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20MRZ2024
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In den sozialen Medien bin ich vor einiger Zeit auf ein Lied von Konstantin Wecker aufmerksam geworden. Ein junger deutscher Sänger mit Wurzeln in Burkina Faso, Ezé Wendtoin, hat es neu interpretiert. Der Text geht so:

Wenn sie jetzt ganz unverhohlen
Wieder Nazi-Lieder johlen
Über Juden Witze machen
Über Menschenrechte lachen
Dann steh auf und misch dich ein:
Sage nein!

Genau das ist es. Sage nein! Mir als Christin ist das wichtig: Nein zu Antisemitismus, zu Rassismus und zu der Menschenverachtung, die dahintersteckt. Jesus war Jude. Menschen jüdischen Glaubens sind unsere Geschwister. Darum ist es richtig, dass unter andrem an der Stiftskirche in Tübingen ein großes Banner hängt, auf dem steht „Nie wieder ist jetzt!“. Darum ist es richtig, dass der evangelische Landesbischof Gohl direkt nach dem Terrorangriff der Hamas festgestellt hat: „Antisemitismus ist Sünde. Wer Juden hasst, wendet sich gegen Gott selbst.“[1] Er hat recht: Die Ablehnung von Menschen jüdischen Glaubens darf in unserer Kirche und in unserer Gesellschaft keinen Platz haben.

Immer wieder lassen mich die Bilder des Krieges der Hamas gegen Israel erschaudern: Die Brutalität des Mordens durch die Hamas-Terroristen im letzten Oktober, das Schicksal der Geiseln, das Leid ihrer Angehörigen. Und zugleich das unsägliche Leid der Menschen in Palästina: Wie die Hamas die Bevölkerung als Schutzschild nutzt, hungernde Menschen, nicht versorgte Kranke und zerstörte Häuser und Existenzen. Und ich bete, dass all das ein Ende hat. Bald.

Und ich finde: Natürlich darf und muss man Israels Palästina-Politik kritisch betrachten. Ich sehe die Siedlungs-Politik kritisch. Und wo sind die humanitären Korridore, der konsequente Schutz der Zivilbevölkerung, die das Völkerrecht einfordert? Aber dennoch: Egal, was der Staat Israel tut oder unterlässt, Menschen jüdischen Glaubens ihre Menschlichkeit abzusprechen, sie aufgrund von ihrer Religion abzulehnen oder sie zu beschimpfen oder zu diskriminieren. Da gilt: Sage Nein!

Ich finde, jeder Christ und jede Christin ist genau dazu aufgerufen. Das ist nicht immer leicht: Eine kurze Bemerkung im Kollegenkreis, eine kleine Stichelei beim Abendessen mit Freunden. Es ist anstrengend, da immer klare Kante zu zeigen, sich angreifbar zu machen. Aber es richtig. Und leider nötig.

 

[1] Kanzelwort von Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl aus Anlass des Angriffs der Hamas auf Israel vom 15.10.2013, Quelle: https://www.elk-wue.de/news/2023/13102023-kanzelwort-zum-angriff-auf-israel (zuletzt aufgerufen am 14.2.2023)
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19MRZ2024
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Vor einiger Zeit bin ich beschwingt aus der Praxis meines Hautarztes auf die Straße getreten. Und habe mich in diesem Moment verwundert gefragt: Warum habe ich denn plötzlich so gute Laune? Es gibt ja wirklich angenehmere Beschäftigungen, als zum Arzt zu gehen! Aber trotzdem: Ich fühlte mich leicht, durchaus beschwingt. Normalerweise nicht die Stimmung, die ein Arztbesuch bei mir verbreitet.

Im Bus nach Hause habe ich darüber nachgedacht. Und bin auf eine Idee gekommen: Mein Hautarzt ist total gut darin, zuzuhören. Wenn er ins Behandlungszimmer kommt, setzt er sich mir gegenüber, meist ohne Tisch dazwischen, begrüßt mich freundlich und, Achtung, beugt sich leicht vor und legt gefaltet und mit viel Ruhe die Hände in den Schoß. Und mit all dem strahlt er aus: Ich nehme mir jetzt für Sie Zeit. Reden Sie.

Und das tut gut. All das, was er macht, signalisiert: Da ist jemand, der sich tatsächlich für mich und mein Problem interessiert. Klar, er ist ja auch Arzt. Das ist sein Beruf. Aber trotzdem: Da ist keine Hetze, diesen einen, vielleicht auch nur kurzen Moment des Zuhörens, den bekomme ich geschenkt. Auch, wenn das Wartezimmer voll ist.

Zuhören kann befreiend und heilsam sein, wenn einer den anderen wirklich wahrnimmt und sieht. Das hat auch der südafrikanische Bischof Desmond Tutu erkannt. Nach den vielen, vielen Grausamkeiten, die die Rassentrennung und Unterdrückung der farbigen Bevölkerung dort verursacht haben, ist er mit einer Kommission durch das Land gezogen. Dort durften die Opfer der Gewalt erzählen. Und Tutu und seine Leute haben zugehört. Und das ganze Land mit: Die Sitzungen wurden im Radio und Fernsehen übertragen. Es ging nicht vor allem darum, die Täter zu verurteilen. Es ging darum, den Opfern eine Stimme zu geben und die Wahrheit ans Licht kommen zu lassen. In der Hoffnung, dass so Versöhnung möglich wird. Dass die Wunden aus der so schmerzhaften Zeit der Apartheid heilen können. Dass neues Leben, neues Miteinander möglich wird. Und der erste Schritt dahin war das Zuhören.

Wenn einer dem anderen zuhört, dann tut das gut. Wenn Menschen sich gesehen und beachtet fühlen. Im Bus, auf der Heimfahrt vom Hautarzt, wird mir klar, dass auch ich im besten Fall so zuhören kann: Meinen Kindern. Meinen Schülerinnen und Schülern. Freunden. Und vielleicht auch gerade denen, die nicht meine Meinung teilen. Denn ich habe wieder mal gelernt: Allein schon Zuhören kann heilsam sein!

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18MRZ2024
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„Was mein Leben reicher macht“, so heißt eine Rubrik in der Zeitung „Die Zeit“. Leser und Leserinnen schicken eigene Texte ein und erzählen dort, was ihr Leben lebenswert macht. Und da habe ich vor ein paar Wochen Folgendes gelesen:

"Es ist nach Mitternacht, ich liege schon im Bett, als dieses mit einem Schlag in sich zusammenbricht. Nach dem ersten Schreck inspiziere ich den Schaden: Das Holz auf der rechten Seite ist gebrochen. Ich stabilisiere es mit Büchern. Eines fehlt noch, um das Bett wieder in die Waage zu bekommen. Ich lasse meinen Blick schweifen, er fällt auf die Bibel. Nach einigem Zögern lege ich sie auf den Stapel. Heißt es darin nicht: „Einer trage des anderen Last?“ Gestützt von Gottes Wort schlafe ich ein."[1]

Ist das nicht eine schöne Geschichte? Das kurze Zögern des Mannes verstehe ich: Darf man ein doch irgendwie „heiliges Buch“ so zweckentfremden? Ich finde: Ja, klar. Für uns Christen ist ja nicht das Buch an sich heilig. Es ist ein Buch. Ich arbeite tagtäglich damit. Streiche mir Sachen an. Knicke an wichtigen Stellen Eselsohren in meine Arbeitsbibel. In der Bibel erzählen Menschen, was sie mit Gott erlebt haben. Das ist eine wunderbare Quelle, um Gott nahezukommen. Aber: Heilig ist nur Gott selbst, nicht das Buch, das von ihm erzählt. Da kann es zur Not auch als Bettstütze dienen.

Und wie schön ist das Bild, das diese Geschichte in sich trägt. Der gute Mann schläft jetzt gestützt von Gottes Wort – zumindest im übertragenen Sinne. Auf die Idee ist er gekommen, weil in der Bibel steht: „Einer trage des anderen Last“ (Gal 6,2), ein Zitat aus einem der Briefe, die der Apostel Paulus an die Gemeinde in Galatien geschrieben hat. Ja, wenn wir einander beistehen, uns gegenseitig helfen, dann werden wir gestützt, ganz praktisch. Ein Stütz-Wort! Und davon finden sich noch mehr in der Bibel. Für mich ist so ein Stütz-Wort zum Beispiel folgender Vers aus einem Gebet. Darin heißt es „Du, Gott, stellst meine Füße auf weiten Raum“ (Ps 31,9). Dieses Wort erinnert mich daran, dass Gott mir viel zutraut, mir einen Freiraum schenkt, in dem ich gestalten darf. Und mir tut es gut, von diesem Zutrauen Gottes zu mir zu wissen. Noch ein Stütz-Wort.

„Dein Wort ist meines Fußes Leuchte“, heißt es in einem anderen Psalm (Ps 119,105). Nach dieser Geschichte könnte man das ja fast abwandeln in „Dein Wort ist meines Bettes Stütze!“ Auch wahr, irgendwie. Und in diesem Sinne: Schlafen Sie gut heute Nacht! Gestützt von Gottes Wort.

 

[1] Aus: Die Zeit. Entdecken, „Was mein Leben reicher macht“, 4.1.2024, S.56.

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15MRZ2024
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Lucy glaubt nicht an Gott. Lucy ist meine Freundin und sie fragt mich: „Anna, wie fühlt sich das an?“ Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Also versuche ich es erstmal mit den klassischen Vergleichen und erkläre Lucy: „Gott ist für mich wie ein guter Vater oder wie eine liebevolle Mutter“. Aber egal wie gut der Vergleich ist, am Ende hinkt er immer. Und meine Worte fühlen sich seltsam hohl an. Also versuche ich es damit: „Gott ist wie ‚zu Hause ankommen‘ oder wie ‚ein wahrer Freund‘.“ Aber auch das trifft es nicht wirklich. Denn Gott ist unendlich viel mehr als das, was ich von ihm denke. Für das Wichtigste in meinem Leben fehlen mir die richtigen Worte. Das ist frustrierend.

In dieser Zwickmühle hilft mir die Geschichte vom „Goldenen Kalb“ aus der Bibel:

Moses und das Volk Israel sind auf ihrer langen Reise durch die Wüste. Eben hat Gott sie aus der Sklaverei in Ägypten befreit und jetzt geht Moses auf den Berg Sinai. Er will mit Gott sprechen, während der Rest der Reisetruppe unten warten muss. Und sie warten lange. Denn Moses kommt einfach nicht zurück. Da werden die Israeliten ungeduldig und müssen etwas tun. Bei dem unsichtbaren Gott, der so lange auf sich warten lässt, halten sie es einfach nicht mehr aus. Sie beschließen, selbst zu handeln. Also gießen sie sich ein goldenes Kalb und fangen an, es anzubeten und zu feiern. Sie holen Gott zu sich herunter, in das, was sie sehen und verstehen können.*

Ich glaube, hin und wieder versuche auch ich Gott in eine Form zu gießen. Zum Beispiel, wenn ich Gott in die schönsten Vergleiche zwängen will, um ihn für Lucy und mich verstehbar, ja irgendwie handfest zu machen. Aber mein Gott sprengt jede Form. Er passt in keine noch so goldenen Worte. Und vielleicht befreit mich genau das. Denn wenn Gott nicht meinen Worten unterworfen ist, dann kann er auch so viel mehr sein als ich jemals sagen kann. Oder wie es an anderer Stelle im Alten Testament heißt: "Wenn wir auch viel sagen, so reicht es doch nicht aus. Mit einem Wort: Gott ist das All."**

 

*Vgl. Ratzinger, Geist der Liturgie, 19.

**Sir 43, 27.

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14MRZ2024
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„Do ut des“. Das klingt wie eine Zauberformel, ist aber Latein und heißt übersetzt: „Ich gebe, damit du gibst“. Nach diesem Grundsatz sind die Menschen in der Antike mit ihren Göttern umgegangen. Wer etwas von den Göttern wollte, der musste ihnen etwas opfern. Ein faires Tauschgeschäft sozusagen.

Das hört sich vielleicht erstmal veraltet oder naiv an, dieses „do ut des“, aber ehrlich gesagt, erwische ich mich manchmal selbst dabei. Und zwar, wenn ich zu Gott bete. Oft bitte ich Gott dann um etwas. Etwa um die Kraft, bei einem schwierigen Gespräch ruhig und verständnisvoll zu bleiben.

Dabei ist mir aufgefallen: Ich bete oft so, als könnte ich Gott überreden. Wenn ich nur genug bete oder Gott einen guten Deal vorschlage, dann wird er sich schon breitschlagen lassen. Wenn mein Gebet aber nicht erhört wird, muss ich wohl etwas falsch gemacht haben. Dann habe ich nicht genug geleistet.

Psychologen und Pädagogen haben herausgefunden, dass sich der Glaube in Stufen entwickelt. Das „Do-ut-des“ ist dabei typisch für eine der Anfangsstufen, in der man sich Gott wie eine Art Handelspartner vorstellt. Viele Menschen glauben: Ich kann Gott beeinflussen und für meine Wünsche in Anspruch nehmen. Dafür bin ich aber auch auf Gott angewiesen und muss ihn zufriedenstellen.

Dahinter steckt ein großer Sinn für Gerechtigkeit und das Vertrauen in ein Prinzip, das in unserem Leben grundsätzlich gilt: Wer gibt, soll auch bekommen und umgekehrt. Trotzdem ist es ein Glaube, der noch nicht erwachsen geworden ist. Weil er sowohl Gott als auch den Menschen klein hält. Aber Gott will mich nicht klein und abhängig halten. Er berechnet nicht. Gott kann viel mehr. Und ich auch. Davon bin ich überzeugt.

Ab und zu rutsche ich beim Beten trotzdem in mein altes Muster zurück. Dann denke ich, ich müsste für Gott etwas tun. Und erst dann bin ich etwas wert. Aber ich brauche Gott nichts zu geben, damit er mich belohnt. Er verlangt von mir keine Gegenleistung. Gott liebt mich bedingungslos. Und vielleicht kann ich so auch mein Beten besser verstehen: dass auch ich mich Gott zuwende, ganz ohne Bedingungen.

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13MRZ2024
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„Seid heilig, wie Gott heilig ist!“* Und: „Liebt einander, wie Jesus euch geliebt hat!“**

Puh. Heilig sein wie Gott? Lieben wie Jesus? Das steht in der Bibel und bei so himmelhohen Ansprüchen muss ich erstmal schlucken. Wie soll ich das denn schaffen: So heilig und so voller Liebe zu sein? So überirdisch gut bin ich einfach nicht.

Da konfrontiert mich mein Glaube mit Ansprüchen, die ich gar nicht erfüllen kann. Wäre es nicht besser, wenn die Erwartungen realistischer wären? Sie würden dann viel besser zu meiner Lebenswirklichkeit passen. Statt „Liebt einander wie Jesus euch geliebt hat“, könnte es heißen: „Liebt einander, solange ihr euch miteinander wohlfühlt.“

Ich glaube aber, das würde nicht funktionieren. Denn dann wäre das, was eine Beziehung zwischen zwei Menschen sein soll, ja einfach identisch mit dem, was sie leider oft ist: also nicht ideal.

In der Bibel werden uns Ideale vorgestellt, eben zum Beispiel: „Wir sollen einander lieben wie Gott uns geliebt hat.“ Wenn ich dieses Ideal der unendlichen Liebe jetzt ändere, weil Beziehungen und Freundschaften zerbrechen, dann wäre das so, als würde ich sagen: Wir sollten aufhören, nach Gerechtigkeit zu streben, weil es immer Ungerechtigkeiten geben wird. Oder: Wir sollten nicht mehr an der Wahrheit festhalten, weil jeder Mensch lügt. Dabei ergibt all das erst umgekehrt einen Sinn: Lügen ist verpönt, weil es die Wahrheit gibt. Ungerechtigkeit wird bekämpft, weil Gerechtigkeit gut ist. Und zerbrochene Beziehungen sind deshalb so schmerzhaft, weil ich mich nach einer Liebe sehne, die kein Ende kennt.

Gerade dann, wenn alles so gar nicht ideal läuft, können mir die hohen Ansprüche aus meinem Glauben Orientierung geben. Wie zum Beispiel in der Freundschaft zu meiner ehemaligen Nachbarin. Seit ich in einer anderen Stadt wohne habe ich mich schon lange nicht mehr bei ihr gemeldet. Ich habe es nicht geschafft, eine „ideale“ Freundin zu sein. Aber ich kann ihr trotzdem eine gute Freundin sein und mir jetzt gleich das Telefon schnappen und bei ihr anrufen.

Ich glaube, genau das ist bei so hohen Idealen wie Liebe und Gerechtigkeit ganz wichtig. Sie wollen mich nicht verurteilen und klein machen, weil ich sie nicht erreiche. Sondern sie können mir ein Ziel zeigen, auf das ich mich zubewegen kann.

Liebt einander, wie Jesus euch geliebt hat! Und: Seid heilig, wie Gott heilig ist!

– das soll mich nicht überfordern. Es will mich motivieren!

 

* Vgl. Petr 1, 16.

** Vgl. Joh 15, 12.

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12MRZ2024
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Seit einem Jahr ist meine Tochter eine Königin. Und zwar auf den Tag genau. Denn heute vor einem Jahr wurde sie getauft.

Für meinen Mann und mich war dieser Tag etwas ganz Besonderes. Wir glauben beide an Gott, sind selbst als Kinder getauft worden und in der katholischen Kirche und ihrem Glauben aufgewachsen. Auch wenn unsere Tochter noch klein ist und ihren ganz eigenen Weg gehen wird, wünschen wir ihr, dass sie Gott und seine Liebe kennenlernt. Dass sie in diesen Glauben von Anfang an hineinwachsen kann. Und heute an ihren Tauftag feiert meine Tochter ihren ganz persönlichen Königinnentag. Denn als getaufte Christin ist sie Königin!

Das Wort „Christin“ kommt von „Christus“ und das stammt wiederum vom hebräischen Wort „Messias“. Das heißt übersetzt „der Gesalbte“. In der Zeit der Bibel bedeutet dieser Titel etwas ganz Besonderes, denn nur Könige wurden gesalbt und auf diese Weise direkt von Gott eingesetzt. Die Salbung war also eine Art Krönung.

Bei ihrer Taufe wurde meine kleine Tochter auch gesalbt.  Der Pfarrer hat etwas geweihtes Öl genommen, den sogenannten „Chrisam“, und vorsichtig auf ihren Kopf gestrichen. Das soll zeigen: Dieses Kind soll eine Königin sein, so wie Jesus Christus ein König ist.

Denn Jesus war ein besonderer König. Er wollte nicht über alle anderen herrschen, sondern im Gegenteil: Er wollte allen dienen. Jesus hat zu den Menschen gesagt: „Wenn wir alle in Gottes Königreich leben wollen, dann muss einer dem anderen helfen, dann müssen die Armen und Ausgestoßenen auf den Ehrenplatz sitzen. Dann muss der Kleinste unter uns der Größte sein.“

Christin oder Christ sein heißt also genau das: Eine Königin, ein König sein. Es ist nicht mehr nur einer König über alle anderen, sondern in Gott haben alle diese besondere Würde. Nur, dass Christen eben ganz andere Könige sind. Sie sollen nicht aus Macht herrschen, sondern aus Liebe dienen. Eine Demokratisierung der Monarchie könnte man das vielleicht auch nennen.

Zu ihrem ersten Geburtstag hat unsere Tochter eine bunte Geburtstagskrone geschenkt bekommen. Heute, an ihrem Tauftag, darf sie diese Krone auch wieder tragen. Nur dass sie die Krone dann nicht alleine trägt. Denn in Gottes Augen sind wir alle Königinnen und Könige.

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11MRZ2024
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Ich möchte Ihnen heute Abend eine Parabel erzählen. Sie stammt vom englischen Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton:

Zwei Freunde laufen eine Straße entlang. Sie kennen ihr Ziel und den Weg dorthin. Jedenfalls glauben sie das. Denn plötzlich steht mitten auf der Straße ein Zaun. Für den einen Freund ist die Sache völlig klar: „Der Zaun muss weg, denn er versperrt uns den Weg!“ Der andere Freund erklärt: „Wir dürfen den Zaun nicht einfach einreißen. Wir wissen ja gar nicht, warum er dort steht. Was, wenn die Straße dahinter unpassierbar geworden ist? Oder wenn der Weg im Nirgendwo endet? Es muss einmal einen guten Grund für diesen Zaun gegeben haben. Die Frage ist nun: Besteht dieser Grund bis heute?“

Soweit die Geschichte.

Es gibt Zäune, bei denen wir nicht mehr wissen, warum sie da sind. Zum Beispiel, wenn es um das Verbot der Sterbehilfe geht. Eigentlich war der Grund dafür einmal ganz klar: Jedes Leben ist kostbar. Egal was ein Mensch leistet, ob er gesund ist oder nicht – jeder Mensch hat die gleiche Würde und das gleiche Lebensrecht. Niemand darf daran rühren. Auch nicht man selbst. Auf diesen Gedanken gründet der Zaun, der das Leben jedes Einzelnen schützt.

Trotzdem geraten Menschen in Situationen, in denen sie diesen Zaun einreißen wollen. Wie zum Beispiel beim Vater meines Freundes Stefan. Bei Stefans Vater wurde eine unheilbare Krankheit diagnostiziert. Als Stefan mit seinem Vater darüber sprechen will, was man tun kann, damit er später einmal gut versorgt ist, lehnt sein Vater entschieden ab. Er sagt: „Darüber musst du dir keine Gedanken machen. Wenn es so weit ist, falle ich dir nicht zu Last. Dann beende ich mein Leben selbst.“

Ich glaube, Stefans Vater kann das nur deshalb so selbstverständlich sagen, weil der Zaun, der das Leben schützt, schon längst durchbrochen worden ist. Zumindest gesellschaftlich: In der Schweiz ist die Sterbehilfe erlaubt, und auch in Deutschland wird über eine Neuregelung nachgedacht.

Ich möchte auf keinen Fall über fremde Schicksale und Entscheidungen urteilen. Aber ich mache mir Sorgen, wohin der Weg führt, wenn der Wert des Lebens verhandelbar ist. Wenn das Leben jedes Einzelnen nicht mehr unumstößlich in seiner Würde umzäunt ist.

In Chestertons Parabel geht es nicht darum, jeden alten Zaun einfach hinzunehmen. Aber bevor ich mich über eine Grenze hinwegsetze, muss ich verstehen, warum sie da ist. Dazu muss ich innehalten und mir Zeit nehmen, den Zaun zu verstehen.

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08MRZ2024
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Um das Krankenhaus in unserer Stadt steht es schlecht. Wie auch bei anderen Kliniken in unserem Land heißt es, dass wohl nicht „wirtschaftlich genug“ gearbeitet wurde, und darum steht nun eine Schließung im Raum. Die Menschen unserer Region sorgen sich natürlich um den Bestand des Krankenhauses. Wo soll es hingehen, wenn ein Notfall vorliegt? Die nächsten Krankenhäuser sind eine halbe Stunde entfernt. Vor allem aber setzt die ganze Situation den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Krankenhauses zu. Denn sie haben nicht einfach einen Job, mit dem sie Geld verdienen, sondern sie haben einen Beruf und Arbeitsplatz gewählt, für den man, glaube ich, wirklich berufen sein muss. Und sie sind eine Gemeinschaft, die an ihrem Krankenhaus für die Menschen ihrer Region da sein wollen. Sie sind hier zu Hause. Ich bewundere die Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte, die in unserem Krankenhaus arbeiten. Wechselnde Patienten, Schichtarbeit, aufgeregte Angehörige. Da ist oft viel unausgesprochene Angst und Anspannung im Raum, die insbesondere die Schwestern und Pfleger auffangen. „Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden!“ (Röm 12,15) heißt es einmal in der Bibel - und Menschen mit diesen Berufen leben das meiner Erfahrung nach jeden Tag. Sie schenken den Patientinnen und Patienten Trost bei einer schweren Diagnose, geben Halt vor einer anstehenden Operation, freuen sich, wenn die Entlassung ansteht und es endlich nach Hause geht. Sie nehmen sich trotz großen Zeitdrucks Zeit für Ihr Gegenüber und müssen gleichzeitig auf sich selbst aufpassen und die nötige Distanz wahren. Und trotzdem arbeiten sie jeden Tag neu mit Geduld, Liebe und großer Fachlichkeit und stellen sich dem, was das Leben ihnen zuträgt und manchmal auch zumutet. Die größte Zumutung ist für mich aber die Diskussion über die Wirtschaftlichkeit. Sie führt zu einer enormen Anspannung unter den Mitarbeitern, die immer wieder ihr Bestes geben. Ja, ein Krankenhaus rechnet sich manchmal nicht, weil in den Strukturen etwas nicht stimmt. Aber damit ein Mensch gesund wird, braucht es Zeit, eine gute Umgebung und verlässliche Zuwendung. Das wusste auch schon der barmherzige Samariter, als er den unter die Räuber gefallenen Mann in biblischen Zeiten in einem Gasthaus zur Pflege gebracht hat und dafür dem Wirt gleich Geld hingelegt hat. Vielleicht sollten wir als Gesellschaft öfters miteinander überlegen, wo und wofür wir Geld investieren.

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07MRZ2024
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Im Garten meines Elternhauses steht eine mächtige Kastanie. Im Moment ist der Baum noch ganz kahl, es dauert noch ein paar Wochen, bis er ausschlägt. Und doch ist diese Kastanie für mich ein ganz besonderer Baum. Vor über vierzig Jahren bin ich in diesem Baum als Kind herumgeklettert. Ich habe mir in seinen ausladenden Ästen einen Platz gesucht, um von dort die Umgebung zu beobachten und über Gottes Schöpfung zu staunen: Die Vögel, die am Horizont ihre Kreise zogen, die vorbeifliegenden Wolken am Himmel, die unterschiedlichen Stimmen der Nachbarn und Fußgänger. Stundenlang habe ich hoch über der Erde zwischen den Zweigen gesessen und dabei so manches Mal die Zeit aus den Augen verloren. Wie viel Leben in diesem Baum steckte! Da waren verschiedene Insekten auf dem Stamm zu entdecken, es gab ein Vogelnest, in dem die Jungen versorgt wurden - ganz abzusehen von den vielen herrlichen Kastanien im Herbst. Was man daraus nicht alles basteln konnte! Männchen, Ketten, kleine Kunstwerke. Dieser Baum ist auf eigene Weise mein Zuhause, auch heute noch. Wenn wir nun mit unseren Kindern in den Ferien bei meinen Eltern sind, freut es mich zu erleben, dass sie diesen herrlichen Baum für sich genauso entdeckt haben, wie ich es einst getan hatte. „Hörst Du die Bienen, Mama? Das klingt wie ein großes Orchester! Schau, wie groß die Blätter sind!“ Bei jedem Besuch muss als Erstes der Baum besucht und begutachtet werden. „Opa, der Baum ist so groß wie ein Haus! Und auf jeder Etage ist Leben!“ Als mein Vater das hörte, hat er gelacht und sagte: „Ja, jetzt ist der Baum so groß wie ein Haus, mit ganz viel Leben darinnen. Gott hat ihn wachsen lassen, durch ihn ist er so groß geworden. Er war einmal so klein, dass ich ihn in meinem Rucksack von einer Klassenfahrt im Teutoburger Wald mit nach Hause gebracht habe. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass in diesem winzigen Bäumlein einmal meine Kinder und Enkelkinder sitzen würden.“ Es ist erstaunlich, was Gott uns in unserem Leben schenkt und was er wachsen lässt. Und darum freue ich mich schon jetzt darauf, wenn in wenigen Wochen die Kastanie nach den langen Wintermonaten wieder ausschlagen wird und auf ganz eigene Weise von Gottes Schöpfungskraft zeugt.

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