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SWR2 Wort zum Tag

Ich bin die erste Nacht in meiner neuen Wohnung und finde keinen Schlaf. Überall höre ich Geräusche. Das Wasser, das leise durch die Heizungsrohre fließt, der Wind, der am Rollladen spielt und etwas weiter entfernt die Autos, die durch die Nacht fahren.

 

Es ist nicht laut – aber eben auch nicht still. Ich kenne diesen neuen Ort nicht und nehme alles als neu und ungewohnt wahr.

Wie ich da so in meinem Bett liege, denke ich an ein Musikstück. John Cages stilles Stück mit dem Titel 4`33. Sein Stück dauert genau 4 Minuten und 33 Sekunden und besteht nur aus Stille.

John Cage hat in einem schalldichten Tonstudio eine besondere Erfahrung gemacht. In dem Studio, also dort, wo es eigentlich still sein sollte, hörte Cage trotzdem etwas. Erst später begriff er, dass dies das Rauschen des Blutes in seinen Ohren gewesen sein musste. Daraufhin hat er das „stille Stück“ komponiert. Ein Stück in drei Sätzen, für jedes beliebige Instrument komponiert. Jeder Satz trägt die Anweisung „tacet“ – was übersetzt „still sein“ heißt. Die Musik schweigt. Stattdessen soll der Hörer auf all die leisen und unscheinbaren Geräusche der Umwelt hören. Das Publikum hat auf Cages Stück ganz unterschiedlich reagiert. Die einen haben sich provoziert gefühlt, die anderen fanden es genial.

John Cage will mit seinem Stück zeigen, dass es so etwas wie „Stille“ gar nicht gibt. Es gibt immer etwas zu hören. So wie ich am ersten Abend im Bett in meiner neuen Wohnung.

Ich finde Cages Stück auch aus religiöser Sicht spannend:

Wenn es die absolute Stille auf der irdischen Seite nicht gibt, kann nicht dann die absolute Stille ein Bild für Gott sein? Vielleicht kann John Cages Stück der Schlüssel zu einer mystischen Erfahrung sein. Da ich Gott nie voll und ganz begreifen kann, kann ich mich ihm nur annähern. Ich kann eine Ahnung von ihm bekommen. Zum Beispiel, wenn es leise und ruhig um mich wird. Nicht umsonst suche ich mir einen ruhigen Ort, um zu Gott zu beten.

Die absolute Stille gibt es nicht und lässt sich auch nicht komponieren. Aber mit seinem Stück hat John Cage versucht, sich daran anzunähern.

Der persische Mystiker Rumi hat einmal gesagt: „Stille ist die Sprache Gottes. Alles andere ist eine schlechte Übersetzung.“

In diesem Sinn empfinde ich John Cages Stück es als ein sehr spirituelles Stück.

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SWR2 Wort zum Tag

Ich bin in der Bretagne gewesen und hab bei dieser Reise auch die kleine Hafenstadt Ivry besucht. Für mich ist diese Stadt vor allem mit einer Frau verbunden, die ich sehr bewundere: Madeleine Delbrêl. Sie wird häufig als „Mystikerin des Alltags“ bezeichnet. Sie hat von 1904 bis 1964 gelebt. Madeleine Delbrêl hat ihren Glauben konsequent und ohne Kompromisse gelebt. Ich finde ihr Leben gerade deshalb so spannend, weil sie ihren ganz eigenen Weg gefunden hat, Jesus nachzufolgen.

 

Ihr Motto war: Gott ist bei den Menschen zu finden. Deswegen ist sie in die Arbeiterstadt Ivry gegangen, um dort zu leben und den Menschen zu begegnen.

Sie hat als Sozialarbeiterin gearbeitet. Sie hat Jobs vermittelt, wenn jemand arbeitslos war und hat geholfen Wohnungen zu finden. Sie hat zugehört, wenn jemand sich den Kummer von der Seele reden musste.

Das Besondere an ihr: Sie hat das nicht von oben herab gemacht, sondern als eine von den Leuten dort. Denn sie hat mit ihnen gelebt und genau den gleichen Alltag gehabt. Ohne Luxus und Komfort. Für sie ist genau in diesem Alltag Gott spürbar geworden. Dadurch, dass sie die Menschen beachtet und wertschätzt und ihnen hilft.

Mich beeindruckt besonders ein Zitat von ihr:

 „Die Nächstenliebe ist wie eine Brücke, die Gott und Mensch in einem einzigen Bogen verbindet. Dieser Bogen kann nicht aufgeteilt werden. Er ist eine Einheit, wie eine Hin- und Rückfahrkarte."

Diese Aussage hat sich für Madeleine Delbrêl aus der Bibel ergeben. Sie hat erkannt, dass Jesus immer mitten unter den Menschen gewesen ist. Das ist für ihn der Ort gewesen, um für die Menschen da zu sein. Ihnen von Gott zu erzählen und sie in ihrem Leben zu ermutigen.

Für Jesus war es wichtig, Gott zu lieben, seinen Nächsten zu lieben und sich selbst zu lieben. Madeleine Delbrêl hat sich daran ein Beispiel genommen. Sie hat gesagt, dass sich ihr Gott zeigt in den Menschen, denen sie auf der Straße begegnet.

Mich beeindruckt das. Denn sie denkt die Nächstenliebe umfassend. Sie liebt diejenigen, die ihr begegnen, als ob sie es selbst wäre.

Ich lasse mich gern von Madeleine Debrêl inspirieren. Wie sie Gott und die Menschen sieht – das beeindruckt mich. Und davon spricht sie in ihrem wohl berühmtesten Zitat. Madeleine Delbrel sagt:

 „Geht hinaus in euren Tag ohne vorgefasste Ideen, ohne die Erwartung von Müdigkeit, ohne Plan von Gott, ohne Bescheidwissen über ihn, ohne Enthusiasmus, ohne Bibliothek - geht so auf die Begegnung mit ihm zu. Brecht auf ohne Landkarte - und wisst, dass Gott unterwegs zu finden ist und nicht erst am Ziel. Versucht nicht, ihn nach Originalrezepten zu finden, sondern lasst euch von ihm finden in der Armut eines banalen Lebens.“ 

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SWR2 Wort zum Tag

Ich liebe es, zu verreisen. Ich möchte auf meinen Reisen so viele neue Eindrücke aufnehmen, wie möglich.

Deswegen plane ich auch immer alles genau durch, bevor ich abreise. Zum Beispiel möchte ich schon vorher eine Buchungsbestätigung haben, wo ich wann und wie übernachte. Ich möchte wissen, welche Sehenswürdigkeiten es gibt, welche Restaurants mir im Internet empfohlen werden und von welchem Punkt aus ich den Sonnenuntergang am besten sehen kann. Ich möchte meine Reisezeit möglichst effektiv nutzen.

Ich ahne aber, dass ich dadurch ganz viel am Reise-Ort gar nicht wahrnehme.

Denn eigentlich geht es doch beim Reisen darum, ganz offen zu sein für neue Eindrücke. Es hat mich interessiert, und deshalb habe ich nachgeschlagen: Das Wort „reisen“ bedeutet ursprünglich, dass ich aufbreche, mich auf den Weg mache. Es bedeutet also vor allem den Weg bis zum Reiseziel hin. 

Unterwegs kann ich meine Wahrnehmung verändern. Denn erst, wenn ich ohne Plan losziehe, kann mir das Fremde tatsächlich begegnen. Wenn ich mich dieser Fremde aussetze, der Fremde wirklich begegne, kann dies eine spirituelle Erfahrung sein. Ähnlich wie bei einer Pilgerreise. Ich werde dabei auf mich selbst zurückgeworfen, lerne mich selbst neu kennen. Wie begegne ich dem Unbekannten? Was fällt mir leicht, womit tue ich mich schwer?

Vom Reisen im ursprünglichen Sinn kann ich eigentlich nur sprechen, wenn ich mich selbst durch die Reise verändere. Und dafür muss ich auch ein gewisses Risiko eingehen.

Ich kann das sogar an meinen bisherigen, gut geplanten Reiseerfahrungen festmachen. Dinge, an die ich mich heute noch erinnere, sind die Erlebnisse, die ich eben nicht geplant habe. Etwa als auf einer Klippenwanderung plötzlich das Wetter gekippt ist. Erst schien die Sonne wunderschön, dann fing es in Strömen an zu regnen. Stundenlang. Ich bin auf dem aufgeweichten Weg ausgerutscht, in den Matsch gefallen und bin den Weg völlig verdreckt und durchnässt zu Ende gegangen. Als ich dann erschöpft am Zielort angekommen bin, ist plötzlich die wärmende Sonne durch die Wolken gebrochen und ich hatte einen traumhaft schönen Blick über das Meer. Eine unglaublich schöne Erinnerung, auch wenn die Wanderung überhaupt nicht so gelaufen ist, wie ich sie geplant hatte.

Spirituelle Erfahrungen kann ich nicht planen – aber ich ahne, dass sie sich eher einstellen, wenn ich ohne zu große Erwartungen unterwegs bin. Wenn ich es schaffe, mich auf Fremdes einzulassen und wenn ich offen bin für das, was mir begegnet.

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SWR2 Wort zum Tag

Ein 15-jähriges-schwedisches Mädchen hat meinen ganzen Respekt eingeheimst. Sie geht einfach nicht mehr zur Schule. Sie macht einen Schulstreik für das Klima. Vor den schwedischen Parlamentswahlen im letzten September hat sie so darauf aufmerksam gemacht, wie schlimm der Klimawandel ist. Das Mädchen heißt Greta Thunberg und ist innerhalb kurzer Zeit sehr berühmt geworden. Denn sie findet klare Worte an Menschen wie mich. In einem Interview hat sie gesagt:

"Wir Kinder tun oft nicht das, was ihr Erwachsene uns sagt. Wir tun das, was ihr tut. Und weil euch Erwachsenen meine Zukunft total egal ist, ist sie mir das auch. Mein Name ist Greta, und ich bin in der neunten Klasse. Und ich bestreike die Schule für das Klima bis zum Tag der Wahl." (Greta Thunberg)

 Greta hat das durchgezogen. Ihre Aktion schlägt Wellen bis heute. Andere Jugendliche und Schulen haben mitgemacht und damit der Öffentlichkeit gezeigt: Die nachfolgende Generation wird laut und ungemütlich. Die Jugendlichen wollen, dass wir Erwachsene Verantwortung übernehmen. 

Ich fühle mich ertappt. In meinem Urlaub mag ich es, in weit entfernte Länder zu reisen – mit dem Flugzeug natürlich, denn das ist am bequemsten.

Und ich esse auch nach wie vor gerne ein ordentliches Stück Fleisch.

Greta hat mit 15 Jahren beschlossen, nicht mehr zu fliegen. Sie hat erfahren, wie viele Emissionen pro Flug freigesetzt werden. Sie ist konsequent, ganz im Gegensatz zu mir.

Greta isst auch kein Fleisch mehr. Sie lebt vegan. Da für die Massentierhaltung viel Wasser verbraucht wird und große Flächen benötigt werden.

Greta hält mir den Spiegel vor. Ich weiß, dass das Klima sich wandelt. Und ich versuche hin und wieder mein Gewissen zu beruhigen. Aber eben nicht völlig konsequent. Eigentlich will ich ja auf Fleisch verzichten, aber manchmal packt mich der Heißhunger und ich gehe Burger essen oder hole mir einen Döner.

Aus christlicher Sicht ist es eine ganz klare Sache: Wir haben die Verantwortung für die Erde, weil wir glauben, dass Gott sie geschaffen hat. Und zwar nicht nur für uns, sondern auch für unsere Nachkommen. Deshalb möchte ich mein Leben ändern. Für meine Nichten und Neffen, aber auch für Kinder und Jugendliche wie Greta, die mir zeigen, wie wenig mutig und radikal ich bislang in meinem Leben gewesen bin.

Ich möchte konsequenter werden und das geht schon auf ganz einfache Weise. Wenn ich saisonales Gemüse und Obst esse, bin ich nicht mit dafür verantwortlich, dass Emissionen für den Transport ausgestoßen werden.

Und ich kann ohne großen Aufwand meinen Strom über einen Öko-Strom-Anbieter beziehen.

Ich lebe in einer Großstadt, die es mir möglich macht, ohne Auto auszukommen. Ich muss nur den ersten Schritt machen und konsequent werden. Konsequent werden für das Klima, aber auch für die Menschen, die nach mir kommen.

Ich möchte das versuchen, auch, um als Christin weiterhin glaubwürdig sein zu können.

Anna Gold aus Mannheim von der katholischen Kirche

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SWR2 Wort zum Tag

Innerhalb eines halben Jahres haben zwei Menschen aus meinem Bekanntenkreis Suizid begangen. Ich habe nicht bemerkt, dass sie so verzweifelt waren, dass sie sich das Leben genommen haben.

Zunächst bin ich schockiert und sprachlos gewesen.

Und dann einfach nur nachdenklich, mit vielen Fragen in meinem Kopf. Wieso haben sie sich keine Hilfe gesucht? Warum habe ich nicht mitbekommen, wie schlecht es ihnen geht?

Ich bin überzeugt davon, dass Suizid immer die falsche Lösung für ein Problem ist. Und darüber hinaus frage ich mich, ob denn die Gesellschaft, in der ich lebe, wirklich genug Hilfe anbietet für Menschen mit Problemen.

In meinem Umfeld weiß ich von ein paar wenigen Menschen, dass sie unter Depressionen leiden und sich Hilfe geholt haben. Zum Beispiel meine Freundin Barbara. Sie ist nach 15 Jahren von ihrem Partner verlassen worden. Danach ging bei ihr erst mal gar nichts mehr. Sie hat mir später erzählt, dass sie keine Lust hatte, mit ihren Freunden darüber zu sprechen. Auch nicht mit mir -denn ich war zu dem Zeitpunkt gerade frisch verliebt. Ihr Selbstwert ist kaputt gewesen, sie hat sich mies gefühlt. Für sie ist mit der Trennung ihre Perspektive für das Leben zerbrochen. Und sie ist nicht in der Lage gewesen, alleine damit klar zu kommen.

Irgendwann hat sie sich aufgerafft und einen Termin bei einem Therapeuten ausgemacht. Das hat ihr geholfen, langsam wieder zurück ins Leben zu finden. Aber sie sagt, es sei sehr schwer gewesen, sich zu überwinden, mit jemandem über die eigenen Probleme zu sprechen. Und sie musste einige Monate auf einen Therapieplatz warten.

Viele reden erst gar nicht darüber, wie es ihnen wirklich geht. Das ist ein unbequemes Thema.

Ich kenne es von mir selbst. Wenn es mir schlecht geht, nutze ich die Zeit mit Freunden lieber, um mich abzulenken. Ich will sie dann nicht mit Problemen belasten und sie als „Mülleimer“ benutzen.  Es ist außerdem nach wie vor gesellschaftlich wenig akzeptiert, schwach und verzweifelt zu sein.

Ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn ich lebe, gehört es mit dazu, dass es mir phasenweise gut geht und dann wieder schlecht. Im besten Fall wechseln sich diese Phasen ab, so dass ich es ertragen kann. Das, was ich erlebe, kann mich stark machen, und ich lerne, damit umzugehen. Aber manchmal ist es für einen Menschen allein einfach zu viel, was ihm widerfährt. Da braucht jemand Hilfe, um wieder zuversichtlich zu werden.

Diese Hilfe hat meinen beiden Bekannten gefehlt, die Suizid begangen haben. Ich wünsche mir, dass sie ein besseres Leben bei Gott gefunden haben. Und genauso wünsche ich mir ein gesellschaftliches Klima, wo Menschen es akzeptieren, wenn ich Hilfe brauche. Und Menschen um mich herum die versuchen, jemanden, dem es schlecht geht, zu tragen und zu unterstützen.

 

Anna Gold aus Mannheim von der katholischen Kirche

 

 

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SWR2 Wort zum Tag

Ich ziehe mal wieder um - es ist der „ich-weiß-nicht- wie-vielte Umzug“ in meinem Leben.

Dieses Mal ziehe ich innerhalb von Mannheim um – das macht es etwas leichter. Und trotzdem heißt es mal wieder: Kartons packen. Mir graut es jetzt schon davor, alle Kartons vom vierten ins dritte Geschoss zu schleppen.  Da muss ich an eine gute Freundin denken, die im Gegensatz zu mir kaum etwas besitzt. Meine Freundin Charlotte hat einen Koffer mit Kleidung für den Alltag und einen weiteren mit persönlichen Gegenständen. Sie muss aus beruflichen Gründen oft umziehen und hat deswegen beschlossen, so wenig wie möglich anzuhäufen. Sie hat ihren Laptop, ein paar Briefe von Menschen, die ihr sehr wichtig sind, eine alte Brosche von ihrer verstorbenen Großmutter und einen Ring ihrer Mutter…  sonst nichts…sie sucht sich, wenn sie umzieht, ein bereits möbliertes Zimmer. Dinge, die fehlen, kauft sie in Gebrauchtwaren-Läden. Sie sagt, viele Dinge muss sie nicht selbst besitzen. Wenn sie einen guten Draht zu den Nachbarn hat, kann sie sich einiges einfach ausleihen.

Ich bin da nicht so gut drin. Ich habe Unmengen an Büchern, CDs, Fotoalben…

Ich habe Charlotte gefragt, wie sie es geschafft hat, sich von ihrem Besitz zu trennen.

Sie hat mir erzählt, dass es ganz einfach ist. Ich sollte mich bei jedem Gegenstand, den ich besitze, fragen, ob ich ihn wirklich brauche und ob mich dieser Gegenstand mit Glück erfüllt.

Und ob es mich nicht vielleicht glücklicher macht, wenn ich diesen Gegenstand nicht besäße. Denn dadurch könnte ich freier und flexibler sein. Und durch diese Art zu leben bemerke ich vielleicht: Es gibt nur ganz wenige Dinge, die unersetzbar sind.

Mir fällt das schwer – ich bin ganz anders aufgewachsen. Meine Eltern haben ein vollgestopftes Haus und quasi nie etwas weggeschmissen.

Auch ich habe viele Dinge, an denen ich hänge: zum Beispiel meine Lieblingskleider und ich mag meinen Schreibtisch, weil es unser alter Küchentisch ist. Ein Tisch, an dem ich schon mit all meinen Geschwistern gesessen habe. Und ich liebe mein riesiges Bücherregal mit all den Büchern darin, die ich bis heute gelesen habe.

Aber ich frage mich schon – wäre ich unglücklicher, wenn ich diese Sachen nicht hätte? Es gibt zum Beispiel Büchereien, wo ich vermutlich jedes dieser Bücher wieder ausleihen könnte…

Ich denke es ist die Mischung, die wichtig ist. Ich sollte mein Herz nicht an zu viele Dinge hängen.

Durch den anstehenden Umzug merke ich, dass es gerade nicht die materiellen Dinge sind, an denen ich hänge. Es ist der runtergekommene alte Küchentisch und nicht das teure Sideboard, das ich zur Hochzeit geschenkt bekommen habe.

Gerade deshalb tut es mir gut, mich vor dem Umzug noch von einigen materiellen Dingen zu befreien. Ich glaube für mich lebt es sich leichter, ohne den materiellen Ballast.

Anna Gold aus Mannheim von der katholischen Kirche

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SWR2 Wort zum Tag

Es ist Mitte Januar und ich bin meine Weihnachtspfunde immer noch nicht wieder los. Seit dem Jahresbeginn sage ich mir – jetzt muss ich aber mehr auf meine Figur achten und gesünder leben. Ich bin unzufrieden – ich habe drei Kilo zugenommen. Aber - sieht das außer mir überhaupt jemand?

In meinem Kopf ist es so drin: Es ist nicht in Ordnung, wenn ich schwerer bin, als gewöhnlich.

Dabei ist es doch so: Über die Weihnachtstage steht der Alltag still. Ich habe nicht gearbeitet, habe die Zeit bei Freunden und der Familie verbracht und dabei ganz gemütlich viel gegessen. Das heißt, ich habe auch keinen Sport gemacht. Da ist es doch klar, dass das seine Spuren hinterlässt. Aber ist das schlimm? Schließlich war das ja eine Ausnahme. Und ich hatte eine schöne und entspannte Zeit.

Ich finde es nach wie vor schwer, mich von dem Bild, wie „man“ als Frau aussehen sollte, zu distanzieren. Ich bin zwar selbstbewusst aber neige dazu, meinen Körper schnell als „hässlich“ zu klassifizieren.

Dabei könnte ich versuchen, meinen Körper auch anders zu sehen.

Mein Körper spiegelt mein Leben. So wie mein Körper jetzt die schöne, ganz entspannte Weihnachtszeit spiegelt – mit ein paar Kilos mehr auf der Waage.

Und er spiegelt auch ganz andere Phasen: Wenn ich viel Stress habe, dann schlafe ich schlecht, bekomme dunkle Augenränder und sehe kaputt aus. Da sagt mir mein Körper durch mein Aussehen: Versuch mal, weniger zu arbeiten.

Ich habe eine Narbe an meiner Schulter. Ich bin vor ein paar Jahren mit dem Fahrrad gestürzt und auf die Schulter gefallen. Die Schulter ist gebrochen gewesen und ich konnte mich lange nicht richtig bewegen. Die Narbe von der Schürfwunde ist geblieben. Sie erinnert mich heute daran, wie gut es ist, wenn ich mich uneingeschränkt bewegen kann. Und dass mein Körper so manche Verletzungen gut überstehen kann.

Narben, Schwangerschaftsstreifen, Pickel… Aber all das gehört dazu. Mein Körper erzählt meine ganz eigene Geschichte. Er spiegelt das, was ich erlebe. Die schönen Seiten, aber auch die schwierigen Seiten, wie eine Verletzung oder eine Krankheit…

Aber ich wäre ohne all diese Erfahrungen nicht der Mensch, der ich bin. Und ich würde nicht so aussehen, wie ich jetzt aussehe.

Ich kann es also positiv sehen: Mein Körper ist ein Geschenk, das mich gut durchs Leben trägt. Und dieses Leben hinterlässt zwangsläufig Spuren.

Ich habe keinen perfekten Körper und auch kein perfektes Leben. Aber alles zusammen macht mich aus. Und alles zusammen macht meine eigene, ganz persönliche Schönheit aus.

 

Anna Gold aus Mannheim, von der katholischen Kirche

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