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SWR2 Wort zum Tag

24MRZ2023
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„Der direkteste Weg ist immer der Umweg!“ Diesen Satz von C.G. Jung habe ich vor kurzem auf einer Begleittafel neben einem Labyrinth gelesen. Und ich konnte ihm gleich spontan zustimmen. Er trifft auch meine eigene Lebenserfahrung.

Da habe ich beim Wandern ein Hinweisschild übersehen. Und schon wird die Strecke doppelt so lang. Aber sie führt überraschend an einer wunderbaren Einkehrhütte vorbei. Was mit zusätzlichen Mühen begonnen hat, hat sich am Ende als ausgesprochener Glücksfall erwiesen. Der direkteste Weg ist immer der Umweg!“ Auch im übertragenen Sinn halte ich diesen Satz für eine zutreffende Lebensweisheit. Da hat sich im Leben etwas einfach nicht ergeben wollen: Eine Stelle. Der Kontakt zu einem bestimmten Menschen. Ich musste mich dann für einen neuen Weg entscheiden. Aber am Ende hat sich genau dadurch die Tür geöffnet, die meinem Lebensweg die entscheidende Wendung ermöglicht hat.

Eine der für mich großartigsten Geschichten der Bibel ist auch eine Umweg-Geschichte. Sie erzählt von Mose. Der hat eine Zeitlang als Hirte gearbeitet. (2. Mose 3) Auf der Flucht. Um sein Leben zu retten. In der Eintönigkeit seines Hirtendaseins nimmt er eines Tages eine Erscheinung wahr. Einen Busch, der zu brennen scheint. Mose ist neugierig und sagt sich: „Ich will einen kleinen Umweg machen. Ich will schauen, was sich da abspielt.“ Und als er näherkommt, entdeckt er: Dieser brennende Busch ist keine Einbildung. Es ist der Ort einer alles verändernden Gottesbegegnung.  Denn aus dem brennenden Busch heraus beruft Gott den Mose, die Verantwortung für seine Landsleute zu übernehmen. Er soll sie aus der Sklaverei in die Freiheit führen.

Ein kleiner Umweg für Mose. Und zugleich die entscheidende Wendung auf seinem Lebensweg. Es ist dieser kleine Umweg gewesen, der Mose am Ende direkt in die größte Herausforderung seines Lebens, in seine zentrale Lebensaufgabe führt.

Nein, Umwege suche ich mir nicht selber. Sie ergeben sich. Meist gegen meinen Willen. Die Lebenskunst besteht darin, über den Umweg nicht zu jammern. Sondern ihn als Chance zu begreifen. Und Augen und Ohren offen zu halten. Ich kann sagen: Im Rückblick ist mein Leben nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Umwegen. Aber am Ende komme ich womöglich nur so direkt ans Ziel. Ich bin gespannt, welche Umwege noch auf mich warten.

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SWR2 Wort zum Tag

23MRZ2023
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„Ich bin ein Mensch!“ Jedes Mal, wenn ich im Internet ein Ticket bei der Deutschen Bahn buchen möchte, muss ich erst einmal diesen Satz anklicken. Und bestätigen, dass ich ein Mensch bin. Natürlich weiß ich, dass es darum geht zu überprüfen, dass da wirklich der Kunde bucht, der sich eingeloggt hat. Und keine Maschine. Trotzdem berührt es mich jedes Mal irgendwie seltsam, wenn ich mein Häkchen neben diese Aussage setze: „Ich bin ein Mensch!“

Eigentlich, denke ich mir, müsste man die Bestätigung dieses Satzes in ganz anderen Situationen zur Zugangsvoraussetzung machen. Wenn nicht mit einem Kreuzchen, dann doch mit innerer Zustimmung. Dieser Satz könnte überall helfen, wo Menschen es miteinander zu tun haben. Im beruflichen Alltag etwa, wenn der Chef seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder einmal seine Macht spüren lässt. Es könnte helfen, wenn er sich vorher bewusst macht: „Ich bin auch nur ein Mensch!“ Dieser Satz könnte da seine Wirkung entfalten, wo jemand nicht auf Augenhöhe mit mir spricht. Mich ungebührlich behandelt: Dann müsste ich eigentlich antworten: „Auch ich bin ein Mensch! Respektiere bitte meine Grenzen.“

Der Satz „Ich bin ein Mensch!“ hilft mir, meine Rolle gegenüber Gott recht zu verstehen. Vom Propheten Jesaja kann ich das lernen. In der Bibel wird berichtet, wie er in sein Amt als Prophet berufen wird. (Jesaja 6,1-8) Im Tempel hat er eine Vision. Er sieht Gott, umgeben von Engeln. Das ist ein derart überwältigender Anblick, dass er vor Angst fast vergeht.  Er ahnt: Eigentlich bin ich hier am falschen Ort. „Weh mir“, ruft er, „ich bin doch nur ein Mensch! Ich bin doch gar nicht würdig, hier auf Gott zu treffen.“ Einer der Engel, so wird berichtet, berührt daraufhin die Lippen Jesajas mit einem glühenden Stück Kohle. Reinigt so gewissermaßen seine Lippen. Legt die Kraft feuriger Worte in seinen Mund. Und am Ende, als Gott fragt: „Wen soll ich beauftragen, den Menschen meine Worte weiterzusagen?“. da antwortet Jesaja sehr selbstbewusst: „Ich bin ein Mensch! Sende mich!“  

Nein, ein Prophet muss ich nicht gleich werden. Aber wenn ich wieder ein Ticket buchen muss, dann warte ich, bis die Frage erscheint und setze dann ohne zu zögern mein Kreuzchen: „Ja, ich bin ein Mensch! Und deshalb mache ich mich auf den Weg. In die Welt. Und zu denen, die mit mir als Menschen unterwegs sind.“

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SWR2 Wort zum Tag

14JAN2023
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„Alles gut!“ Immer wieder höre ich diesen Satz. Meist dann, wenn ich jemanden direkt auf eine offensichtlich schwierige Situation anspreche. „Wie kriegst du das denn alles hin?“ „Alles gut! Geht schon!“ Oder „Was sagt denn der Arzt?“ „Alles gut! Das wird schon wieder!“ Andauernd werde ich mit diesen Worten beschwichtigt.

Ich bin jedes Mal von Neuem irritiert, wenn ich diesen Satz zur Antwort bekomme. Und widerspreche auch immer wieder. Denn ich frage mich: Ist das wirklich eine realistische Einschätzung der Situation? Denn offensichtlich ist ja nicht alles gut. Oder soll damit ein ehrliches Gespräch vermieden werden? Dann würde die eigentliche Botschaft lauten: Ich kann die Situation grad nicht wirklich richtig einschätzen. Aber gut ist sie nicht.“

„Alles gut!“ Eigentlich ist dieser Satz so alt wie die Bibel. Gleich auf den ersten Seiten kommt er mehrfach vor. Im Bericht von der Erschaffung der Welt in sechs Tagen. Immer heißt es am Ende eines Schöpfungstages: „Gott sah an, was er gemacht hatte. Es war gut!“ (1. Mose 1,4) „Alles gut!“ Das ist also gewissermaßen Gottes Grund-Urteil über die Welt. Ganz am Anfang. „Alles gut!“

Doch schon wenige Seiten später ist es vorbei mit dieser Bewertung. Da schlägt der Mensch über alle Stränge. Und vieles läuft aus dem Ruder. Der Mensch trägt mit einem Mal Böses in seinem Herzen. So sehr, dass Gott die Reset-Taste drückt. Und alles zurück auf Anfang stellt. In der Erzählung von der großen Flut wird davon berichtet.

Mit der Erinnerung an den Ur-Anfang höre ich das ständige „Alles gut!“ um mich herum noch einmal ganz neu. Es klingt dann nicht mehr wie die Bewertung der aktuellen Situation. Diese beiden Worte bringen eher eine Sehnsucht zum Ausdruck. Mehr noch: Sie sind die kürzeste Form eines Gebets. Alles möge wieder so sein wie am Anfang. Am Anfang des Lebens, als von der Krankheit noch nichts zu ahnen war. Am Anfang der Liebe, als diese sich noch nicht im tagtäglichen Klein-Klein zu bewähren hatte. Am Anfang, als alles noch so einfach schien. Und noch wenig davon zu erahnen war, wie sehr das Leben Menschen auch herausfordert und nicht selten überfordert.

Seitdem höre ich barmherziger auf diesen Satz. Und ich muss ihm auch nicht mehr widersprechen. „Alles gut!“ Mit diesem Gebet auf den Lippen will ich mich ganz zuversichtlich auf das, was kommt, einlassen.

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SWR2 Wort zum Tag

13JAN2023
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Ich tue mich jedes Jahr von Neuem schwer, die weihnachtlich geprägten Tage hinter mir zu lassen. In unserer Tradition dauert die Weihnachtszeit eigentlich bis zum 2. Februar. Aber kaum jemand hält so lange daran fest. Meistens werden die ausgedienten Weihnachtsbäume ohnedies gleich in den ersten Tagen des neuen Jahres abgeholt. Und spätestens am 6. Januar ist dann endgültig Schluss. Nicht so in Skandinavien.

Dort endet Weihnachten am 13. Januar. Also heute.  für diesen Termin verantwortlich ist Knut IV., König von Dänemark. Im 11. Jahrhundert hat er gelebt. Ob Knut wirklich entschieden hat, dass die Weihnachtszeit genau zwanzig Tage dauern soll, also bis zum 13. Januar, weiß niemand mehr so recht. Aber dieser Tag, knapp drei Wochen nach Weihnachten trägt in Skandinavien seinen Namen. Sankt Knuts Tag.

An diesem Tag können die Kinder die letzten Süßigkeiten verzehren, die am Baum noch hängen geblieben sind. Dann ist es endgültig um den Baum geschehen. Aber König Knut ging‘s nicht um Bäume, die aus dem Fenster geworfen werden. Sein Ziel war nicht, die Weihnachtszeit möglichst spektakulär zu beenden. Er wollte sie zunächst erst einmal verlängern.

Weil Weihnachten für ihn wie für mich etwas so Grundsätzliches, etwas Elementares zum Ausdruck bringt: Gott und Mensch kommen nicht voneinander los. Eine Kleinigkeit reicht aus, um das ganz große Wunder wahrzunehmen. Ein Kind, wie vor drei Wochen, an Weihnachten. Eine Geste der Zuwendung oft schon, die eine angespannte Situation entschärft. „Das Wort ward Fleisch und hat unter und Wohnung genommen.“ (Johannes 1,14) Dieser Satz hat keine Halbwertszeit, die nur bis zum heutigen 13. Januar reicht. Er gilt das ganze Jahr über. Eine Konsequenz könnte tatsächlich sein, dass ich einiges loswerden muss, was der Einsicht widerspricht: Gott und Mensch gehören zusammen. Da könnte ich schon einiges entsorgen. Nicht nur den Christbaum. Im Grunde alles, was mich davon abhält, in meinen Mitmenschen auch die Nähe Gottes zu entdecken. Vielleicht sollten wir den Sankt-Knuts-Tag deshalb auch bei uns  einführen.

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SWR2 Wort zum Tag

12JAN2023
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Beim Blick vom Balkon in meinem Tiroler Urlaubsdomizil lassen sich mehrere Kapellen ausmachen. Wenn man spazieren geht, gibt es kaum eine Wegkreuzung ohne ein Kruzifix. Aus Stein das eine. Kunstvoll geschnitzt die weitaus größere Zahl.

Meist findet sich auch ein Hinweis auf deren Entstehungsgeschichte. Die Pest, die das Dorf heimgesucht hat. Ein überstandener Krieg. Aber auch der Neuaufbau des Hofes nach einer Brandkatastrophe. Eine überstandene Krankheit. Die Hochzeit. Immer sind es einschneidende Ereignisse, auf die Menschen mit diesen bis heute sichtbaren Zeichen ihres Gottvertrauens reagiert haben.

Meist liegen diese Ereignisse schon Jahrhunderte oder immerhin doch einige Jahrzehnte zurück. Eine Kapelle mit der Bitte um den Erhalt dieses Planeten angesichts der Klima-Krise habe ich bisher aber noch nicht gefunden. Auch kein Kruzifix als Dank für die Bewahrung in drei Jahren, in denen das Corona-Virus gewütet hat.

Aber gefragt habe ich mich: Wie bewahren wir eigentlich die Erinnerung an einschneidende Herausforderungen unserer Lebensgeschichte? Die Bedeutung von Glauben und Religion hat sich längst gewandelt. Auch die Bereitschaft des Menschen, das Wirken Gottes im eigenen Leben überhaupt wahrzunehmen. Wir wissen heute mehr als unsere Vorfahren, wie groß unsere eigene Verantwortung ist, wenn’s um all die Bewältigung der großen und bedrängenden Probleme geht, die uns derzeit in Atem halten. Aber Gott aus diesen Zusammenhängen ganz außen vor zu lassen, das möchte ich  auch nicht.

In einem Psalm heißt es: „Gott selbst hat ein Gedächtnis seiner Wunder gestiftet.“ (Psalm 11,4). Gott hält also selber selbst die Erinnerung an sein Handeln wach. Aber ich bin sicher: Mein eigenes Erinnern hat Teil an diesem erinnernden Handeln Gottes. Auch wenn ich keine Kapelle und kein Kruzifix stifte. Aber wie denn dann? Ein persönliches Erinnerungstagebuch könnte ich führen. Meine Sorgen oder meinen Dank in einem der Fürbittbücher festhalten, die in vielen Kirchen ausliegen. Und so diese Kirche zu meiner eigenen Bitt- und Dankeskapelle machen. Wenn ich keine Kapelle mit Steinen baue, kann ich‘s zumindest mit Worten tun. Und anderen davon erzählen, dass ich Gründe genug habe, Gott etwas zuzutrauen, gerade in krisenhaften Zeiten. Und Anlass zum Danken noch obendrein.

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SWR2 Wort zum Tag

03DEZ2022
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Ich war schon überrascht. Unter meiner Geburtstagspost befand sich auch der Gruß eines Arztes, bei dem ich in Behandlung bin. Eine schöne Kunstkarte. Der Text handschriftlich geschrieben. „Ich wünsche ihnen alles Gute, vor allem Gesundheit! Wenn ich etwas dazu beitragen kann, tue ich das gerne!“

Er hat ja recht, habe ich gedacht. Ich bin wirklich längst überfällig mit dem nächsten Termin. Ehrlich gesagt: Ohne den freundlichen Gruß hätte ich mich vermutlich immer noch nicht auf den Weg in die Praxis gemacht. Der persönliche, handgeschriebene Gruß, hat mir gutgetan. Der Arzt, so habe ich gedacht, hatte mich in dem Moment im Blick. Und er hat mir auch eine klare Botschaft gesendet. Nicht ohne Erfolg!

In diesen Tagen geht mir diese Erfahrung wieder durch den Kopf. In den Wochen vor Weihnachten wird traditionell viel Post verschickt. Werbung, die mir Dinge anpreist, die sich als Geschenk eignen. Oder die ich angeblich unbedingt brauche. Organisationen, die gleich noch eine Zahlkarte mitschicken.

Ich verschicke auch gerne Post. Und ich freue mich über die, die ich selber erhalte. Am meisten freue ich mich über Grüße, die mich persönlich ansprechen. Mit ein paar handschriftlichen Sätzen, bei denen ich spüre, sie sollen mir guttun. Solche Grüße versende ich auch selber gern. Noch ganz traditionell. Mit Füller geschrieben. Mit einer Briefmarke auf dem Umschlag in den Briefkasten gesteckt. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Solche Briefe verfehlen ihre Wirkung nicht. Briefe können die Welt verändern. In der Bibel finden sich gleich eine ganze Reihe von Briefen. Interessant zu lesen bis heute. Der fleißigste Briefschreiber ist Paulus. Er musste noch ohne Computer auskommen. Dafür hat er anderen diktiert, die schneller und besser schreiben konnten als er. Aber manchmal fügt er am Ende noch seinen eigenen handschriftlichen Gruß hinzu. „Schaut! Dies schreibe ich, Paulus, mit eigener Hand.“ (Galater 6,11)

Ich möchte sie verlocken, in dieser Vorweihnachtszeit ein paar Briefe zu schreiben. Oder mindestens ein paar Kartengrüße zu versenden, ehe dafür dann wieder keine Zeit mehr bleibt. Vor allem mit eigener Hand. Vielleicht an jemandem, mit dem sie lange nicht mehr in Kontakt gewesen sind. Oder an jemanden, bei dem sie wissen, der oder die freut sich ganz besonders darüber. Weil sonst kaum jemand anders schreibt. Packen Sie ruhig auch eine Botschaft hinein. So wie mein Arzt. Bei mir hat’s ja auch geholfen.

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SWR2 Wort zum Tag

02DEZ2022
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Vor wenigen Wochen habe ich mein erstes Enkelkind bekommen. Eine unglaublich überwältigende und schöne Erfahrung! Und eine Erfahrung, die sehr gut in diese Zeit passt. Schließlich ist die Adventszeit auch vom Warten auf die Geburt eines Kindes geprägt, mit dem die Welt ein neues Gesicht bekommt.

Der Geburt unserer Enkeltochter ging auch eine Zeit des Wartens voraus. Nicht nur bei den Eltern. Nein, auch bei mir und meiner Frau. Schließlich wollten wir uns auf unsere neue Rolle als Großeltern einstellen. Advent ist es in diesem Jahr für uns also schon geworden, ehe der Advent im Kalender begonnen hat.

Das Warten haben viele Menschen in diesem Jahr aber auch aus anderen Gründen neu lernen müssen. Viele Dinge, die uns anscheinenden immer selberverständlich und in Hülle und Fülle zur Verfügung gestanden haben - plötzlich gibt es sie nicht mehr. Nudeln und Öl im Lebensmittelgeschäft. Nägel im Baumarkt. Viele Kleinigkeiten auch, die derzeit einfach nur sehr schwer zu kriegen sind. Eine neue Erfahrung für eine Gesellschaft, die die Kunst des Wartens über Jahrzehnte gar nicht mehr erst hat lernen müssen. Die Lieferketten sind unterbrochen, so wird das in den Nachrichten in der nüchternen Sprache der Wirtschaft beschrieben.

Ich frage mich: Ist also angesichts des schrecklichen Krieges in der Ukraine die Lieferkette für Frieden auch einfach unterbrochen? Und die Lieferkette für einen vernünftigen Umgang mit unserer Umwelt dazu? Vielleicht geht es ja in diesem Advent gerade darum, aushalten zu lernen, dass die Lieferketten für ein Leben, wie ich es gerne hätte, auch immer wieder unterbrochen sind?

Advent ist für mich darum eine Zeit der Zusage, dass die Lieferkette Gottes hält. Gerade auch dann, wenn ich es neu lernen muss, das Warten auf das, was das Leben ausmacht, auszuhalten. Weil die Welt eben nicht so aussieht, wie ich sie mir wünsche. Und sicher auch nicht so, wie sie nach Gottes Willen sein soll. Im Neuen Testament wird dieses Warten mit folgenden Worten beschrieben: „Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, voll von Gerechtigkeit. Weil wir der Zusage Gottes vertrauen.“ (2. Petrus 3,13) Am Ende also lohnt sich das Warten. Weil die Hoffnung auf das, was kommt, meinen langen Atem stärkt. Und weil ich meiner Enkeltochter wünsche, dass die Welt, in die hinein sie aufwächst, wieder friedlicher sein wird als im Moment.

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SWR2 Wort zum Tag

01DEZ2022
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Vielleich haben Sie in diesem Jahr auch wieder einen Adventskalender aufgehängt. Heute, am 1. Dezember, da wird dann das erste Türchen geöffnet. Das geht dann so weiter bis zum 24. Dezember. Bis Heiligabend. In den alten Adventskalendern war das Türchen am 24. meist deutlich größer als die anderen Türchen. An dem Tag kommt der Weg durch den Advent nämlich ans Ziel.

Als Kind war ich jeden Tag aufs Neue gespannt, was sich hinter dem Türchen verbirgt. In meinem Lieblingsadventskalender waren das Bilder. Häufig haben sie sich auf den Tag bezogen. Den Barbaratag. Oder den Nikolaustag. An anderen Tagen war es einfach ein adventliches Symbol. Wie etwa eine Kerze. Oder ein Stern. Auch die Tür ist ein uraltes Symbol für den Advent. Viel älter als etwa der Adventskranz. Hinter der Tür, da wartet Neues auf mich. Überraschendes. Genauso wie im Adventskalender.

Wenn ich durch eine fremde Tür gehe. Zu einem Gespräch. Oder weil ich eingeladen bin, da geht es mir oft genauso. Ich ahne, hinter der Tür beginnt eine andere Welt. Da trete ich in einen Raum ein, der nicht meiner ist. Da lasse ich mich auf etwas ein. Ein schönes Essen vielleicht. Oder ich treffe Menschen, auf die ich mich freue.

Manchmal schwingt aber auch etwas anderes mit. Die Sorge, was mich hinter der Tür wohl erwartet. Ein schwieriges Gespräch. Eine Nachricht, die mir den Boden unter den Füßen wegzieht. Da halte ich vorher kurz inne, atme noch einmal durch, ehe ich die Schwelle übertrete.

Ich finde: Die Tür ist ein gutes Symbol für das, was ich mit dem Advent verbinde. Nicht nur, dass da einer vor der Tür steht, auf den ich warte. Auch in umgekehrter Richtung. Mit dem 1. Dezember betrete ich so etwas wie ein neues Haus. Gehe jetzt jeden Tag durch eine neue Tür. Bis ich am Ende – hoffentlich – mitten im Weihnachtsgeschehen ankomme. Bis ich am Ziel bin. Da, wo ich die Erfahrung mache: Gott ist mittendrin in der Welt. In dem Kind, das später von sich sagen wird: „Ich bin die Tür! Die Tür ins Leben!“ (Johannes 10,9)

Ich will versuchen, jeden Tag ganz neu und bewusst durch eine neue Tür zu gehen. Mit kleinen adventlichen Übungen. Stelle mir zum Beispiel vor, wie ich mir die Welt wünsche. Oder auf wen ich ganz bewusst zugehen will. Vielleicht auch, was ich ändern will in meinem Leben. 24 kleine Gelegenheiten, aus dem Advent etwas zu machen. Und mich auf Weihnachten einzustellen.

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SWR2 Wort zum Tag

10SEP2022
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Jeden Morgen hat er auf derselben Bank gesessen. Direkt vor dem Strandzugang. Immer mit dem Handy in der Hand. Unverkennbar ins Gespräch vertieft. Keine Augen für sein Drumherum. Einmal habe ich dann doch gefragt: „Warum immer hier?“ Seine Antwort: „Hier ist das beste Netz weit und breit. Die beste Verbindung!“ – Er hat dabei gelächelt. Ich habe ihm nicht widersprochen, obwohl ich längst auch andere Ort mit gutem Netz entdeckt hatte. Aber für ihn war es diese Bank. Sie war sein Kommunikationsort. Über die kleine begrenzte Lebenswelt hinaus.

Mir ist da plötzlich Jakob in den Sinn gekommen. Die Bibel erzählt von seiner Flucht vor seinem Zwillingsbruder. Jakob hatte ihn zuvor ordentlich um sein Erbe betrogen. Und nun fürchtet er um sein Leben. In unwirtlicher Umgebung, auf kargem Boden verbringt er seine erste Nacht. Er träumt. Aber keinen Alptraum. Er träumt, dass er Verbindung hat. Dass sein Netz hält. Dass Gott ihn nicht abschneiden wird von den lebensnotwenigen Verbindungen. Von Engeln träumt er, die auf einer Leiter erst heruntersteigen. Und dann wieder hinauf.

Am nächsten Morgen markiert Jakob diesen Ort. Für ihn ein ganz besonderer Ort. Der Ort, an dem er erfährt: Ich habe Verbindung. Jakob gibt dem besonderen Ort einen Namen. „Haus Gottes“ nennt er ihn. (1. Mose 28,17) Es ist ein entscheidender Knotenpunkt im Netz der tragenden Verbindungen seines Lebens. Zumal wenn es um die Verbindung zu Gott geht.

Vor meinem inneren Auge taucht der Mann auf der Bank wieder auf. Und ich frage mich: Wo sind meine Orte, die die besonderen Kommunikationspunkte meines Lebens markieren? Wo ist der Ort mit der besten Verbindung zu Gott? Die kleine Kapelle mitten in den Weinbergen, zu der es mich immer wieder hinzieht. Und das kleine Vaterunser, das mit einem Mal wie von allein aus mir aufsteigt. Der Augenblick Ruhe am Morgen, wenn ich mich noch einmal hinsetze und bei einer Tasse Kaffee innerlich meinen Tag strukturiere. Und die besonderen Herausforderungen in den Blick nehme. Und sie dann auch immer wieder Gott in den Blick zu rücken versuche.

Ich bin sicher: Die meisten Menschen kennen ihre Bank. Die besonderen Orte, an denen Sie ihr lebensnotwendiges inneres Beziehungsnetz pflegen. Mit den Menschen, auf die sie angewiesen sind. Und immer wieder auch mit Gott. Ich will darauf achten, dass diese Orte in meinem Leben nicht zu kurz kommen.

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SWR2 Wort zum Tag

09SEP2022
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„Wann war Ihnen zum letzten Mal so richtig langweilig?“ Ihm sei diese Frage bei einem Führungsseminar gestellt worden – das hat mir ein Mann erzählt, der beruflich viel Verantwortung trägt. „Was haben Sie geantwortet?“, wollte ich von ihm wissen. „Dass das wirklich lange her sein muss“ hat er gemeint, „Aber auch, dass ich mich manchmal danach sehne. Dass es nichts mehr gibt, das unbedingt noch erledigt werden muss. Keine Teamsitzung. Keine Pläne für den Abend. In Wirklichkeit erlebe ich das Gegenteil! Immer muss ich klären, was als nächstes dran ist. Muss Abläufe steuern. Muss Entscheidungen treffen.“

Ich habe mir die Frage dann auch gestellt. Wann war mir zum letzten Mal so richtig langweilig? So viel anders als bei dem Mann sieht es bei mir - ehrlich gesagt - auch nicht aus. Gar nicht so schlimm, habe ich erst gedacht. Nichts mit mir und der mir zur Verfügung stehenden Zeit anfangen können - das ist doch kein erstrebenswerter Zustand. Eher verschwendete Lebenszeit. Langeweile und sinnerfülltes Tun – das schließt sich doch eigentlich aus.

Oder doch nicht?! Es muss doch herrlich sein, einmal keine Verpflichtungen mehr zu haben. Keine Projekte. Es muss doch guttun, einmal am Ziel zu sein. Einfach die Zeit anzuhalten. Keine Fragen mehr. Für eine kurze oder eben eine lange Weile. Jesus verspricht denen, die mit ihm unterwegs sind, eine solche Zeit. „Wenn ich wieder zu euch zurückkomme, dann werdet ihr mich nichts mehr fragen!“ (Johannes 16,23) Auch irgendwie langweilig, wenn ich keine Fragen mehr habe. Wenn alles geklärt ist. Darauf bin ich gespannt. Ich habe nämlich eigentlich eine ganze Liste von Fragen. Im Blick auf den Lauf der Welt. Krieg. Ungerechtigkeit. Aber auch, was mein eigenes kleines Leben angeht. Und die Menschen, die es mit mir teilen. Es muss ein besonderes Gefühl sein, wenn all diese Fragen plötzlich verschwinden.

Ob es Gott dann nicht auch langweilig ist, frage ich mich. Die Welt im Lot. Die Menschen so, wie sie sein sollen. Keine Gebete mehr, in denen die Menschen endlos Fragen stellen. Wohl eher nicht. Gott wäre dann am Ziel. Für eine lange, lange Weile. Womöglich für immer. Und meine kleine Langeweile – sie könnte eine Art Vorahnung sein, wie das sein könnte. Den Versuch wäre es doch allemal wert. Womöglich stellt sich ein großes Glücksgefühl ein, wenn ich doch einmal so richtig Langeweile habe. Und zumindest für den Moment keine Fragen mehr.

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