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SWR2 Wort zum Tag

Niemand kann zwei Herren dienen, sagt Jesus in der Bergpredigt.

In den Schauspiel: Diener zweier Herren von Goldoni wird das in lustiger Weise deutlich gemacht.
Da ist ein Mensch, der sich in ein doppeltes Arbeitsverhältnis begibt und damit zwei Chefs hat. Beide machen ihre Ansprüche geltend, und es ist klar, dass das nicht gutgehen kann. Verzweifelt und vergeblich bemüht sich der Angestellte, alles unter einen Hut zu bekommen.

Im Alltag kennen wir das auch. Dann ist es aber kein Spiel und alles andere als lustig.
Nicht immer sind diese doppelten Abhängigkeiten freiwillig - oft ist es aber doch so. Einerseits spielt es in unserer Kultur eine große Rolle, finanziell unabhängig zu sein, gut leben zu können.

Auf der anderen Seite macht man sich abhängig, um diesen Lebensstil verwirklichen zu können - indem man z.B. ein zusätzliches Arbeitsverhältnis eingeht.

Niemand kann Gott und dem Mammon dienen, sagt Jesus. Das griechische Wort Mammon hat viele Bedeutungen: Geld, Besitz, Kapital. Heute würde man dazusagen: Macht, Reichtum, bequemes Leben. Mammon war auch der Name einer Gottheit, der man Opfer brachte, und ich glaube, dass sich daran prinzipiell nicht viel geändert hat.

Die Gier nach Geld und Macht hinterlässt ihre tödlichen Spuren. Vereinsamte Menschen, Verkehrstote, sterbende Wälder und tote Flüsse. Das sind die Opfer auf dem Altar des Mammon, Zerstörung und eine Hektik, die alles in Unruhe versetzt.

Für die Bibel gibt es keine herrenlosen Menschen. Entweder bin ich im Dienst der Gerechtigkeit oder der Sünde, entweder gehören ich Gott oder einem Götzen. Der Mensch ist wie ein Reittier, wenn Gott es nicht reitet und lenkt, dann tut es der Teufel, sagt Luther. Das mag nicht meiner Erfahrung entsprechen.

Aber es enspricht den nüchternen Worten Jesu. Er möchte, dass ich ohne Kompromisse an Gott glaube. Bei ihm lerne ich, mich ganz auf Gott zu beziehen und gerade darin ein freier Mensch zu sein.

Es gibt Menschen, die das leben. Ich denke an eine Familie in der Bekanntschaft. Hier wird in der Firma sehr viel Geld verdient. Aber der Lebensstil ist bescheiden, die Autos unauffällig. Das Geld wird in einer Stiftung angelegt, die sozialen und missionarischen Zwecken dient. Eine Spende machte es möglich, die Kirche zu sanieren. Das Geld darf hier nicht herrschen, es muss dienen, es muss anderen Menschen Gutes tun.

Das überzeugt mich, und davon kann ich lernen. Eindeutig leben. Ganz dem einen Gott gehören.

Wenn ich nicht dem "Geld" gehören will, dann muss mein Geld dem Leben dienen.

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SWR2 Wort zum Sonntag

In der Nähe unserer früheren Heimat gab es einen Hügel, wunderschön gelegen.

In vorchristlicher Zeit, so fanden wir heraus, war da oben eine Kultstätte, ein Ort also, an dem Priester - Druiden - ihre Geister und Götter verehrten.

Als dann im 5. Jahrhundert die ersten Missionare in diese Gebiete kamen, wurden diese Stätten zerstört. Sie blieben oft noch heimliche Treffpunkte von Menschen, die den neuen Glauben nicht annahmen oder den alten nicht aufgeben wollten.

Altäre zerstören, fremde Völker missionieren? Vor einer ähnlichen Frage stand das Volk Israel, bevor es in das verheißene Land einzog. Da waren andere Völker und andere Götter im Land, die die Juden ja keinesweg alle vertreiben konnten. Wie aber sollten sie sich als Eindringlinge verhalten? Wie sollten sie ihre religiöse Identität bewahren?

Viele Texte des AT ringen mit dieser Frage. Da heißt es im 5.Buch Mose: Wenn Gott, der Herr, dich in das verheißene Land bringt, dann sollst du an seinen Einwohnern den Bann vollstrecken. Du sollst keinen Bund mit ihnen schließen und keine Gnade gegen sie üben. Ihre Altäre sollt ihr einreißen, ihre Steinmale zerbrechen, ihre Kultpfähle abhauen und ihre Götterbilder verbrennen.

Man muss solche Texte kritisch lesen. Sie klingen radikal, gewalttätig, und ohne den Kontext und Hintergrund sind sie in gefährlicher Weise missverständlich. Dabei haben sie nur eine Botschaft: Der Gott Israels duldet keine Kompromisse, jedenfalls dann nicht, wenn es um seine Einzigkeit geht. Es gibt nur einen Gott, und alle, die sich zu diesem Gott bekennen, werden zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Begründet wird dieser Anspruch jedoch nicht mit göttlicher Willkür, sondern mit einem Bekenntnis Gottes zu seinem Volk. Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat ER erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern. Nicht, weil du größer wärest als andere Völker, sondern weil er dich geliebt hat.

 Ich höre in diesen Mose-Worten viel Zuneigung, viel Hingabe, aber auch eine gewisse Schärfe.
Gott duldet keine Kompromisse, weil er selber kompromisslos liebt.
Gott liebt dich, Israel. Gott hat dir eine besondere Würde und Größe gegeben.

Im NT wird dieses Bekenntnis aufgenommen und ausgeweitet.
Alle Menschen sind Gottes Eigentum, sagt Jesus. Alle gehören zu seinem heiligen Volk.
Auch die, die es nicht wissen oder die sich von diesem Gott abwenden.

Das ist für mich das erste, Grundlegende. Gott bekennt sich kompromisslos zu den Menschen, zu mir und zu meiner Existenz. Es gibt für mich keinen größeren Trost, keinen stärkeren Halt als diesen. Aber Gott erwartet auch von mir, dass ich seine Liebe erwidere, oder dass ich wenigstens kritisch mit ihm in Beziehung stehe. Ja, Gott liebt, und diese Liebe macht ihn anspruchsvoll, fordernd, aber auch verletzlich. Er möchte mich nicht verlieren - genauso wenig wie Eltern ihr Kind verlieren möchten.

Irgendwie kann ich Gott hier verstehen. Gott ist an dieser Stelle so menschlich, so nah.
Sicher habe ich ihn schon oft enttäuscht, und er war wütend oder traurig darüber.
Aber ich versuche es doch: an ihn glauben, möglichst ohne Kompromisse. Morgens sage ich zu ihm: Dieser Tag gehört dir, Gott, nicht dem Zufall. Im Gespräch mit Menschen, beim Umgang mit dem Geld, beim Arztbesuch - ich lerne es, Gott wenigstens in Gedanken mit hineinzuziehen.

Vielleicht gab es in der Geschichte der Mission die Notwendigkeit, Kultplätze zu zerstören.
Heute sehe ich eher die Notwendigkeit, eindeutig den Gott der Liebe zu bekennen.

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SWR2 Wort zum Tag

Sterben und Geborenwerden sind sich ähnlicher, als es manchmal den Anschein hat.
In beiden Fällen muß ein Mensch herausgehen aus dem, was ihm vertraut ist.
Und er muß hinein in eine Welt, die er nicht kennt, die in der Regel auch nicht betreten will, weil sie als feindlich empfindet, als unbekanntes, bedrohliches Land.
Man hat festgestellt, dass Babies bei ihrer Geburt Todesängste austehen und damit im Grunde das vorwegnehmen, was ihnen dann im Sterben widerfährt. Umgekehrt ist das Sterben mit seinen Ängsten und Nöten auch einer Geburt vergleichbar. Es ist ein schwerer Weg zu bewältigen.
Man muss sich durchkämpfen durch einen engen Gang, ein finsteres Tal.
Und was wird mich am Ende dort erwarten?
Dabei weiß jeder: Wenn die Zeit da ist, muß das Kind hinaus ins Leben, ob es will oder nicht.
Es darf leben, es soll leben, das Licht der Welt erblicken.
Sonst würde es ja im Mutterleib umkommen.
Und wenn dieses Leben vorbei ist, dann gilt das auch: Du darfst leben, du sollst leben.
Dazu muss ich freilich diese Welt und das leibliche Leben verlassen.
Auch hier gilt: Ich würde zugrunde gehen, wäre ich an dieses sichtbare Leben gebunden.
Es wartet ein Leben, unvorstellbar reich und schön.
Für mich ist das kein frommer Wunschtraum, keine leere Behauptung. Bei Jesaja lese ich: Fürchte dich nicht, sagt Gott, ich habe dich erlöst, du gehörst mir. (Jes 43,1)
Fürchte dich nicht, ich werde dafür sorgen, dass du diese enge Stelle unbeschadet überstehst.
Einer ist dir schon vorausgegangen. Einer ist hindurchgekommen.
Jesus Christus hat den Tod besiegt, er lebt, er sieht dich, er kennt und versteht die ganzen Nöte.
Er will dir helfen, er wird an deiner Seite sein, wenn es eng wird, in Krankheit und Verlust.
Ich finde diese Worte sehr tröstlich.
Sie nehmen mir die Angst vor dem Sterben, vor dem neuen, unbekannten Land.
Ich stelle mir vor, wie Jesus dort auf mich wartet, am anderen Ende des Tunnels.
Wie eine Hebamme steht er da, um mich ins Licht zu ziehen.
Boah, ist das hell hier, muss erst mal meine Augen dran gewöhnen.
Auch daran, dass dieses Gefühl der Enge weg ist.
Ein Neugeborenes schreit vor Entsetzen und Verwunderung, wenn es das Licht der Welt erblickt.
Es weiß ja noch nicht, wie schön das Leben auf der Erde ist, und wie weh es manchmal tut.
In den schönen Momenten denke ich: So, und noch viel schöner wird das neue Leben sein.
In den schweren Zeiten aber weiß ich: Gott holt mich hier heraus.

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SWR2 Wort zum Tag

Du bist mein Augenstern - so sagt man, wenn man einen Menschen liebhat, wenn man auf ihn achtet. Mit "Augenstern" kann man das lateinische Wort pupilla übersetzen, die Pupille also, das Innerste unseres Auges. Die Pupille ist mein Fenster zur Welt. Sie ist aber auch der Spiegel, in dem ich mich selbst sehen und erkennen kann - im Auge eines anderen.
Das Wort Pupille hat eine spannende Geschichte.
Ursprünglich heißt es nämlich: kleines Mädchen oder Puppe.
Ich sehe mich selbst, wenn ich etwa meiner Frau in die Augen schaue, aber ich sehe mich nicht in Lebensgröße, sondern als kleines Wesen, in Puppengröße.
So kann ich mich in den Augen eines Menschen selber erkennen, zumindest einen Teil meiner Wirklichkeit. Nicht nur groß und stark und männlich, sondern auch klein und schwach - ein kleines Menschlein, ein Wesen, das noch im Werden begriffen ist.
In einem noch tieferen Sinne erkenne ich mich, wenn ich Gott in die Augen schaue.
Ich kann das tun, wenn ich die Bibel lese. Die Bibel ist an manchen Stellen wie ein Spiegel.
Viel mehr noch als die Augen eines Menschen sagt sie mir, wer ich in Wirklichkeit bin.
Zugleich verrät sie mir ein Stück von Gottes Wesen. Sie zeigt mir, wie liebevoll er sich den Menschen zuwendet. Wie achtsam und empfindlich er sein kann.
Er behütete sein Volk wie seinen Augenstern, heißt es da an einer Stelle. Er fand dieses Volk in der Wüste, in dürrer Einöde sah er es barmherzig an.
Gottes Augen sind so gut, so wachsam, dass sie das Ärmste und Verlorene, ja auch das dem Tod Geweihte nicht übersehen. In der Bibel ist damit in erster Linie sein erwähltes Volk Israel gemeint. Aber zu diesem Volk gehörte ja auch eine junge Frau, Maria, die Mutter Jesu.
Auf sie hatte Gott in besonderer Weise ein Auge geworfen. Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen - so singt sie in ihrem Lied.
Gottes Augenstern und Augapfel - das sind vielleicht auch die, die sich dort, inGottes Augen gar nicht vermuten würden. Ich denke an das schwer behinderte Kind, dem ich manchmal begegne.
An die alten, einsamen Menschen, auch an die Sterbenden. An alle, die ihren Glauben verloren haben, die nach Trost und Hoffnung suchen.
Ich denke auch an die Superschlauen, die Überheblichen, die nur ein müdes Lächeln für Gott übrig haben. Ja. Er achtet auch auf sie.
In Gottes Pupilla werden die Großen ganz klein und die Kleinen ganz groß.
Schon deshalb macht es für mich Sinn, mit diesen Augen zu rechnen und immer wieder einen Blick hineinzuwerfen.

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SWR2 Wort zum Tag

In der Klosterkirche zu Vézelay, in Burgund, zeigt das Kapitell einer Säule zwei Darstellungen des Judas, also des Jüngers, der Jesus verriet.
Das erste Relief stellt das Ende des Verräters dar. Judas hängt am Strick.
So hat er nach Matthäus sein Leben beendet.
Das zweite Relief auf der Rückseite lässt mir den Atem stocken.
Da steht Jesus, unverkennbar. Er hat den Strick um Judas' Hals gelöst und trägt den toten Freund auf seinen Schultern. Den, der ihn verraten hat. Dabei entspricht die Armhaltung Jesu der eines Hirten, welcher ein Schaf auf seinen Schultern trägt. Damit wollte der Steinmetz an die Worte vom guten Hirten erinnern. Er lässt bekanntlich die 99 Schafe in der Wüste, um das eine verlorene Schaf zu suchen.
Zu der Zeit, als dieses Kunstwerk entstand, war die Gestalt des Judas zum Inbegriff des Bösen geworden. Judas ist schlimmer als Kain, der seinen Bruder erschlug und schlimmer als Ödipus, der seinen Vater tötete und seine Mutter heiratete. Judas war der Schlimmste. Und ausgerechnet den, dieses verhasste Subjekt trägt Jesus auf seinen Schultern.
Seinetwegen hat Jesus seine Herde, seine Kirche, allein gelassen und sich auf die Suche gemacht.
Das war nicht nur eine Sensation, sondern eine theologische Zumutung.
Sie wäre vergleichbar mit dem Gedanken, dass Jesus die großen Massenmörder wie Hitler oder Stalin auch auf seine Schultern nimmt.
Ich frage mich bei dieser Vorstellung: ist das wahr? Hätte Jesus seinen Verräter wie ein verlorenes Schaf gesucht und gerettet? Hat er es getan?
Es muss doch eine letzte Gerechtigkeit geben! Die Bösen müssen doch bestraft werden, wenigstens die Schlimmsten?
Erst jetzt merke ich, dass ich ja selber dazugehöre.
Wie alle anderen. Oder ist nicht jeder in der Lage; Jesus für ein paar Euro zu verraten?
Ist nicht jeder irgendwann einmal von Gott so enttäuscht, dass er sich völlig verrennt und schuldig wird?
Ja: Dieses Bild erzählt Wahrheit.
Judas, dieser Inbegriff des Bösen steckt in mir, und er steckt möglicherweise in jedem Menschen: schuldig geworden, gescheitert, innerlich zerbrochen.
Und trotzdem wird er von Jesus nicht zurück gelassen, nicht vergessen oder übersehen.
Selbst der tote Judas wird von Jesus mit Respekt und Ehrerbietung nach hause geholt.
Auch für Ihn hat er sein Leben gelassen.
So ist Jesus. Er trägt mich und er trägt alle, die Glücklichen und die Zerbrochenen.
Keine Schuld kann so schlimm, kein Leben so verkorkst sein.
Das ist der Grund, warum ich an ihn glaube.

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SWR2 Wort zum Sonntag

Lebensdurst kann quälend sein.
Ich kenne es auch. Man hat das Gefühl, am Leben zu sein, aber nicht wirklich zu leben.
Man hat so einen Geschmack auf der Zunge, ist aber mit dem Wenigen nicht zufrieden.
Man kann versuchen, diesen Durst materiell zu stillen. Nicht zufällig gab es ein Versandhaus mit dem Namen »Quelle«. Prinzip: Kaufe dich satt - und du hast ein erfülltes Leben. Aber auch andere Quellen locken: Bücher. Musik. Reisen. Sport. Möglichkeiten, den Lebensdurst zu stillen, gibt es viele.
Durst, so hat mal jemand gesagt, ist ein Beweis für die Existenz von Wasser.
Lebensdurst wäre dann ein Beweis für die Existenz von Leben, ich meine: von einem echten, erfüllten Leben. Und in der Bibel ist beides untrennbar verbunden. Nicht zufällig war in Israel die Frage nach Wasser immer auch eine religiöse Frage.
Ohne Wasser kann ein Volk, ein Land nicht überleben.
Und daher ist die Versorgung mit trinkbarem Wasser ein existentielles Problem.
Wasser war und ist immer auch ein handfestes Zeichen für himmlischen Segen.
Ein Fest, bei dem die Juden bis heute um diesen Wassersegen beten, ist das Laubhüttenfest.
Ab Mai regnet es in Israel nicht mehr. Die Trockenzeit dauert bis etwa Oktober.
Dann kommt alles darauf an, dass der Regen wieder einsetzt, dass das Wasser wieder fließt, dass Menschen und Tiere trinken können und das Getreide wieder wächst. Darum baten die Juden schon zur Zeit Jesu mit einer prächtigen Zeremonie. Da blasen vom Tempel die Posaunen, und die Priester steigen mit einem goldenen Krug vom Tempelplatz weit hinunter zum Teich Siloah.
Dort schöpfen sie das kostbare Nass und tragen es in einer Prozession hinauf in den Tempel.
Dort schütten sie das Wasser vor den Altar. Ein Opfer. Ein feierlicher Augenblick.
»Wer da Durst hat, der komme zu mir und trinke.« (Johannes 7,37)
Jesus war auch unter den Festpilgern, berichtet die Bibel. Und ich stelle mir vor, wie Jesus diese Worte laut in die feierliche Stille hineinruft, provozierend und einladend. Wasser kriegt ihr bei mir. Worum ihr betet, was ihr euch erhofft, das erfülle ich und noch viel mehr. Äußeres Wasser ist wichtig, ja. Aber ich stille auch den anderen, inneren Durst. Ohne Wasser kein Leben, und ohne mich, so will Jesus sagen, gibt es kein erfülltes, kein bleibendes Leben.
Die Menschen damals hat das sehr geärgert, so erzählt es die Bibel.
Wie und warum sollte ausgerechnet dieser den Lebensdurst stillen?
Was unterscheidet ihn von anderen Lebensquellen?
Während der Sommermonate gab es in Israel nur zwei Wassersorten: Das eine war Zisternen- oder Brunnenwasser, also Wasser, das von der Regenzeit noch übrig war, das man aufbewahrte.
Aber das war altes, stickiges Wasser, übel riechend, oft voller Krankheitskeime. Totes Wasser eben.
Das andere nannte man lebendiges Wasser: Wasser aus einer Quelle, die nicht austrocknet, sondern immer neues und klares Wasser schenkt und gibt, erfrischend und vor allem: gesund.
Jesus vergleicht sich mit einem solchen lebendigen Wasser.
Keine abgestandene Brühe, keine tödlichen Keime. Kraft zum Leben. Geschärfte Sinne.
Vor allem aber: Dankbarkeit. Ich denke hier nochmal an die schönen Lebens-Durstlöscher, an Nahrung, Musik, Bücher, frische Luft und Sonnenlicht. Und ich sage. danke lieber Gott, und wenn die Zeit vorbei ist, wo ich das genießen kann, wirst du etwas neues für mich bereitstellen.
Heute ist Sonntag. Für mich ist jeder Gottesdienst ein Wasserfest.
Ja, ich habe Durst nach Leben.
Dort kann ich trinken. Ich trinke Lebensmut und Zuversicht, ich schöpfe Kraft für durstige Strecken.
Wasser ist Leben.

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SWR2 Wort zum Tag

Manchmal habe ich das Nach-Sehen. Nach-Sehen heißt: Es ist zu spät, ich schaue einer verpassten Gelegentheit hinterher. Da haben die anderen wieder mal etwas geplant und beschlossen, ohne mich zu fragen. Es wäre so gut gewesen, wenn jemand angerufen hätte, noch besser, wenn jemand sich bei mir hätte sehen lassen. Ich hätte Klarheit gewonnen in dem Nebel aus Gerüchten und Meinungen, ich hätte reden können. Jetzt aber fühle ich mich übergangen und habe das Nachsehen.
Man kennt das, dass Menschen etwas klar sehen wollen - und dann das Nach-sehen haben.
Oder es zumindest so empfinden. Ein berühmtes Beispiel in der Bibel ist Mose.
Mose möchte Gott sehen.
Bisher hat er sich immer auf Gott verlassen. Aber jetzt kann er das nicht mehr. Das Vertrauen ist nicht mehr da.
Mose möchte in Gottes Pläne eingeweiht sein, er möchte ein Mitspracherecht haben.
Er möchte jetzt endlich mal ganz klar sehen, Sicherheit haben, ohne Risiko glauben.
Lass mich deine Herrlichkeit sehen, bittet Mose seinen Gott.
Und er meint damit: Laß mich teilhaben an deinen Plänen, dass ich weiß, wie es weitergehen soll.
Sag mir bitte, was du denkst, dass ich dir folgen, dich besser verstehen kann.
Lass mich dir ins Angesicht schauen, daß ich nie mehr an dir zweifeln muß.
Ja, manchmal wünsche ich mir das auch: Dass Gott sich blicken lässt.
Ich möchte mal direkt mit ihm reden, ein paar direkte Antworten von Ihm bekommen.
So vieles liegt im Zwielicht.
So viele schwierige Entscheidungen sind zu fällen.
Hilf mir, Gott! Mach der Ungewißheit ein Ende.
Schenk mir ein kleines göttliches Nicken, oder falle mir meinetwegen in den Arm.
Zeitraubende Umwege, quälendes Warten blieben mir erspart!
Gott erfüllt diese Wünsche nicht. Er sagt: „Mein unverhülltes Angesicht kannst du nicht sehen."
Aber dann heißt es: Du darfst hinter mir hersehen, wenn ich an dir vorübergehe.
Du wirst meine Spur sehen und wissen, dass ich da gewesen bin. Dass du nicht allein bist. Dass ich dich nicht übergangen habe, sondern lediglich vor dir hergehe.
Mose hat also, wenn man so will, das Nach-Sehen. Er schaut Gott hinterher, und das ist ein schönes, ein heilsames Hinterhersehen. Ich darf hinter Gott hersehen, darf Gottes Dasein an seinen Spuren ablesen.
Ja, Gott lässt sich blicken.
Aber nicht von vorne, nicht so direkt, wie man es sich manchmal wünscht.
Die Sehnsucht nach letzter Klarheit und Gewissheit - sie wird bleiben.
Aber immer wieder wird es dieses wunderbare, dieses tröstliche Nach-Sehen geben.
Und ich staune und erkenne: Hier ist Gott an mir vorübergegangen.

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SWR2 Wort zum Tag

Sich verstecken macht Spaß. Die Identität wechseln, unerkannt in eine fremde Rolle schlüpfen.
Kinder lieben es, jemanden zu spielen, der groß und stark und schön ist, am besten schon erwachsen. Und Erwachsene verstecken sich auch mal ganz gern und spielen anderen was vor.
In der Regel freut man sich aber auch, wenn man die Maske wieder abnehmen, wieder man selber sein kann.
Das merkt man, wenn die Fasnet zuende geht. Die Narren steigen aus ihren Larven und nehmen ihre Masken ab. Menschliche Gesichter kommen zum Vorschein. Und auch das Böse, das sie spielten, ist - zumindest für den christlichen Glauben - längst entlarvt und entmachtet.
Maskerade und Theaterspiel sind jedenfalls nichts Außergewöhnliches, sondern alltäglich.
Menschen verstecken sich hinter unsichtbaren Masken, sie wollen oder müssen als etwas erscheinen, das sie gar nicht sind. Menschen spielen Rollen, die sie sich wünschen oder in die man sie zwängt. Eine Maske kann ihren Träger schützen, kann notwendig sein.
Sie kann aber auch Schaden anrichten, wenn sie zur zweiten Identität wird, wenn der Schein lügt.

Da spielt einer den Starken, obwohl er lieber weinen würde.
Da tragen zwei Partner die Maske der Harmonie, obwohl es Klärungsbedarf in der Familie gibt.
Da fangen Leute an zu lügen und zu täuschen, um sich keine Blöße zu geben. Und irgendwann gibt es kein zurück mehr - die Maske ist zur neuen Person geworden.
Der große Pantomime Marcel Marceau hält sich in einer Szene kurz die Hände vors Gesicht, und wenn er die Hände wegnimmt, ist er ein völlig anderer. So setzt er eine Maske nach der anderen auf und wieder ab, bis er eine Maske nicht mehr vom Gesicht wegbekommt. Er zieht und zerrt. Sie bleibt. Er muss sie tragen. Ein unheimlicher, aber, wie ich finde, sehr realer Gedanke. Das lateinische Wort für Maske und auch für die Rolle ist persona, wörtlich: das, was durch die Erscheinung nach außen dringt. Was mich im innersten ausmacht, das ist letztlich mein wahres Gesicht, meine Person - die kann ich nicht mehr wechseln.
Auf Dauer geht das Maskentragen nicht gut.
Irgendwann fliegt der Schwindel auf, oder die Maske klebt fest.
Ich brauche Zeiten und Orte, an dem ich persona sein kann, der Mensch, zu dem ich geschaffen wurde.
Wo ich meine Masken ablegen und das nach außen tragen kann, was mich im innersten bewegt.
Wie gut, wenn Menschen da sind, die mich ertragen oder sogar liebhaben, so wie ich bin.
Wie gut, dass Gott da ist, der mich versteht und mir vergibt.
Seine Augen sahen mich schon, als ich noch gar nicht geboren war.
So wird das Leben nicht zum Versteckspiel und die Maske nicht zur Gewohnheit.

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SWR2 Wort zum Tag

An Gott zu glauben heißt: Existieren.
Das kommt vom lateinischen Verb exsistere und heißt wörtlich: außerhalb seiner selbst stehen.
Wer an Gott glaubt, geht sozusagen aus sich heraus.
Er verlässt sein bisheriges Leben, er gibt Altvertrautes auf.
Er macht er sich auf den Weg, um etwas Neues zu finden, um das Leben zu finden, das wirklich sein Leben ist, von ihm gestaltet und gelebt - nicht von anderen.
Dieses Neue ist wie ein Gewand, ein Kleidungsstück, das Gott sozusagen für mich bereitgelegt hat.
Ich probiere es aus, das neue Leben. Es paßt. Es sieht von außen vielleicht nicht toll aus, nicht groß und bedeutend. Aber ich kann mich gut darin bewegen. Nirgends zu eng. An manchen Stellen muss ich eher noch hineinwachsen.
Wie sieht das konkret aus, wenn ein Mensch sich selbst verlässt?
Kann man überhaupt seine bisherige Existenz ablegen wie ein altes Kleidungsstück?
Von dem Kirchenvater Augustin ist überliefert, dass ihn nach seiner Bekehrung zum Christentum eine frühere Geliebte aufsuchte. Als sie ihn fragt, ob er die Beziehung mit ihr nicht fortsetzen wolle, antwortet er: „Nein, das ist nicht möglich. Der Mensch, den du meinst, den gibt es nicht mehr."
Da hat einer sein altes Leben verlassen. Er exisistiert jetzt woanders, er ist nicht mehr dort anzutreffen, wo er einst war. Das kann ein radikaler Bruch mit dem alten Leben sein. Meistens ist es ein Hineinwachsen, ein tägliches ausprobieren. Ich nehme mir nichts besonderes vor, sondern ich bete zu Gott. Hilf mir, wenn ich jetzt ein schwieriges Gespräch führen muss. Mach mich sensibel, beim Einkaufen, beim Autofahren. Neulich wurde ich von einem wütenden Zeitgenossen böse abgebremst, als ich mich an die Geschwindigkeitsregel hielt.
Früher hätte ich ihn sicher angezeigt. Aber jetzt ist sowas nicht mehr nötig.
Ich finde, an Gott zu glauben, kann sehr entspannend, entlastend sein.
Manchmal ist es auch schwieriger.
Man fühlt sich schon mal fremd, wenn man so existiert.
Wenn man auf die Erfüllung eines Wunsches zu verzichtet.
Oder aus Überzeugung einen Weg zu geht, der einen zwischen die Stühle bringt.
Und doch kenne ich keinen, der zurückgehen würde.
Das hier, sagt mir einer, das ist genau das Leben, für das ich geboren wurde.
Das ist der Ort, wo ich mich gefunden habe - außerhalb meiner selbst. Was anderes ist unvorstellbar.
Nicht immer kann man das so konkret spüren, aber dann gibt es doch Momente, in denen ich mich gut fühle , heiter und leicht.
Auch schwere Zeiten, selbst der Tod wird nichts daran ändern:
Ich glaube, also bin ich.

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SWR2 Wort zum Tag

Es ist ein Wunder. So sagt man, wenn etwas Unerklärliches, Unbegreifliches geschieht.
Schon im normalen Alltag kann man Wunder erleben, kleine und große Fügungen, bei denen etwas Gutes herauskommt. Sie sprengen unseren Horizont, können verunsichern und beglücken. Und wenn die Bibel von einem Wunder erzählt, dann steht am Ende das Lob oder der Jubel, manchmal auch das Entsetzen. Denn Gottes Möglichkeiten sind unbegrenzt.
Auch die Zeit vor Weihnachten erinnert an ein Wunder. Es ist ein ganz besonderes und deshalb auch umstrittenes Wunder. Da ist Maria, ein jüdisches Mädchen. Sie ist vielleicht 16 Jahre alt, als sie die Stimme eines Engels hört: „Siehe, Du wirst schwanger werden und ein Kind zur Welt bringen, und du sollst ihm den Namen Jesus geben." Ein spannendes Gespräch entwickelt sich. Und auf ihre besorgte Frage, wie sie denn ohne Mann schwanger werden könne, antwortet der Bote: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich."
Ja, es ist ein Wunder, was hier angekündigt wird und dann auch geschieht. Maria ist - menschlich gesehen - ein „Niemand". Sie hat von ihrem Leben nicht viel zu erwarten. Sie wird heiraten, dann wird sie Kinder zur Welt bringen und eines dieser Kinder sterben sehen. Maria steht nicht für das Heilige, sondern für das Zufällige, für Schmerzen, für Trauer und Leid. Und ausgerechnet diese Frau erwählt Gott, um etwas unvorstellbar Großes zu tun.
Es scheint ein Prinzip seines Handelns zu sein.
Aus dem Nichts hat er die Welt geschaffen.
Aus dem „Nichts" kommt der Erlöser, der Beginn der neuen Schöpfung.
Kann er dann nicht auch aus meiner Existenz ein neues Leben formen?
Eigentlich sind ja alle Menschen wie Maria, jedenfalls bevor sie als Mutter des Erlösers berühmt wurde.
Ich gehöre auch dazu. Denn nüchtern betrachtet, lebe ich auch im Schatten des Nichts, schon allein deshalb, weil ich einmal sterben muss.
Doch bei Gott ist kein Ding unmöglich. Er hat es oft gezeigt, auch in meinem Leben.
Als nichts mehr ging, ja als ich mich selber fragte, wie da noch etwas werden soll, da hat er Türen geöffnet. Und dahinter waren neuen Möglichkeiten, es geschah Unerwartetes und Unglaubliches.
Daran halte ich mich fest:
Gott schenkt neue Hoffnung, gerade denen, die ohne Aussicht sind.
Mir geschehe, wie du gesagt hast, antwortet Maria - und es geschah.
Gott kam zur Welt in Jesus.
Für mich ist ER das größte aller denkbaren Wunder.

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