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05MRZ2024
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Im Chor singen wir gerade eine Messe von Giacomo Puccini. Ein kurzes, beschwingtes Stück daraus hat es mir besonders angetan. Es beginnt leise, mit nur wenigen Stimmen; andere kommen dazu; ein herrlich fröhlicher Walzer entwickelt sich. Das erwartet man nicht mitten in diesem geistlichen Werk. Das Stück steht am Ende des Glaubensbekenntnisses. Es vertont nur wenige Wörter „et vitam venturi saeculi“. Zusammen mit den Takten vorher heißt das „Ich erwarte … das Leben der kommenden Welt“. Kurzum, es handelt vom ewigen Leben. Puccini, der Opernkomponist, hat seine Hoffnung in dem Walzer musikalisch ausgemalt. Beim Singen fühle ich mich förmlich auf einen Ball versetzt. Menschen, die tanzen, sich freuen. Einer stößt mit dem anderen an. Nach wenigen Takten im Fortissimo folgt auch schon das Amen und das Ganze ist wieder vorbei.

Unser Chorleiter hat die musikalischen Bilder vor uns hingemalt und im Chor haben wir darüber gewitzelt. Von der ewigen Party bei Gott; wie sich frisch gewachsene Flügel wohl anfühlen und wie es sich damit wohl tanzt. Es wurde viel gelacht.

Der ewige Walzer bei Gott – es ist eines von unzähligen Bildern, in denen Christen im Lauf der Geschichte ihre Hoffnung zum Ausdruck gebracht haben: ein besonderes und sehr anschauliches Bild. Heute gehen wir zu Recht kritisch mit solchen Vorstellungen vom Paradies um. Manches ist höchstens im Scherz sagbar. Das Sprechen bleibt zögerlich, riskant geradezu. Ich will ja nicht naiv sein – und schon gar nicht anmaßend.

Ganz gleich, wie ich mich zu den christlichen Entwürfen stelle, die Fragestellung bleibt: Was gibt mir Hoffnung in meinem Leben? Und wie begegne ich dem Tod? Ich persönlich brauche lebendige Bilder, die ich dem Tod und der Zerstörung, die wir gerade erleben, entgegensetzen kann. Einen schönen Walzer zu tanzen, für mich gehört das zum lebendigsten, was das Leben zu bieten hat. Wenn es passt, dann wird mit jeder Drehung die Freude ein bisschen größer – Glückseligkeit, für mich ist ein Walzer dafür ein stimmiges Bild. Ein Moment, in dem ich spüren kann, dass da mehr ist als wir hier. Durch die Bewegung und die Musik verbunden zu sein mit etwas Größerem – für mich ist das ein Hoffnungsbild.

Angesichts all der Katastrophen in den Nachrichten werde ich Puccinis Walzer noch manches Mal fröhlich trällern – nicht als Vertröstung. Sondern weil er mich stark macht für alle Gangarten des Lebens: auch für beherzte Schritte oder schwierige Anstiege. Für das Leben – so herausfordernd und so schön es ist.

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04MRZ2024
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Manchmal komme ich als Pfarrerin aus einem Trauergespräch und denke „irgendetwas war komisch“. Mir fehlt dann das Gefühl dafür, wer die verstorbene Person wirklich war. Die Angehörigen haben mir zwar einiges erzählt, aber ich habe den Eindruck, etwas Wesentliches wurde nicht gesagt. So, als wäre die ganze Zeit ein riesiger Elefant mit im Raum gewesen. Und alle tun so, als bemerkten sie ihn gar nicht. Im Englischen gibt es den Ausdruck „the elephant in the room“, der Elefant im Raum: Das ist, wenn alle von etwas wissen und niemand darüber spricht.

Bei einem Besuch in Cambridge habe ich den sprichwörtlichen Elenfanten im Raum vor mir gesehen. Im Fitzwilliam Museum hängt ein Bild des niederländischen Malers Hendrik von Anthonissen: Zu sehen ist ein Nordseestrand an einem Wintertag. Im Hintergrund ein Kirchturm, vorne Menschengruppen. Viele blicken zur See. Bloß gibt es dort überhaupt nichts zu sehen! Zumindest bis vor einigen Jahren. Lange Zeit waren da bloß graue Wellen und man hat sich höchstens gefragt: „Was suchen die alle an diesem kalten Strand?“ Bis zu einer Restaurierung des Gemäldes im Jahr 2014. Dabei wurde mit viel Geschick ein überdimensionaler gestrandeter Pottwal freigelegt. Den schauen sich die Menschen am Strand an! Was für eine Entdeckung! Gemalt wurde das Bild gegen Ende des 30-jährigen Krieges. In der Zeit strandeten erstaunlich viele Wale an der Nordseeküste. Sie galten als Zeichen des Unheils und Schreckens. Während van Anthonissen sich mutig ausgemalt hat, wie das ausgesehen haben muss, wurde die Szene gut 100 Jahre später als zu anstößig empfunden. Mit der faszinierend-schauerlichen Schönheit des Wals, mit seinem traurigen Blick und der Unheilsbotschaft wollte man nichts mehr zu schaffen haben. Aus dem sichtbaren Wal am Strand wurde der sprichwörtliche „elephant in the room“.

Im Blick auf manches Gespräch nehme ich aus der Begegnung mit dem Bild ein Stück Neugier mit: Was steckt dahinter? Worum geht es hier wirklich? Seelsorge – die passiert für mich da, wo etwas sagbar wird. Sie ist ein Raum, in dem jemand ein verstörendes Erlebnis, einen traurigen Blick oder eine Unheilsbotschaft mit mir aushält und dabei nichts übertüncht oder ausradiert. Manchmal gilt es an einem wintergrauen Tag auch erst herauszufinden, worum es eigentlich geht. Das zuzulassen braucht Mut und es braucht Vertrauen. Man weiß ja nicht, wie das Gegenüber reagiert. Aber wo es gelingt, entsteht manchmal ein faszinierend-schönes Bild und ein neuer Blick für ganz alltägliche Lebens-Landschaften.

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02MRZ2024
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Jesus hat ein Gleichnis erzählt, das immer wieder für Empörung sorgt. „Das ist doch ungerecht!“, sagen die Leute. Jesus und ungerecht? Das passt doch irgendwie nicht!

Das vermeintlich ungerechte Gleichnis geht so: Ein Gutsherr geht auf Reisen und vertraut sein Geld drei seiner Diener an. Einem gibt er fünf, einem zwei und dem letzten ein Talent Silber. Das war damals ein Haufen Geld. Ein Talent entspricht ungefähr 60 Kilo Silber, heute wären das um die 25.000 Euro pro Talent.

Der erste Diener erwirtschaftet zu den fünf Talenten noch weitere fünf dazu. Auch der zweite kann das Kapital verdoppeln und macht aus zwei Talenten vier. Der Dritte scheut das Risiko. Er gräbt ein Loch und versteckt das Geld darin.

Nach seiner Reise kommt der Gutsherr zurück und will wissen, was mit seinem Geld geschehen ist. Voller Stolz präsentieren die ersten beiden Diener ihre 100 % Dividende und ernten reichlich Lob dafür. Der dritte Diener stammelt etwas kleinlaut: „Herr, ich wusste, dass du streng sein wirst, wenn das Geld weniger wird. Deshalb bin ich auf Nummer sicher gegangen und habe das Geld vergraben. Aber immerhin: Hier hat du alles unbeschadet wieder.“ Der Herr ist daraufhin stinksauer und sagt: „Du bist schlecht und faul. Ich nehme dir das Talent weg und gebe es dem ersten Diener, der am meisten erwirtschaftet hat.“

Puh, hört sich nach schlimmstem Kapitalismus an: Der am wenigsten bekommen hat, muss es auch noch an den Reichsten abgeben. Will Gott etwa, dass die berühmte Schere zwischen arm und reich noch größer wird? Eigentlich hat sich Jesus doch für das Gegenteil eingesetzt: die Schwachen stark machen.

Deshalb deute ich das Gleichnis so: Reichtum verpflichtet. Wer viel hat, der soll auch viel geben. Und das nicht nur in Bezug auf Geld, sondern auf viel mehr. Jesus wollte vielleicht damit sagen: Wenn du viele Fähigkeiten hast, dann ist das ein Hinweis darauf, dass Gott dir besonders viel zutraut: Gehe gewinnbringend mit allem um, was Gott dir gegeben hat und was du selbst in dir entwickeln durftest. Ob du ein Talent hast oder viele – setzte sie auf jeden Fall ein. Dann wird aus deinem Segen ein Segen für viele.

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01MRZ2024
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Kleine Testfrage: Welche Farbe haben Ihre Socken – ohne zu gucken. Ich bin über die Frage in einem Buch mit Wahrnehmungsübungen* gestolpert. Eine kleine Liste mit Fragen zum bisherigen Tag. Es hat Spaß gemacht, mich an bestimmte Dinge zu erinnern. Und als ich versucht habe, sie mir ins Gedächtnis zu rufen, da ist mir immer mehr eingefallen, was meinen bisherigen Tag zu einem ziemlich schönen Tag gemacht hat.

Die erste Frage in dem Buch hieß: Welche Tiere hast du heute gesehen? Ich habe mich an einen Hund mit Maulkorb erinnert, als ich meine Kinder zur Bushaltestelle gebracht habe. Und später habe ich eine Taube gesehen, die einen Balztanz aufgeführt hat.

In der zweiten Frage ging´s um besondere Gerüche. Da hatte ich den Duft von Kaffee in der Nase und den von frischem Brot, als ich an der Bäckerei vorbeigegangen bin. Und später dann diese typische abgestandene Bahnhofsluft.

„Hat dich heute die Sonne beschienen?“ war die nächste Frage. Kurz bevor ich die Frage gelesen hatte, war ich noch auf dem Bahnsteig gestanden und bin extra ein Stück aus dem Schatten in die Sonne gerückt, und sie hat mir wunderbar den Rücken gewärmt. „Hast du irgendwo Musik gehört?“ hieß es als nächstes. Und zu guter Letzt: „Wer hat dir heute zugelächelt?“

Auf den ersten Blick banale Fragen. Aber ich habe gemerkt: Man muss sich Zeit nehmen, um sie beantworten zu können. Denn eigentlich rauscht das Leben meistens Vollgas an mir vorüber. Manches, oder besser gesagt fast alles, nehme ich gar nicht mehr wahr. Schade eigentlich, denn ohne diese Fragen wären mir viele Momente gar nicht bewusst geworden und verloren gegangen. Und da gehören gar nicht nur die schönen Erfahrungen dazu. Auch Unangenehmes oder Sperriges lohnt es sich oft noch einmal genauer zu betrachten. Warum wohl hat der Herr am Schalter so gereizt reagiert? Und warum war die Stimmung so mies, als ich ins Büro gekommen bin?

Dinge wieder bewusster wahrnehmen, sie mir nochmal durch den Kopf gehen lassen – wie in Zeitlupe. Sie bedenken, wertschätzen oder mit gutem Grund zur Seite legen. In dem Buch mit den Wahrnehmungsfragen hieß es, dass man das ganz gut üben kann, das bewusste Wahrnehmen. Und dann wirkt es wie eine sanfte Bremse im Leben, und die tut mir einfach gut.

* Das Buch, aus dem die Wahrnehmungs-Übung stammt, ist von Susanne Niemeyer und heißt „100 Experimente mit Gott“, erschienen im Herder-Verlag, Freiburg, S. 142f.

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29FEB2024
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Ein Freund hat mich um Rat gefragt. Er hat eine tolle Stelle angeboten bekommen, bei der fast alles gepasst hat: ein sympathischer Chef, eine reizvolle und überschaubare Aufgabe, ein schöner Arbeitsplatz und ein nettes Team. Nur eine Sache hat ihn gestört: dass er so weit fahren muss.

Ordensleute sind Spezialisten in so was. Sie haben ihre Wege sogar extra verlängert, obwohl in so einem Kloster doch alles schön eng beieinander liegt. Die Mönchszelle, die Kirche, der Speisesaal – meistens ist alles in einem Gebäudekomplex untergebracht. Aber genau deshalb haben die alten Mönche den Kreuzgang erfunden. Der liegt meistens im Zentrum eines Klosters - eine Art quadratisch angelegte überdachte Wandelhalle, in der Mitte befindet sich meistens ein Garten oder ein Brunnen.

Wenn ich als Mönch von meiner Zelle in die Kirche möchte - und das ist auch heute noch so - dann muss ich durch den Kreuzgang. Möchte ich von der Kirche in den Speisesaal, muss ich wieder durch den Kreuzgang. Der Kreuzgang war so etwas wie eine künstlich angelegte Extrastrecke. Auf heute übertragen: ein extra langer Pendelweg.

Als mein Freund davon gehört hat, hat er sich etwas unschlüssig am Kopf gekratzt und gesagt: „Die sind aber schön blöd. Die machen sich ja unnötig das Leben schwer.“

Die meisten Mönche haben das wohl anders empfunden. Sie haben den Kreuzgang ja bewusst so angelegt. Denn sie wollten eben nicht hopplahopp vom Studieren zum Beten übergehen oder vom Beten zum Essen. Sondern sie haben den Weg zwischen den Gebäudeteilen für etwas genutzt: Sie haben sich von der einen Situation gedanklich verabschieden können und sie noch einmal Revue passieren lassen. Und dann haben sie sich auf ihre neue Aufgabe eingestellt. Sie waren überzeugt, dass man so bewusster leben kann.

Auf meinen Freund übertragen könnte das heißen: Nutze die Fahrstrecke, um dich morgens gedanklich von zuhause zu verabschieden. Lass dir nochmal deine Familie oder Nachbarn durch den Kopf gehen, wünsche ihnen vielleicht alles Gute für das, was heute für sie ansteht. Und dann beschäftige dich schon einmal mit dem, was dich im Büro erwartet. Hol dir die Gesichter deiner Kolleginnen vors innere Auge, überlege dir, welches deine ersten Aufgaben heute sind, und was du heute Abend geschafft haben möchtest.

Das Pendeln dazu nutzen, um bewusster zu leben – das ist eine uralte aber schlaue Idee. Und darauf muss man erst mal kommen.

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28FEB2024
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Dafür sind „die Deutschen“ ja berühmt-berüchtigt –  oder ist es nur Satire? Dass sie schon frühmorgens aus dem Hotelbett am Strand aufstehen, zum Strand oder zum Pool laufen und dort schon mal einen Liegestuhl besetzen: Handtuch drauf oder so… Und dann geht’s erst mal zurück ins Bett oder ans Frühstücks-Buffet; der Liegeplatz an der Sonne ist ja gesichert.

An diese Unsitte hat eine Kollegin gedacht,  als sie das Evangelium dieses Mittwochs aufschlug:  „Damals kam eine Frau mit ihren Söhnen zu Jesus  und fiel vor ihm nieder, weil sie ihn um etwas bitten wollte. Er fragte sie: Was willst du?  Sie antwortete: Versprich, dass meine beiden Söhne in deinem Reich  rechts und links neben dir sitzen dürfen.“

Ja gut – im Himmel rechts und links vom Chef sitzen –  das ist deutlich mehr als Handtuch auf die Sonnenliege für heute. Aber auch da geht es darum, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Sich selbst oder die Ihren in Sicherheit zu bringen. Ist doch eigentlich toll, dass diese Helikopter-Mutter  für die Söhne so weit vorausdenkt – und sich selbst dabei vergisst!? Aber da ist sie bei Jesus an den Falschen geraten. „Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet.  … den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe  nicht ich zu vergeben;  „Dort werden die sitzen, für die mein Vater diese Plätze bestimmt hat.“

Was er eigentlich auch sagen könnte: Die Sicherheit, die ihr da sucht, das ist eine falsche Sicherheit. So weit im Voraus – und dann auch noch gleich die Plätze ganz oben wollen: Keine gute Idee –  und außerdem wäre doch die Gegenwart viel wichtiger.

„Als die zehn anderen Jünger das hörten,“ wird weiter erzählt,  „wurden sie sehr ärgerlich über die beiden Brüder.  Und Jesus sagte zu ihnen: Ihr wisst, dass die Mächtigen ihre Macht über die Menschen ausnutzen. Bei euch soll es anders sein: wer bei euch groß sein will,  der soll euer Diener sein…“

Das gilt – und es hätte auch schon immer für die Kirche gelten müssen: Stellt die Anderen in den Vordergrund; kümmert euch; sorgt für sie. Das schafft wirkliche Sicherheit – auch für eure eigene Zukunft im Himmel; weil auf Gottes Seite steht, wer für die anderen Menschen da ist. Ganz ohne Badetuch auf Sonnenliege: Wer Gott so vertraut, schafft einen wirklichen Platz an der Sonne –  für die anderen und für sich selbst auch.

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27FEB2024
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Beim Zweiten Vatikanischen Konzil haben Bischöfe und Papst  vor mehr als sechzig Jahren darüber beraten, ob der Mensch frei ist;  jedenfalls so frei, sich für eine Religion zu entscheiden,  solange sie oder er dem eigenen Gewissen folgt…. Wir nennen das heute „Menschenrecht auf Religionsfreiheit“.  Ein Kardinal aus der ganz konservativen Blase hat damals spitz erklärt:  Von Menschenrechten liest er nichts in der Bibel. Punkt. Er wäre besser mal in sich gegangen – bzw. in die eigene Bibel.

Da ist zwar nie das Wort „Menschenrechte“ zu finden –  und von „Menschenwürde“ ist auch keine Rede. Aber schon gleich am Anfang ist doch davon die Rede: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild“, steht da;  Menschenrechte und Menschenwürde von Gott gegeben  heißt das modern gedacht. Jeder Mensch von Gott beauftragt  zum Leben und zur Sorge für die Schöpfung:  Wer so in sich geht und auch nach außen aktiv wird,  wäre schon auf dem richtigen Weg.

Nach Gottes Bild geschaffen und zum Leben gerufen;  das ist und bleibt Menschenwürde und Menschenrecht,  auch wenn rechte Menschen glauben, sie könnten da sortieren nach irgendwelchen Bio-Eigenschaften, nach Blut und Boden, nach Bildung oder Besitz oder was auch immer.

Deswegen finde ich wichtig,  dass so viele christliche Menschen und Gruppen  aus sich herausgegangen sind und weiter -gehen,  dass sie auf Straßen und Plätzen sozusagen außer sich geraten, dass sie mitgehen und mitdemonstrieren mit vielen anderen.  Dass sie die Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa und überall auf der Welt aufrütteln wollen.

Bischof Stephan Ackermann stand  mit zehntausend Demonstrantinnen und Demonstranten  vor der Porta Nigra in Trier und sagte den SWR-Kollegen ins Mikro:  Er ist froh, „dass die Mehrheit eben nicht schweigende Mehrheit ist, sondern dass sie sich zeigt und auftritt  gegen die, die Demokratie und Menschenrechte mit Füßen treten“ –  und dass er dafür auch gern selbst auf die Straße geht.

Doch doch – von Menschenrechten und Menschenwürde  findet sich ziemlich viel in der Bibel. Das ist nämlich auch ein richtig politisches Buch –  und zwar für alle.

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26FEB2024
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Manchmal ist ja der Name Programm –  und im fünften Jahrhundert war das schon ganz sicher so. Um 435 wurde ein relativ junger Mann Bischof von Karthago in Nordafrika; Der hieß Quodvultdeus – übersetzt bedeutet dieser Name: Was Gott will. Und sehr überzeugt, dass er Gottes Willen tut,  waren Quodvultdeus und seine Leute in Opposition  gegen die Besatzung durch die feindlichen Vandalen. Deshalb wurden sie zusammen auf alten Schiffen  ins Mittelmeer hinausgetrieben.

Das Elend ist also noch viel älter als ich dachte: Flüchtlinge, an den Küsten von Tunesien Marokko Algerien auf Schrott-Boote oder kaputte Schlauchboote gezwängt und auf den Weg nach Norden geschickt – mit miserablen Aussichten, heil in einem Land anzukommen, das sie dann auch noch aufnimmt! Ich würde bezweifeln, dass Gott das so will. Heute so wenig wie damals.

Immerhin: damals ist Quodvultdeus die Landung in Kampanien gelungen.  Gottgewollt kommt also nach Neapel, und da hat der Bischof ihm Asyl gewährt. Seltsam, finde ich, dass das mit dem Asyl auch für die Zeit schon erinnerungs-würdig scheint. Schließlich kommt Quodvultdeus sozusagen aus dem Inland,  aus der afrikanischen Provinz, ist wahrscheinlich sogar römischer Staatsbürger. Verjagt oder auf der Flucht vor den Eroberern. Aber klar: kommt aus einer anderen Gegend,  bringt womöglich fremde Glaubens-Sätze mit. Denn konfessionelle Kämpfe gibt es schon vor anderthalb tausend Jahren.

Übrigens auch im Stammland, auch in Neapel.  Quodvultdeus beteiligt sich. Und da kommen mir Zweifel, ob er seinem Namen da immer noch Ehre antut –  oder ob er ihn in Wirklichkeit Lügen gestraft hat. Ob Gott das wirklich gewollt hat: Dass Christenmenschen einander vorwerfen, die jeweils andere Seite glaube das Falsche;  und dass sie deswegen manchmal auch zur Gewalt greifen?  Auf keinen Fall!

Allerdings: die Grundfrage des Konfliktes damals stellen manche sich auch heute wieder. Braucht der Mensch Gottes Gnade – oder ist er von selbst gut und heil und kommt mit ein bisschen eigener Anstrengung auch so in den Himmel?  Ich glaube einfach beides: Ja, im Grunde ist der Mensch gut; und ja, der Mensch soll und darf sich anstrengen,  damit sie oder er selbst gut wird und Menschheit und Welt insgesamt besser. Und alles Bemühen, alle Anstrengungen nimmt Gott liebevoll auf und verspricht, alles zu einem besseren Ende zu führen.

Das nenne ich Gnade – und das ist, glaube ich,  was Gott will – quod vult Deus also.

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24FEB2024
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Wie oft höre ich den Satz: „Und denken Sie nur – so ´was passiert mir in der eigenen Familie!“ Das sind Geschichten von Streit, Neid und Missgunst. Ältere gegen Jüngere. Bruder gegen Bruder, Schwestern gegen Schwestern. Familie kann - aber muss nicht ein Ort des Friedens sein.
So steht es schon in der Bibel: Es beginnt mit dem ersten Brüderpaar, mit Kain und Abel, und hört nicht mehr auf. Die Söhne Noahs stellen ihren Vater bloß; im Kampf um den alten Abraham kracht es zwischen Sarah und Hagar ganz gehörig, die Zwillinge Esau und Jakob streiten um ihr Vorrecht der Erstgeburt. Und auch unter den Jüngern um Jesus gibt es Zoff: Eifersucht und Rangstreitigkeiten. Es kommt sogar zum Verrat. Keine heile, heilige Familie in Sicht. Auch nicht unter Menschen, die mit dem Friedensbringer Jesus unterwegs sind.

Für mich heißt das: Es gibt nicht von selbst eine heile Community. In der Familie nicht und auch nicht außerhalb davon. Das ist für den eigenen Familienkrach entlastend: Es ist nicht nur bei mir so.

Andererseits wirft das doch die Frage auf: Wenn denn Blutsverwandtschaft keine Garantie für ein friedliches Miteinander ist, wie kann das denn anders werden? Dafür braucht es offenbar klare Regeln. Für eine Kultur, die Streit und Kriege dämpfen kann.

Für mich sind dafür richtungsweisend die 10 Gebote, die Mose auf dem Berg Sinai empfangen hat. Und die Weisungen, die von Jesus überliefert sind.

Sie immunisieren nicht gegen Streit und Gewalt. Aber sie orientieren, geben mir einen Bezugsrahmen für eine andauernde erzieherische Arbeit an mir selber. Auch wenn ich in mancher Hinsicht nur schwer erziehbar bin, kann ich noch lernen:
Ich muss nicht andere beneiden, schlecht von ihnen sprechen, mir Vorteile und Gut aneignen, das mir nicht gehört. Auf dem Weg zum Frieden kann ich auch einmal nachgeben. Ich muss nicht der Erste sein, sondern kann mich auch einmal hinten anstellen und der Letzte sein.

Und wenn es nicht gelingt? Dann soll ich für meine Fehler Verantwortung übernehmen. Dazu stehen. Nicht wie Kain: Der schlägt seinen Bruder tot und als ihn Gott zur Rede stellt, reagiert er so, als hätte es mit ihm nichts zu tun: „Bin ich denn meines Bruders Hüter?“
Verantwortung abweisen und Schuld nicht anerkennen, verlängert die Kette von Untaten und Unfrieden. Wo ich aber Fehler eingestehe, kann ich neue Wege beschreiten.

Unterwegs zu jener verlockenden Vorstellung aus Psalm 133:
„Siehe. Wie schön und wie lieblich ist es, wenn Brüder in Eintracht beieinander wohnen.“ Ein friedvolles Wochenende, mit wem immer Sie unterwegs sind.

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23FEB2024
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Jeden Tag lese ich morgens die Losung der Herrnhuter Brüdergemein(d)e: ein Bibelwort, ein Impuls, der meinem Tag ein Licht aufsetzen soll.
Heute steht da: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne. (Psalm 22,2)
Wie kann denn so ein Wort mich heute tragen? Mir ein Licht sein?

Zieht das nicht nur runter?!  Bestärkt das nicht erst recht das Gefühl: „Ich bin einsam und verlassen.“
Wie viele Menschen schmerzt eben diese Erfahrung. Und dann steht da noch: Sogar von Gott verlassen. Der will und soll mich doch eigentlich nie im Stich lassen? Wo steckt der Trost, das Aufbauende in diesem Wort?

Bekannt ist dieses Wort aus Psalm 22 als ein Wort, das Jesus am Kreuz gesagt hat.
In seinem fürchterlichen Schmerz hat er dieses Wort herausgerufen.
Wer leiden muss, hat also einen Leidensgenossen an seiner Seite – und zwar keinen geringeren als Jesus, den Sohn Gottes. Leidende sind also im Leid gerade nicht allein.
Ist das ein Trost? Ja, das tröstet mich, das durchbricht mein Empfinden, im Schmerz und in der Einsamkeit verlassen zu sein.
Viele hören in Jesu Wort vom Kreuz nur die pure Enttäuschung über eine gottverlassene Welt voller Gewalttaten. Und die anklagende Frage: „Warum lässt DU das zu, Gott? “

Doch mich erreicht in diesem Wort noch eine andere Dimension.
In der Passionsgeschichte ist dieses Wort von Jesus gerade nicht das letzte Wort.
Gottes Geschichte mit Jesus geht weiter.
Er hat ihn nicht im Stich gelassen, sondern auferweckt – neu ins Leben gerufen.
Also gerade kein Ende.
Wo wir denken, es ist alles aus und vorbei, da wendet sich das Blatt. Von Gott her.
So steht es auch in dem Psalm, von dem Jesus am Kreuz nur die ersten Worte ausruft:
Gott erhört die Schreie der Leidenden. Und hilft ihnen heraus. So wie er auch in früheren Zeiten Menschen aus Not und Knechtschaft und Verfolgung herausgeholfen hat. So hilft er auch uns! (V.5+6)

Der Anfang eines Psalms steht für den ganzen Psalm. Und der Psalm 22 steht für eine doppelte Erfahrung: Auch noch in der tiefsten Erfahrung von Leid und Einsamkeit lebt die Hoffnung: Gott lässt mich nicht im Stich!

Ich möchte darum das Wort vom Kreuz so hören - im Licht von Ostern:
Auch wenn ich denke, ich kann nicht mehr, es ist alles unerträglich - Gott hält mich und diese Welt in seinen Händen geborgen.

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