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SWR2 Wort zum Tag

Gerechter Lohn - der wird auch heute wieder von den Gewerkschaften in zahlreichen Veranstaltungen gefordert. In Warnstreiks, Streiks und langwierigen Tarifverhandlungen mit privaten und öffentlichen Arbeitgebern wird immer wieder darum gerungen, dass gute Arbeit auch entsprechend bezahlt wird. Das ist auch notwendig. Es ist ungerecht, wenn der Lohn für Arbeit hohen Gewinnen nicht annähernd entspricht. Es ist schwer nachzuvollziehen, wenn die Erhöhung der Löhne nicht wenigstens einen Inflationsausgleich bringt. Es ist nicht akzeptabel, dass Frauen für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen. Es ist nicht in Ordnung, wenn tarifliche Vereinbarungen durch Leiharbeit bewusst umgangen werden, um den Gewinn zu maximieren. Es ist ein Unding, dass immer mehr Menschen voll arbeiten, aber dann so wenig verdienen, dass es für ein menschenwürdiges Leben einfach nicht reicht. Das Verhältnis von Gewinn, Arbeit, Lohn und Auskommen muss gerecht gestaltet werden!
Im Matthäusevangelium erzählt Jesus eine Geschichte, in der es um gerechten Lohn geht: Ein Weinbergbesitzer stellt früh am Morgen Leute für die Weinlese ein. Er handelt mit ihnen einen Tarif aus und schickt sie in seinen Weinberg. Bald merkt er, dass die Arbeitskräfte nicht ausreichen und stellt noch mehr Leute ein. Im Laufe des Tages wiederholt sich das noch dreimal, zuletzt erst eine Stunde vor Feierabend. Dann werden die Löhne ausgezahlt - und alle bekommen den gleichen Lohn. Kein Wunder, dass die, die den ganzen Tag über in der Hitze geschuftet haben, murren. Man kann die Murrenden verstehen: Muss nicht auch der Lohn einer erbrachten Leistung entsprechen? Der Weinbergbesitzer verweist aber auf den ausgehandelten Lohn und fragt einen von ihnen: Bist du neidisch, weil ich gütig bin?
Wie so oft kleidet Jesus, was er Menschen über Gott sagen will, in Geschichten aus dem Alltag. Hier bildet er die Gerechtigkeit Gottes ab. Seine Gerechtigkeit ist Güte. Durch sie wird er Menschen gerecht. Sie zeigt sich darin, dass Gott den Wert der Menschen nicht nach ihrer Leistung bestimmt, sondern sich ihnen aus Güte zuwendet und ihnen die Liebe schenkt, die sie brauchen. In seiner Geschichte meint Jesus also nicht Regeln, die völlig verändern, was wir in der Arbeitswelt für gerecht halten, z. B. dass beim Lohn für Arbeit unterschiedliche Befähigungen und unterschiedliche Leistungen zu berücksichtigen sind, dass darum der Lohn nicht für jede Arbeit gleich sein kann. Und doch gibt Jesu Geschichte auch für die Gerechtigkeit in der Arbeitswelt einen wichtigen Hinweis: Der mit den zuerst eingestellten Arbeitern vereinbarte Lohn beträgt einen Dinar. Und das war, was eine Familie damals für einen Tag brauchte, um leben zu können. Diesen „Mindestlohn" lässt der Weinbergbesitzer dann auch denen zukommen, die nur eine Stunde gearbeitet haben. Auch sie sollen für sich und ihre Familie haben, was zum Leben nötig ist. Alle, die im Weinberg gearbeitet haben, sind für den Weinbergbesitzer Menschen mit Grundbedürfnissen, die der Weinbergbesitzer durch sein Verhalten berücksichtigt. Das ist gerecht und wird denen, die gearbeitet haben, gerecht. In diesem Sinne entspricht die Gerechtigkeit, in der Gott Menschen gerecht wird, der Gerechtigkeit in der Arbeitswelt und hat für diese Bedeutung. Auch dort geht es nur gerecht zu, wenn sich nicht nur Leistung und Lohn entsprechen, sondern mit bedacht wird, was Menschen für ein menschenwürdiges Leben brauchen. Das ist ein entscheidender Gesichtspunkt für die Diskussion über Mindestlöhne oder für die Bewertung und Vergütung der Arbeit z.B. Behinderter und nicht so Leistungsfähiger.  So ist deutlich: Auch in der Arbeitswelt muss sich Gerechtigkeit mit „Güte", das heißt mit sozialer Verantwortung verbinden, wenn es in ihr menschlich zugehen soll.

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SWR2 Wort zum Tag

Bei der Arbeit erlebt man Beides: Lust und Last. Meinen Beruf als Pfarrer würde ich wieder wählen. Er war für mich „Berufung", und ich habe ihn gerne ausgeübt. Die Arbeit in ihm war Lust! Manchmal haben mich Misslingen und die Mühe bei meinem Tun aber nur noch müde gemacht. Dann wurde die Arbeit zur Last. Sie war für mich aber immer mehr Lust.
In der modernen Arbeitswelt gibt es allerdings Tätigkeiten, die man nur schwer als „Berufung" erkennen kann. Sie werden von Menschen überwiegend als Last empfunden. Diese Last wird besonders groß, wenn für eine solche Arbeit nicht einmal ein gerechter Lohn bezahlt wird. Da vergeht einem die Lust an der Arbeit. Es kann ähnlich sein, wenn Anerkennung für das, was man täglich tut, ausbleibt; man hat dann leicht den Eindruck, dass nicht nur dem, was man tut, sondern auch einem selbst Wertschätzung vorenthalten wird. Aber die meisten Menschen arbeiten gerne in ihrem Beruf und erleben, was sie tun, durchaus als Lust.
Arbeit als Lust und als Last - auch in der Bibel gibt es beides: In der Schöpfungsgeschichte werden die ersten Menschen beauftragt, Gottes Garten zu bebauen und zu bewahren. Auch für Jesus ist Arbeit selbstverständlich. Immer wieder benutzt er in seiner Verkündigung Bilder aus der Arbeitswelt. Menschsein und Arbeit gehören zusammen. Luther hat es in ein schönes Bild gebracht: der Mensch sei zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen. Und mit seiner Arbeit könne der Mensch eine von Gott gegebene Aufgabe mit Lust erfüllen. - Die Bibel leugnet aber auch nicht die Last. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, heißt es gleich am Anfang der Bibel, wenn von der tiefen Störung in der Schöpfung und im Leben des Menschen berichtet wird. Arbeit macht Mühe, kostet Kraft. Sie kann misslingen, und ihr Ertrag kann weit hinter dem zurückbleiben, was man eingesetzt hat. Man kann sie auch verlieren! Und das alles wird dann zur Last.
Allerdings: die Arbeit ist nicht alles. So sehr sie zum Menschen gehört, - sie bestimmt nicht den Wert des Menschen, und der Sinn seines Lebens geht nicht in ihr auf. Das widerspricht zutiefst der Aussage von Karl Marx: Der Mensch ist das, was er in seiner Arbeit aus sich macht. Wert und Sinn des Lebens hängen zuletzt weder von der Lust bei der Arbeit noch von ihrer Last ab, sondern von Gottes Ja zu uns.

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SWR2 Wort zum Sonntag

Wir brauchen den Sonntag. Er unterbricht den Rhythmus des Alltags. Er kann ein Raum der Ruhe sein, in dem man die Arbeit lassen und sich von den Zwängen des Alltags frei fühlen kann. Er schafft Zeit für die Familie, für die Pflege von Freundschaften, für Lesen und Wandern, für Musik und Feste und vieles Andere, das in der Woche zu kurz kommt. Und natürlich: Er macht es auch möglich, dass sich die christliche Gemeinde versammeln, gemeinsam hören, beten, singen und Gemeinschaft erfahren kann. Der Sonntag ist ein Segen!
So selbstverständlich ist das allerdings nicht. Zwar ist der Sonntag geschützt - als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung, wie es in der Sprache der Weimarer Verfassung heißt Aber viele Ausnahmen sind möglich und viele von ihnen sind auch nötig. Sie reichen vom Verkehr über die Gastronomie, über den Sport, bis zu den ärztlichen und pflegerischen Diensten. In der Industrie werden aus technischen oder auch aus Gründen des Wettbewerbs manche Maschinen sonntags nicht angehalten, was Schichtarbeit zur Folge hat. In den meisten Großstädten gibt es die verkaufsoffenen Sonntage. Für viele Menschen ist der sonntägliche Einkaufsbummel zu einem Freizeitvergnügen geworden. Hier sehen die Kirchen die Gefahr, dass das menschenfreundliche Kulturgut des Sonntags immer mehr verloren geht.
Mit einem bemerkenswerten Satz hat sich Jesus zum Ruhetag geäußert. Die Jünger waren hungrig und hatten unterwegs einige Ähren abgerissen und die Körner gegessen, was erlaubt war. Dennoch wurde das heftig kritisiert. Denn die Jünger haben ihren Hunger auf diese Weise am Sabbat gestillt. Jesu Antwort auf die Kritik war: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. Der Sabbat für den Menschen! Er tut Menschen gut; sie brauchen ihn. Damit nimmt Jesus auf, wie im Alten Testament der Ruhetag gesehen wird:
Am 7. Schöpfungstag ruhte Gott, heißt es in der Schöpfungsgeschichte. Gott hat seine Schöpfung damit vollendet, dass er das Geschenk der Ruhe in sie gegeben, und Menschen sollen an ihr teilhaben. Das heißt dann, dass Arbeit erst vollständig ist, wenn sie von Ruhe immer wieder abgelöst wird.
Das biblische Ruhegebot hat auch eine soziale Seite: Die abhängigen Arbeitskräfte, wehrlose Sklaven, aber auch die eigenen Kinder, Fremde, selbst die Tiere sollen am 7. Tag frei von Arbeit sein und Zeit zur Erholung finden. Diese Begründung zielt auf soziale Verantwortung vor allem für die schwächeren Glieder einer Gemeinschaft.
Der Ruhetag soll aber auch eine Erinnerung an das Grundereignis im Glauben Israels, an die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten sein, in der Israel bis heute die bleibende Zuwendung Gottes zu seinem Volk erkennt. - In der christlichen Tradition wurde aus dem Sabbat der Sonntag, der Tag der Auferstehung Christi. Sie bewirkt die Befreiung zu einem neuen Leben, zu einem Leben in Vertrauen und Hoffnung, Hoffnung auch noch gegen den Tod. So führt die Erinnerung an Befreiung durch Gott Juden und Christen zum Kern ihres Glaubens und verleiht so dem Ruhetag ein besonderes Gewicht.
Der Mensch ist aber nicht für den Sabbat gemacht! Das heißt dann: Menschenfreundliche Regelungen, nicht ein starres Gesetz sollen die Gestaltung des Ruhetages bestimmen. Was Menschen gut tut und letztlich nicht auf eine Abschaffung des Sonntags hinauslaufen würde, kann am Ruhetag auch geschehen. Der Segen des Sonntags schließt die Freiheit ein, die Freiheit, immer neu zu prüfen, wie man sinnvoll mit dem Ruhetag umgeht.

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SWR2 Wort zum Tag

Ich glaube - was sage ich eigentlich, wenn ich mich so zu meinem Christsein bekenne? Im Gottesdienst spreche ich das Glaubensbekenntnis mit. Es zählt auf, was Christen seit alters glauben:  Von Gott. dem Schöpfer ist die Rede, von Jesus Christus und seiner Geschichte, vom Heiligen Geist und dem, was er bewirkt. Manchmal legt sich mir bei dieser Aufzählung der Vergleich mit einem großen Haus mit vielen Zimmern nahe. Es ist das Haus des Glaubens, in dem ich mit meinem Glauben wohnen kann. Ich muss mich nicht in allen Räumen in gleicher Weise zu Hause fühlen. Wichtig ist aber, dass ich in diesem Haus wirklich meine Bleibe finde und meinen Platz habe. Wenn ich sage ich glaube, bekenne ich, dass ich mit meinem Leben, mit meinem Glück und meinem Leid, meinem Tun und Lassen, dem Gelingen und Versagen im Haus des Glaubens wohne, dort geborgen bin, Gemeinschaft mit anderen Bewohnern erfahre, vertrauen und hoffen kann.
Aber erlebe ich es so? Kann ich es so wirklich sagen? Es gibt doch auch Zeiten in meinem Leben, in denen ich mich unbehaust und ungeborgen fühle, von Ängsten und Zweifeln geplagt bin und Vertrauen und Hoffen einfach nicht gelingen? Was kann ich dann sagen und bekennen? - Das Markusevangelium erzählt von einem Mann, der für seinen schwer kranken Sohn Heilung bei Jesus sucht. Er findet zunächst nur die Jünger Jesu, die nicht helfen können. Dann kommt Jesus und erlebt einen schlimmen epileptischen Anfall des Sohnes mit. Mit seiner ganzen Verzweiflung bittet der Vater für sein Kind und sich selbst: Wenn du etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns! Jesus beantwortet die verzweifelten Bitte mit den Worten: Alles ist möglich dem, der da glaubt. Verlangt er damit nicht Unmögliches? Wie kann er einen solchen Glauben von einem fordern, der gerade erlebt hat, dass die Heilungsversuche der Jünger gescheitert sind. Ganz aufgeben will der Vater aber dann doch nicht. Er schreit: Ich glaube; hilf meinem Unglauben! Ich glaube - damit sagt er mehr, als er eigentlich sagen kann. Er will glauben, will den Funken Hoffnung auf Hilfe nicht zum Erlöschen bringen, bleibt aber in Wahrheit hinter dem Vertrauen, das Jesus erwartet, zurück.  Er weiß es und verbindet sein Bekenntnis darum mit der Bitte: Hilf meinem Unglauben! Mit dieser Bitte ist er sich selbst voraus und vertraut sich mit allem, was ihm fehlt, Jesus an. Und der  hilft ihm. - So kann auch ich bekennen: Ich glaube, - weil ich zugleich bitten kann: Hilf meinem Unglauben. Mit dieser Bitte finde ich meinen Platz im Haus des Glaubens, immer neu.

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SWR2 Wort zum Tag

Jeder soll nach seiner Fasson selig werden. So kann man es auf einer Anmerkung lesen, die König Friedrich II von Preußen an den Rand einer Eingabe geschrieben hat. In ihr ging es um die Frage, ob man die römisch-katholischen Schulen wegen ihrer Unzuträglichkeit nicht wieder abschaffen sollte. Der König war nicht dieser Meinung. Er schrieb: Die Religionen müssen alle toleriert werden. Man muss nur das Auge darauf  haben, dass keine der anderen Abbruch tut. Denn hier muss jeder nach seiner Fasson selig werden. Friedrich II wurde heute vor 300 Jahren geboren. Den Beinamen der Große hat er vor allem seinen militärischen Erfolgen zu verdanken, für uns nicht mehr so leicht nachvollziehbar. Aber in seiner Regierungszeit und durch ihn hat sich doch auch Manches angebahnt, was für das Leben und Zusammenleben in einem Staat große Bedeutung erhalten sollte: Man kann an seinen Versuch denken, die Leibeigenschaft und die Folter abzuschaffen, an den Bau von Schulen, in denen allerdings wenig geeignete Kriegsveteranen unterrichteten, besonders aber an die Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten und Einwanderern wie Hugenotten und Katholiken. Wobei dies allerdings in seinem durch die Kriege ausgebluteten Land nicht nur uneigennützig geschah. Er war ein absolutistischer Herrscher, aber immerhin einer, der unter dem Einfluss der Aufklärung für einen toleranten Umgang mit unterschiedlichen religiösen Überzeugungen eingetreten ist. Jeder soll nach seiner Fasson selig werden!
Lange habe ich diesen Satz nur negativ verstanden und gemeint, er sei dem christlichen Glauben nicht gemäß: Wenn alle Religionen und Glaubensüberzeugungen gleich gültig sind, ist es dann nicht gleichgültig, was ich oder ob ich überhaupt etwas glaube?  Sollen Christen aber nicht ihren Glauben bekennen, ihn Anderen gegenüber vertreten? Ja, das ist so. Wenn ich im Glauben an Gott Kraft für mein Leben im Alltag gefunden habe, werde ich, auch wenn ich manchmal zweifle und mir das Vertrauen auf Gott schwer fällt, an dem, was mir hilft, festhalten und auch von ihm sprechen wollen. Das schließt aber gerade nicht aus, Menschen mit anderen Überzeugungen und einem anderen Glauben anzunehmen, ihre Würde zu achten und zu verstehen suchen, was sie glauben und wie der Glaube ihr Leben bestimmt. - Dass Beides möglich ist, dass ich meinen Glauben leben kann, Andere aber das gleiche Recht haben und sich Menschen unterschiedlicher Überzeugungen in Freiheit begegnen können, dafür hat der Staat zu sorgen. Für ihn und seine Ordnung gilt tatsächlich: Jeder soll nach seiner Fasson selig werden!

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SWR2 Wort zum Tag

Als kleiner Junge habe ich einmal gewagt, in die katholische Kirche meiner Heimatstadt hineinzuschauen. Neugierig öffnete ich die Tür, sah den prächtigen Altar, die vielen Figuren, roch den Weihrauch - und fühlte mich in einer fremden Welt. Überdies hatte ich das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Schnell habe ich die Kirche wieder verlassen. In einer Spannung zu dieser Erfahrung der Fremdheit standen in der Schulzeit Freundschaften mit katholischen Altersgenossen, mit Klassenkameraden. Später, in der gymnasialen Mittel- und Oberstufe, haben sie mit einer ähnlichen, vom Glauben geprägten Grundhaltung mit Mitschülern und Lehrern diskutiert und haben mit ihrer Einstellung nicht hinter dem Berg gehalten. Erst später habe ich begriffen, was diese Erfahrungen in der Zeit der Kindheit und Jugend bedeuten: Das Gefühl, einer fremden Glaubenswelt zu begegnen, verändert sich, wenn man mit Menschen, die „anders" glauben, vertraut wird. Manches in der Welt, aus der sie kommen, bleibt zwar fremd, aber man entdeckt nun auch Gemeinsames, und das Fremde trennt nicht mehr. Die ökumenischen Erfahrungen während meiner Berufstätigkeit haben diese Erkenntnis erweitert. In den anderen Glaubensformen habe ich entdeckt, was meine Art, Gottesdienste zu feiern und den Glauben zu leben, erweiterte und ergänzte. Ich konnte mich bei ökumenischen Treffen, bei gemeinsamen Gottesdiensten einfühlen in nicht so vertraute Formen, mich an ihnen beteiligen und dabei eine tiefe Gemeinschaft mit denen erleben, die „anders" glauben. Ich begriff, dass wir einander in der Begegnung und auf der Ebene der Erfahrung ganz nahe sind und alles Trennende vergessen können.
Dürfen  wir das Trennende vergessen? Es gibt doch die Unterschiede bei dem, was wir und wie wir glauben! Können wir die Frage, was richtig oder falsch ist, also die Frage nach der Wahrheit des Glaubens einfach ausblenden! Für evangelische und katholische Christen ist es besonders das Verständnis der Kirche,  bei dem deutliche Unterschiede nicht zu übersehen sind und das die Kirchengemeinschaft verhindert. Dass wir nicht miteinander Abendmahl und Eucharistie feiern können, ist besonders schmerzlich. Es ist darum nötig, dass die Theologen an solchen Fragen intensiv weiterarbeiten. Aber die Basis für diese Arbeit sollte sein, dass Gemeinschaft und Einheit in der Verschiedenheit schon erfahren wird - offenbar weil die Basis für den gemeinsamen Glauben und das Leben im Glauben vorhanden ist und nicht erst geschaffen werden muss. Auf dieser Basis kann und muss es auch bei den Unterschieden im Verständnis des Glaubens Fortschritte geben. Und die Kirchenleitungen sollten ihnen Raum geben.

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SWR2 Wort zum Sonntag

Manchmal begreift man nur über Missverständnisse und auf langen Wegen, was einem hilft und das Leben heilt. Davon erzählt eine der schönsten Geschichten des Alten Testamentes. Sie handelt von Naamann, dem Oberbefehlshaber der syrischen Armee, einem mächtigen und von seinem König hoch geschätzten Mann. So manchen Sieg hat er schon für sein Land erfochten. Auch gegen Israel hat er gekämpft. Dieser mächtige Mann war aber nun schwer erkrankt. Er war „aussätzig", hatte also vermutlich Lepra. Die Ärzte haben ihm nicht helfen können. So resignierte er und meinte begreifen zu müssen, dass er nicht mehr gesund werden kann. Es ist ja manchmal so, nicht nur bei schwerer Krankheit, dass man in einer bedrängenden Situation die Hoffnung verliert und resigniert. - Nun lebte im Hause Naamannns ein junges Mädchen, das auf einem der Kriegszüge gegen Israel verschleppt worden war. Sie hatte Mitleid mit dem Leidenden und machte Ihrer Herrin eines Tages einen abenteuerlichen Vorschlag; d.h. sie deutet ihn an: Ach, wäre doch mein Herr bei dem Propheten in Samaria! Der könnte ihn von seinem Aussatz befreien! Man stelle sich vor: Der höchste Offizier des Landes soll in ein Land fahren, das er bekriegt hatte. Wie sollte er ausgerechnet dort Hilfe finden! War das nicht eine verrückte Idee einer unbedarften, kleinen Sklavin? Aber erstaunlich und gut: Naamann geht auf den Vorschlag ein und greift nach dem ihm dargebotenen Strohhalm. Ebenso erstaunlich: Sein König erlaubt ihm die Ausreise und gibt ihm einen Brief an den König von Israel mit. Der soll für die Heilung sorgen.

Naamann macht sich auf den langen Weg und kommt zum Hof des Königs von Israel. Als der den Brief des syrischen Königs liest, erfasst ihn blankes Entsetzen. Wer bin ich denn, dass ich heilen könnte! Bin ich denn Gott, schreit er! Sucht der militärisch überlegene Syrer etwa einen Kriegsgrund? Was für ein Missverständnis! Wie häufig sind Vorurteile und Missverständnisse zwischen Menschen mit unterschiedlichen Überzeugungen und zwischen Völkern oder Volksgruppen, die Feinde waren! Reflexartig werden böse Absichten bei Begegnungen unterstellt, und es ist schwer, eine unbefangene Einschätzung der Anderen zu erreichen. - Nun hat der Prophet Elisa hat von der dramatischen Szene am Hof gehört und fordert den König auf, Naamann zu ihm zu schicken. Der macht sich auf und kommt mit Rossen und Wagen zum Haus des Propheten. Elisa aber verlässt das Haus nicht einmal, sondern lässt ihm nur sagen: Geh hin und wasche dich siebenmal im Jordan, so wirst du heil werden. Wutentbrannt fährt Naamann mit seiner Staatskarosse davon. Er fühlt sich missachtet und hat etwas ganz Anderes erwartet: eine Begegnung mit dem Wunderheiler, statt des Bades im trüben Wasser des Jordan komplizierte Riten, die den Heilungsprozess eventuell in Gang setzen würden. Er kann es nicht fassen. Wieder sind es kleine Leute, seine Diener, die ihn umstimmen und ihn von einem grundlegenden Missverständnis befreien können - mit einem schlagenden Argument: Wenn der Prophet etwas Schwieriges von Dir verlangt hätte, hättest Du es doch getan. Warum solltest Du nicht das Einfache versuchen! Er versucht es - und wird geheilt. Natürlich eilt er jetzt zurück zum Propheten und will ihn fürstlich belohnen. Der spricht jetzt mit ihm, lehnt aber eine Belohnung strikt ab. Und jetzt geht Naamann nach vielen Missverständnissen auf: Ich musste vom Podest meiner Selbsteinschätzung und meiner Erwartungen herunter. Ich soll verstehen, dass mich nicht die heilenden Kräfte des Propheten gesund gemacht haben; Gott hat es getan. Ich kann jetzt sehen, dass ich nicht nur meine Krankheit loswerden, sondern Gott begegnen sollte und erfahren: Er macht das Leben heil; ihm kann ich, ob gesund oder krank, vertrauen. auf ihn hoffen. - Der Weg zum Glauben ist manchmal lang, und Missverständnisse sind nicht zu vermeiden. Aber gerade über sie kann es zu neuen Erfahrungen kommen, durch die man findet, was einem hilft.

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SWR2 Wort zum Tag

In einem Gedicht von Tomas Tranströmer, Nobelpreisträger für Literatur in diesem Jahr, heißt es:
Die Begräbnisse kommen / dichter und dichter / wie die Straßenschilder / wenn man sich einer Stadt nähert.
Ähnlich empfindet man es, wenn man als älterer Mensch den Friedhof besucht. Man sieht Gräber, in denen Menschen liegen, die jünger sind als man selbst. Man denkt an die überschaubare Zeit, die man nur noch haben wird. Es ist einem bewusst, dass man Vieles nicht mehr erleben wird, was die Kinder und Enkel vermutlich noch vor sich haben. - An den ersten beiden Tagen im November suchen viele Menschen den Friedhof auch, auch jüngere. Sie bringen Blumen an die Gräber ihrer Angehörigen. Sie erinnern sich und trauern über das Verlorene. Und für alle, die Älteren und die Jüngeren, wird augenfällig, dass das eigene Leben ein Ende haben und man selbst einmal in einem Grab liegen wird. Der Friedhof ist ein Ort, an dem man diesem Wissen nicht ausweichen kann. An ihm ist unübersehbar, dass das Leben endlich ist.
Das spürt man natürlich nicht nur auf dem Friedhof. Es wird einem immer wieder bewusst, wenn etwas im Leben zu Ende gegangen ist: die Zeit der Ausbildung, eine Liebesbeziehung, bei Älteren dann das Berufsleben, das unbehinderte Leben in Gesundheit. Viele dieser Erfahrungen sind schwer zu verkraften. Man muss lernen, mit ihnen zu leben. Manchmal schaut man zurück auf sein Leben, zum Beispiel an Geburtstagen, und erkennt, dass man für Vieles dankbar sein kann, dass aber auch Vieles unabgeschlossen geblieben ist, dass man so Vieles falsch gemacht hat und es nicht wieder gut machen kann.
Da kann der Friedhof noch etwas Anderes lehren: Ich denke an die Kreuze auf vielen Gräbern. Sie erinnern an das eine Kreuz, das Zeichen der Liebe Gottes zu sterblichen und höchst unvollkommenen Menschen ist. Es sagt mir, dass ich behütet und geliebt bin, wo ich mich auf der Straße meines Lebens auch befinde. Dass ich mich und mein Leben nicht selbst beurteilen muss und mit den Fragmenten meines Lebens angenommen bin. Dass es für mich ein Haus der Geborgenheit gibt, das ich nicht selbst zu bauen brauche. In ihm kann ich mich jetzt schon mit meinen Erfahrungen, meinen Ängsten, auch mit meinem Versagen bergen. In ihm darf ich, wenn das Leben zu Ende ist, endgültig wohnen. Es ist das Haus in der Stadt Gottes, das mir die Liebe Gottes gebaut hat. Der Friedhof mit den vielen Kreuzen erinnert mich auch daran und lehrt mich so, im Vertrauen zu leben.

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SWR2 Wort zum Tag

Ein Liebesgedicht beginnt mit dem Satz: Wenn du mich anblickst, werde ich schön, schön wie das Riedgras unterm Tau. (Gabriela Mistral, Scham).
Es sind Worte einer Frau, die sich nicht mag, wenn sie in den Spiegel schaut. Sie schämt sich ihres tristen Mundes, ihrer zerrissenen Stimme, ihrer rauen Knie. Aber nun findet sie sich und ihre Schönheit im Blick des Geliebten. Am Ende bittet sie den Geliebten: Senk lange deinen Blick auf mich. Umhüll mich zärtlich durch dein Wort. Im Blick des Geliebten erkennt sie, wer sie ist; in seinem zärtlichen Wort, das sie umhüllt, weiß sie sich wunderbar geborgen.
Ähnlich kann man es auch im Glauben erfahren. Luther hat diese Erfahrung so ausgedrückt:
Die Sünder sind deshalb schön, weil sie geliebt werden, sie werden nicht deshalb geliebt, weil sie schön sind.
Im April 1518 hat in Heidelberg ein großes Treffen seines Ordens, der Augustiner-Eremiten, stattgefunden. Für ein wissenschaftliches Streitgespräch, eine Disputation im Rahmen dieses Treffens hatte Luther Thesen verfasst. In der Begründung einer dieser Thesen steht der Satz von Gottes Liebe, die auch schuldige Menschen mit all ihrem Versagen erkennen lässt: Gott sieht mich mit Augen der Liebe. Was ich tue getan oder unterlassen habe, macht mich letztlich nicht aus. Ich bin, was ich im Blick der Liebe Gottes bin.
Schon 1518, also zu einem frühen Zeitpunkt in der Geschichte der Reformation hat damit Luther die Grunderkenntnis des reformatorischen Glaubens auf den Punkt gebracht. Die lautet: Ich bin mehr und etwas Anderes als das, was ich von mir selbst weiß. Ich muss mich nicht mit dem begnügen, was ich leiste oder nicht zustande bringe. Ich kann frei werden von mir selbst, von Selbstüberschätzung oder Depression. Ich habe meinen Wert und meine Würde im Urteil Gottes über mich, das ich im Blick seiner Liebe erkenne.
Und diesen Blick der Liebe kann ich sehen, wenn ich höre - höre auf die Worte der Liebe, die mir zugesagt werden. Ich kann sie mir nicht selbst sagen. In Traurigkeit über das Bedrückende, das ich erfahre, und in der Verzweiflung über mich kann ich mich nicht selbst trösten. Mut in den Widerständen des Lebens kann ich mir nur begrenzt selbst machen. Vergeben kann ich mir schon gar nicht selbst. Ich muss die Worte der Liebe hören - immer wieder. Sie helfen mir, wenn es mir schlecht geht und ich mich manchmal selbst nicht leiden kann. Sie lassen mich sehen, dass ich im Blick der Liebe Gottes bin. Darin kann ich mich bergen - mit allem, was ich von mir weiß und was mir widerfährt.

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SWR2 Wort zum Sonntag

Der Arzt sagte: Die Operation ist gelungen. Jetzt erholen Sie sich. Es wird gut werden. Die Patientin war glücklich über die Worte des Arztes. Mit großer Hoffnung auf Heilung wurde sie aus dem Krankenhaus entlassen. - So geschieht es immer wieder. Die ärztliche Kunst unserer Tage erreicht viel. Kranke wissen und erfahren es. Aber sie empfinden es dennoch manchmal wie ein Wunder, dass die bedrohliche Krankheit überwunden sein und sie tatsächlich geheilt sein sollen. Immer wieder kommt es sogar vor, dass eine Heilung wider Erwarten auch der Ärzte möglich wurde - wie durch ein Wunder. Man weiß dann: Zeit, das Leben wurde einem neu geschenkt.
Geheilt werden - das hofft man immer, wenn man krank ist. Krankheit verändert ja das Leben, manchmal auf lange Zeit. Sie reißt einen aus dem Alltagsrhythmus. Man ist ans Bett gefesselt oder mindestens eingeschränkt in seinem Tun. Man hat Schmerzen. Das Essen schmeckt nicht. Man hat quälend viel Zeit. Man fühlt sich einsam. Und die Frage warum? warum gerade jetzt? bedrängt einen und bleibt unbeantwortet. Geheilt werden - das bedeutet all dies los zu werden und in den Rhythmus des Alltags zurückkehren zu können. Wenn es geschieht, lebt man mindestens in der Anfangszeit bewusster. Während der Krankheit ist es einem vielleicht auch bewusst geworden, dass man Manches anders machen, im Leben andere Akzente setzen sollte. Man ist dankbar und möchte vielleicht auch dankbarer leben.
Vielfach geschieht es so, - aber nicht immer! Ärztliche Kunst stößt auch an Grenzen. Unschön heißt es dann manchmal, der Patient sei „austherapiert". Nur wenig Lebenszeit bleibt dann. Oder man bleibt krank und behindert. Jetzt machen einem die Fragen nach dem Warum erst recht zu schaffen. Es ist ein schwerer Weg, das Unabänderliche schließlich zu akzeptieren. - Die Evangelien berichten an vielen Stellen, dass Kranke, wo Jesus auch auftauchte, herbeigeströmt sind und Heilung gesucht haben. In seinem berühmten Hundertguldenblatt hat das Rembrandt eindrucksvoll dargestellt. Man sieht auf der rechten Seite des Bildes den langen Zug Kranker und erkennt, wie viel Elend sich da zusammengeballt hat. In einem Bericht des Markusevangelium schildert es das Markusevangelium so: Alle Kranken der Stadt seien zu Jesus gebracht worden. Und dann heißt es auch: Viele wurden geheilt. Viele!Also nicht alle? Wie wird es dann denen gegangen sein, die nicht geheilt wurden? Was ist mit mir, wenn ich irgendwann einmal nicht mehr gesund werde?
Markus berichtet, dass Jesus am frühen Morgen aufgebrochen ist und einen einsamen Ort aufgesucht hat. Die Jünger können nicht verstehen, dass er sich ausgerechnet in einer Phase öffentlichen Erfolgs zurückzieht. Jedermann sucht dich, halten sie ihm vor. Jesus sucht aber im Ansturm von Leiden und Leid Kraft, Kraft für sein Wirken. Er betet, um im Gebet zu finden und zu empfangen, was auch ihn auf dem Weg ins Leiden und in den Tod tragen kann. - Ist das die Antwort auf die Frage, was ist, wenn ich von Krankheit und Leiden nicht befreit werde? Ich hoffe jedenfalls, dass auch ich dann beten kann, gerade dann. Dass ich dann weiß: Alles, was ich nicht verstehe und kaum verkrafte, kann ich Gott sagen. Ich hoffe, so Kraft zu gewinnen auf dem Weg, das Unabänderliche zu akzeptieren. Ich will mich im Gebet für Gott öffnen - und dann hören, was zugesagt ist: Dass Gott mit den Gesunden und mit den Kranken ist; dass er Gesundheit schenkt, dass aber gerade die Kranken und Leidenden von ihm nicht verlassen sind, auch ich nicht; dass ich seiner Liebe vertrauen kann und soll, seiner Liebe, die im Leben trägt und im Tod auffängt.

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