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01NOV2022
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Ein Gespräch mit Prof. Dr. Volker Drecoll, Tübingen

Rittberger-Klas: Allerheiligen ist als Feiertag in der katholischen Tradition fest verwurzelt. In evangelischen Gegenden spielt der Tag heute dagegen keine Rolle. Gibt es aber auch für evangelische Christen an Allerheiligen etwas zu feiern? Darüber spreche ich heute mit Prof. Volker Drecoll. Er lehrt Kirchengeschichte an der Evangelisch-theologischen Fakultät in Tübingen.
Herr Prof. Drecoll, hat für Sie persönlich, als evangelischer Christ und Pfarrer, der Tag heute eine Bedeutung?

Drecoll: Für mich hat natürlich eher der Vorabend des Allerheiligenfestes Bedeutung, das ist ja das Reformationsfest. Und das Reformationsfest ist ja kein eigenes Datum, sondern eben wirklich der Vorabend von Allerheiligen, weil sich die Reformation ja auch an der Heiligenverehrung unter anderem entzündet hat. Als Pfarrer habe ich das immer so gemacht, dass ich den katholischen Kollegen gefragt habe, ob er mit mir zusammen den Vorabend von Allerheiligen feiern möchte, weil nämlich das Evangelium des Reformationstages das gleiche ist wie das von Allerheiligen, nämlich die Seligpreisungen aus dem Matthäusevangelium. Und das hat immer sehr gut funktioniert. Der katholische Kollege hat dann zum Reformationsfest in unserer evangelischen Kirche gepredigt über die Reform der Kirche und ich umgekehrt dann in der Katholischen Kirche im nächsten Jahr, wenn es darum ging, warum man überhaupt damals Reformation gewollt hat.

Rittberger-Klas: Also, es gibt Annäherungen, es gibt Gemeinsamkeiten, aber der Ursprung war ja schon ein Gegensatz. Die Reformatoren haben die Heiligenverehrung scharf kritisiert und die Heiligen damit quasi aus der evangelischen Kirche verbannt. War das in der Radikalität nötig?

Drecoll: Ich würde sagen: Auf der einen Seite ja, weil die Heiligenverehrung ja schon Züge angenommen hat, dass man einen Mittler brauchte, um überhaupt zu Gott zu kommen, also indirekte Umwege. Das entspricht nicht der Theologie, die man jetzt heute auch vorfindet beim katholischen Partner. Und man muss auch sagen: Die Evangelischen haben ja nicht die Heiligenverehrung komplett abgeschafft. Die Apostelfeste oder die Marienfeste sind ja auch in die lutherischen Kirchenjahresplanungen alle mit drin.

Rittberger-Klas: Nicht sehr bekannt oft bei den evangelischen Gemeinden. Aber eigentlich kann man das feiern und teilweise wird es auch gefeiert.

Drecoll: So ist es – also etwa Peter und Paul, aber auch die Marienfeste. Und zwar, weil es eigentlich Christusfeste sind, diese Feste sind nicht deshalb interessant, weil man Heilige verehrt, sondern weil man von den Heiligen aus darauf verweist, was Christus mit ihnen und an ihnen getan hat. Also insofern, als abgeleitete Christusfeste, sind sie auch im evangelischen Kalender da und darin besteht auch eine Übereinstimmung mit den katholischen Partnern.

Rittberger-Klas: Trotzdem spielen die Heiligen keine große Rolle in der evangelischen Kirche. Und man kann sich ja schon fragen, ob dadurch nicht auch etwas fehlt. Es gibt ja vielleicht auch ein urmenschliches Bedürfnis nach Vorbildern. Und es kann ja nicht schaden, wenn Kinder im November beim Laternelaufen auch die Geschichte vom Heiligen Martin hören, der seinen Mantel geteilt hat?

Drecoll: Ja, das schadet sicher nicht. Bei den Vorbildern würde ich sagen: Da haben die evangelischen auch so ihre eigenen Vorbilder entwickelt. Wie viele Martin-Luther- und Dietrich-Bonhoeffer-Kirchen gibt es denn bei uns. Da sind doch einige Leute auf den Sockel gehoben worden, weil dieses Bedürfnis nach Vorbildern da ist.

Rittberger-Klas: Aber ich höre heraus: Sie sehen das auch ein bisschen kritisch?

Drecoll: Na sicher! Menschen sind ja Menschen. Also Vorbilder sind dann vielleicht vorbildlich, wenn man gerade auch erkennt, welche Schwierigkeiten sie haben und dass sie eben nicht in allem vorbildlich sind. Und insofern, würde ich immer sagen, ist die Betrachtung anderer Christenmenschen für uns deswegen ein Trost, weil man sieht: Naja, so perfekt und vorbildlich sind sie dann auch nicht.

Rittberger-Klas: Die starken Auswüchse der Heiligenverehrung, die man im Spätmittelalter beobachten konnte, die inzwischen ja auch katholischerseits kritisch gesehen werden und von denen man auch wieder weggekommen ist, die haben sich in der Geschichte der Kirche ja erst allmählich entwickelt. Woher kam das? Und wie hat das überhaupt begonnen mit der Heiligenverehrung in der Kirche?

Drecoll: Ja, man hat schon relativ früh in der Alten Kirche, so im 4./5. Jahrhundert, zum Beispiel Heilige sehr nah an den Altären bestattet. Einfach in der Idee, dass dort, wo der Altar ist, das Heilige präsent ist, und die Heiligen dann einfach näher dran sind, ganz physisch, räumlich. Und genauso hat man dann angefangen, Berührungsreliquien zu benutzen, also etwa Tücher draufzulegen auf den Sarkopharg eines Heiligen oder einer Heiligen, und die dann mitzunehmen, in der Hoffnung, dass dadurch irgendwie Heiliges mitnehmen kann. Oder Öl, oder Wasser, das man da durchlaufen lässt, das man etwas zum Mitnehmen hat, etwas Handfestes. Das ist ja eigentlich so eine ganz räumlich-dingliche Vorstellung des Heiligen, mit der ich persönlich wenig anfangen kann, aber andere können damit vielleicht etwas anfangen. Man muss nur aufpassen, dass dadurch nicht eine Verdinglichung des Glaubens stattfindet, nach dem Motto: Hauptsache, du hast dieses Öl oder diese Berührungsreliquie, dann geht es dir gut. Weil: das ist nicht das Zentrum des christlichen Glaubens.

Rittberger-Klas: Die Heiligen und ihre Legenden spielen in der evangelischen tatsächlich eine untergeordnete Rolle, aber die Kirche als „Gemeinschaft der Heiligen“, die ist ja durchaus wichtig und präsent. Und ich habe den Eindruck, dass diese Formulierung, vielleicht heute besonders, erklärungsbedürftig ist. Viele sehen, was in der Kirche schiefläuft, und fragen sich, wie wir mit dem Anspruch rumlaufen können, eine „Gemeinschaft der Heiligen“ zu sein. Was bedeutet das?

Drecoll: Ja, die Gemeinschaft der Heiligen, die bekennen wir ja auch zum Beispiel auch im apostolischen Glaubensbekenntnis. Und damit ist jetzt natürlich nicht gemeint, dass zum Beispiel die Evangelische Landeskirche in Württemberg oder alternativ dazu die römisch-katholische Diözese Rottenburg-Stuttgart die heilige Kirche ist und außerhalb derer gibt es keine Heiligen. Sondern die Gemeinschaft der Heiligen ist immer die unsichtbare Gemeinschaft, die von Gott aus für heilig betrachtet wird, obwohl sie, für sich genommen, nicht so heilig ist. Also ich würde immer sagen, evangelischerseits sind wir nur deshalb heilig, weil Christus uns für heilig erachtet, nicht weil wir selbst heilig sind. Das sind wir nicht.

Rittberger-Klas: Das heißt, Heiligkeit ist keine Eigenschaft, ein besonders gutes Leben, das man führt, oder etwas, das man an sich hat oder tut, sondern eher eine Frage der Gottesbeziehung?

Drecoll: Genau. Bei Luther ist es auch immer so, dass man unterscheidet: Den Menschen für sich, wie er jetzt in der Welt dasteht, zu seiner Familie, in seinem Beruf, in der Gesellschaft – und da wird der Mensch, wenn er sich aufmerksam betrachtet, feststellen, dass er an vielen Stellen irgendwie Teil ist von Relationen ist, die nicht gut sind, die zumindest verbesserungswürdig, wenn nicht schuldbeladen sind. Aber umgekehrt davon ist da eben noch eine Perspektive, die zu Gott noch besteht. Die ist davon unterschieden. Und die bestimmt sich ganz davon, wie Gott uns betrachtet. Und Gott betrachtet uns eben nicht so, wie wir im Klein-Klein unseres Alltags oder in den großen Linien unseres Lebens versagen, sondern er betrachtet uns als wären wir heilig. Und damit setzt er eine Wirklichkeit, die sich uns natürlich nicht so schnell erschließt, weil sie in unserem Leben so nicht gegeben ist.

Rittberger-Klas: In der katholischen Tradition wird der Allerheiligentag oft mit dem Allerseelentag – eigentlich der 2. November – verbunden. Dadurch ist er stark mit dem Gedenken an die Verstorbenen verknüpft. Was bedeutet es im Blick auf den Tod, dass Christen sich als „Gemeinschaft der Heiligen“ verstehen?

Drecoll: Der Tod beendet diese Gemeinschaft der Heiligen natürlich nicht, sondern die Toten gehören zu der Gemeinschaft der Heiligen dazu wie die Lebenden, der Gemeinschaft der Toten und der Lebenden, die eines Tages auferweckt werden wird. Wir Evangelischen beten ja nicht direkt für die Toten, weil wir sagen, dass Christus sich genug um sie kümmern wird, aber es ist so, dass wir natürlich auch mit unserer Trauer da sind und mit dieser Trauer um Menschen, die uns fehlen, vor Gott treten und deswegen am Totensonntag etwa auch an die Ewigkeit denken.

Rittberger-Klas: Das gibt es auch wieder eine Verbindung zu den herausgehobenen Heiligengestalten. Das sind ja auch Menschen, deren Lebensgeschichten von Generation zu Generation weitererzählt wurden. Und die verbinden letztlich uns Christen heute ja auch mit den Christen früherer Generation, die in ihrer Zeit, in ihrem Umfeld eben versucht haben, Christsein authentisch zu leben. Ist diese Verbindung Ihnen als Kirchengeschichtler auch besonders wichtig?

Drecoll: Ob als Kirchengeschichtler weiß ich nicht – aber natürlich ist es so, dass ein Großteil er Figuren, mit denen ich mich beschäftige, sind später als besonders heilig oder besonders unheilig betrachtet worden. Und es ist tatsächlich für mich auch ein Gedanke, der mir wichtig ist: Dass die Kirche sich über alle Kontinente dieser erstreckt, aber dass sie sich auch zeitlich erstreckt, über 2000 Jahre jetzt. Und dass man auch dort eine Form der Gemeinschaft hat, über die Zeiten und Jahrhunderte hinweg.

Rittberger-Klas: Wenn Sie sich persönlich einen Lieblingsheiligen oder eine Lieblingsheilige aussuchen sollten, wer wäre das? Und warum?

Drecoll: Na, aus evangelischer Sicht würde man dazu doch sagen: Immer der Mensch, mit dem man es gerade zu tun hat. Also im Moment wären Sie das. Weil das ja immer die erste Aufgabe ist, den Menschen, mit dem man gerade zu tun hat, so zu betrachten, wie er von Christus aus betrachtet wird. Nicht so, wie er wirklich ist, sondern so, als wäre er eben schon heilig. Aber wenn Sie mich historisch fragen würden, dann würde ich vorne anfangen – vielleicht bei Paulus oder so.

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16JUN2022
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Elisabeth Hauröder Foto: C. Hoffmann

Ich bin Christopher Hoffmann von der katholischen Kirche. Meine Gesprächspartnerin heute ist Elisabeth Hauröder. Sie arbeitet als Seelsorgerin in mehreren Gemeinden an der Ahr, die von der Flutkatastrophe  betroffen sind. Die 59-Jährige Theologin, die auch schon lange als Notfallseelsorgerin tätig ist, ist seit der Nacht vom 14.Juli 2021 von Anfang an bei den Menschen vor Ort. Bei den Menschen, die Angehörige, Freunde, Hab und Gut verloren haben. Denen in Orten wie Schuld, Antweiler, Altenahr oder Ahrbrück der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Ziemlich genau elf Monate später findet auch an der Ahr das heutige Fronleichnamsfest statt. Da ich vor zehn Jahren selbst meine Ausbildung zum Pastoralreferenten im wunderschönen Ahrtal machen durfte, kenne ich Elisabeth Hauröder als Kollegin schon lange. Heute, am Fronleichnamsfest, möchte ich mit ihr darüber sprechen, wie es den Menschen an der Ahr inzwischen geht, was ihnen Kummer macht und was ihnen Kraft gibt, und wie sie Fronleichnam feiern. Ein Fronleichnam, an dem auch weiterhin viele Straßen und Häuser zerstört sind.  Liebe Elisabeth, wie erlebst du Fronleichnam an der Ahr im Jahr 2022?

An manchen Orten wird es tatsächlich Prozessionen geben. Manchmal vielleicht dann auch auf anderen und ungewohnten Wegen, weil eine Brücke nicht da ist, weil die Straße nicht begehbar ist, weil die Straße zu einer Umleitungsstrecke geworden ist. Es gibt auch Orte, an denen es einfach nur einen Open-Air-Gottesdienst geben wird, aber es ist allen trotzdem wichtig dieses Fest zu feiern: Jesus unter den Menschen zu feiern – Jesus Christus im Zeichen des Brotes auf den Straßen, auf den Plätzen und Häusern. Er ist da, und das wollen die Menschen feiern.  

Und gerade auch auf den zerstörten Straßen und vielleicht auch in den zerstörten Häusern, oder?

Ja, auch zwischen den zerstörten Häusern, vor den zerstörten Kirchen. Gott hat keine Angst vor dem Dreck, vor kaputten Häusern. Gott hat auch keine Angst vor kaputten Seelen.

Du bist mit vielen Menschen im Gespräch vor Ort– wie geht es den Menschen im Ahrtal aktuell?

Wenn ich an ein Ehepaar denke, das ich vor Augen habe, die waren letzte Woche auch nochmal zum Gespräch da und wir hatten uns ausgetauscht: Und sie warten immer noch auf den Entscheid des Gutachtens und sie wissen immer noch nicht, ob sie das Haus wieder aufbauen dürfen, oder ob es abgerissen werden muss. Und das nach einer so langen Zeit, da immer noch nicht eine wirkliche Perspektive zu haben, das ist so schwer. Also was man natürlich schon auch sagen muss: je mehr die Menschen in die Ruhe kommen und in die Ruhe gekommen sind, desto mehr kommen die Bilder dieser Nacht und dieser Tage dann auch wieder hoch und verlangen Raum, verlangen Platz und das merkt man dann auch, dass das alles auch noch mal aufgearbeitet werden will und aufgearbeitet werden muss. Und da ist der Gesprächsbedarf jetzt auch noch mal zunehmend höher.                       

Ich weiß du bist auf einem Parkplatz in Ahrbrück als Seelsorgerin auch tätig in einem Container. Wie kam es dazu und was erlebst du da?

Ahrbrück ist einer der Orte, wo eben das Pfarrhaus auch schwer geschädigt worden ist und die Kirche ebenfalls schwer geschädigt worden ist. Wir konnten es seit dem auch nicht mehr nutzen, und haben für uns aber überlegt: Uns ist es wichtig bei den Menschen zu sein und wir müssen für sie da sein, gerade in den Situationen und gerade jetzt. Klar, wir haben die Kirche nicht mehr, aber wir können ja zu ihnen gehen. Und haben dann auf dem Parkplatz einfach einen Container uns hinstellen lassen. Und jeden Tag -nach Möglichkeit - ist für zwei Stunden eine Seelsorgerin oder ein Seelsorger da.  Am Anfang war das sehr irritierend: „Was ist das denn? Wer steht denn dahinten jetzt – ein neuer Infocontainer?“ Und dann hatten wir das Logo der Pfarreiengemeinschaft drauf, haben einfach auch Grußkarten verteilt und die Menschen angesprochen und gesagt: „Kommt doch einfach – habt ihr Lust eine Tasse Kaffee mit uns zu trinken? Wir sind für euch da - Wir sind einfach nur da für euch.“ Und dann ist es auch so, dass die Menschen sogar gezielt auf eine Tasse Kaffee bei uns vorbei kommen, weil man ein besonderes Vertrauen zu einer Seelsorgerin hat, und weiß, die ist am Montagmorgen da oder der ist am Mittwochnachmittag da, dass man dann einfach auch die Gelegenheit wahrnimmt und sagt: ich hab was auf dem Herzen und  brauch einfach mal jemanden wo ich das abladen darf.

Ich finde das auch ein starkes Bild im Container auf dem Parkplatz, dieses Unfertige. Und dann gibt es noch das Projekt mit dem wunderbaren Namen „Feuerabend- Feierabend“- was ist das?

Das ist auch eine Idee, die wir geboren haben, weil wir gemerkt haben, dass es wichtig ist Begegnungsorte zu haben.Die Idee ist im Winter natürlich geboren – deswegen Feuerabend, weil wir mit einem Feuerkorb anreisen und Holz im Gepäck haben und dann Glühwein und Glühpunsch im Gepäck haben und einfach mit zwei Seelsorgerinnen vor Ort sind. Für uns ist natürlich auch das Feuer-Jesus Christus das Licht der Welt - , das war das , was bei uns dahinter gestanden hat – wir wollen einfach zeigen, dass Gott auch bei den Menschen ist. Das Feuer als die Möglichkeit in der Kälte Wärme zu bringen. Ich glaub das ist das, was Gott von uns will, dass wir da sind.Es sind Menschen, die auch immer wieder auch von dieser Nacht erzählen möchten. Es sind Menschen, die genau darüber nicht sprechen wollen, sondern die einfach über lustige, schöne Sachen sprechen wollen und es sind Menschen, die sagen: „Es tut mir gut mich mit anderen zu treffen“.

Heute wird die Monstranz mit der Eucharistie als Zeichen der Gegenwart Jesu Christi unter den Menschen in einer Prozession durch die Straßen getragen. Elisabeth, wo glaubst du ist dieser Jesus Christus, wo ist Gott gegenwärtig gewesen in den letzten Monaten? Und wo glaubst du entdeckst du ihn in all dem Schwierigen, über das wir gesprochen haben , auch heute, wenn du als Seelsorgerin unterwegs bist?

Für mich war ER da und ist da und am intensivsten und stärksten mach ich es fest an der wahnsinnigen Hilfsbereitschaft und Solidarität der Menschen. Viele sind auch genauso begrüßt worden: „Euch schickt der Himmel.“ „Ihr seid für mich zum Engel geworden.“„Du bist der Engel. Ich hätte das nie geschafft mein Haus leer zu räumen, wenn du oder ihr nicht gekommen wärt.“ Und Menschen, die sich einfach so aus ganz Deutschland auf den Weg gemacht haben. Und wir haben immer noch Helferinnen und Helfer, die kommen und helfen und es wird auch immer noch gebraucht. Ich weiß, dass da nicht nur gläubige Katholiken und gläubige Christen dabei sind, mit Sicherheit nicht. Ich weiß, dass ganz viele Religionslose da sind, dass alle Konfessionen, alle Religionen vertreten waren bei den Helferinnen und Helfern. Aber genau das ist es für mich, was es ausmacht. Was ich von meinem Glauben auch so verstehe: Gott will, dass wir Menschen uns umeinander kümmern. Dass wir nacheinander schauen, dass wir nach Möglichkeit dafür sorgen, dass wir alle gut auf dieser Welt leben können. Dann, für mich – ich hab erlebt dass ER da war -durch die Kraft die ER mir gegeben hat als Seelsorgerin auch in diesen Wochen, Monaten, immer wieder für die Menschen da zu sein. Und auch immer wieder ermutigen zu können, selbst wenn die Situationen so schlimm waren, dass Menschen ihren Glauben verloren haben – also gerade wenn Angehörige gegangen sind oder weggenommen wurden, das ist ja ein weggenommen sein. Da gab es und gibt es immer Menschen, die ihren Glauben verlieren und die mit Gott hadern und die verzweifeln, und die schreien, dass ER nicht da war und für mich ist es wichtig,  sie zu ermutigen, dass sie das dürfen: Man darf Gott alles vor die Füße schmeißen, ER ist derjenige, der -so hoffe ich es- , mich in meinem Leben trägt.Und wenn ich mich nicht getragen fühle, dann darf ich IHM das hinschmeißen, dann muss ich IHM das sagen. Und mein Verständnis ist, dass ich als Seelsorgerin dann auch da bin und das aushalte. Und ich für mich klar zu haben: dass ER mich jetzt an den Punkt gestellt hat um jetzt einfach als Mensch da zu sein und genauso waren auch viele Nachbarinnen und Nachbarn für andere da.

Prozessionen, die gehen ja auch immer nach vorne- wir blicken jetzt auch mal nach vorne, Elisabeth. Was erlebst du auch an Aufbrüchen, an Ermutigendem im Ahrtal?

Was wirklich ganz toll ist, ist zu sehen wie viele Menschen wieder zurück kommen wollen-weil es ihnen einfach wichtig ist, weil sie ihre Heimat im Ahrtal gefunden haben, bei all dem was sich verändert hat. Dass sie trotzdem sagen: „Ich gehöre hierhin.“ Und wenn ich die Strecke fahre, dann sehe ich einfach,dass die Natur wieder grünt, ich sehe dass es blüht und sprießt, das Grün , das Zeichen des neuen Lebens ist einfach da an jeder Pore kannst du es merken, dass Leben wieder entstehen kann, auch in all dieser Zerstörung, entsteht trotzdem wieder Neues Leben. Und es wird auch wieder geheiratet, es wird auch wieder getauft-auch da ist der Blick nach vorne zu spüren.

Vielen, vielen Dank Elisabeth Hauröder für das Gespräch.

Christopher, sehr sehr gerne.

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06JUN2022
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Pfingsten gilt als das unzugänglichste Fest im christlichen Festkalender. Straßenumfragen zeigen jedes Jahr wieder aufs Neue eine große Ratlosigkeit in den Gesichtern der Befragten. Pfingsten? Fehlanzeige. Was mich als Religionslehrerin verzweifeln lässt - schließlich habe ich die Geschichte von der Ausgießung des Heiligen Geistes in jeder Grundschulklasse erzählt - macht mir andererseits auch Hoffnung. Denn ich bin der Meinung, dass in dieser Unzugänglichkeit auch eine Chance liegen könnte. Ja, ich glaube, Pfingsten könnte ein sehr modernes, ein zeitgemäßes Fest sein. Davon möchte ich Ihnen zum Feiertag heute gern erzählen.

Zunächst ganz persönlich: Ich mag das Pfingstfest. Kein Mensch erwartet von mir, besucht oder beschenkt zu werden; viele nutzen die Zeit ohnehin, um in die weite Welt zu reisen. Auch im Reisen liegt nach Joseph von Eichendorff eine göttliche Gunst, und so gönne ich jedermann und jederfrau, die an Pfingsten das Weite sucht oder die Weite, ihr Glück. Für die Kein Brauchtum schreibt den Daheimgebliebenen vor, die heimischen Räumlichkeiten aufwändig zu dekorieren, und es gibt auch keine saisonalen Schokoladenprodukte. Der sprichwörtliche Pfingstochse taucht weder in biblischen Berichten auf, noch taugt das Tier als Symbol für den Geist Gottes. Dazu ist es viel zu erdenschwer. Seinen Namen verdankt es dem schlichten Umstand, dass in entsprechenden Gegenden der Almauftrieb für die Herden meistens in die Zeit zwischen Mitte Mai und Mitte Juni fällt, also rund um Pfingsten liegt. Zur Feier ihrer wiedergewonnenen sommerlichen Freiheit werden die Tiere fein herausgeputzt und die Stalltieren zu prächtige Pfingstochsen ausstaffiert. Der Ausdruck „Du siehst aus wie ein Pfingstochse“ ist dagegen nicht als Kompliment gemeint, sondern gibt zu verstehen, dass es da jemand mit Schmuck und Schminke wohl übertrieben hat.    

Was hat es also auf sich mit diesem unscheinbaren Fest? Auch der Name verrät noch nicht allzu viel: In dem Wort Pfingsten steckt die griechische Zahl fünfzig – pentecoste. Es zählt schlicht die Tage, die seit Ostern vergangen sind. 50 Tage nach Ostern sind die Feste, die sich seit dem ersten Advent an der Biographie von Jesus orientiert haben, vorbei, und es beginnt im Kirchenjahr die lange Trinitatiszeit, die den ganzen Sommer über andauern wird, bis mit dem Erntedankfest im Oktober sich der Festkalender wieder Gott dem Schöpfer zuwendet.

Mit dem Bekenntnis zu einem Schöpfergott beginnt auch das christliche Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Alle diese Aussagen sind heute für Gläubige wie für Skeptiker in die Kritik geraten. Hat ein Gott die Welt erschaffen?

Mit wissenschaftlichen Methoden lässt sich das nicht klären. Und selbst wer dem zustimmen mag, dass die Energie, die vor allem Anfang war, göttlichen Ursprungs ist, muss sich die Frage gefallen lassen, wie es mit der Allmacht dieses Gottes nach der Schöpfung bestellt ist. Wenn da tatsächlich ein allmächtiger Gott am Werk war, müsste der nicht häufiger sichtbar und spürbar ins Weltgeschehen eingreifen?

Statt die Welt all den teuflischen Kräften zu überlassen, die wir gerade an vielen Orten wieder aufleben sehen? Und wenn er nicht allmächtig ist, kann man ihn als Gott dann überhaupt noch ernst nehmen? Wer sich erst mal hineingesetzt hat, kommt man aus diesem Fragenkarussell nur schwer wieder heraus.

Auch die Vorstellung von Gott als Vater ist in die Kritik geraten wie alle väterliche Autorität früher oder später infrage gestellt wird von Söhnen und Töchtern. Nur durch Emanzipationsprozesse werden wir schließlich erwachsen. Und was passiert, wenn auch der Kinderglaube erwachsen werden will? Nicht nur Konfirmandinnen und Konfirmanden beißen sich daran die Zähne aus. Genauso wie an der einseitig männlichen Rede von Gott. Und obwohl die feministische Theologie dem biblischen Gott auch weibliche Züge nachweisen konnte, bleibt die Rede von ihm in menschlichen Bildern immer der Frage ausgesetzt, inwieweit wir uns Gott nach unserem Bilde zurechtrücken.

Unverdächtiger und leichter scheint mir da die Vorstellung, dass Gott Geist ist, nicht in einem intellektuellen Sinn, sondern ganz elementar, unsichtbar, nicht zu fassen, erst einmal jedem Bild entzogen. Womit wir wieder bei Pfingsten wären, dem Fest, von dem ich hoffe, dass es uns vielleicht einen neuen, überraschenden Zugang zu Gott schaffen könnte.

Die biblischen Schriften, auf die wir uns als Christen berufen, wenn wir von Gott reden, kennen nur zwei Definitionen von Gott. Das ist erstaunlich, wenn man den großen Umfang dieses Werkes bedenkt. Nicht ganz so überraschend, wenn man sich klar macht, dass der Charakter der in der Bibel gesammelten Schriften nicht philosophischer Art ist. Da wird stattdessen viel erzählt. Erzählt von dem, wie Menschen Gott erfahren haben. Nur zwei Sätze legen sich fest. Sie finden sich in den Johanneischen Schiften des Neuen Testaments. Der eine behauptet: Gott ist die Liebe. Der andere sagt: Gott ist Geist.  

Das hebräische Wort für Geist, ruach, und auch das griechische, pneuma, bedeuten zugleich Wind, Luft, Atem. Entsprechend kündigt in der biblischen Pfingsterzählung ein Brausen wie von einem gewaltigen Wind das Kommen des Heiligen Geistes an. Wenn ich die Augen schließe, versetzt mich diese Vorstellung jedes Mal ans Meer. Dort ist immer Wind zu spüren. Ein herrliches Gefühl! „Ich geh mich mal auslüften“, sagt meine Freundin, wenn sie mit ihren Gedanken nicht weiterkommt. Sie weiß, dass ein Spaziergang an der frischen Luft ihr hilft, auf neue, inspirierende Gedanken zu kommen. Und so ist es auch mit dem Heiligen Geist. Er bringt eine große Dynamik mit, er setzt in Bewegung, wirbelt durcheinander, bläst frischen Wind in Köpfe und Räume

Es gibt ein Lied, das die Bitte um das Kommen dieses Geistes umkehrt. Statt „O Heilger Geist, kehr bei uns“ singt es: „O, Heilger Geist, kehr bei uns aus!“ Der Heilige Geist veranstaltet einen göttlichen Kehraus! Ich stelle mir einen Wirbelwind vor, eine Art Zauberbesen, der ganz viel Staub und Gerümpel hinwegfegt und Platz für Neues schafft. Ja, der vielleicht auch mal morsche Gebäude einstürzen lässt und uns auf das Wesentliche zurückwirft. Er ist das Gegenteil eines lauen Lüftchens. Er hat richtig viel Kraft.

Wenn die Bibel von diesem Geist Gottes redet, der an Pfingsten Menschen erfasst, dann meint sie immer auch den Geist, in dem Jesus zu Lebzeiten gehandelt hat. Als er Kranke geheilt hat, Menschen an Leib und Seele satt gemacht und sich ihnen unabhängig von ihrer Position in der Welt zugewendet hat. Selbstlos. Unprätentiös. Mit einer inneren Überzeugung und Stärke, die auch seine Gegner beeindruckt hat. Und die Bibel ist überzeugt davon, dass der Heilige Geist mehr ist als eine Geisteshaltung, mehr als eine freundliche Gesinnung. Er wird beschrieben als eine eigenständige Gotteskraft. So hat ihn Jesus jedenfalls angekündigt, als er sich kurz vor seinem Tod von seinen Anhängern verabschiedet hat.

Da hat er ihnen quasi als Ersatz für seine Gegenwart diesen Geist versprochen. Er nennt ihn einen Tröster, einen Helfer, einen Ratgeber. Das Gegenteil von Verzagtheit und Furcht, einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

Und wie um zu unterstreichen, dass dieser Geist wirklich von außen kommt, erzählt die Bibel von diesen 50 Tagen, die zwischen Ostern und Pfingsten vergehen. Da sind die Jüngerinnen und Jünger nämlich längst wieder zur Tagesordnung übergegangen. Sie bewältigen ihren Alltag mehr schlecht als recht und es ist alles wie immer. Als hätte es die Jahre mit Jesus gar nicht gegeben. Aber dann kommt der Pfingsttag. Und alles wird anders. Gottes Geist braust herein und plötzlich sind sie Feuer und Flamme und wie verwandelt. Sie können reden und überzeugen und sich verständigen.

Ich habe behauptet, dass Pfingsten ein modernes Fest sein könnte. Weil es sich nicht an Gottesbildern abarbeitet, sondern nach der Wirkung fragt, die Gottes Geist in der Welt zeigt. Es erzählt davon, was passiert, wenn dieser Geist Menschen beseelt. Es setzt auf Leidenschaft, auf Mut und Verständigung, es glaubt an Veränderung und Erneuerung.

Mir macht Pfingsten Mut, dass dieser Geist auch heute weht, und ich stelle mich gern in seinen Wind.     

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26MAI2022
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Karoline Rittberger-Klas im Gespräch mit Diakon Olaf Hofmann

Rittberger-Klas: Raus ins Grüne – das scheint an diesem Feiertag im Mai die allgemeine Devise zu sein. Die einen machen sich mit dem Bollerwagen auf zum Vatertagsausflug. In den Kirchen wird heute Christi Himmelfahrt gefeiert – aber sehr viele Gemeinden verlegen ihre Gottesdienste ins Freie oder ziehen bei der traditionellen Öschprozession über die Felder. Gefeiert wird auf Bergen und an Seen, im Wald und auf der Wiese. Während in den Kirchen oft viele Plätze frei bleiben, werden Gottesdienste im Grünen immer beliebter. Ist Gott draußen leichter zu finden als in der Kirche? Darüber spreche ich heute mit Olaf Hofmann. Er ist Diakon und Autor und ermöglicht spirituelle Erfahrungen in der Natur.
Herr Hofmann, warum zieht es viele Menschen eher zu einem Gottesdienst im Freien als in der Kirche?

Hofmann: Na, wenn das Wetter sehr schön ist, beantwortet sich die Frage von allein. Aber es ist auch die Frische – vor allem nach Corona: frische Luft, die Weite, der Blick in den Himmel. Also, es setzt einfach neue Akzente, öffnet den Horizont. Und ich meine, ganz ehrlich: einen Hund kann ich auch dort mitnehmen, das ist was Besonderes. Und auch für Familien ist es viel freundlicher.

Rittberger-Klas: Das stimmt, deshalb gibt es Gottesdienste im Grünen auch schon lange, das ist nichts Neues. Aber inzwischen gibt es aber unter dem Stichwort „Kirche im Grünen“ noch viel mehr zu erleben. Es gibt Angebote wie die geistliche begleitete Wanderung für Trauernde, es gibt Pilgerwege mit Lamas für die ganze Familie bis hin zur spirituellen Kräuterwanderung im Nationalpark Schwarzwald. Wohin und mit wem machen Sie sich als nächstes auf einen spirituellen Weg oder haben sich als letztes auf einen spirituellen Weg gemacht?

Hofmann: Na, die nächste Tour ist eine Solotour, da bin ich mit mir als Mann allein unterwegs von Oslo nach Trondheim. Ich habe jetzt vor endlich mal den „Olavsleden“ zu laufen, den Olavsweg. Also ich heiße ja auch Olaf… Das ist ein langer Pilgerweg im Norden, über 600 km, und ich werde da einen ganzen Monat unterwegs sein. Und um mich auf diese Solotour vorzubereiten, war ich letzte Woche im Schwarzwald mit einigen Männern unterwegs.

Rittberger-Klas: Was haben Sie da erlebt mit den Männern? Und was hat das mit Gott zu tun?

Hofmann: Also, ausgeschrieben war es im Prospekt für „Kirche im Nationalpark“ und die Überschrift war „Grenzgänger für Männer“ und da haben sich acht angemeldet, vierzig Jahre aufwärts, und wir waren zwei Nächte und drei Tage unterwegs, tagsüber viel gelaufen, ausgepowert, und nachts unter Sternen im Freien genächtigt. Das eigentliche waren, glaube ich, zwei Dinge: Das Lagerfeuer am Abend, die Gespräche, und als ich dann die Frage gestellt habe, ob sie Lust haben, am nächsten Morgen den Sonnenaufgang auf der Hornisgrinde zu erleben, da haben sie gesagt: Aber natürlich, das ist eine einmalige Möglichkeit. Und dieses Zusammenpacken, halb müde noch, im Lager – es war kein Mond, es war dunkel, wir mussten Taschenlampen benutzen – der Schweiß des Aufstiegs, wir ja unsere Matten, Schlafsack, Gepäck und alles dabei, und dann den Sonnenaufgang als goldenen Moment zu erleben, auf der Anhöhe, auf dem Schwarzwald, und den Blick ins Land hinein zu haben – ich glaube, das berührt, jedes Männerherz.

Rittberger-Klas: Und was ist abends am Lagerfeuer passiert? Sie sagen, das war auch nochmal ein besonderer Moment?

Hofmann:Naja, da wird das Leben unter die Füße genommen, da kommen Themen auf wie Partnerschaft, gescheiterte Beziehungen, Träume, Sehnsüchte. Es wird berichtet, dass jemand eine Diagnose bekommen hat, die ihn aus den Schuhen kippt. Und die Männer teilen das auf eine Weise, wo Gemeinschaft auf Zeit entsteht, getragen sein. Aber manchmal ist es auch einfach schon total hilfreich, es aussprechen zu können, auf der Du-Ebene – Feuer verbindet – und man merkt: Ich bin gar nicht so allein mit meinen Themen, andere haben Ähnliches. Und dadurch entsteht so ein Wir-Gefühl. Und dieses Wir trägt. Und ab und an kommt dann auch so ein göttlicher Lichtfunke rein, in dem man merkt: Ja, super, dass es das gibt, danke! Demut kommt auch oft vor, dass man sagt: Toll, was ich schon alles erleben konnte. Dieser Erfahrungsaustausch ist das, was draußen möglich ist – und in einem geschlossenen Raum, da bin ich fest überzeugt, würde ich das nicht erleben.

Rittberger-Klas: Ihre etwas außergewöhnlichen Programme, so wie diese Draußennächte, die bieten Sie ja trotzdem auch bewusst im Rahmen der „Kirche im Grünen“ an. Und ich frage mich, ob Sie manchmal auch so ein bisschen Gegenwind dafür bekommen, für diese Art, Spiritualität und Glauben zu vermitteln? Ob Leute fragen: Geht da nicht das spezifisch Christliche verloren, wenn man sich einfach so in der Natur seinen Gefühlen hingibt? Und gerade in der evangelischen Kirche gibt es ja traditionell eher ein Misstrauen gegenüber der Gotteserkenntnis in der Natur. Johanes Calvin hat einmal gesagt: Man kann Gott nur in der Schöpfung erkennen, wenn man die Bibel als Brille hat, die einem zeigt, was man da finden kann und sehen kann. Bekommen Sie solche Kritik? Und wie gehen Sie damit um?

Hofmann: Also, ich empfinde mehr Zuspruch. Und würde mir jemand das antworten, würde ich sagen: Also ich bin ja mit meinen Sinnesorganen auf die Welt gekommen, Nase, Ohren, eben auch die Augen. Und normalerweise funktionieren die. Und ich kann ganz gut sehen und spüren, wie der Schöpfer quasi im Wald seine Arbeit tut. Und die Brille ist ja das Hilfsmittel, um das eine oder andere besser zu verstehen. Und natürlich, wenn ich die Bibel gelesen habe oder einen Teil davon in mir trage, in Erinnerungen an Psalmen: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln… Da werden ja Bilder benutzt von Wiese, Wasser, Bergen, das sind ja alles Bilder aus der Natur. Wenn ich nie draußen war, werde ich diese Bilder nicht verstehen können. Also, für mich ist es umgekehrt: Erst wer draußen war und das richtig geschmeckt und gesehen und gefühlt hat, der kann das eine oder andere Bild aus der Bibel verstehen, zum Beispiel der gute Hirte. Ich komme gerade von der Alb, da ist die Wanderschäferei zu Gast – ich habe erst da richtig kapiert, als ich einen Sonntag mit einem Schäfer drei Stunden einfach in der Wiese saß und den Schafe zugeschaut habe. Das wollte ich nicht missen, und das ist für mich gelebter Gottesdienst im Grünen.

Rittberger-Klas: Wenn wir über Schöpfung reden, Schöpfung erleben, kommt natürlich auch ein anderes Thema mit rein: Wir Menschen sind Teil der Schöpfung und abhängig von ihrem empfindlichen Gleichgewicht. Und das ist inzwischen ja zum Überlebensthema der Menschheit geworden. Verändern die spirituellen Erlebnisse in der Natur das Bewusstsein dafür bei Menschen – oder, kritisch gefragt, dient das, was Sie machen, doch eher der individuellen Wellness?

Hofmann:Das eine schließt ja das andere nicht aus. Im Gegenteil: Wenn ich draußen etwas erfahre – nur was ich kenne, kann ich schützen! Das ist so ein pädagogischer Spruch. Deswegen ist es wichtig, vielen Menschen die Faszination der Natur nahe zu bringen: tags und nachts, bei Sonne, bei Regen… Ich spreche auch gerne von: „gesommert“ und „gewintert“. Und wenn ich dabei noch meine Seele aufhelle, wenn dadurch noch gesund – oder gesünder – leben kann und vielleicht auch ein klein wenig glücklicher nach Hause komme – denn Natur macht nun mal gesund, gelassen und glücklich – und ich als Christ sage: gesegnet – dann komme ich nach Hause und werde ich alles dafür tun, dass es da draußen weiter so schön blühen und grünen kann, und meinen Lebensstil dementsprechend anpassen. Deshalb hängt das ganz eng zusammen.

Rittberger-Klas: Eine Gemeinsamkeit von geistlichen Angeboten in der Natur ist das Aufbrechen aus der gewohnten Umgebung, das Rausgehen, das Unterwegssein, auch die Unbehaustheit, das Ungeschützt. Damit kehrt der christliche Glaube ja ein Stück zu seinen Wurzeln zurück – zum wandernden Gottesvolk Israel, zum Wanderprediger Jesus...

Hofmann: Ja, auf jeden Fall. Ich denke, wenn ich draußen bin, bin ich meinem Gott viel näher, als wenn ich drinnen bin. Und mir gefällt dieser Spruch: Vögel singen nicht in Höhlen. Also, mein Loblied findet im Freien statt. Es gibt ja den Spruch: Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Und ich habe den ein klein wenig abgewandelt auf meine Lebenssituation und formuliere das gerne so: Du kannst nicht tiefer fallen als in deine Wanderschuhe – und egal, wo du hingehst, Gott ist schon da!

Rittberger-Klas: Ein Gott, der unterwegs ist und überall erfahrbar– das schließt in gewisser Weise den Kreis zum Himmelfahrtstag. Der auferstandene Jesus, so wird es in der Bibel erzählt, verlässt seine Jünger – und gleichzeitig sagt er ihnen: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“. Wo spüren Sie selbst das am stärksten – diese Gegenwart? In welchem Wort und an welchem Ort?

Hofmann: Ich bin sehr oft umgezogen, habe unterschiedlichste Menschen und Kulturen kennen gelernt. Und dort, wo ich zuhause bin, ist immer, wenn ich in den Himmel blicke und nachts vor allem die Sterne sehe. Die ähneln sich überall auf dieser Welt, deswegen bin ich überall in meinem Gott geborgen und zuhause, egal, wo ich gerade bin. Und diese Geborgenheit begleitet mich – geborgen im Glauben an jedem Ort auf dieser Welt, mit dem Wissen, dass ich getragen bin, dass ich geliebt bin und dass ich ein Bestandteil dieser herrlichen Schöpfung sein darf. Das macht mich glücklich.

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18APR2022
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Thomas Steiger im Gespräch mit Levi Kuon.

Steiger:
Über das christliche Osterfest und seine Bedeutung für jüngere Menschen, spreche ich heute mit Levi Kuon. Er ist 23 Jahre alt und Medizinstudent in Heidelberg. Mein Name ist Thomas Steiger und ich bin der Hörfunkpfarrer der „Katholischen Kirche am SWR“. Levi du warst 4 Jahre lang bei mir im Religionsunterricht. Wie ist es mit dem Glauben an Gott in deiner Generation, also bei den Menschen die heute so ein bisschen älter sind als 20 Jahre?

Kuon:
Das ist ein schwieriges Thema, also besonders unter Kommilitonen in meinem Studiengang wird darüber, glaube ich, eher weniger gesprochen. Ich kenne einige überzeugte Atheisten in meinem erweiterten Freundeskreis mit denen solche Gespräche gar nicht möglich sind. Weil man auf starke ideologische Überzeugungen trifft und man scheinbar von vornherein unterlegen ist, weil die Gegenseite sich nicht auf die eigenen Argumente einlässt. Darüber hinaus glaube ich trotzdem, dass medizinisches Denken logische Schlüsse aufgrund von Intelligenzen beinhaltet, eine Kommunikation über das, was darüber hinausgeht, erschwert. Gott ist ja was, was nicht durch stringente Beweise schlüssig ist. Und deswegen fällt es uns schwer darüber zu sprechen. Es ist ein sehr intimes Thema und jeder nähert sich da auf eine andere Art.

Steiger:
Ok, es muss nicht zwingend ein Widerspruch sein, Medizin studieren und an Gott zu glauben?

Kuon:
Ich hatte mal ein Gespräch mit einem Kommilitonen und wir haben uns dann über Entstehen von Krebs im Allgemeinen und im Speziellen, warum zelluläres Leben einfach nicht ewig sein kann, unterhalten. Da haben wir uns gefragt, wie offensichtlich dennoch Zellteilung, seit der Entstehung des Lebens von Milliarden von Jahren, fortbestehen konnte. Unser empirisches Wissen belegt, zelluläres Leben ist kurz; doch bis heute hat immer vollständig Zellteilung stattgefunden. Also kollektiv hält sie an, aber jede einzelne Zelle stirbt. Dabei hatten wir die Frage nach einer Urzelle, also nach dem Beginn von Leben und die Entstehung organischer Verbindungen, in unseren Gedankenspiel gar nicht aufgenommen. Und da hab ich letztlich auch nochmal jede Menge Stoff nach Transzendentem. Ich würde also sagen: Nicht jede Frage des Kosmos ist eben mit Wissenschaft zu beantworten, und vor allem wenn man über existenzielle Themen spricht und da an Grenzen stößt. Zudem ist es auch ein Zeitalter der schnellen Information und dem unermesslichen Ausmaß an Nachrichten, Fakten. Es ist unglaublich schwer, dort einen Diskurs über das Thema Gott zu führen. Weil man unbewusst immer dazu angehalten ist, die Fakten zu kennen.

Steiger:
Also das heißt, wir kommen einfach an unsere Grenzen. Wir kommen bei dem Grundsätzlichen was wir denken an Grenzen, aber auch bei der Art und Weise wie wir uns verständigen, kommen wir an Grenzen. Levi gibt es Situationen, eher alltäglicher Art, indem du an Gott denkst oder bestimmte Orte in deinem Leben, wo er auftaucht.

Kuon:
Für mich ist die Präsenz Gottes, glaube ich, nicht an einen spezifischen Ort gebunden. Also ich würde eher sagen, es sind Zustände stärkerer Emotionen, in denen ich Gott begegne, also das können positive wie negative sein, zum Beispiel wenn ich in der Natur bin, einem Meisterwerk lausche, die Alpensinfonie von Richard Strauss wär‘ so ein Werk, das mich schon sehr lang begleitet. Und das sind wirklich Momente wo mich vielleicht Gedanken an was Göttliches beschleichen, Dankbarkeit und Glück. Vor allem vor dem Hintergrund, dass menschliches Leben auch so anders verlaufen kann. Also auch bei Situationen wo Tod präsent ist, denke ich an Gott.

Steiger:
Also die ganz großen existenziellen Situationen und Themen die in unserem Leben selten, aber wenn sie auftauchen, dann doch eine große Wucht, eine große Kraft haben. Jetzt weiß ich ja Levi, weil wir darüber viel gesprochen haben, dass du ein sehr musikalischer Mensch bist und auch sehr gut Geige spielst. Hat denn Musik für dich auch was mit Gott zu tun? Hat sie eine spirituelle Dimension für dich?

Kuon:
Also Musik hat schon immer eine sehr große Bedeutung in meinem Leben. Mit 5 Jahren habe ich meinen ersten Geigenunterricht schon bekommen. Am Anfang war das nicht immer erfüllend, weil die Technik auf diesem Instrument zu lernen sehr anspruchsvoll ist. Als ich dann zum ersten Mal im Sinfo-Tübingen, 2013 war das, glaube ich. Da haben wir die Sinfonie von der - Neuen Welt – gespielt von Anton Dvorak. Da hatte ich so das Gefühl, ja, das Üben war es wirklich wert. Das ist für mich was ganz wunderbares, wenn Menschen sich in ihrer Freizeit treffen um gemeinsam Musik zu machen und dabei Freude empfinden. Und darüber hinaus es auch noch teilen können, in einem Konzert zum Beispiel mit einem Publikum. Und Musik verfolgt für mich auch ein höheres Ziel und dieses Größere das lässt sich ganz schwer in Worte fassen, dass erfahren die Menschen, wenn sie ins Konzert gehe. Und Noten auf Papier sind nur etwas Materielles, aber durch die Musiker erst werden sie greifbar und erlebbar.

Steiger:
Du studierst jetzt seit 4 Jahren in Heidelberg Medizin und der Kontakt zu den Menschen, der Kontakt zu den Kranken, wie wichtig ist dir der?

Kuon:
Mein Ziel ist es immer, den Patienten möglichst auf Augenhöhe zu begegnen und dazu gehören zum einen, natürlich Skills, die man im Laufe des Studiums lernt, aber auch persönliche Charakterzüge, die man als Mediziner mitbringen muss. Das ist einmal Interesse an dem Problem natürlich, aber auch das genaue Hinsehen und Zuhören und auch die Empathie die man im Gespräch bereit ist zu geben. Ich denke, auch nur so kann sich der Mensch einem öffnen und anvertrauen. Mit dem Patienten auch im Gespräch zu bleiben ist für mich auch sehr wichtig. Was bringt es einem denn am Ende, wenn der Patient über die Therapie nicht Bescheid weiß und dann die Therapie abbricht.

Steiger:
Wie gehst du denn damit um, wenn ein Mensch stirbt? Was sagst du den Angehörigen und wie trittst du mit dem in Kontakt der im Sterben liegt?

Kuon:
Ich glaube, dass jeder Mediziner sich in solchen Situationen schwer tut. Ganz elementar wichtig für mich ist es auf jeden Fall, die Achtung vor dem Leben zu wahren. Also ob ein würdevolles Sterben möglich ist, zum Beispiel sollte der Patient keine Schmerzen haben, er sollte keine Luftnot verspüren und sollte keine Panik haben. Im Idealfall sollte es möglich sein, dass Angehörige beim Patienten sein können. Die Bilder von der Coronakrise, die wir ja wirklich alle noch präsent haben, von sterbenden Patienten auf den Intensivstationen, wo kein Angehöriger dabei sein konnte, die haben mich sehr, sehr bewegt. Das Sterben an einer Infektionskrankheit, für die es eine Impfung gibt, eine wirksame Impfung gibt, die aber nicht wahrgenommen wird, das geht mir sehe nah als Mediziner. Natürlich auch belastende Einzelschicksale, zum Beispiel wenn sehr junge Menschen einem Krebsleiden erliegen oder Eltern ihre Kinder sterben sehen.

Steiger:
Jetzt bist du ja beinahe vor ein paar Wochen selber in eine schwierige, existenzielle Situation geraten, als dieser Anschlag in Heidelberg stattgefunden hat, eine Studentin ist dabei getötet worden. Das hat was in dir ausgelöst, kannst du dazu nochmal ein bisschen was sagen, bitte?

Kuon:
Mein Wohnheim ist nur einige Meter von dem Hörsaal entfernt und da kam erstmal eine ganz große Hilflosigkeit auf. Es ist so eine sinnlose Tat, ein junger Mensch der an der Uni studiert, so wie ich, um sich seine Zukunft aufzubauen, mit dieser Tat alles einreißt und alle weiteren Studenten die Pläne für ihre Zukunft mit in den Tod zieht, das ist einfach so sinnlos. Im Anbetracht dieser Tat hat der Tod ja wirklich irgendetwas sehr grausames an sich und es wird mir auch bewusst, wie fragil unser Glück ist.

Steiger:
An Ostern feiert ja die Christenheit, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern dass die Liebe stärker ist als der Tod und dass es für einen Menschen, nach seinem irdischen Leben so etwas gibt wie neues Leben, dass der Mensch wiedergeboren wird. Was bedeutet dir denn dieser Inhalt, von dem wir als Christen sagen, dass sei das Wichtigste in unserem Glauben?

Kuon:
Also der Glaube an die Auferstehung Christi ist für mich auch immer eine Erinnerung an das Gute in der Welt und im Menschen. Denn Hass ist eine Spirale und Polarisation und Missachtung die im Kleinen beginnt, die endet im Großen, in großen Kriegen und globalen Katastrophen.

Steiger:
Was erwartest du von der Christenheit in dieser Situation, aktuell in der wir uns befinden?

Kuon:
Es gingen neulich Bilder um die Welt von einer Journalistin im russischen Staatsfernsehen die sich direkt an die Zuschauer wandte mit dem Appell „Kommt zu den Demos, fürchtet euch nicht“. Ja, dieses sich nicht fürchten ist für mich eine Botschaft, mit Mut und Zuversicht in die Zukunft zu gehen und es ist nicht alles trist. Wir müssen uns ja nur umschauen, es gibt so viel Solidarität in der Bevölkerung mit Flüchtlingen und nicht zu verzagen, das erwarte ich von Christen, aber auch eigentlich von allen Glaubensgemeinschaften und allen Menschen auf der Welt die keinem Glauben angehören.

Steiger:
Mit dieser Botschaft, Fürchtet euch nicht, verabschieden wir uns von ihnen, liebe Hörerinnen und Hörern, Levi Kuon, mein Gesprächspartner heute Morgen und ich Thomas Steiger und wir wünschen Ihnen ein frohes Osterfest.

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15APR2022
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Martina Steinbrecher:
Der Karfreitag galt lange als höchster Feiertag im Protestantismus. Diese herausgehobene Stellung hat er jedoch längst eingebüßt. Während der Gottesdienstbesuch also stark zurückgegangen ist, sind Passionskonzerte, in denen eine der großen Passionen von Johann Sebastian Bach aufgeführt werden, in der Regel ausverkauft. Und zwar trotz ihrer erheblichen Länge von zwei oder drei Stunden Aufführungsdauer.
Warum diese Werke sich ungebrochener Beliebtheit erfreuen, während die ihnen zugrunde liegende Kreuzestheologie stark in die Kritik geraten ist, darüber spreche ich heute mit Sebastian Hübner. Für den 58jährigen Tenor und Dirigenten eines Kammerchors ist der Karfreitag einer der intensivsten Arbeitstage im Jahr. Sechzig Mal hat er die Partie des Evangelisten in der Johannespassion schon gesungen und ungefähr vierzig Mal die Matthäuspassion.

Sebastian Hübner:
Für mich sind diese beiden Passionen schon auch in meinem Sängerberuf sehr zentrale Stücke. Ich singe sie jedes Jahr bis auf das Jahr 2020 mit den Lockdowns. Das war für viele Kollegen und Kolleginnen und für mich das erste Jahr seit ganz langem. Bei mir waren es, glaube ich25 Jahre, in denen ich keine von diesen großen Passionen gesungen habe, überhaupt kein einziges Passionskonzert.

Martina Steinbrecher:
Hand aufs Herz: Welche gefällt dir besser? Die Matthäus-Passion oder die Johannes-Passion?

Sebastian Hübner:
Ich werde oft gefragt, und ich kann mich beim besten Willen nicht entscheiden. Wenn ich die Matthäus-Passion singe oder höre, dann ist das in diesem Moment für mich das wunderbarste Musikstück und mit der Johannespassion ergeht es mir genauso. Sie sind ganz unterschiedlich vom Charakter. Aber ich könnte jetzt nicht sagen, die eine ist

Martina Steinbrecher:
Wenn es nicht zur Routine wird, sondern als fester Bestandteil in deinen Jahreskreislauf gehört, wie geht es dir dann damit? Was erlebst du beim Singen?

Sebastian Hübner:
Mein wichtigster Gesangslehrer Albrecht Ostertag, der sagte mal zu mir: Wenn du eine Matthäus-Passion gesungen hast, dann bist du ein anderer Mensch. Das sind jetzt recht große Worte, und das kann man natürlich auch nicht in irgendeinem Sinn erfüllen, aber ich vermeine davon auch immer etwas wahrzunehmen. Dass das einfach auch was mit uns Aufführenden macht, nicht nur mit den Zuhörenden, sondern auch mit uns. Dass wenn du so eine große Partie singst – und diese Evangelisten-Partie ist riesig – und vielleicht sogar noch die Arien dazu, das ist einerseits eine hohe Leistung, aber es ist durch diesen Gehalt dieser Musik … irgendwie das geht so durch und durch. 

Martina Steinbrecher:
„Ein anderer Mensch werden“. Ja, das sind große Worte. Aber sie passen zu biblischen Worten, die am Karfreitag immer wieder gepredigt werden. Im zweiten Korintherbrief schreibt Paulus: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur. Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ Ich kann mir vorstellen, dass Menschen nicht nur beim Singen, sondern auch beim Zuhören etwas von dieser Erneuerung, von dieser verwandelnden Christuskraft spüren.

Sebastian Hübner:
Es macht was mit dir. Es macht was mit dir und du bist nicht ein komplett anderer Mensch. Also ich finde dieses Wort auch sehr groß, aber es ist nicht einfach so, das mach ich jetzt mal, da diese 2000 Töne und dann weiter zur Tagesordnung.

Martina Steinbrecher:
„Es macht was mit mir“. Das erleben wohl auch die Menschen, die Passionskonzerte besuchen. Denn während ein Gottesdienst am Karfreitag nicht mehr von vielen als Höhepunkt wahrgenommen wird, scheint eine dreistündige Matthäuspassion attraktiv, sogar ein echtes Erlebnis. Warum das so ist, frage ich Sebastian Hübner.

Sebastian Hübner:
Ich denke, dass die Musik von Bach einen Gehalt hat, der Menschen anspricht, die vielleicht nicht mehr sich so sehr durch die Karfreitagspredigt oder den Sonntagsgottesdienst ansprechen lassen, die sich vielleicht von den schlechten Pressemeldungen und den Skandalen und all diesen Dingen, die der Kirche schwer zusetzen, abgestoßen fühlen oder sich abwenden. Und dann hören sie so eine Musik, und da gibt es dann wieder einen Zugang auch für Menschen, die nicht so fromm sind. Ich glaube, es geht vielen Menschen so, dass in der Musik ein transzendenter Gehalt zu sein scheint. Sag ich mal, wenn ich kein Deutsch verstünde, und ich würde diese Musik hören, dann würde ich vielleicht transzendente Wahrnehmung über die Musik haben. Und das spricht sehr viele Menschen an, glaube ich.

Martina Steinbrecher:
Musik als Transzendenzerfahrung; da stimme ich gerne zu. Aber als Frau des Wortes regt sich da auch ein professioneller Widerstand in mir. Und ich glaube, dass ich sogar den Komponisten der himmlischen Musik auf meiner Seite hätte: Denn Bach vertont ja Botschaften: Bibelworte, deutende Worte. Und seine Musik stellt er in den Dienst dieser Worte. Unterstreicht ihren theologischen und emotionalen Gehalt, holt alles aus ihnen raus. Und die Passionen bieten ja inhaltlich schwere Kost. Die Leidensgeschichte Jesu wird en detail erzählt. Nichts wird ausgelassen. Dazu Chöre und Arien, die anspruchsvolle Theologie transportieren, deren Aussagen echte Zumutungen sind.

Sebastian Hübner:
Da musste ich mich wirklich mühsam reinarbeiten und erinnere mich gut, dass ich als junger Mensch auch geradezu Widerwillen hatte gegen diese Texte in den Arien. Aber mit der Zeit konnte ich es immer besser übersetzen und eigentlich das zeitlose in diesen Texten entdecken und eigentlich sind die Themen in vielen Fällen immer noch die gleichen. Die Worte haben sich sehr gewandelt. Aber worum es geht, das ist eigentlich aktuell nach wie vor.

Martina Steinbrecher:
Und dann gerät Sebastian Hübner ins Schwärmen. Er singt mir die Arie Nr. 32 vor, ausgerechnet eine Bass-Arie, die eigentlich gar nicht seiner Stimmlage entspricht. Aber ich merke, wie sehr er in diesem Werk zuhause ist und darin lebt.

Sebastian Hübner:
In der Arie Nummer 32 „Mein teurer Heiland, lass dich fragen“ aus der Johannespassion jetzt, nur um ein Beispiel mal herauszugreifen, da geht es um Fragen. Ganz ungewöhnlich! Wunderbar! Der Solist, der Bass-Solist, der stellt die ganze Zeit Fragen, das erlebt man sonst in den Arien nicht so häufig. Das ist so toll. Dieser Sänger stellt Fragen, die sich theologisch vielleicht für uns ein bisschen anders darstellen, aber rein menschlich. Klar, jeder von uns stellt sich irgendwann solche solcherlei Fragen wie: Wie hängt das alles zusammen? Und wie geht es vielleicht weiter? Und was passiert, wenn ich sterbe? Und so weiter. Das ist doch total aktuell. Und dann kommt in dieser Arie ein Choral eingebaut. Der Chor singt ein bisschen im Hintergrund einen ganz langsamen Choral in diese Bass-Arie hinein.
Unglaublich schön, dieses Zusammenspiel aus diesem fragenden Solisten, das könnte einer von uns sein, und dahinter wie so eine etwas übergeordnete große Kraft, die auf eine andere Ebene geht. Und das Ganze genau nach der Stelle, als es heißt „und neiget das Haupt und verschied“, könnte man meinen, jetzt kommt irgendetwas Tieftrauriges, total molto adagio, tränenüberströmt. Und dann kommt ein Zwölfachteltakt. Ein Tanz. Diese Arie ist ein Tanz. Völlig überraschend. Und dann kommt dieser fragende Bass-Solist und diese Gemeinde. Also ein großartiger Moment in dieser Passion.

Martina Steinbrecher:
Großartig ist es auch, von Sebastian Hübner durch die vielen Musikstücke der Passion geführt zu werden, die ihn berühren. Aber irgendwann ist auch das schönste Stück einmal zu Ende:  

Sebastian Hübner:
Und dann, ganz ungewöhnlich in der Johannespassion: Es gibt einen großen Schlusschor. Sehr berührend. „Ruht wohl, ihr seligen Gebeine.“ Und dann könnten wir eigentlich Schluss machen damit. Mit diesem Schlusschor wäre eigentlich alles gut, aber dann kommt noch ein Choral. Ein wunderbarer Choral. „Ach Herr, lass dein lieb Engelein …“ Das ist auch so eine Besonderheit der Johannespassion, dass sie mit einem Choral endet, sehr schlicht, also schlicht ist er gar nicht. Er ist sehr, sehr intensiv. Aber … find ich sehr besonders. Vielleicht am Anfang des Chorals noch sehr sanft und leise den Leib in seinem Schlafkämmerlein ruhen lassen. Dann kommt aber so eine wirkliche Form von Vision oder das kann man sich dann überlegen, ob man das persönlich für sich so sehen kann, aber schon sehr kraftvoll, dieses Ende.

Martina Steinbrecher: Viele Menschen haben sich den Schlusschoral aus der Johannespassion als Lied für ihre Beerdigung gewünscht. Auch mich hat er immer berührt und getröstet.

Ach Herr, lass dein lieb Engelein
Am letzten End die Seele mein
In Abrahams Schoß tragen.
Den Leib in seim Schlafkämmerlein
Gar sanft ohn alle Qual und Pein ruhn bis am Jüngsten Tage!
Alsdann vom Tod erwecke mich,
dass meine Augen sehen dich
in aller Freud, o Gottessohn,
mein Heiland und mein Gnadenthron!
Herr Jesu Christ, erhöre mich,
ich will dich preisen ewiglich.

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25DEZ2021
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Karoline Rittberger-Klas im Gespräch mit der Religionspädagogin Dr. Sabine Benz

Musik: Ihr Kinderlein kommet, Augsburger Domsingknaben

Rittberger-Klas: „Ihr Kinderlein kommet“ – an kaum einem Fest stehen Kinder so im Mittelpunkt wie an Weihnachten. Und das mit Recht. Denn schließlich steht auch ein Kind, ein Neugeborenes, im Zentrum der Weihnachtsgeschichte. Gott wird Mensch – das ist schon ein kühner Glaubenssatz christlicher Theologie. In der Weihnachtsgeschichte wird das noch einmal zugespitzt: Gott wird Kind!
Ich spreche heute mit Dr. Sabine Benz. Für sie stehen die Kinder im Zentrum ihrer Arbeit. Sie ist Dozentin am Pädagogisch-Theologischen Zentrum und hat als Lehrerin viele Jahre auch Religion unterrichtet.
Und sie hat sich auch wissenschaftlich mit dem Thema „Kinder“ und „Theologie“ beschäftigt. Frau Dr. Benz, haben Kinder eine eigene „Theologie“?

Benz: Ich denke, wer mit Kindern spricht, wer sie fragt, ihnen zuhört, der wird schnell feststellen können, dass Kinder sich mit großen Fragen nach Gott, der Welt und den Menschen auseinandersetzen können und wollen, dass sie eigene Vorstellungen mitbringen und dass Sie immer wieder auch bereit sind, diese im Gespräch weiterzuentwickeln.
Die theologischen Vorstellungen von Kindern sind zum einen geprägt vom Alter und vom Entwicklungsstand der Kinder. So kann es sein, dass ein dreijähriges Kind beim Betrachten der Krippe möglicherweise sagt: „Oh, wir müssen ganz leise sein, damit das Jesuskind nicht aufwacht“, oder „Ich möchte es zudecken mit einer Decke“. Und ein zehnjähriges Kind wird sich möglicherweise fragen: „Wieso bekommt dieses arme Kind Geschenke wie für einen König? Ist es denn ein König?“.
Zum andern liegt es aber auch daran, welches individuelle Vorwissen Kinder mitbringen. Je nachdem wie sie aufwachsen in unserer pluralen Gesellschaft, welche Erfahrungen Kinder mit Weihnachten verbinden, werden sie unterschiedlich viel und ausgeprägte theologische Vorstellungen entwickeln können. Manche Kinder werden mit Weihnachten hauptsächlich mit dem Weihnachtsmann und einem Sack voller Geschenke verbinden, mit einem geschmückten Christbaum mit Geschenken darunter an Heiligabend. Und andere Kinder verbinden mit Weihnachten vielleicht die Krippenfiguren zuhause oder in der Kindertagesstätte, die biblische Weihnachtsgeschichte, den Gottesdienst mit Krippenspiel am Heiligen Abend.

Rittberger-Klas: Mit Kindern über theologische Themen sprechen – wie kann man das machen? Was müssen die erwachsenen Gesprächspartner*innen beachten, damit Kinder ihre eigene Theologie entwickeln können und ihre Vorstellungen deutlich machen?

Benz: Ich denke, das wichtigste ist es, ein Gleichgewicht zu finden zwischen Zuhören und Anregen. Auf der einen Seite mit echtem Interesse, mit einer Haltung: „Ich bin gespannt, was du mir sagen möchtest, mich interessiert, was du denkst“ den Kindern zuzuhören und andererseits den Kindern immer wieder auch weiterführende Impulse anzubieten, neues Wissen bereit zu stellen, sie zum Weiterdenken anzuregen.

Rittberger-Klas: Ich kann mir vorstellen, dass auch die „erwachsene“ Theologie von Kindern einiges lernen kann. Was haben Sie denn von Kindern theologisch gelernt?

Benz: Ich glaube, es ist die große Neugier und die Offenheit, mit der sich Kinder auf theologische Fragestellungen einlassen und diese gleichzeitig ganz ernsthaft bearbeiten wollen. Für mich ist es immer wieder spannend. Ich gehe ja in theologische Gespräche mit Kindern vorbereitet rein, ich weiß ja, über was ich sprechen möchte, welche Schwerpunkte ich setzen möchte. Und für die Kinder ist das Thema neu, sie entdecken es neu und sind neu fasziniert und das überträgt sich auf mich, bei den Themen, die mir schon bekannt sind, weiterhin neugierig zu sein, weiterhin fasziniert zu sein.

Rittberger-Klas: Ja, da fällt mir eine Szene aus meinem eignen Religionsunterricht ein. Da habe ich mit den Kindern auch über das Thema „Jesus als König“ gesprochen, und habe dann gesagt: „Jesus ist ein armer König“ – er hat ja keine großen Reichtümer, keine Armee, er reitet auf einem Esel, nicht auf einem stolzen Pferd... Und dann hat ein Kind sich gemeldet und hat gesagt: Da stimmt doch gar nicht, Jesus ist doch gar nicht arm, er ist doch ganz reich. Er hat doch ganz viel Liebe zu den Menschen. Und da habe ich gedacht: Ja, das ist richtig. Das habe ich lernen müssen von dem Jungen. Jesus ist nicht arm, er ist anders reich... Dass Kinder vom christlichen Glauben vielleicht mehr verstehen als Erwachsene, ist kein neuer Gedanke. Es gibt die berühmte Szene, wo Jesus die Kinder segnet und dabei den Erwachsenen sagt: Wer sich das Reich Gottes nicht schenken lässt wie ein Kind, wird nie hineinkommen!

Benz: Ja, da ist Jesus ja ganz untypisch für seine Zeit. Er nimmt die Kinder als Kinder an, was für einen erwachsenen Mann zur damaligen Zeit außergewöhnlich war. Typischer war das Verhalten der Jünger, die die Kinder zurückgewiesen haben, die nicht gestört werden wollten in ihren eigenen wichtigen theologischen Gesprächen mit Jesus. Und Jesus sagt hier: „Stopp, die Kinder sollen zu mir kommen, lasst sie zu mir kommen“, und er zeigt ihnen Gottes Liebe und seine Zuwendungsbereitschaft – ohne, dass sie dafür etwas leisten müssen, ohne Vorbedingung. Es wird ihnen geschenkt – und die Kinder können es annehmen, sie können sich beschenken lassen. Ich denke, das ist der Kern, der in dieser Geschichte zum Tragen kommt: Die Kinder können sich hier beschenken lassen und werden so angenommen, wie sie sind.

Rittberger-Klas: In der Weihnachtsgeschichte steht eben auch ein Kind im Zentrum –  Dietrich Bonhoeffer hat es einmal so gesagt: „Wie zur Beschämung der gewaltigsten menschlichen Anstrengungen und Leistungen wird hier ein Kind in den Mittelpunkt der Weltgeschichte gestellt.“ Was bedeutet es für Sie persönlich, dass Gott als Kind in der Krippe liegt?

Benz: Das ist die Zuspitzung dessen, dass Gott Mensch wird. Also: Gott wird Mensch – das ist ja schon unglaublich besonders: Der allmächtige Gott wird Mensch! Und jetzt wird er sogar noch mehr, er wird Kind, er wird hilfsbedürftiger Säugling und kommt den Menschen so als Mensch ganz nahe.
Ich finde es aber immer auch wichtig, den Zusammenhang zu sehen und das auch mit den Kindern in der Schule zu besprechen: Dieses Kind in der Krippe, von dem gesagt wird, es ist der Retter der Welt, der verheißen wird als Friedefürst und als Wunderrat, das ist der erwachsene Jesus, dem Menschen begegnen können, der den Menschen Gottes Liebe zeigt, sich ihnen zuwendet, ihr Freund wird, sie heil macht und ihnen von Gottes Liebe erzählt. Dieser große Bogen ist mir wichtig: In Jesus kommt Gott den Menschen ganz nah. Und weil sie es mit ihm erfahren konnten und nach seinem Tod auch an seine Auferstehung glauben konnten, deshalb habe sie die Geschichten von seiner Geburt erzählt. Von dort herkommend haben sie die Geschichte von der Geburt Jesu erzählt.

Rittberger-Klas: Da spannt sich vielleicht auch noch einmal ein Stück zurück der Bogen von dem Kind in der Krippe zu dem, was Sie vorhin gesagt haben: Dass Jesus sagt, die Kinder haben uns das voraus, dass sie annehmen können und empfangen können. Und wie Bonhoeffer sagt: Es geht nicht immer nur um eigene Anstrengung, um gewaltige, große Taten, sondern das Kind in der Krippe zeigt ja auch dieses Angewiesen-Sein, das Annehmen-Können. Da ist ja dieser Gedanke auch wieder dabei – das finde ich interessant...
Und die Kinder? Was sagen die über Gott als Kind in der Krippe, über diesen sehr besonderen Gedanken?

Benz: Da kann ich Ihnen ein Beispiel aus einem Krippenspiel sagen, da haben sich drei Viertklässler unterhalten, und Josef sagte: „Ich will Jesus auch mal halten“. Und Maria entgegnete: „Nein, das darfst du nicht!“. Josef bestand aber darauf und sagte: „Ich bin sein Vater!“. Ein davor kniender Hirte: „Nein, das bist du nicht. Gott ist sein Vater!“. Da ist ja klar, dass wir dann im Religionsunterricht diese Frage aufgegriffen haben und Argumente gesucht haben: „Warum kann man denn sagen, Josef ist der Vater von Jesus“ und „Warum kann man denn sagen: Gott ist der Vater von Jesus?“. Und dann kam auch ein Kind darauf zu sagen: „Eigentlich ist er doch beides! Er ist sowohl das Kind von Josef und er ist auch das Kind von Gott.“

Musik: Ihr Kinderlein kommet, Version für Cembalo

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01NOV2021
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Markus Wolter Privat

Ich spreche heute mit Markus Wolter. Er ist Referent für Landwirtschaft und globale Ernährung beim Katholischen Hilfswerk Misereor in Aachen und wir wollen heute, am Fest Allerheiligen über das Heilige in der Welt sprechen. Herr Wolter, sie haben Agrarwissenschaften studiert und danach auch auf einem Bioland-Hof in der Schweinehaltung gearbeitet. Hat sich ihr Blick auf das, was wir Christen die Schöpfung nennen, dadurch eigentlich verändert?

Der hat sich auf jeden Fall sehr, sehr stark verändert. Wir haben im Studium gelernt, dass Schweine Betriebsmittel sind, Produktionsfaktoren. … Möglichst effizient, in möglichst kurzer Zeit, mit möglichst wenig Futtereinsatz so dick zu bekommen, dass sie Schlachtgewicht haben, um dann verkauft zu werden. Und dieser Blick hat sich komplett verändert durch das, was ich auf diesem Betrieb erlebt habe.

Was war das konkret, was sich da für sie verändert hat?

Dass ich jetzt gemerkt habe: Nein, da ist mir gegenüber ein Wesen, ein Lebewesen, das Bedürfnisse hat, Wünsche hat, das Persönlichkeit hat und das mir ganz nahe kommt, nicht nur im körperlichen Bereich. Und sobald ich im Stall war oder auch in die Box hineingestiegen bin – Schweine sind unfassbar neugierig - mich dann alle anknabbern und einfach was wollen und mich mit dem Rüssel stupsen und so weiter. Das hat sich einfach komplett geändert. Wenn das Schwein dann eben nicht mehr nur Produktionsfaktor ist, sondern Bruder Schwein wird und einfach Lebewesen, für das ich in dieser Zeit, wo es mir anvertraut ist, so gut wie möglich sorgen möchte. Da hat eine richtige Umkehr stattgefunden.

Umkehr ist ja ein Begriff aus der christlichen Spiritualität, der so etwas bezeichnet wie eine Neuausrichtung des Lebens. Eine solche Neuausrichtung, so verstehe ich Sie, halten Sie also auch im Umgang mit der Schöpfung für erforderlich?

Wir finden uns ja gerade in der großen ökologischen Krise. Die planetaren Grenzen sind an wichtigen Punkten bezogen auf das Klima, auf die Artenvielfalt, auf den Stickstoff, auf den Eintrag von Pestiziden überschritten. Diese ökologische Krise ist begründet meiner Meinung nach in einer spirituellen Krise. Sie berührt den Urgrund des Menschen und das, was Sie beschreiben, ist genau der Ausdruck dessen. Wir befinden uns in einer Kriegsmentalität gegenüber dem Sein, weil wir uns getrennt fühlen von allem. … Wir alle lernen die Geschichte. Ich bin allein, ich bin verunsichert. Ich bin finanziell unsicher, und alles ist gegen mich, und ich muss mich gegen alles behaupten. Und deswegen wandeln wir Natur in Ware um. Und so ist es auch in der Landwirtschaft, die zum Beispiel - bezogen auf die Klimakrise - zu 25 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Und das hängt damit zusammen, dass wir Natur als Ware sehen und dass wir in dieser spirituellen Krise stecken. Und wenn ich dann den Acker, das Unkraut oder das Schwein eben nicht mit mir verbunden sehe, dann agiere ich genauso wie Sie es beschreiben. Dann nehme ich viele giftige Pestizide. Dann stecke ich Schweine in Systeme hinein, die nicht ihrem Wesen entsprechen, sondern komplett dagegen. Und da hat sich für mich viel geändert. Um diese ökologische Krise zu meistern, brauchen wir auch eine Lösung der spirituellen Krise.

Wie stellen sie sich eine Lösung dieser Krise denn vor. Was müsste ihrer Meinung nach geschehen?

Ich glaube ganz fest daran, dass wir wieder in diese Verbundenheit kommen müssen, dass ich fühle, was mir gegenüber ist. In der Apostelgeschichte steht ja, wir sind mit Gott in allem verwoben. Und dieses Bild, was dort im ersten Jahrhundert in der Bibel steht, hat mich sehr berührt, weil dieses verwoben sein bedeutet ja auch, dass ich auch mit dem Unkraut, mit dem Schwein und mit ihnen … verbunden bin. Wenn ich Krieg führe gegen das Unkraut, gegen das Insekt, gegen das Schwein, dann führe ich eigentlich Krieg gegen mich. Und daher braucht es diese Umkehr dahin, dass ich merke: alles gehört zusammen. Und dafür braucht es viel spirituelle Arbeit und Bewusstseinsarbeit.

Kommerzielle Agrarwirtschaft und Spiritualität, das denke ich auf den ersten Blick nun nicht unbedingt zusammen. Bewegt Sie ihre Arbeit für Misereor denn auch spirituell?

Das bewegt mich unfassbar spirituell, weil ich merke, wie sehr Menschen auch getragen vom Heiligen Geist und von dem Wirken Gottes sein können. Meine letzte Dienstreise im Januar 2020, bevor Covid ausbrach, war auf den Philippinen. Und dort arbeiten wir mit einem Kleinbauern-Netzwerk zusammen, die Masipag heißen und die zum Beispiel ihr Saatgut segnen, weil sie es auch selber produzieren können. Weil sie selber lokal angepasst, ohne Einsatz von Gentechnik, versuchen, ihr Saatgut, was so auf die Klimakrise, auf die Überschwemmungen, auf die Taifune agieren kann, zu züchten, zu produzieren und sie tauschen es, weil Saatgut für sie heilig ist. Etwas so Schützenswertes, das sie nicht wagen, es zu kommerzialisieren in diesem Duktus: Ich muss allem einen Wert geben. Ich muss alles monetarisieren. Sondern die genau andersherum sagen: Nein, Saatgut ist heilig für mich, und deswegen verschenke ich das.

Die Menschen dort, die Kleinbauern, von denen sie sprechen, die gehen damit aber doch ein großes Risiko ein.

Dort nimmt die Umstellung auf ökologischen Landbau eine existenzielle Dimension ein, weil, wenn ich nicht genug ernte für mich und meine Familie - ich habe dort Familien mit elf Kindern erlebt. Wenn die nicht genug ernten, dann hungern die. Aber dennoch haben sich dort Tausende von Bauern auf diesen Weg gemacht.

Was kann ich von den Menschen dort lernen über das Heilige in der Welt?

Mich haben Menschen begeistert, die vorher für große Agrarunternehmen gearbeitet haben auf den Philippinen, die genau in diesem Modus wie ich ihn gerade dargestellt habe, des immer mehr, immer mehr sich entfernen von dem, was eigentlich der Erde guttut. Die gemerkt haben: Nein, so kann es nicht weitergehen, es führt in die Sackgasse. Und die eine Umkehr erfahren haben, und die diesen Weg gegangen sind in die Unsicherheit, und wo ich merke: diese Menschen haben so viel Mut. Und diesen Mut gibt ihnen Gott. Der Heilige Geist wirkt dort für mich, weil er diese Umkehr bewegt hat. In dieser Freiheit kann ich mich gestützt und geschützt fühlen und einfach mal etwas Neues zu wagen.

Was bedeutet „heilig“ für Sie?

Ich habe in meinen Jahrzehnten dieses Arbeitens in der Landwirtschaft diese Unterscheidung nicht mehr gemacht. Unterscheidung zwischen profan und heilig, sondern was wäre denn - mit dieser These habe ich begonnen - wenn alles heilig ist? Wenn Gott sich eben sowohl in dem Unkraut oder im Schwein oder in meinem Gegenüber ausdrückt, wenn das eben nicht mehr getrennt von mir ist, sondern wenn das auch göttlich ist? Und dann fängt es mit dem Saatgut an und geht bis zum Schwein und geht bis zu meinem Mitmenschen. Wenn das alles heilig ist und es diese Unterscheidung nicht mehr gibt, dann verändert sich mein Leben.

Wenn wir heute Allerheiligen feiern, dann denken Katholiken vor allem an Menschen, die schon zu Lebzeiten transparent gewesen sind auf Gott hin. An was denken Sie angesichts dieses Festes?

Hier in Deutschland hat das ja eine ziemlich traurige Bedeutung und Konnotation. Im globalen Süden zum Beispiel, in Lateinamerika, ist das überhaupt nicht traurig, sondern ein Fest, wo gekocht wird, wo sich gefreut wird und wo mit den Ahnen, denen wir ja unsere Herkunft verdanken und in deren Reihe wir stehen und wo auch noch mal deutlich wird: ich bin überhaupt nicht getrennt, sondern ich bin in der langen, langen Reihe von Menschen, denen ich verdanke, dass ich jetzt so bin wie ich bin. Diese Gene von Jahrhunderttausenden von Jahren stecken in mir und das zu feiern und in dieser Linie sich zu wissen, das finde ich wunderschön.

Als Sie eben von Ihrer Arbeit im Stall erzählt haben, haben Sie vom „Bruder Schwein“ gesprochen. Mich hat dieses Wort sofort an einen der schönsten spirituellen Texte erinnert, die ich kenne. Den Sonnengesang des Heiligen Franziskus von Assisi. Da bezeichnet er alles, was ihn umgibt, als seine Schwestern und Brüder. Knüpfen Ihre Gedanken auch ein wenig an diesen großen Heiligen des 13. Jahrhunderts an?

Ich würde sagen ja, weil Franziskus da ein wunderschönes Beispiel gebracht hat, dafür, wie gemeinsames Leben sein kann. Und ich finde besonders berührend die Geschichte des Wolf von Gubbio, mit dem er einen Tanz aufführt und mit dem er nicht ringt und den er nicht als Feind sieht, sondern eben, mit dem er gemeinsam tanzt. Und zwar diesen Tanz des Lebens.

Die Welt ist heilig, weil eigentlich alles darin auf Gott verweist, sagten Sie. Was würde sich verändern, wenn wir tatsächlich in diesem Bewusstsein leben?

Da, glaube ich, steckt ein großes Momentum drin, weil wir dann der Sauerteig sein können, der diese Welt auch bewegen wird und der diese Welt auch nach vorne bringen wird. Und das ist diese spirituelle Arbeit, von der ich am Anfang gesprochen habe, dass wir dem Raum geben dürfen und können. Es ist alles unsicher. Aber das Schöne als Christ finde ich: diese Unsicherheit dürfen wir aushalten, weil, wir wissen uns getragen. Und das darf ich hier weitertragen und weitergeben, auch über Kanäle über Misereor. Das macht mich froh und daher, glaube ich, brauchen wir diesen Weg, diesen spirituellen Weg. Um diese ökologische Krise zu lösen, müssen wir an die spirituelle Krise ran.

 

Zum Misereor-Blog von Markus Wolter: https://blog.misereor.de/author/markuswolter/

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03JUN2021
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Karoline Rittberger-Klas im Gespräch mit Stuttgarter Sternekoch Vincent Klink.

Rittberger-Klas: Den Feiertag Fronleichnam begehen katholische Christen in vielen Orten mit feierlichen Prozessionen. Auch wenn dieses Jahr manches anders ist – der Sinn der Feiern bleibt derselbe: Das Fest erinnert an die Gegenwart Jesu in Brot und Wein in der Eucharistiefeier – und damit an das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern. Letztlich geht es also auch um Essen und Trinken. Deshalb spreche ich heute mit jemanden, der sich damit besonders gut auskennt: Vincent Klink, Sternekoch und Wirt in Stuttgart. Guten Morgen, Herr Klink! Sie sind „gut katholisch“ aufgewachsen, haben Sie mir gesagt – welche Bilder sehen Sie vor sich, wenn Sie an das Fronleichnamsfest denken?

Klink: Also, da muss ich vorausschicken, ich bin in einer Klosterschule aufgewachsen, über die ganze Pubertät weg, bis zum Abschluss, und stamme aus Schwäbisch Gmünd. Und bei alten Schwaben heißt dieser Ort auch „Schwäbisch Nazareth“. Es ist sicher der schwärzeste Ort damals gewesen in ganz Württemberg und der Katholizismus in Schwäbisch Gmünd war in gewisser Hinsicht eine Extremform, weil diese freie Reichsstadt Gmünd umgeben war vom protestantischen Württemberg. Und meine Erinnerung an Fronleichnam ist ein Eindruck von wahnsinniger Konfusion. Man hat also gucken müssen, dass man als Kind aus dem Weg gegangen ist, weil die Königsturmstraße, wo wir gewohnt haben, das elterliche Haus war ein großes Jugendstilhaus mit Türmchen, das musste geschmückt werden. Es war sowieso schon ein schönes Haus, fast wie ein Schlösschen, und links und rechts auch an der Türe waren Birkenbäumchen. Die kamen dann in so Dosen rein, manchmal stand auch „Libby’s Ravioli“ drauf, und da war Wasser drin, und da hat man die Birken, die waren mehr als mannshoch, reingestellt. Und ich erinnere mich noch gut, dann hat man Akazienzweige – wir haben so einen Baum hinter dem Haus gehabt – die hat man wie Weihnachtsgirlanden von Fensterladen zu Fensterladen unterm Fenster rum gehängt. Und dann war ich Ministrant in St. Franziskus und da musste man helfen, Blumengemälde zu machen auf dem Boden, am Altar. Es gab da verschiedene Altare, so fünf oder sechs, die wurden mit der Prozession abgewandert und da musste man diesen Klosterschwestern, das waren Marchtalerinnen -  denen hat man geholfen als Bub: Weiße Rosen, wo es weiß war, also vorher eingezeichnet, was wo war – und es war schon sehr, sehr schön. Also ich muss vielleicht sagen, dass ich nahezu restlos ungläubig bin, aber ich liebe die Rituale bis heute noch, und man sagt ja auch: Man kann aus der katholischen Kirche nicht austreten, nicht einmal Luther hat es geschafft, seine katholische Prägung wirklich loszuwerden, das ist nicht so einfach. Und es ist wahrscheinlich umgekehrt genauso.

Rittberger-Klas: Ein schönes Ritual an Fronleichnam und ich höre heraus, dass es vor allem um den Schmuck ging. Um die Schönheit, auch den Blumenschmuck. Ich höre heraus, dass Essen an Fronleichnam nicht so eine große Rolle gespielt hat – anders als etwa an Ostern oder Weihnachten, wo das doch sehr im Zentrum steht. Oder gibt es doch ein typisches „Fronleichnamsessen“?

Klink: Haben wir eigentlich nicht gehabt, das war eher karg – aber immer das gleiche. Also in gewisser Hinsicht gab es doch ein Fronleichnamsessen: Das waren Nürnberger Würstle, gebraten – das hat der Vater gemacht und noch extra Majoran drangeschmissen in die Butter in der Pfanne – mit Kartoffelsalat. Und das war schon ein Wahnsinnsact, also da ging es mit dem Kartoffelsalat um Leben und Tod...

Rittberger-Klas: Inwiefern?

Klink: Ja, dass der wirklich so ist, wie der Vater sich das vorstellt. Und der hat zu diesen Zeiten, als ich Kind war oder Pubertierender, in den sechziger Jahren, schon bei Paul Bocuse gegessen und wo weiter, das war ein unglaublicher Gourmet...

Rittberger-Klas: Theologisch gesehen steht an Fronleichnam ja tatsächlich die Mahlfeier, das Teilen des Brots im Mittelpunkt. Deshalb wir ja bei den Prozessionen auch die Monstranz mit der geweihten Hostie umhergetragen. Historisch ist das Fronleichnamsfest wohl deshalb entstanden, weil der Gründonnerstag, der eigentliche Erinnerungstag an das letzte Mahl Jesu mit seinen Jünger, ja in der Karwoche liegt und man ihn deshalb nicht festlich begehen kann, sondern nur still und nachdenklich. Es ist ja eigentlich Grund zur Freude, dass Jesus in Brot und Wein gegenwärtig für Christen. Und deshalb hat man das Bedürfnis gehabt einen Feiertag zu finden, der das noch einmal richtig festlich begeht. Und ja, die Mahlfeier steht in jedem Gottesdienst in der Eucharistiefeier im Mittelpunkt. Und auch in evangelischen Gottesdiensten, wenn das Abendmahl gefeiert wird. Man kann auch sagen: Christsein heißt im Kern: gemeinsam Mahl halten. Das klingt einfach – und könnte Ihnen als Koch sympathisch sein?

Klink: Auf jeden Fall, mir hat man damals schon beigebracht, dass das Wort Leichnam, also Fron-leichnam, eigentlich falsch ist. Es geht das Leben. Es geht um die Freude, und tatsächlich auch ums Essen und Trinken – und zwar wird nicht Wasser zu Wein, sondern es gibt wirklich Wein, oder so ähnlich. Und ich wusste damals übrigens sehr genau, wie dieser Leib Christi schmeckt, diese Hostie, denn die Marchtaler Schwestern haben das gegenüber unserer Volksschule St. Loretto gebacken. Das sind ja Oblaten. Und ich muss sagen: Es ist wohl das fadeste Gericht, was ich in meinem Leben je gegessen haben. Also da ist es schon wichtig, dass da eine ordentliche Portion Spiritualität hineinkommt in dieses Brot – nennen wir mal den Leib Christi ein Stück Brot.

Rittberger-Klas: Essen ist eigentlich eine sehr grundlegende sinnliche und physische Erfahrung, aber im Gottesdienst ist das sehr ritualisiert. Trotzdem sage ich bei der Einladung zum Abendmahl in meinen Gottesdiensten immer: „Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.“ Wird das im Gottesdienst erlebbar?

Klink: Also, der Gottesdienst, den ich erlebt habe – und ich war ja sechs Jahre im Kloster jeden Tag zweimal in der Kirche – da schleicht sich natürlich eine Routine ein. Aber auch das Gefühl, dass richtig essen und trinken etwas anderes ist, also für Kinder jedenfalls. Gegen einen Schweinsbraten kommt so eine Hostie einfach nicht an, muss ich sagen.

Rittberger-Klas: Gut essen gehen, fein essen, sich etwas gönnen als eine Art „Ersatzreligion“ – können Sie damit etwas anfangen?

Klink: Ja, diese Spinner gibt es auch, muss ich sagen. Die brauchen – vor allem hier in der Stuttgarter Gegend –immer für ihr schlechtes Gewissen einen guten Grund, warum sie essen gehen. Und dafür braucht es eigentlich keinen Grund. Ich kann das überhaupt nicht verstehen. Ich bin mal aus meinem Beichtstuhl raus, in Donauwörth, in meiner Klosterschule. Und der einzige Fehler, den ich habe beichten müssen, war: Ich habe mich unsittlich berührt. Und dann hat der Pater gesagt: Dann gehst du zum Bahnhof und trinkst ein Bier zur Buße. Also das finde ich großartig, das war ein Wahnsinnstyp. Und in diesem Sinne bin ich natürlich großzügig aufgewachsen. Und ein gutes Essen, da heißt es manchmal hinterher: Jetzt haben wir gesündigt. Dagegen kämpfe ich schon mein ganzes Leben an.

Rittberger-Klas: Das Thema Gemeinschaft – in Pandemiezeiten ist es ja auch in der Kirche schwierig mit der Eucharistiefeier, das ist kompliziert, in evangelischen Kirchen wird das Abendmahl oft ganz weggelassen. Aber viele vermissen das, weil es eigentlich für das steht, was in diesen Zeiten in der Gesellschaft fehlt: Das ist für viele schmerzlich, weil es ja gerade das ist, was derzeit in der Gesellschaft fehlt: Gemeinschaft – lateinisch: communio. Kommunion – da steckt es ja schon im Namen drin – die Gemeinschaft untereinander. Welche Rolle spielt in Ihren Augen das Essen für die Gemeinschaft – oder auch: die Gemeinschaft für das Essen?

Klink: Ich finde eine äußerst große Rolle. Denn Essen ist so ziemlich der friedlichste Akt, den es überhaupt gibt. Und nicht umsonst werden Politiker – trifft man sich auch beim Essen. Das wird zwar manchmal diffamiert, nach dem Motto: Die Großkopfeten schlagen sich wieder den Ranzen voll. Aber für die Völkergemeinschaft ist das Essen extrem wichtig. Und ich möchte sagen: Wenn man in Syrien, Afghanistan und so weiter statt Bomben Hamburger als Fallschirmchen abgeworfen hätte, da hätte jeder Soldat sein Gewehr weggeschmissen und hätte sich den Bauch vollgeschlagen.

Rittberger-Klas: Essen als Zeichen des Friedens – das ist auch ein alter biblischer Gedanke. Herr Klink, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche uns allen einen friedlichen und genussvollen Fronleichnamstag.

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24MAI2021
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Schwester Philippa Rath copyright Foto: Christopher Hoffmann

Schwester Philippa Rath, Sie sind seit über 30 Jahren Benediktinerin in der Abtei Sankt Hildegard in Rüdesheim - Eibingen, Sie haben Theologie studiert, außerdem auch Geschichte und Politikwissenschaften. Und sie haben ein Zusatzstudium in Logotherapie und in Existenzanalyse. Um die Existenz, ums Eingemachte, da  geht es ja auch heute am Pfingstfest. In der Apostelgeschichte wird ja beschrieben, dass der Heilige Geist an Pfingsten auf alle herabkam, die zu Jesus gehörten. Der Heilige Geist als die Kraft mit der Gott in dieser Welt wirken will. Und es entsteht eine große Dynamik, deshalb gilt Pfingsten ja auch als der Geburtstag der Kirche. Sie haben in einem Interview kürzlich gesagt: „Ich liebe meine Kirche und ich leide an ihr“.* Was lieben Sie an ihrer Kirche?

Die katholische Kirche ist meine Heimat. Das finde ich ganz wichtig. Ich liebe die Heilige Schrift, die Botschaft der Bibel, das Zeugnis und das Vorbild Jesu. Ich liebe auch die Liturgie von Kindheit an, bin gerne immer in die Kirche gegangen, das sich Hinwenden zu Gott und leben aus Gottes Liebe und im Vertrauen auf Gottes Beistand.    

Und warum leiden Sie dann auch an der Kirche?

Die Kirche ist ja eine Institution, die immer neu – denke ich – die Botschaft in der jeweiligen Zeit in der wir leben verkünden muss. Ich glaube die Frauenfrage ist eine existentiell wichtige Frage für die Zukunft der Kirche. Mehr als die Hälfte aller Katholiken sind Frauen. Und sie leiden daran, dass sie überall an Grenzen stoßen, dass sie keinen Zugang zu den Weiheämtern in der Kirche haben und damit auch nicht zu den Leitungsämtern, also nicht gestalten, mitgestalten können, mit die Verantwortung tragen. Und ich denke wir leben in einer Zeit, in der es selbstverständlich ist, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind und genau dieses würde ich mir für unsere Kirche auch wünschen.

Viele Menschen treten aktuell aus der Kirche aus – andere bleiben in der Kirche und kämpfen für Veränderungen, wie Sie es ja auch tun, im so genannten „Synodalen Weg“, der sich in der katholischen Kirche aufgemacht hat, um Reformen und Veränderungen zu thematisieren, die jetzt anstehen. Sie sind Teilnehmerin am Synodalen Weg und zwar im Forum „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“.  Und in diesem Forum geht es um Geschlechtergerechtigkeit– welche Rolle spielt da für Sie die Kraft des Heiligen Geistes?

Ich bin überzeugt, dass Jesus sehr viele Frauen in seine Nachfolge berufen hat, wenn auch der Apostelkreis selber zwölf Männer waren. Aber das begründet sich meines Erachtens mit der damaligen zeitgeschichtlichen Situation, weil Apostelamt war Zeugenschaft für Leben, Tod  und Auferstehung Jesu und die Frauen hatten in der damaligen Zeit nicht das Recht auf Zeugenschaft. Also mir ist es wichtig auf die Heilige Schrift zu schauen, auf die vielen Frauen, die berufen wurden, auch auf den Umgang Jesu mit den Frauen. Wir benutzen heute das Wort oft und gerne „Auf Augenhöhe“ miteinander sprechen und umgehen – das hat Jesus vorgelebt!  Es gibt viele wunderschöne biblische Erzählungen, wo Frauen  im Gespräch mit Jesus sind und er sie hoch wertschätzt und achtetund das ist meines Erachtens einfach im Laufe der Kirchengeschichte zu kurz gekommen und da müssen wir uns neu auf die Ursprünge besinnen.

Also der Heilige Geist auch als eine Kraft, die Menschen befähigt für Gerechtigkeit einzutreten, in dem Fall für Geschlechtergerechtigkeit?

Ja, als eine Kraft – oder als die entscheidende Kraft, die mich antreibt. Wir müssen auch offen sein für das Wirken des Geistes, der oft ganz anders wirkt und weht, als wir uns das vorstellen, also wir dürfen ihn nicht in bestimmte Positionen vereinnahmen,  sondern  - das ist das Entscheidende glaub ich - der Heilige Geist befähigt uns offen zu sein für das Wirken Gottes.

Kommen wir zu ihrem Buch: Sie hatten ja eigentlich nie vor ein Buch zu schreiben, sondern wollten für den Synodalen Weg Lebenszeugnisse von Frauen sammeln, die sich zur Priesterin oder zur Diakonin berufen fühlen. Ihr Buch heißt interessanterweise „Weil Gott es so will“**...

... genau, letztes Jahr Pfingsten hatte ich 150 Texte von Frauen in meinem Computer. Und ich muss Ihnen ehrlich sagen, das war für mich auch ein Pfingstwunder, ein Wirken des Heiligen Geistes, dass so viele Frauen sich gemeldet haben auf meinen Aufruf hin. Meine ursprüngliche Idee war einige Texte zu sammeln – Lebenszeugnisse von Frauen, die sich zur Diakonin oder Priesterin berufen fühlen. Um diese dann wiederum mitzunehmen in die Beratungen des  Frauenforums im Rahmen des Synodalen Wegs, denn ich habe dort erfahren, dass einige Amtsträger sich gar nicht vorstellen können, dass es überhaupt Frauen gibt, die sich zu diesen geistlichen Ämtern berufen wissen. Ich konnte natürlich nicht 150 Texte mitnehmen in den Synodalen Weg und so blieb eigentlich nur die Variante – wenn ich allen Frauen gerecht werden wollte – ein Buch daraus zu machen. Und so ist das Buch entstanden. Ich habe Unmengen an Reaktionen bekommen von ganz normalen Christen, aber auch von Priestern, auch sogar von Bischöfen, die sich bedankt haben für dieses Buch und die mir bestätigen, dass ihr Denken sich zumindest teilweise geändert hat. Sie sind ins Nachdenken gekommen und das freut mich natürlich ungemein,  das war ja auch meine Absicht: Bewusstseinsveränderung herbeizuführen. Das erste Ziel war die Frauen aus der Anonymität zu holen und dass sie also überhaupt darüber sprechen können. Aber das zweite, dass wir einsehen, welches Potential, welche Ressourcen, welche Charismen, welche Begabungen die Kirche links liegen lässt, indem sie die Frauen nicht gleichberechtigt beteiligt. Das heißt die Kirche, davon bin ich fest überzeugt, unsere Kirche schadet sich selbst, indem sie die Frauen nicht zu den Weiheämtern zulässt.  Ich kenne so viele Krankenhausseelsorgerinnen, die eine wunderbare Arbeit machen und am Ende die Krankensalbung nicht spenden dürfen – nur ein Beispiel von vielen.

Pfingsten ist ja auch das Fest, an dem wir feiern, dass Gottes Geist weht wo er will – deswegen würde mich interessieren: Wenn Sie in die Welt schauen, Schwester Philippa – wo sehen Sie da auch innerhalb und außerhalb der Kirche Spuren von Gottes Geist?   

Es gibt so unendlich viele Menschen auf allen Kontinenten, die sich engagieren zum Beispiel für die Menschenwürde. Die sich engagieren für die Schöpfung - „Fridays for future“. Auch jetzt in der Pandemie:es gibt auch unendlich viele Menschen, die sich für ihre Mitmenschen  eingesetzt haben und das jetzt über doch schon eine ziemlich lange Zeit. Die auch bereit waren auf Vieles zu verzichten, um die Gesundheit der anderen zu schützen.  Also ich brauche nicht weit zu schauen, ich sehe überall Gottes Geist am Werk.  

Was sind für Sie Themen wo sich Christinnen und Christen auch heute einbringen sollten in unserer Gesellschaft?

Das ist das große Feld des Themas Menschenwürde. Es ist für mich zum Beispiel eine ganz wichtige Frage: Wie gehe ich mit den alten Menschen um. Der Umgang mit Schwäche überhaupt, mit schwachen Menschen. Ich selber habe lange Jahre eine demenzkranke Mitschwester versorgt und betreut und habe da bemerkt wie auch schwerkranke Menschen, die in der Regel eher ausgegrenzt werden, mir persönlich sehr viel bedeuten können und mir auch viel geben können.

Zum Schluss Schwester Philippa: Sie haben ja auch Logotherapie studiert, also eine Form sinnorientierter Psychotherapie. Da geht es um Sinnfindung und deshalb die Frage an Sie: Was ist für Sie der Sinn des Lebens?

Ich bin überzeugt es gibt nicht den Sinn des Lebens, sondern diese Frage kann nur jede Person ganz individuell für sich beantworten. Und wenn ich Menschen begleite, dann versuche ich ihnen zu helfen ihrem eigenen Leben auf die Spur zu kommen und darin Sinnspuren zu entdecken. Auch übrigens in schwierigen Lebenssituationen. Das ist meine Erfahrung, gerade in den Krisen und Grenzsituationen habe ich sehr viel Sinn erfahren. Und ich bin ja der Überzeugung, dass wir am Ende unseres Lebens, wenn wir Gott gegenübertreten einen wunderbaren Überblick über unser Leben gewinnen und dann auch den eigentlichen Sinnfaden entdecken. Und auch wenn ich in manchen Situationen keinen Sinn sehe – oft ist es mir persönlich so gegangen, dass ich im Rückblick sehr genau erkannt habe: Das war der Sinn dieser oder jener Begebenheit, dieser Erfahrung, dieser Begegnung. Also Sinn muss sich ausbuchstabieren.

Vielen vielen Dank für das sehr interessante Gespräch, Schwester Philippa.

Gern geschehen, danke Ihnen für Ihr Interesse.

 

*vgl . https://www.kirche-im-swr.de/?page=beitraege&id=33032

 **Philippa Rath (Hg.): „Weil Gott es so will“. Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin. Herder-Verlag, Freiburg im Breisgau 2021.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33215
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