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SWR1 3vor8

01JUN2025
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Schon wieder so ein fettes Paket: Ein USB-Stick – aber geliefert in einem Karton, der auch für einen Umzug gereicht hätte. Für so etwas reicht doch eigentlich eine kleine Schachtel. Die richtige Größe kennen – darauf käme es an.

Im Predigttext, über den heute in vielen evangelischen Gemeinden gepredigt wird, da geht es auch um die richtigen Abmessungen. Der Autor des Epheserbriefs bittet darum, dass die Christinnen und Christinnen „erfassen, was die Breite und Länge und Höhe und Tiefe (ist)“ (Epheser 3,18b).

Aber was soll in Ephesus verpackt werden? Die weiteren Zeilen des Gebets lassen vermuten: die Liebe Gottes zu den Menschen. Christinnen und Christen sollen erfassen, wie groß seine Liebe ist.

Im nächsten Satz merkt der Autor selbst an: Diese Liebe übersteigt alle Erkenntnis. Sie ist nicht zu messen. Nicht zu begrenzen. Noch der größte Karton wäre zu klein.

Trotzdem versuchen Menschen immer wieder, Gottes Liebe einzugrenzen. Vor kurzem hat der amerikanische Vizepräsident behauptet, Nächstenliebe gelte zuerst der eigenen Familie, dann dem eigenen Volk – und erst danach dem Rest der Welt. Er hat viel Widerspruch bekommen.

Zugegeben: Unser Mitgefühl ist tatsächlich oft stärker für Menschen, die uns nahe sind – geografisch, kulturell, emotional. Für meine Familie würde ich viel mehr investieren und aufgeben und als für andere Menschen. Und ich glaube, dass unser Mitgefühl gegenüber ukrainischen Flüchtlingen auch deswegen viel höher ist, weil sie uns allein geografisch viel näher liegen, als Menschen in Afghanistan oder an anderen Orten auf der Welt.

Aber genau das ist der Kern der Nächstenliebe, die aus Christus kommt: Sie geht weiter, als unser Herz reicht. Sie sprengt den Rahmen. Darum packt der Autor des Epheserbriefs diesen Wunsch auch in ein Gebet. Weil er weiß, dass wir das nicht aus uns allein erkennen und umsetzen können. Wir brauchen Gott, um wirklich zu begreifen, wie groß seine Liebe ist. Zu erkennen, dass seine Liebe zu den Menschen sich nicht einschnüren lässt. Und, dass wir dafür unsere Liebespakete viel mutiger, großzügiger und freier verteilen können, als wir es uns selbst zutrauen .

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SWR1 3vor8

11MAI2025
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Ab und zu spiele ich gern mit ein paar Freunden das Rollenspiel Dungeons and Dragons. Ich mag daran, dass man in eine andere Rolle schlüpft und sich aussuchen kann, welche Fähigkeiten und Eigenschaften die Figur haben soll. Dabei habe ich etwas begriffen: Weisheit und Intelligenz sind nicht das Gleiche. Beide Eigenschaften kann man seiner Figur im Spiel geben, aber die Auswirkung ist ganz unterschiedlich: Der intelligente Charakter weiß, dass eine Tomate eine Frucht ist, ein Charakter mit Weisheit erkennt, dass die Tomate trotzdem nicht in den Obstsalat gehört.

„Intelligenz - das ist in dem Spiel das, was man weiß und lernen kann, Bücherwissen, Sprache, zum Beispiel. Eine Figur kann also hochintelligent sein, aber trotzdem unweise handeln. Und umgekehrt beschreibt „Weisheit“  eher die Kunst den richtigen Weg einzuschlagen, gute Entscheidungen zu treffen, richtig und falsch zu unterscheiden.

Von einer Weisheit, wie man ein gutes Leben führt, handelt auch der Bibeltext, über den heute in vielen evangelischen Gemeinden heute gepredigt wird.

Es ist ein Loblied auf die Weisheit, das so in der Bibel einmalig ist. Der Autor lässt die Weisheit wie eine Person von sich selbst sprechen:  „22Der Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. 23Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war.“ Die Weisheit beansprucht hier einen Rang, wie ihn sonst kaum etwas in dieser Welt hat. Und darum rät die Weisheit im Sprüchebuch auch dringend, auf sie zu vertrauen.

Hier kommt die Überzeugung zum Ausdruck: „Wer nach Weisheit sucht, der führt ein gutes Leben. Wer die Weisheit nicht zu schätzen weiß, nicht nach ihr fragt, der führt ein selbstzerstörerisches Leben. Gar nicht so weit vom Dungeons and Dragons entfernt: Dort hilft Weisheit Gefahren früh zu erkennen und im richtigen Moment die Entscheidung zu treffen. Aber wie wird man weise?

Ein paar Verse weiter gibt es einen Hinweis: „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit.“ Ich verstehe das so: Wer nicht nur sich selbst zum Maßstab hat, sondern bereit ist auf etwas Größeres zu schauen, der ist weise. Wer hinhört, wer erkennt, wo die eigenen Fähigkeiten und die eigenen Grenzen sind. Und: Wer einsieht, dass es keine einheitliche Antwort gibt, was es heißt, weise zu sein. Sondern, dass gerade das die Herausforderung der Weisheit ist: Dass sie für jeden Lebensweg etwas anderes bedeutet, auch wenn sie von der gleichen Quelle kommt.

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SWR1 Begegnungen

04MAI2025
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Adelheid und ihr Liegefrosch Foto: privat

Felix Weise trifft Adelheid und ihren Liegefrosch. Zusammen sind ab Mitte Mai auf Tour zur grünen Kathedrale.

Adelheid möchte in diesem Beitrag nur bei ihrem Vornamen genannt werden. Ihr geht es nicht so sehr um sich selbst – ihr Anliegen ist es, Aufmerksamkeit für die Krankheit ME/CFS zu wecken – und Aufmerksamkeit erregt vor allem ihr auffälliges Gefährt – ihr sogenannter Liegefrosch.   

Der Liegefrosch ist ein knallgrünes Elektroliegedreirad. Er hat zwei Funktionen: Einen ganz normalen E- Bike Motor, der mich beim Pedalieren unterstützt. Aber viel wichtiger ist eine Funktion, die mich herumkutschiert mit 4 km.

Auffallen ist aber nicht die Hauptaufgabe des Liegefrosches. Adelheid braucht ihn, um sich draußen selbständig bewegen zu können

Er bedeutet mir erstensmal Freiheit, denn sonst wäre ich überhaupt nicht mobil. Mit dem elektrischen Liege-Dreirad kann ich einfach bis maximal 20 km pro Tag mich herumkutschieren lassen. Es ist einfach mein Hilfsmittel. Mein Kopf ist gestürzt, meine Hände und Füße und meine Finger sind unterstützt, damit ich gut Gangschalten kann.

Auf diese Unterstützung ist Adelheid angewiesen, weil sie seit 2022 nach einer Covid-Infektion an ME/CFS leidet. Hinter diesen Buchstaben verbirgt sich eine Krankheit mit schwerwiegenden Symptomen:

Also bei mir ist es so ich habe maximal 10 % Kraft von meiner früheren Kraft. Ich habe jeden Tag Schmerzen und bin auch mental viel langsamer, weil ich sehr reizempfindlich bin. Also Helligkeit und Lärm ist für mich ein großes Problem. Und was mir am allermeisten Energie zieht, ist der Kontakt mit Menschen. Das heißt, ich bin vielleicht auf unter 5 % von meinen sozialen Kontakten jetzt zusammengeschrumpft.

Soziale Kontakte sind lebensnotwendig, aber auch anstrengend – und darum sind viele an ME/CFS-Erkrankte in der Öffentlichkeit kaum sichtbar, weil sie aufgrund ihrer reduzierten Energiereserven oft zurückgezogen leben müssen.

Man sieht uns nicht, man sieht uns nur, wenn es uns gut geht. Dann sind wir draußen. Aber auch nicht viel. Und da ist es natürlich einfach, Leute zu vergessen.

Adelheid will diesen Vergessenen mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Sie sagt von sich, dass ihre Symptome vergleichsweise moderat sind. Für alle, die weniger Kraft haben als sie, will sie sich einsetzen, wie Sara, Karina und Jonas, die alle unter 18 sind und auch an ME/CFS leiden.

Die jungen Leute, die teilweise seit drei, vier Jahren keine Freunde mehr gesehen haben. Die liegen in dunklen Zimmer und rum. Und ich habe gedacht, bei mir geht es jetzt wieder ein bisschen aufwärts. Ich muss etwas machen.

Am 12. Mai soll es losgehen. Von Süddeutschland aus Richtung Niederlande. Langsam. Im eigenen Tempo. Mit Pausen, Schlaf, Rückzug. Aber mit einem klaren Ziel vor Augen. An was man da wohl alles denken muss –  neben guter Planung braucht es wahrscheinlich eine ordentliche Portion Mut.

Ich habe keinerlei Angst. Ich habe als junger Mensch von Frère Roger aus Taizé gehört. „Wäre das Vertrauen des Herzens aller Dinge Anfang...“ […] Dieses Vertrauen des Herzens, das ist für mich mit Mut gleichzusetzen. Da liegt auch Ruhe drin und da liegt auch Glauben drin und das, das hilft mir, glaube ich, sehr.

Ich bin beeindruckt von Adelheids Einstellung. Sie überlasst nichts dem Zufall – das wäre auch zu anstrengend das Ziel ihrer Tour schon lang geplant. Vor anderthalb Jahren hat sie auf Instagram die „Grüne Kathedrale“ in den Niederlanden entdeckt.

Da hat ein Künstler 187 Pappeln gepflanzt auf dem Grundriss der Kathedrale von Reims und ich habe das gesehen und hab gedacht, wenn ich irgendwann mal wieder raus kann, dann will ich dahin.

Mit ihrer Tour, die auf Instagram und Bluesky begleitet wird, will Adelheid Aufmerksamkeit auf die Krankheit ME/CFS lenken. Und sie sammelt Geld. Über 60 Sponsoren hat sie schon für die biomedizinische Erforschung der Krankheit zusammen. Die andere Hälfte des Geldes geht an die Botkins Charity:

Das ist eine kleine Gruppe Ehrenamtlicher in der Schweiz, die kleine Roboterli bauen, die wie so ferngesteuerte Autos sind. Und die jungen Leute, die bettlägerig ans Haus gebunden sind, können diesen Roboter mitnehmen lassen,  zum Beispiel bei einer Hochzeit oder bei einem Fußballspiel. Und der fährt dann rum, hat eine Kamera dabei und Mikrofon und man kann sozusagen vom Handy aus im Bett interagieren.

Wenn alles gut läuft, dann ist Adelheid mit ihrem Liegefrosch Mitte Juni an ihrem Ziel. Mut und Vertrauen braucht ihr nicht zu wünschen, davon hat sie genug. Welche Überschrift wird sie ihrer Tour wohl im Rückblick geben?

„Eigentlich ausgehend von meinem Lebensmotto: Das Vertrauen des Herzens war aller Dinge Anfang. Also wir müssen ja aus allem, was ist, einen Neubeginn machen. Auch wenn er ganz anders ist. So wie jetzt bei mir dieser Bruch war durch diese Krankheit. Mit dem Vertrauen des Herzens können wir dann auch anderen Gegebenheiten standhalten.

Die Website des Projekts : https://t1p.de/m0ttx

Adelheid und der Liegefrosch auf Instagram: https://www.instagram.com/liegefrosch_mecfs/

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SWR3 Gedanken

03MAI2025
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„Wir müssen aufhören, in unserem Gegenüber nur einen Clown zu sehen“. Das habe ich vor kurzem in einem Podcast gehört. Um das Bild zu verstehen, musste ich erst die Geschichte dahinter recherchieren. Sie stammt von dem Philosophen Kierkegaard. Darin gerät ein Zirkus nahe einer Stadt in Brand. Der Zirkusdirektor schickt den Clown, um die Stadtbevölkerung zu warnen und um Hilfe zu bitten. Doch der ist schon für die Aufführung verkleidet. Die Dorfbewohner nehmen ihn nicht ernst und lachen nur. Als das Feuer auf das Dorf übergreift, ist es zu spät.

Es gibt ganz unterschiedliche Deutungen zu dieser Parabel. Aber bei dieser Deutung habe ich mich erwischt gefühlt: Das Lagerdenken in unserer Welt hat sich so vertieft, dass wir die politischen Gegner oft nur noch als Clown wahrnehmen. Egal was er sagt, wir halten es für lächerlich, für nicht ernst zu nehmen. Die Gefahr ist, dass wir das, was der andere vielleicht Wichtiges und Wahres zu sagen hat, gar nicht mehr hören. Dass Stillstand entsteht, wen sich die unterschiedlichen Seiten nicht mehr ernst nehmen. Mir fällt das schwer, da auszubrechen. Weil mich die Nachrichten, die tagtäglich auf uns einprasseln, wirklich manchmal nur kopfschüttelnd zurücklassen. Da ist es eben das Einfachste, den anderen abzustempeln, als nicht ernst zu nehmen.

Was aber, wenn in dem vielen, was ich nicht ernst nehmen möchte, doch auch Wahres steckt? Kritik, die berechtigt ist? Splitter in meinem Auge, die ich selbst nicht sehe? Aufhören den anderen nur als Clown zu sehen – es ist schon ein Risiko das zu wagen, wenn man nicht weiß, ob es andere auch tun. Ich glaube nur, die Alternative ist noch schlechter.

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SWR3 Gedanken

02MAI2025
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„Das ist doch alles bloß inszeniert – ich finde es viel besser, wenn es authentisch ist“. Gerade habe ich mit Freunden über einen Instagram-Kanal diskutiert. Bei dem steckt hinter jedem Bild gefühlt ein halber Arbeitstag. Alles gut ausgeleuchtet. Die Requisite sorgfältig ausgewählt, Mimik und Haltung perfekt abgestimmt.

Inszenierung und authentisch sein – das geht für viele nicht zusammen. Ist das wirklich ein Gegensatz? Ich bin mir da nicht ganz so sicher. Denn eigentlich ist doch jedes Bild, das auf Instagram landet, eine kleine Inszenierung.

Ich denke an eine Influencerin. Sie postet ein Foto von sich, scheinbar nebenbei und spontan. Darauf hat sie Tränen in den Augen. Ist das wirklich spontan und damit authentisch? Nein, denn diese Influencerin hat sich bewusst so fotografiert. Diesen Moment der Tränen will sie festhalten. Dann hat sie sich noch einmal bewusst entschieden, dieses Foto zu teilen. Sie möchte sich im Alltag verletzlich zu zeigen. Sie inszeniert sich damit also - und ich finde: authentisch.

Deshalb finde ich es nicht fair, einfach nur zu sagen: „Das eine ist authentisch, das andere nicht.“ Beide Arten – die inszenierte und die scheinbar „echte“ – sind eine Form der Inszenierung.

Für mich ist Authentizität also nicht das wichtigste Kriterium, um einen Instagram-Kanal zu bewerten. Was wirklich zählt, ist Transparenz: Wird die Person für ihre Beiträge bezahlt? Gehört sie vielleicht einer bestimmten Gruppe oder Weltanschauung an, etwa einer Kirche oder steckt ein Unternehmen dahinter? Und vor allem: Wird klar, dass das, was ich sehe, inszeniert ist – auf die eine oder andere Weise?

Am Ende geht es nicht nur um den Schein von Authentizität, sondern darum, wie ehrlich jemand mit seinen Followern umgeht. Nur dann kann ich wirklich nachvollziehen, was hinter einem Bild oder Beitrag steckt.

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SWR3 Gedanken

01MAI2025
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1. Mai – Feiertag. Als Pfarrer bin ich für diesen Tag besonders dankbar. Ein nicht-christlicher Feiertag, da habe ich auch mal Zeit. Kein Gottesdienst, keine Verpflichtungen – ein Feiertag, an dem ich wie jeder andere eine Radtour machen kann. Und abends kann ich den Tag im Biergarten mit einem kühlen Radler ausklingen lassen.

Oder ich solidarisiere mich mit den vielen Menschen, die an diesem Tag auf die Straße gehen für bessere Arbeitsbedingungen, faire Löhne und Gleichberechtigung. Das Anliegen der Arbeiterbewegung am 1. Mai ist, wie ich finde, ein zutiefst christliches:

Arbeit gehört dazu. Das ist auch in der Bibel schon von Beginn an klar. Die Bibel setzt aber auch von Anfang an einen klaren Fokus: Die Arbeit der Menschen soll dem Leben dienen. Die erste Arbeit der Menschen in der Bibel ist: Den Garten Gottes pflegen und bebauen, damit sie davon leben können. Das Leben ist Ziel der Arbeit. Das bedeutet für mich genau das, wofür sich viele Menschen heute einsetzen: Löhne, die ein gutes Leben ermöglichen. Gleichberechtigung bei der Arbeit – dass alle etwas vom Leben haben. Und: dass Arbeit begrenzt ist. Dafür plädieren die Heiligen Schriften schon seit über 2000 Jahren. Gott selbst ruht nach sechs Tagen Arbeit. Als Vorbild für die Menschen. Das Leben darf nicht nur aus Arbeit bestehen. Es braucht Zeit und Muße, damit man das, was man erarbeitet hat, auch genießen kann. Und um neue Kraft zu sammeln. Und um Zeit für Gott und die Gemeinschaft zu haben.

Ich nutze den 1. Mai genau dafür. Um Kraft zu sammeln. Und Freunde zu treffen. Zugleich bin allen dankbar, die sich heute dafür einsetzen, dass Arbeit dem Leben dient.

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SWR3 Gedanken

30APR2025
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Ein kleines spirituelles Erweckungserlebnis hatte ich vor 16 Jahren. Ich war das erste Mal auf dem Evangelischen Kirchentag. Und da habe ich erlebt, dass Glauben und Politik nicht zwei ganz unterschiedliche Welten sind, sondern etwas miteinander zu tun haben. Damals saß ich gespannt im Publikum, als der Mitarbeiter einer NGO berichtet hat, dass viele deutsche Grabsteine unter menschenunwürdigen Bedingungen in indischen Steinbrüchen geschlagen werden. Abends hab ich Ex-Kanzler Helmut Schmidt zugehört. Er unterhielt sich auf einem Podium mit anderen ökonomischen Schwergewichten über die Finanzkrise im Vorjahr. Nur ein paar hundert Meter weiter waren tausende Menschen bei einem Konzert der Wise Guys. Und beim Abschlussgottesdienst feierte ich mit zehntausenden Menschen Abendmahl.

Damals habe ich gelernt: Mein Glaube ist nicht nur meine persönliche Spiritualität, sondern er bestimmt auch die Art und Weise, wie ich die Welt wahrnehme. Beim Glauben geht es geht nicht nur um Sonntagsgottesdienste oder Gebete im stillen Kämmerlein. Mein Glaube bestimmt, was ich für gerecht halte, mit wem ich mich solidarisiere und wie ich die Welt verändern möchte. Er beeinflusst, was ich wähle und wie ich mich in gesellschaftliche Debatten einbringe. Damals, beim Kirchentag, tat es mir gut zu erleben: Vielen anderen Christinnen und Christen geht das auch so.

Für mich ist es wichtig, dass andere Menschen ihre eigenen Prägungen und Werte einbringen. Ganz gleich, ob sie aus einer humanistischen Tradition kommen, sich für Tierrechte einsetzen oder Naturwissenschaften schätzen – wir alle sollten uns in den Dialog begeben. Das Gespräch zwischen unterschiedlichen Perspektiven ist notwendig, um Lösungen für die drängenden Fragen unserer Zeit zu finden.

Das geschieht beim Evangelischen Kirchentag. Heute startet er wieder, dieses Mal in Hannover – und ich bin gespannt, was ich diesmal entdecken darf.

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SWR3 Gedanken

29APR2025
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„Zocken ist doch kein Hobby, sondern nur Zeitverschwendung“ – ich weiß noch genau, wie sich mein damaliger Mitbewohner über diese Aussage auf einer WG-Party geärgert hat. Zocken war für ihn nicht nur Ablenkung – es war Leidenschaft. Ich war oft dabei: Wir saßen stundenlang vor der Playstation, haben uns bei FIFA-Derbys aufgeregt und uns nebenbei über Gott und die Welt unterhalten. Klar, manchmal blieb das Lernen für die Uni auf der Strecke. Aber ehrlich gesagt? Ich habe aus diesen Abenden mehr mitgenommen als aus mancher Vorlesung.

Denn Gaming kann mehr als nur Zeit vertreiben. Wer zockt, trainiert Konzentration, Frustrationstoleranz und Teamwork – und manchmal auch Geschichtskenntnisse. Mein Schulfreund Markus hat sich mit Age of Empires auf die Geschichtsprüfung vorbereitet – und bestanden hat er trotzdem.

Heute weiß man: Gaming fördert logisches Denken und die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Ich kenne Menschen, die durch das Gaming aus der Einsamkeit herausgekommen sind und echte, tragende Freundschaften gefunden haben.

Natürlich gibt’s auch die negativen Seiten. Manche Spiele lassen einen kaum noch los, und man verliert den Bezug zur Realität. Aber wie bei allem im Leben gilt: Maß halten. Und das wird oft übersehen.

Was mich begeistert, ist die Kreativität, mit der Spieleentwickler ganze Welten erschaffen.

Ich finde: Das kann man auch nutzen, um in die Gedankenwelt des christlichen Glaubens einzutauchen. Warum also nicht beides verbinden? Ein Schüler hat mal zu einem Kollegen gesagt: „Für die Bibel würde ich mich nur interessieren, wenn man sie zocken kann.“ Der Kollege hat sich das zu Herzen genommen und angefangen, ein Spiel zu entwickeln, bei dem man die Welt Jesu erkunden kann. One of 500 heißt es.

Stellt euch vor: Statt in einer Bibel zu lesen, könntet ihr in ihre Welt vor 2000 Jahren eintauchen – spielerisch, interaktiv, mittendrin. Warum eigentlich nicht?

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SWR3 Gedanken

28APR2025
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„Nicht das Konfetti wegmachen“. Der Nachbarsjunge schaut mich fast empört an. Ich erfülle gerade brav meine schwäbische Pflicht und mache Kehrwoche. Aber der Nachbarsjunge findet das unnötig. Sein Konfetti macht den Hof doch viel schöner. Damit meint er die vielen weißen runden Kirschblüten, die vom großen Baum in der Mitte des Hofes nach unten flattern. Ich halte kurz inne und bin erstaunt über mich selbst. Bis dahin hatte ich gar keine Augen für diesen schönen Frühlingsmoment gehabt. Mein Fokus war voll darauf ausgerichtet, die Arbeit möglichst schnell und effektiv zu erledigen. Die Kirschblüten im Hof waren bei der Kehrwoche nur lästiger Dreck, den es zu beseitigen gilt.

Ich entdecke das hin und wieder bei mir. Wenn ich gerade eine Aufgabe verfolge, dann habe ich wenig Augen für meine Umwelt. Fokussiert eine Aufgabe zu erledigen – ich denke, das ist oft eine gute Fähigkeit. Solang sie mich nicht zu einer empathielosen Maschine macht.

Und so war ich ein bisschen erschrocken, dass ich vor lauter Arbeitseifer gar keinen Blick mehr dafür hatte, mit was für einer Schönheit der Frühling in unserem Hof Einzug gehalten hat. „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen“, das hat Jesus einmal zu seinen Freundinnen und Freunden gesagt. Was das genau bedeutet, „wie die Kinder zu werden“, das sagt Jesus nicht. Aber ich glaube, Augen für Schönheit und Freude zu haben - jenseits aller Nützlichkeit und Arbeit, das gehört mit dazu. Daran erinnert mich der Moment, in dem es Blüten-Konfetti geregnet hat. Da brauchte ich die Augen eines Kindes, um aus meinem Arbeitstunnelblick rauszukommen. Gut, dass sie mir der Nachbarsjunge schenkte. Dank seiner Hilfe konnte ich mit einem Schmunzeln im Gesicht entdecken, dass in unserem Hof etwas vom Himmelreich zu sehen war.

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SWR3 Gedanken

27APR2025
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„Sind sie schon mal vom Pferd gefallen oder hat sie ein Wal verschluckt?“ Wenn man die Bibel liest, dann scheint es fast so, als wären solche Erlebnisse der Normalfall, wie Menschen zu ihrem Glauben gekommen sind.

Wie Jona, der vor Gott wegläuft, und erst lernt auf ihn zu vertrauen, als er vom Wal verschluckt und ausgespuckt wird.  Oder Paulus, der andere Gläubige im Namen Gottes verfolgt hat und dann vom Pferd fällt, ein helles Licht sieht, und Jesus begegnet.

Das sind nur zwei Beispiele von vielen für spektakuläre Glaubensereignisse. In meinem Leben gab es bisher keine Wale und ich bin auch nicht vom Pferd gefallen. Und bin trotzdem ein gläubiger Christ. Ich habe den Eindruck, das ist bei ganz vielen Christen so.

Als Jugendlicher habe ich das teilweise als Defizit empfunden. Weil es auch heute noch die Geschichten von spektakulären Lebenswenden gibt: Von Menschen, die drogenabhängig waren oder ihre Lebensträume zerplatzt sind und sie am Boden waren. Und wie diese Menschen dann einen Moment hatten, in dem sie sich bekehrt haben und sich ihr Leben radikal geändert hat. Ich finde die Geschichten immer noch faszinierend. Aber im Gegensatz zu früher, kann ich gut damit leben, dass ich keine so spektakuläre Lebenswende hatte.

Ich bin dankbar dafür, dass sich mein Glauben über viele Jahre entwickeln konnte. Dass ich üben dürfte, auf Gott zu vertrauen und, dass mein Glaube mir Kraft und Orientierung bietet. Das musste ich erst lernen. Wie die vielen anderen Menschen, deren Glaubensgeschichten es nicht in die Bibel geschafft haben und auch nicht schaffen würden, weil sie ganz alltäglich sind. Doch sie sind genauso wertvoll.

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