auch nur das zustande bringen, was machbar ist. Wer liebt, kann auch Unmögliches zustande bringen. Um stark zu sein, muss die Liebe wohl auf einem Auge blind sein. Und ist es nicht stark, was der verliebte Gott sagt: „Wenn du durch Wasserfluten gehst, bin ich bei dir. Reißende Ströme spülen dich nicht fort. Wenn du durchs Feuer gehst, verbrennst du nicht. Die Flammen können dir nichts anhaben. Fürchte dich also nicht, denn ich habe dich befreit, ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du gehörst zu mir.“ Diesen Worten Gottes will ich vertrauen. Blind.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38033Zeige Beiträge 1 bis 10 von 1024 »