« Zeige Beiträge 21 bis 30 von 152 »
SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Neulich war ich wieder einmal in dem Städtchen, in dem ich als Student gelebt habe. Da bin ich ab und zu. Dort lebt auch immer noch ein alter Freund. Aber eine bestimmte Straße gibt es, da war ich tatsächlich seitdem nicht mehr. Damals, da bin ich die fast jeden Tag gegangen. Das ist jetzt über 30 Jahre her.
Es ist eine lange Straße, man kann in Ruhe nachdenken. Sich erinnern. Eigentlich hat sich gar nicht viel verändert. Die Häuser, die Gärten: mehr oder weniger wie vor 30 Jahren. Doch, hier und da steht ein neues Haus. Oder wurde umgebaut. Oder aufgestockt. Die Autos sehen anders aus als 1990. Aber sonst: eigentlich wie damals.
Und ich? Wie sehr habe ich mich verändert in dieser Zeit? Es hat sich alles vertraut angefühlt auf dieser Straße. Aber das ist nicht mehr mein Zuhause.
Und würde ich wirklich tauschen wollen – ich heute mit mir vor 30 Jahren? Ich glaube, ich war damals ziemlich anstrengend. Auch für mich selbst. Ich habe im Brustton der Überzeugung über Sachen geredet, von denen ich nicht viel Ahnung hatte. Heute habe ich wahrscheinlich auch nicht viel mehr Ahnung. Aber ich schweige dann schon mal. Lächele, denke mir meinen Teil.
Anderseits: Wäre es nicht toll, wirklich noch einmal ganz neu anzufangen? Davon spricht ein Satz aus der Bibel. Der führt wirklich ganz bis zum Anfang zurück. Es ist der Bibeltext für den heutigen Sonntag. Der geht so: „Verlangt wie neugeborene Kinder nach der unverfälschten, geistigen Milch, damit ihr durch sie heranwachst und Rettung erlangt!“
Noch einmal ganz von vorne anfangen. Wie ein kleines Kind. Nichts wissen, nichts können. Alles von anderen bekommen und darin wachsen. Buchstäblich wie ein Säugling. Wird das heute von mir erwartet? Will dieser Satz aus der Bibel, dass ich zurück zum Start gehe? Und dann?
Ich spiele das einmal durch: Dann würde ich den alten Weg vielleicht gehen wie vor über 30 Jahren zum ersten Mal. Nicht wissen, was kommt. Wie es hinter der Biegung da weitergeht.
Der liebe alte Mensch, der immer die gleichen Geschichten von früher erzählt – dem würde ich plötzlich neugierig zuhören. Ich hätte die Geschichten ja noch nie gehört!
Und ich hätte noch keine Ahnung, was „man“ angeblich tut und was nicht. Was man darf, was man soll, und was sich nicht gehört. Ich würde so vieles einfach ausprobieren. Und dann?
Vielleicht würde ich die Welt ganz neu entdecken. Vielleicht würde ich dabei sogar etwas wirklich Neues entdecken. Ich hätte Freude an Dingen, die alle anderen schon kennen. Aber ich ja noch nicht. Ich würde nicht mit Sorge nach vorne schauen, sondern mit Hoffnung. Gespannt, neugierig.
Und jetzt frage ich mich im Ernst: Schaffe ich das noch? In meinem Alter? Kann ich mich darauf einlassen?
Ich lese noch einmal den ganzen Satz aus der Bibel: „Verlangt wie neugeborene Kinder nach der unverfälschten, geistigen Milch, damit ihr durch sie heranwachst und Rettung erlangt!“
Unverfälschte, geistige Milch. Das klingt nach: „frei von allen Zusätzen“. Natur pur. Wie eben Muttermilch. Aber für den Geist. „Geistige Milch“, das verstehe ich so: alles, was ich denke, was ich glaube. Was ich weiß, was ich meine. Worauf ich vertraue, worauf ich hoffe. Was mein Leben bestimmt. Mein Planen und Entscheiden. Was mich seit Kindertagen prägt, was ich wie mit der Muttermilch aufgesogen habe.
Der Satz aus der Bibel lädt mich dazu ein, einmal genauer hinzusehen: Was habe ich denn von Kindesbeinen an aufgesogen wie mit der Muttermilch? War das alles gut? Oder habe ich manches den Erwachsenen einfach nur nachgeplappert, ohne es jemals zu hinterfragen? Was das reine Milch? Rein und unverfälscht? Und plappere ich das immer noch nach?
Ich habe mir einmal angeschaut, wo der Satz in der Bibel steht. Was da im Zusammenhang sonst noch alles steht. Da heißt es, dass wir uns ganz auf Jesus verlassen sollen. Dass wir uns ganz auf ihn einlassen sollen. Und damit ganz auf Gott vertrauen. Uns hingeben wie ein kleines Kind. Wir sollen alles ablegen, was falsch und schlecht ist. Dinge wie Heuchelei, Neid und üble Nachrede. Ja, wir sollen wirklich neu beginnen. Und so von Neuem wachsen. Dann wird es gut.
Ich gehe in Gedanken noch einmal den Weg von früher. Den ich vor 30 Jahren fast täglich gegangen bin. Da war ich ja auch schon Jahre entfernt von der unverfälschten Muttermilch. Da hatte sich doch vieles schon festgesetzt. Aber ich war doch noch sehr neugierig. Wie geht es da weiter, da hinter der Wegbiegung? Und dann habe ich mich jedes Mal auf die Freunde gefreut, die ich da besucht habe, am Ende des Weges.
Der Satz aus der Bibel lädt mich dazu ein, mit solcher Freude und Neugier in die Zukunft zu schauen. Nicht immer gleich zu sagen: „Ach, das hat ja doch keinen Zweck!“ Sondern es einfach mal zu probieren. Einfach anzufangen. Voller Vertrauen auf Gott. Wirklich ein bisschen wie ein neugeborenes Kind. Ohne Heuchelei, Neid und üble Nachrede.
So ein Baby ist völlig abhängig von anderen. Alleine bringt es nicht viel zustande. Es braucht andere. Ja, ich auch. Sie auch. Wir alle.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37440SWR2 Lied zum Sonntag
Musik 1
Was für ein Weg, den Jesus am Palmsonntag beginnt …! Heute rufen sie noch „Hosianna!“ Bald schon „Kreuzige ihn!“
Jesus geht ans Kreuz. In der Karwoche können wir seinen Weg im Gebet nachgehen. Schritt für Schritt. Franz Liszt hat die Stationen des Kreuzwegs vertont. Wenige Jahre vor seinem Tod findet der geniale Klaviervirtuose dabei zu ungewöhnlichen Klangfarben. Er verwendet auch traditionelle liturgische Gesänge wie das Stabat mater, das Maria weinend unter dem Kreuz ihres Sohnes zeigt.
Musik 2
Was für ein Weg … Ein Weg der Tränen. Jesus trägt den Schmerz der Welt. So glauben es Christen. Jesus erträgt das für uns Menschen, die wir unsere Schuld nicht allein tragen können. Damit sich zusammenfügt, was wir zerrissen haben. Damit heil wird, was wir im Unheilen lassen. Damit die Welt ein neues Lied lernt. Töne der Hoffnung, des offenen Himmels.
Musik 2
Was für ein Weg, der Weg zum Kreuz. Ach, könnte doch nicht geschehen, was unweigerlich geschehen wird. Ach, könnte die Welt ein Ort werden, der Gewalt, Folter, Verleumdung und Mord nicht mehr kennt. Wo Menschen nicht mehr vor der Zeit sterben müssen, weil die Logik der Gewalt es nicht anders haben kann. Wo keine Mutter um ihr totes Kind weinen muss. Wo die Erde die Schwelle zum Himmel ist und nicht das Tor zur Hölle. Ach, wie weit ist dieser Weg!
Musik 3
Was für ein Weg. Wenn wir ihn mitgehen und mitleiden, dann können wir Frieden lernen. Dann führt unser Weg zum Leben. Über das Kreuz. Daher der alte Gesang: „Ave crux“ – „Sei gegrüßt, Kreuz.“
Musik 4
„Sei gegrüßt, Kreuz, einzige Hoffnung; Heil und Ehre der Welt, mehre die Gerechtigkeit der Treuen und schenke den Sündern Barmherzigkeit. Amen“
Musik 4
----
Franz Liszt / altkirchl. Liturgie / Paul Gerhardt / Hans Leo Haßler
Musikquellen:
Musik 1: Statio V: Simon von Kyrene hilft Jesus das Kreuz tragen (Orgel solo) aus: Via crucis (1878); Missa Choralis / Via Crucis; Liszt, Franz; Erato (LC 00200); EAN 3269657553124; Alain, Marie-Claire; 01-012
Musik 2: Station III: Jesus fällt zum ersten Mal aus: Via crucis Die 14 Stationen des Kreuzweges für Soli, Chor und Orgel, R 534; Via crucis, R 534; Liszt, Franz; Bibel; ...; Trefz, Hermann; Meissner-Schaufelberger, Susanne; Südfunk-Chor Stuttgart; Mende, Heinz
Musik 3: Station 6: Sancta Veronica aus: Via crucis. Die 14 Stationen des Kreuzwegs für Soli, gemischten Chor und Orgel, R 534 (S 53); Via Crucis; Liszt, Franz; Fortunatus, Venantius; ...; Collegium Vocale Gent; Leeuw, Reinbert de
Musik 4: Station XIV: Jesus wird ins Grab gelegt aus: Via crucis Die 14 Stationen des Kreuzweges für Soli, Chor und Orgel, R 534; restliche Angaben wie Musik 2
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37405SWR2 Lied zum Sonntag
Wohin geht die Reise? Was kann den Weg weisen? Den Weg durchs Leben – oder auch nur durch die nächste Zeit?
Auf See sind das Sterne. Die sieht man dort besonders gut. Meerstern – stella maris: Mit diesem Namen rufen Seefahrer seit alters Maria an, die Mutter Jesu. Sie ist der Stern, der den Weg weist, auf dem Meer und im Leben.
Ave, maris stella – gegrüßt seist du, Meerstern: So beginnt ein sehr altes Gebet. Und so hat es der norwegische Komponist Edvard Grieg 1898 vertont:
Ave, maris stella,
Dei mater alma
atque semper virgo,
felix caeli porta.
„Meerstern, sei gegrüßet, Gottes hohe Mutter, allzeit reine Jungfrau, selig Tor zum Himmel!“
In meiner evangelischen Erziehung gab es keinen Platz für solche Sätze. Doch Griegs ruhig atmende Musik schenkt mir einen Zugang dazu. Ich male mir aus, wie dieses Lied nachts auf einem Schiff gesungen wird, unter freiem Himmel, unter den Sternen. Menschen aller Sprachen und Nationen finden in den alten lateinischen Worten zusammen.
‚Das wäre in der Tat das Tor zum Himmel. Das hätte etwas Erlösendes – so wie es in der nächsten Strophe heißt: „Lös der Schuldner Ketten, mach die Blinden sehend, allem Übel wehre, jeglich Gut erwirke“:
Solve vincla reis,
profer lumen caecis,
mala nostra pelle,
bona cuncta posce.
Die so besungene Maria ist nicht nur der strahlende Stern am Meereshimmel. Sie ist auch die sehr aktive Fürsprecherin der Menschen. Wenn ich auf so einem Schiff wäre, dann würde ich mitsingen. Würde der Größe dieses Gebets nachgehen, Wort für Wort, Atemzug für Atemzug.
Maria als Gegenüber zu Gott und zu den Menschen: Das hat schon etwas Faszinierendes, Anziehendes, auch für mich. Die Musik von Edvard Grieg zeichnet Maria mit sanfter Stärke und einem langen Atem. Voller Vertrauen und Liebe bleibt sie dran, bis die Not gelöst ist. Weil sie Gott hört. Und uns Gott hören lässt.
Vitam praesta puram,
iter para tutum,
ut videntes Jesum
semper collaetemur.
„Gib ein lautres Leben, sicher uns geleite, dass wir einst in Freuden Jesus mit dir schauen.“
Da geht die Reise hin. Vitam puram, ein reines Leben – das ist wohl eine Utopie, ein Ort, den es nicht gibt. Aber es gibt den Weg dahin. Mit Gottes Hilfe bleiben wir auf Kurs. Wie Maria, die einmal einem Engel geantwortet hat: „Ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.“
----------------------
T + M: Ambrosius Autpertus, 8.Jh. / Edvard Grieg 1893/98
Musik: Mogens Dahl Chamber Choir, Sacred North, Track 5, Exlibris EXLCD30127
SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Kennen Sie das: Sie kommen in einen Raum, in dem schon viele Menschen sind – und keiner bemerkt Sie. Andere schaffen es spielend, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die werden gesehen, denen hört man zu, mit denen lacht man laut. Aber Sie: Sie stehen da – und niemand nimmt Notiz von Ihnen. Kennen Sie das?
In einer Umfrage haben Leute einmal davon erzählt, dass sie das Gefühl haben, nicht bemerkt zu werden – als wären sie unsichtbar. Vielen Menschen geht das so. Bei genauerem Hinsehen hat das meistens gar nicht gestimmt. Aber die Menschen haben es so empfunden. Sehr, sehr viele Menschen empfinden das so, hat diese Umfrage gesagt. Und – ja, ich habe mich auch sofort darin wiedergefunden.
Wir Menschen brauchen es, dass wir gesehen werden. Dass man uns wahrnimmt. Das brauchen wir eigentlich unser ganzes Leben lang. Wir möchten wahrgenommen werden. Bitte nicht übersehen werden. Das geschieht vielleicht seltener, als wir denken. Aber wenn doch – wenn jemand einfach so übersehen wird, dann ist das schlimm.
Die Bibel erzählt oft von Menschen, die übersehen werden. Da ist zum Beispiel Hagar, eine junge Frau. Hagar war es gewohnt, dass sie übersehen wurde. Sie war nur eine Sklavin. Ein Mädchen, das seiner Herrin mit in die Ehe gegeben worden war. Wie ein Kleid oder eine Truhe. Einfach ein Gegenstand. Wahrgenommen wurde Hagar erst, als ihre Herrin Sarah keine Kinder kriegen konnte. Da hat Sarah ihrem Mann die Hagar gegeben: „Nimm das Mädchen. Damit wir endlich ein Kind kriegen.“ Hagar wird nicht gefragt. Und sie wird schwanger. Und jetzt sieht sie auf Sarah herab. Jetzt ist sie wer! Jetzt sieht man endlich sie an, und nur sie!
Das geht nicht gut. Sarah ist immer noch Hagars Herrin! Und das lässt sie Hagar spüren: Sie plagt und demütigt das Mädchen so lange, bis Hagar in die Wüste flieht. Und hier kann sie eigentlich nur noch sterben – allein und von niemandem gesehen. Aber da findet sie ein Engel, ein Bote Gottes. Der fragt sie: „Hagar, wo kommst du her und wo willst du hin?“ Hagar erzählt alles. Und der Engel sagt: „Denke nicht, dass keiner dich sieht. Gott hat dich nicht vergessen. Geh zurück und lass den Dingen ihren Lauf. Aber dein Kind, das ist erst der Anfang von einem großen Volk.“
Hagar tut, wie der Engel gesagt hat. Sie vertraut darauf, dass sie nie mehr unsichtbar und unwichtig sein wird. Gott hat genau gesehen, was sie wert ist. Jetzt ist es für Hagar nicht mehr so wichtig, dass sie nur eine Sklavin ist. Sie fügt sich, weil sie etwas weiß, das die anderen nicht wissen. Gott wird sie nicht vergessen. Das hat der Engel ihr versprochen. Hagar findet einen wunderschönen Namen für Gott: „Du bist ein Gott, der mich sieht“.
II
Menschen brauchen es so sehr, dass sie gesehen werden. Dass sie wahrgenommen werden. Darüber habe ich eben in den SWR4-Sonntagsgedanken gesprochen. Und von Hagar erzählt, einer jungen Frau aus der Bibel. Hagar sollte das Kind bekommen, das ihre Herrin nicht bekommen konnte. Sie wurde von ihrer Herrin gedemütigt und ist in die Wüste geflohen. Dort hat ein Engel Gottes sie gefunden und ihr Mut gemacht. Und Hagar hat Gott einen schönen Namen gegeben: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Dieser Satz ist für uns Evangelische die Jahreslosung für das neue Jahr 2023. Eine Jahreslosung, das ist ein Bibelvers, der einen das ganze Jahr begleitet. „Du bist ein Gott, der mich sieht“. Das wünsche ich Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer! Dass Gott Sie sieht. Dass Gott Ihnen Mut macht und Ihr Vertrauen stark werden lässt!
Vielleicht fühlen Sie sich einmal übersehen und übergangen. Dann wünsche ich Ihnen, dass diese Worte der Jahreslosung richtig in Ihnen leuchten: „Du bist ein Gott, der mich sieht“! Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich dann stärker fühlen, sicherer, dass Ihr Selbstvertrauen wächst. Wer nämlich mit gesundem Selbstvertrauen vor die anderen Menschen tritt, der wird wirklich mehr wahrgenommen! Das habe ich selbst schon mehrmals ausprobiert. Und – es funktioniert.
Ein Gedanke ist mir zu Hagars Geschichte noch gekommen: Ich glaube, es ist kein Zufall, dass es die Geschichte von einer Frau ist. Es geht ja nicht nur darum, dass Hagar eine Sklavin ist. Dass deshalb ihre Wünsche und Träume nichts zählen. Sarah, ihrer Herrin, geht es im Grunde nicht viel anders. Beide sind sie Frauen, die feste Erwartungen erfüllen müssen: Sie haben schön zu sein, sie haben zu funktionieren. Und wichtig ist, dass sie einen Sohn bekommen. Ansonsten spielen Frauen keine große Rolle. Eigentlich hätten Hagar und Sarah sich verbünden sollen. Stattdessen streiten sie und lassen der anderen keinen Platz.
Ich habe mit vielen Männern und mit vielen Frauen zu tun. Und ich erlebe immer wieder, dass es stimmt, was Frauen manchmal sagen: dass sie mehr tun müssen, um genauso wahrgenommen zu werden wie die Männer. Sie müssen mehr aushalten und mehr leisten. Gerade ältere Frauen werden weniger wahrgenommen und trauen sich dann auch weniger zu. Ich kenne so viele Frauen, von denen ich weiß, was sie eigentlich können. Aber sie trauen sich nicht. Und dann sieht sie keiner. Natürlich gibt es auch Männer, bei denen das so ist. Aber doch mehr Frauen.
Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist. Ich kann nur meinen Wunsch wiederholen: Vertrauen Sie darauf, dass Gott Sie sieht! Dann werden auch die Menschen Sie sehen.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie das in diesem Jahr immer wieder erleben!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=36729SWR2 Lied zum Sonntag
Der Himmel reißt auf. Helle Sonnenstrahlen durchbrechen die dunklen Wolken und lassen alles glänzen.
Vielleicht hat Friedrich Spee so ein Bild vor Augen gehabt, als er vor 400 Jahren sein sehnsüchtiges Adventslied schrieb: „O Heiland, reiß die Himmel auf“. Die Himmel? Ach, ein Himmel reicht nicht. Bis in die letzten Winkel des Weltalls geht der Ruf: Komm, o Heiland! Reiß die Himmel auf! Lass es hell werden!
1. O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf,
reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloss und Riegel für.
Ist der Himmel denn zugesperrt? Ist Gott unerreichbar für menschliche Seufzer und Gebete? So mag es Menschen erscheinen, die in fürchterlichen Situationen aussichtslos gefangen sind. Friedrich Spee hat sein Lied in der Zeit der Hexenprozesse geschrieben. Frauen wurden unter willkürlichen Vorwürfen inhaftiert. Unter Folter wurden ihnen absurde Geständnisse abgepresst. Dann hat man sie verbrannt.
Spee war als Beichtvater bei den Hexenverhören dabei. Ihm war zuwider, was er erlebte, und er schrieb ein ganzes Buch dagegen. Es gab auch einen Fall in seiner eigenen Familie. Spees Schwägerin wurde als angebliche Hexe hingerichtet. Leider konnte er ihr nicht helfen. Ob sie das Lied ihres Schwagers gekannt hat? Ich stelle mir vor, sie könnte so gebetet haben: „O Heiland, reiß ab, wo Schloss und Riegel für!
Als verzweifeltes Gebet bekommen die Worte des Liedes noch stärkeres Gewicht. Und behalten es bis heute. Ein Gebet für alle Opfer von Gewalt und Verfolgung. Ich denke an die junge Iranerin Mahsa Amini, die höchstwahrscheinlich von der Sittenpolizei zu Tode geprügelt wurde. Von der Polizei ermordet, wie die Schwägerin von Friedrich Spee.
Möge der Himmel doch aufreißen! Und möge rasch einer kommen, der vor Leid und Tod retten kann!
4. Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal,
komm, tröst uns hier im Jammertal.
Friedrich Spee bleibt bei Jammer und Verzweiflung nicht stehen. Seine Verse sind darum so eindrücklich, weil sie der Sehnsucht und Hoffnung so anschauliche Bilder geben. Diese Bilder hat er beim Propheten Jesaja gefunden. Dort heißt es zum Beispiel: „Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab!“
Spee hat diese Worte auf Christus bezogen. Er ist für ihn der Heiland des Liedes, er ist die klare Sonne, der schöne Stern. So will uns Friedrich Spee nicht bei den Bildern des Jammers stehenlassen, sondern Bilder des Heils und der Hoffnung in unsere Herzen geben. Möge Christus kommen und das Jammertal hell und heil machen!
(3+)5. … o Heiland, aus der Erden spring.
O klare Sonn, du schöner Stern,
dich wollten wir anschauen gern;
o Sonn, geh auf, ohn deinen Schein
in Finsternis wir alle sein.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=36712SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Einer war krank, war gelähmt. Konnte nur noch im Bett liegen. Da hat er von Jesus gehört. Der soll in die Stadt kommen. Der hat schon andere wieder gesund gemacht. Bestimmt kann Jesus helfen!
Aber wie soll der Gelähmte zu ihm kommen? Das ist erst einmal kein Problem. Der Kranke hat echte Freunde, Gott sei Dank! Die tragen ihn hin – samt seinem Bett.
Aber kaum sind sie angekommen, da haben sie ein Problem: Das kleine, aus Lehm und Stroh gebaute Haus, in dem Jesus spricht, das ist rappelvoll. Auch draußen an der Tür und an den Fenstern drängeln sich die Menschen. Da ist kein Durchkommen. Keine Chance.
Für den Gelähmten ist das nichts Neues. Nicht voran können, nichts machen können: das kennt er. Das Leben findet für die anderen statt. Ihm bleibt sein Bett. Bitter! Das wäre jetzt seine eine Chance gewesen: Jesus begegnen, vielleicht gesund werden, endlich dazugehören und ganz normal leben. Ohne seine Freunde wäre er nicht einmal bis hierher gekommen …
Aber die Freunde – die hat er! Und die sind nicht bereit, so kurz vor dem Ziel aufzugeben. Der Gelähmte spürt, dass sein Bett sich wieder bewegt. Und er hört seine Freunde: „Wir gehen auf das Haus! Rauf aufs Flachdach!“ Vielleicht hat sich der Kranke noch gefragt, was das bringen soll. Aber da haben sie schon angefangen, kurzerhand ein Loch ins Dach zu machen: einfach durch das Holzgeflecht und die Lehmschicht hindurch.
Unglaublich dreist. Aber Not kennt kein Gebot. Sie machen das Loch und lassen das Bett hinab. Bis der Gelähmte genau vor Jesus liegt. Alle halten den Atem an. Was für ein unverschämtes Vertrauen haben die! Und Jesus? Was wird der sagen, was wird er tun?
Jesus ist sichtlich beeindruckt von den Freunden. Von ihrem unverschämten Vertrauen. Woher hat der Kranke solche Freunde?! Damals hat man gedacht, kranke Leute werden von Gott bestraft. Die haben irgendwas Schlimmes getan. Oder ihre Eltern, oder sonst jemand in der Familie.
Bestimmt haben das auch viele gedacht, die jetzt zu Jesus gekommen sind. Wer krank ist, der ist selber schuld. Da kann man nichts machen.
Die Freunde des Kranken, die denken nicht so. Und Jesus auch nicht. Der guckt den Kranken an und sagt: „Du bist frei von allem, was du einmal falsch gemacht hast. Ich vergebe Dir alle deine Sünden.“
Was maßt sich Jesus da an? Keiner sagt was. Aber Jesus weiß genau, was die Leute denken. Und er spricht es aus. Das, was alle denken, aber wovon keiner redet. Das, was eigentlich richtig krank macht. Was Leute festlegt: auf ihre Krankheit. Auf ihre Schuld.
Jesus wendet sich wieder dem Kranken zu. Er sagt zum Gelähmten: „Du hast keine Schuld, dass du krank bist. Steh auf!“
Es ist unfassbar! Der Kranke steht auf! Er ist nicht mehr gelähmt. Er ist geheilt. Jesus hat ihn regelrecht befreit: von der Krankheit. Und von all dem Gerede hinter vorgehaltener Hand. Das lähmt auch, dieses Gerede!
Wer krank ist, der ist selber schuld. Heute heißt das: Du hast zu viel gegessen. Und noch das Falsche. Du hast zu viel getrunken, zu viel geraucht, dich zu wenig bewegt. Du machst dir zu viel Stress. Du lebst einfach ungesund. Kein Wunder, dass du krank bist!
Ich höre oft, wie Menschen so was zueinander sagen. Manchmal sagen sie es auch nicht laut. Aber man merkt, wie sie es denken. Und wer das einmal gehört hat, der sagt es sich dann selbst. Der braucht die anderen dafür gar nicht mehr. Solche Sätze lähmen! Ja, am Ende liegt da einer oder eine nur noch im Bett. Nichts geht mehr. Selber schuld.
Wie gut, wenn Menschen da nicht mitmachen. Wenn da treue Freunde sind, die sagen: „Wir helfen dir! Wir tun alles für dich! Wir lassen dich nicht im Stich! Uns fällt schon was ein!“
Wenn es einem dreckig geht, erkennt man, wer es gut mit einem meint. Der Gelähmte in der Geschichte in der Bibel, der hatte wirklich Wahnsinnsfreunde! Was hat der für ein Glück mit denen gehabt! Und was für ein Glück, dass sie nicht locker gelassen haben. Bis sie bei Jesus angekommen waren. Bis sie ihren kranken Freund Jesus vor die Füße gelegt haben.
Jesus sieht die Freunde des Kranken. Und er wird dem Kranken selbst zum Freund. Er sagt: „Du bist frei von allem, was dich krank macht.“ Du hast keine Schuld. Du bist frei. Lass dir nichts einreden. Lass dich nicht auf deine Krankheit festlegen!
Ich denke jetzt an Menschen, denen Jesus so etwas sagen sollte. Sicher fallen Ihnen auch solche Menschen ein. Oder Sie quälen sich selbst mit einer Krankheit. Jesus sagt: „Du bist frei! Du hast keine Schuld! Steh auf!“
Ihnen sagt Jesus das, mir – und allen, an die Sie und ich jetzt denken. Sagen wir es weiter. Als treue Freunde. Und glauben wir selbst daran. Mit diesem unverschämten Vertrauen!
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=36385SWR2 Lied zum Sonntag
Gibt es ein gutes Hausmittel für schwere Wege? Etwas, das sie leichter machen kann?
Im 37. Psalm steht ein Satz, der mir schon in manchen schweren Situationen geholfen hat: „Befiehl dem HERRN deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohlmachen.“ Also: Lege alles, was deinen Weg schwer macht, voller Vertrauen in Gottes Hand. Oder – so wäre der hebräische Satz wörtlich übersetzt: Wälze das Schwere auf Gott!
Der Pfarrer und Dichter Paul Gerhardt hat vor über 350 Jahren ein Lied gedichtet, in welchem er diesen Bibelvers über die Anfänge von 12 Strophen verteilt. Mit „Befiehl“ beginnt die 1. Strophe, mit „Dem Herrn“ die 2. und so weiter – bis in der letzten Strophe das letzte Wort „machen“ auf die Worte „Mach Ende“ verteilt wird
Sozusagen eine ganze Kur mit dem Hausmittel.
Musiktitel 1: Gesius, Bartholomäus; Telemann, Georg Philipp; Gerhardt, Paul: Befiehl du deine Wege
Die allertreuste Pflege des, der den Himmel lenkt – die scheint mir tatsächlich ein gutes Mittel gegen schwere Wege. Besonders, wenn das so leicht gesungen wird wie hier – wie ein Lied, das man vor sich hin trällern oder pfeifen könnte, wenn man die schwere Weglast auf Gott wälzt. Wie schwer die Wege auch sind – Singen geht immer, hat sich Paul Gerhardt wohl gedacht!
Als Pfarrer an der Berliner Nikolaikirche steuerte er viele Lieder zu einem neuen Gesangbuch bei, das sein Freund, der Kantor Johann Crüger, herausgab. Für „Befiehl du deine Wege“ greift er auf eine damals schon bekannte Melodie von Bartholomäus Gesius zurück, der ein paar Jahrzehnte zuvor in Frankfurt an der Oder gewirkt hatte.
Mit seinem Versmaß kann das Lied auch auf viele andere Choralmelodien gesungen werden – und so ist es tatsächlich oft geschehen. Ein Hausmittel gegen vielfache Sorgen – zu singen auf die Melodie, die gerade zur Hand ist!
Musiktitel 2
Sorgen können unendlich groß erscheinen. Doch Gott ist größer, sagt das Lied. Der erste Schritt der singenden Heilkur ist, Gott anzubefehlen, was zu schwer geworden ist. Der zweite Schritt: Vertrauen. Nicht in den Sorgen untergehen. Gott machen lassen: „Bist du doch nicht Regente, der alles führen soll, Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl.“
Paul Gerhardts Hoffnung – das ist der letzte Schritt – die ging dabei über den Tod hinaus. Denn er war überzeugt: Nichts ist stärker als Gottes Hilfe.
Oft fühle ich mich überfordert und alleingelassen. Dann macht das Lied mir Mut: Gib ab, was dir zu schwer wird, dann geht der Rest viel leichter!
Musiktitel 3
„Befiehl dem HERRN deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohlmachen.“ Daran will ich mich halten, wenn mir ein Weg wieder unüberwindbar schwer erscheint.
Musiktitel 1: Gesius, Bartholomäus; Telemann, Georg Philipp; Gerhardt, Paul: Befiehl du deine Wege
Interpretin: Vera Hahn
CD: Reiß die Himmel auf! Alte Kirchenlieder als Chansons, Track 7, Timezone
https://www.kirche-im-swr.de/?m=36333SWR2 Lied zum Sonntag
Musik 1
Was, wenn alles fällt? Wenn wir in den Nachrichten die Ruinen sehen? Wenn alles bröckelt und zerfällt, woran man ein Leben lang geglaubt hat? Diese Erfahrung beschreibt das Lied von Rudolf Alexander Schröder. Der Text ist von 1936, die Melodie nur wenige Jahre jünger. Und doch könnte das Lied fast von heute sein. So genau beschreibt es unsere gegenwärtige Erfahrung.
Aber gerade in diesem Unheil will der Dichter und Architekt Rudolf Alexander Schröder uns ermutigen: „Halte du den Glauben fest, dass dich Gott nicht fallen lässt: er hält sein Versprechen.“
So viel spricht gegen einen zuversichtlichen Blick auf die Welt. Der Dichter kennt die Einwände. Er benennt sie und setzt doch etwas dagegen: Vertrauen. Gottvertrauen. In diesem Vertrauen kann man sich noch einiges Düstere anschauen.
Musik 2
Frevel, das ist Gewalt und Übermut. Das ist gezielte, bewusst eingesetzte Bosheit. Der Frevler macht vor nichts Halt. Nicht einmal vor dem Heiligen. Als Schröder sein Gedicht 1939 veröffentlichte, hatten in Deutschland schon die Synagogen gebrannt. Was Menschen heilig war, wurde mutwillig geschändet. Und heute werden in der Ukraine Raketen auf Kirchen, Krankenhäuser und Kindergärten geschossen.
Aber während nicht nur Burgen, sondern auch Gotteshäuser in Trümmer fallen, vertraut Schröder darauf, dass am Ende die Gerechtigkeit den Sieg behalten wird. Er ist davon überzeugt: Auf Frevel gegründete Macht wird niemals Bestand haben.
Musik 3
Unrecht und Unheil sind so alt wie die Welt. Überall und zu allen Zeiten waren sie verbreitet. „Schau dir’s an!“, sagt das Lied. Schau nicht weg! Bleib stehen! Lass dir keine Angst einjagen!
Aber das ist leichter gesagt als getan! Angst ist die schärfste Waffe des Frevlers, des Gewalttäters. Rudolf Alexander Schröder war homosexuell. Er hat in ständiger Angst gelebt, dass der Unrechtsstaat darauf aufmerksam würde. „Stehe fest! Nur wer sich nicht schrecken lässt, darf die Krone tragen“, dichtet er selbstbewusst – und hat sich doch auch einmal verbogen, damit ihm nichts passierte. Nach dem Krieg hat er sich deshalb heftige Vorwürfe gemacht. Aber eigentlich macht ihn diese Angst sehr menschlich.
Gerade weil es ihm selbst so schwer fiel, finde ich seine Worte so glaubwürdig: „Fass ein Herz und gib dich drein; Angst und Sorge wird’s nicht wenden. Deine Zeit und alle Zeit stehn in Gottes Händen.“ Darauf kann ich bauen.
Musik 4
--------------------------------------
Musikangaben:
Es mag sein, dass alles fällt (EG 378)
Geilsdorf, Paul; Schröder, Rudolf Alexander;
Es mag sein, dass alles fällt für Baß und Chor a cappella
Ja, ich will euch tragen - Jochen Klepper und seine Zeitgenossen
Das Solistenensemble; Schnitter, Gerhard
SWR2 Lied zum Sonntag
Gibt es einen richtigen Weg durchs Leben? Durch alle Unsicherheit, Ungewissheit, Unübersichtlichkeit hindurch?
Die Bibel ist davon überzeugt. Immer wieder beschreibt sie diesen Weg. Mit besonders schönen Worten tut das der 119. Psalm, das längste Gebet in der Bibel. Es bildet die Grundlage zu einem der schönsten Kirchenlieder: „Wohl denen, die da wandeln“.
Musik
Im Jahr 1601 wurde der Leipziger Pfarrer Cornelius Becker vorübergehend seines Amtes enthoben. Das war für ihn aber kein Grund zur Verzweiflung – ganz im Gegenteil: Er hat die halbjährige Zwangspause genutzt, um alle 150 Psalmen der Bibel in Reimen nachzudichten. Der Komponist Heinrich Schütz hat die Verse vertont. Den 119. Psalm hat Becker in, man höre und staune: 88 Strophen nachgedichtet, Schütz hat allein acht Melodien dazu geschrieben. Davon ist heute nur noch eine gebräuchlich – und leider auch nur noch vier Strophen. Es lohnt sich aber, auch einmal in die anderen hineinzuhören:
Musik
Gibt es einen richtigen Weg durchs Leben? Ja, den gibt es, meinen der 119. Psalm und der Lieddichter Cornelius Becker. Gottes Gebote, seine Weisung an Israel, die Tora, sind der Wegweiser dahin. Diejenigen, die richtig auf „des Herren Bahn“ wandeln, halten sich mit Fleiß an Gottes Befehle.
Aber wer diesen Weg gehen will, braucht tägliche, fleißige Übung. Es ist genauso wie beim Lernen eines Instruments oder beim Üben einer Sportart.
Gott selbst will uns trainieren. „Lehr mich den Weg zum Leben“, bittet eine weitere heute unbekannte Strophe. „Dein Gnad mich unterweis, so will ich Zeugnis geben von deiner Wunder Preis.“
Musik
Wer regelmäßig Sport macht, ist am Ende durchtrainiert. Und die da wandeln vor Gott in Heiligkeit: die sind sozusagen „durchgeheiligt“. Wenn ich durchgeheiligt bin, dann kann ich den Alltag bestehen. Mit allen Sorgen und Nöten, Ängsten und Verlusten. Aber auch mit allem Glück und aller Hoffnung. Ich bin fit für meinen Weg durchs Leben. „Wenn du mich leitest, treuer Gott, so kann ich richtig laufen den Weg deiner Gebot.“
Musik
https://www.kirche-im-swr.de/?m=35846SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Hat Sie schon mal der Teufel besucht? Manchmal, da scheint es doch wirklich wie verhext! Nichts gelingt, alles geht schief – als hätte der Teufel seine Hand im Spiel. „Als hätt‘ mich da einer geschubst“, sagt die ältere Dame nach ihrem schweren Sturz.
Gerne flüstert der Teufel einem auch etwas ein: Fahr ruhig schneller, es ist doch kaum Verkehr! Hab keine Angst vor Gefahr – gefährlich ist es nur für die anderen! Und die sind sowieso alle blöd. Vergiss bloß nicht, ihnen das auch zu sagen!
Der Teufel liebt alles, was nicht gut läuft. Hast du Zweifel an dir? Möchtest du am liebsten alles hinschmeißen? Schon gibt der Teufel dir recht: Du kannst sowieso nichts! Du machst eh alles falsch! Du bildest dir etwas ein und gehst in die völlig verkehrte Richtung!
Einer, dem der Teufel so etwas gerne gesagt hat, das war Martin Luther. Bis es dem gereicht hat. Ein Tintenfass soll er nach dem Teufel geschmissen haben. Auf der Wartburg, als er sich vor seinen Feinden verstecken musste. Genau in dieser schweren Zeit ist der Teufel vorbeigekommen. Der wollte Luther einflüstern, dass der alles aufgibt. Da hat er Luthers Tintenfass an den Kopf gekriegt. An der Wand gab es einen Riesentintenfleck.
Dabei hat Luther eigentlich eine viel bessere Methode gegen den Teufel gehabt. Immer, wenn er das Gefühl hatte: Jetzt steht der Teufel neben mir, der will was von mir, was ich nicht will – und was ich auch um Gottes Willen nicht tun sollte! Immer dann hat Luther sich einen kurzen lateinischen Satz aufgeschrieben: baptizatus sum. Auf Deutsch: Ich bin getauft. Das war wie eine Zauberformel. Wenn ihn Angst oder Schwermut überfiel: baptizatus sum. Wenn er sich vom Teufel und Dämonen verfolgt fühlte: baptizatus sum – ich bin getauft. Das hat er auf einen Zettel geschrieben oder mit Kreide vor sich auf den Tisch.
Als Zauberspruch hätte Luther das nicht bezeichnet. Die Taufe ist ja auch keine Zauberei, kein Wundermittel, das alles Böse fernhält. Aber mich erinnert Luthers Satz an die Bücher über den jungen Zauberer Harry Potter. Da gibt es einen Zauberspruch gegen alles Böse und Gefährliche: expecto patronum. Auf Deutsch: Ich erwarte meinen Schutzherrn. Dann kommt ein guter Zauber und vertreibt den bösen.
Nein, so funktioniert es für Martin Luther nicht. Er ruft seinen Schutzherrn nicht mit einem Zauberspruch herbei. Aber Luther hat einen: Jesus Christus. Mit ihm ist er durch die Taufe verbunden: baptizatus sum – ich bin getauft. Das drückt ein ganz tiefes Vertrauen aus: Ich bin nicht allein. Ich bin behütet. Selbst in einer schlimmen Zeit verlässt Gott mich nicht. Jesus selbst steht mir zur Seite.
Aber was hat es mit der Taufe nun genau auf sich?
Nachher um elf werde ich ein kleines Mädchen taufen. Ich freue mich, wenn junge Eltern ihr Kind unter Gottes Schutz stellen wollen. Sie vertrauen es Gott an, ein Leben lang. Wer weiß, was das Kind alles erleben wird! Bestimmt wird da nicht alles glatt gehen. Und es wird Tage geben, da geht einfach alles schief. Als hätte der Teufel seine Finger im Spiel. Vielleicht wird dieses Mädchen sogar einmal am eigenen Leben zweifeln. Hoffentlich wird es dann seine Taufe spüren, auch als erwachsene Frau. Hoffentlich wird sie wie Martin Luther dieses tiefe Vertrauen haben: Gott ist für mich da.
In vierzehn Jahren wird sie vielleicht konfirmiert. So wie ihre Mutter. Die habe ich vor einigen Jahren konfirmiert, und meine Frau hat sie als kleines Kind getauft. Und davor deren Eltern getraut. Wir sind jetzt so lange in unserer Gemeinde und begleiten diese Familie schon so lange. Das zu sehen macht mir klar, wie die Taufe alle Christen miteinander verbindet. Über die Zeiten hinweg. Seit bald 2000 Jahren vertrauen Menschen ihr Leben Gott an und lassen sich taufen. Und bei jeder Taufe spricht die Gemeinde das Glaubensbekenntnis. Die uralten Worte verbinden die Menschen über die Zeiten hinweg in einem Glauben.
Baptizatus sum. Vielleicht lernt das kleine Mädchen, das ich taufe, einmal diesen Spruch. Für Mädchen und Frauen heißt er: baptizata sum. Ich gehöre zu Jesus. Auf seinen Namen bin ich getauft. Der wird mich begleiten, auch in Not und Gefahr. Das Schlimme muss ich trotzdem durchmachen. Aber ich bin nicht allein. Mein Schutzherr ist bei mir. Bis in den Tod, und darüber hinaus. Alle Tage, bis an der Welt Ende. Das hat er versprochen. Das wiederholen wir bei jeder Taufe.
Und es tut gut, sich daran immer wieder zu erinnern. Luther hat das gemacht und die Worte vor sich auf den Tisch geschrieben: Ich bin getauft. Junge Leute erinnern sich daran bei ihrer Konfirmation. Meine älteste Konfirmandin war übrigens fast 70. Eine sehr fromme Frau, die als Kind in der früheren Sowjetunion gelebt hatte. Sie wollte unbedingt ihre Taufe bestätigen. Baptizata sum, ich bin getauft. Das war ihr ganz wichtig.
Ja, es mag sein, dass der Teufel vorbeischaut. Aber dann müssen wir keine Tintenfässer nach ihm schmeißen. Wir können ihn anders auf seinen Platz verweisen.
Ich wünsche Ihnen Schutz und Segen an diesem Sonntag!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=35845