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SWR Kultur Lied zum Sonntag
„Herr! schicke, was du willst, ein Liebes oder Leides; ich bin vergnügt, daß Beides aus Deinen Händen quillt.”
Wer so betet, der gibt sich ganz hin. Er weiß: Nicht alles geht nach Wunsch. Aber: Auch das Unerwünschte nimmt sich leichter aus Gottes Hand.
Leid aus Gottes Hand? Das ist für mich ein schwer zu ertragender Gedanke! Doch dieser Beter bittet: Gott, teile du mir zu, was ich tragen kann! Und gib mir dann auch die Kraft, es zu tragen.
Herr! schicke, was du willt,
Ein Liebes oder Leides;
Ich bin vergnügt, daß Beides
Aus Deinen Händen quillt.
Der schwäbische Pfarrer und Dichter Eduard Mörike hat dieses Gebet geschrieben. Und der aus Köln stammende Komponist Max Bruch hat es als Chorlied vertont. Nun vereinigen sich mehrere Stimmen zum Gebet.
Eine wichtige Entscheidung hat Bruch gleich am Anfang getroffen. Die im gesprochenen Text unbetonte Anrede: „Herr! schicke, was du willt …“ – wird in diesem Chorsatz gleich dreimal gesungen und – sich steigernd – am Schluss besonders betont: „Herr! – Schicke, was du willt …!“ Damit zeigt die Musik an, warum der Beter sich so hingeben kann: Er gibt Gott sein Leben in die Hände, nennt Gott seinen Herrn – und nimmt nun aus Gottes Händen Freude und Schmerz, „ein Liebes oder Leides“.
Aber – so die Bitte – doch von beidem nicht zu viel:
Wollest mit Freuden
Und wollest mit Leiden
Mich nicht überschütten!
So beginnt eine ältere Strophe, in einem anderen Rhythmus. Mörike hat sie als junger Schriftsteller einer seiner Romanfiguren in den Mund gelegt und erst viele Jahre später mit dem Gebet verbunden: „Wollest mit Freuden und wollest mit Leiden mich nicht überschütten! Doch in der Mitten liegt holdes Bescheiden.“
Doch in der Mitten
Liegt holdes Bescheiden.
Dieses Gebet und seine Vertonung stammen aus dem 19. Jahrhundert. Mir ist beides auch heute wichtig: die Demut, auch das Schwere aus Gottes Händen nehmen zu wollen – und die Weisheit, dass beide ihr rechtes Maß finden müssen. Ich finde, so eine maßvolle, weise Demut macht frei. Ich quäle mich dann mit dem Leiden nicht mehr so ab. Ich weiß: Das Leid muss ein Maß haben. Aber die Freude auch. So viel, wie ich eben tragen kann. Alles andere soll Gott tragen. Er ist der Herr. Er wird mich nicht im Stich lassen.
Herr! schicke, was du willt,
Ein Liebes oder Leides;
Ich bin vergnügt, daß Beides
Aus Deinen Händen quillt.
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Gebet (Eduard Mörike / Max Bruch)
Komponist
T: Eduard Mörike
M: Max Bruch
Satzfassung: Klaus-Martin Bresgott
Mörike, Eduard / Bruch, Max: Gebet; Athesinus-Consort Berlin / Klaus-Martin Bresgott; CHORAL:GUT. 500 Jahre Evangelischer Choral; felicitas-records; LC 83632
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42038SWR Kultur Lied zum Sonntag
Musik
„Was brach da durch das Wintergrau / und schmückt das schwarze Beet so blau, / als ob's im Himmel wohne? / Die kleine Anemone: / Ich pflanzt' sie da genau.“
Anfang März: Die ersten Vorboten des Frühlings tauchen auf. Auch in Dänemark, wo unser Lied heute herkommt. Es erzählt davon, wie ein Pfarrer eine Anemone an der geschützten Stelle einer milden Insel ausgegraben und in seinen Pfarrgarten verpflanzt hat. Und jetzt streckt sie ihre blauen Blütenblätter in den rauen Wind der Nordseeküste – es scheint ihr nichts anzuhaben.
Musik
„Jeg tænkte, den må dø“ – „Ich dachte, sie muss sterben!“ So wundert sich der dänische Pfarrer über die Widerstandskraft der kleinen Blume.
Wir schreiben das Jahr 1943. Pfarrer Kaj Munk ist weit über die Grenzen seiner kleinen Gemeinde hinaus bekannt – er ist damals der meistgespielte Bühnenautor in Dänemark. Vor allem aber ist er die Stimme des Widerstands gegen die deutsche Besatzung. Unermüdlich schreibt und predigt er gegen die Gewalt und das Unrecht an. Dabei hält er sich fest an Jesus – den „Meister mit der schweren Dornenkrone“, wie er ihn einmal nennt. Und an Hoffnungszeichen aus der Natur wie die Anemone: Sie lebt – trotz der widrigen Umstände. Kaj Munk weiß, dass er selbst vielleicht bald sterben muss. Er sucht den Märtyrertod nicht. Aber wenn es sein soll, nimmt er ihn in Kauf.
Musik
„Jetzt seh ich sie sich wiegen ... / Sie lässt sich nicht besiegen … /, als gäbe ihr die Widrigkeit / nur eine größ're Sicherheit: / Wie eine Amazone / steht meine Anemone / und ist zum Kampf bereit.“
Kaj Munk war zum Kampf bereit. Im Dezember 1943 hat er verbotenerweise im Kopenhagener Dom gepredigt. Inzwischen hat auch in Dänemark die Verfolgung der Juden eingesetzt. Kaj Munk sagt: „Wenn man mit der Verfolgung einer Gruppe unserer Landsleute anfängt, nur um ihrer Abstammung willen, dann ist es christliche Pflicht der Kirche zu rufen: Das ist gegen das Grundgesetz im Reiche Christi, die Barmherzigkeit! – Dann wollen wir mit Gottes Hilfe versuchen, das Volk zum Aufruhr zu bringen.“
Nur wenige Wochen später wurde Kaj Munk von einem Sonderkommando der SS aus seinem Pfarrhaus geholt. Am nächsten Morgen fand man die Leiche des Erschossenen an einem Straßenrand.
Musik
Kaj Munk hat seinen Landsleuten nicht nur die Kraft zum Widerstand gegeben. Er hat ihnen Hoffnung gegeben. Hoffnung auf einen Gott, dessen Kraft in den Schwachen mächtig ist. Diese Hoffnung möchte ich in unsere heutige Situation mitnehmen. In all das Hoffnungslose, scheinbar Aussichtslose: Es mag noch dauern, bis es Frühling wird. Doch Kaj Munk verstand die kleine blaue Blume als Zeichen Gottes:
“Die blauen Blütenblätter / sind mir des Frühlings Täuflingskleid, / sind mein willkomm'ner Retter / aus Hoffnungslosigkeit. / Ich bücke mich und streichle sacht / die neue zarte Blütenpracht. / Wie hat dich mir zum Lohne, / du kleine Anemone, / der Schöpfer schön gemacht!”
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T: Kaj Munk: „Den blå Anemone“ (1943; deutsche Nachdichtung: Christian Hartung)
M: Egil Harder (1945)
Munk, Kaj; Harder, Egil; Den Blå Anemone; DR Radiopigekoret; Phillip Faber; Se, Hvilken Morgenstund. Den Danske Sangskat; 01-008; (P) (C) 2005 SONY BMG MUSIC ENTERTAINMENT A/S & DR
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41619SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
„Hört nicht auf zu beten!“, hat der Apostel Paulus einmal in einem Brief an die Christen in Rom geschrieben. Die hatten dort nicht viel zu lachen: Jesus war von den Römern gekreuzigt worden. Und sie selbst galten als Störenfriede: als Aufrührer und Gefahr für den Staat.
Not lehrt Beten, heißt es ja. Doch manchmal verstummen Menschen in Not auch und können einfach nicht mehr beten. Vielleicht war in Rom die Not größer als das Vertrauen ins Gebet. Ich denke an Menschen, die mir sagen: Ach, Beten – das lohnt sich doch nicht. Ich hab so viel gebetet, erzählt einer nach dem Tod seiner Frau. Dass sie’s schafft, dass sie noch ein bisschen leben kann. Aber es hat nichts genutzt, sie ist gestorben. – Ich hab so viel gebetet, sagt eine andere. Dass endlich Frieden wird. So viele Menschen hoffen darauf. Aber es wird nur immer schlimmer. Ihr Vertrauen, dass sie jemand hört, hat die Frau verloren.
Vielleicht haben sie damals in Rom ja auch so geredet. Eine Hand voll Christen – verfolgt vom Kaiser und gegängelt von den Behörden. „Hört nicht auf zu beten“, sagt Paulus ihnen. Bleibt dran! Lasst das Gebet nicht abreißen!
Ich war vielleicht 11 Jahre alt, als ich einmal aufgehört habe zu beten. Bei mir war nichts weiter Schlimmes passiert. Trotzdem habe auch ich mich gefragt: Wer hört das, was ich sage? Es antwortet ja niemand, oder? Mein kindliches Vertrauen hatte ich verloren. Die Kindergebete passten plötzlich nicht mehr. Ein Gefühl, als wäre ich viel zu früh erwachsen geworden.
Doch nach ein paar Jahren bin ich auf eine schöne Geschichte gestoßen. Einem Gaukler, einem Straßenkünstler und Spaßmacher, schien sein Leben eines Tages leer und sinnlos. Er wollte in ein Kloster eintreten und nur noch für Gott leben. Aber – er konnte nicht beten. Er wusste einfach nicht, wie das geht. Da hat er sich auf das besonnen, was er doch konnte. Und hat angefangen zu tanzen. Er konnte gar nicht mehr aufhören. Der Abt des Klosters hat ihn dabei heimlich beobachtet. Und hat ihn zu sich gerufen. Der Gaukler dachte traurig: Ach, jetzt werde ich bestimmt aus dem Kloster geschmissen! Doch der Abt sagte: Was hast du für ein wunderschönes Gebet getanzt! Mach weiter so!
Beten ist noch viel mehr als Worte zu machen. Und auch mehr als zu hoffen, dass da jemand sofort antwortet. Beten bedeutet, Kontakt zu halten und mich meinem Gott zu zeigen: Sprechend oder schweigend. Tanzend und singend – oder ganz still atmend. Wenn das so ist: Kann man dann überhaupt aufhören zu beten?
Der jüdische Gelehrte Abraham Joshua Heschel hat einmal geschrieben, dass das Gebet kein Mittel ist, das man gelegentlich anwenden kann – „ein letzter Ausweg dann und wann. Es ist vielmehr ein fester Wohnsitz für das Innerste der Person. Alle Dinge haben eine Heimat: Der Vogel hat sein Nest, der Fuchs seinen Bau und die Bienen ihren Stock. Eine Seele ohne Gebet“ – schreibt der Gelehrte – „eine Seele ohne Gebet ist eine Seele ohne Heimat.“
Als ich als Kind meinte, ich könnte nicht mehr beten – da habe ich mich gefühlt wie ohne Heimat, ohne Obdach. Doch jetzt verstehe ich: Ich bin eigentlich immer in dieser Heimat geblieben. Ich war nur zu klein, um das zu verstehen. Mein Gebet hat viele Formen, viele Gesichter. Jede Seele hat bei Gott eine Heimat. In einem der schönsten Gebete der Bibel lese ich, dass ich nie aus dieser Heimat der Seele herausfallen kann. „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.“ Vielleicht kennen Sie diesen wunderbaren Satz. In diesem Gebet, diesem Psalm, da heißt es auch: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“
Meine Seele ist immer zu Hause. Auch wenn ich ausbrechen will, wenn ich von Gott nichts wissen will. Oder enttäuscht bin und mein Vertrauen verloren habe, dass da einer ist, der mich hört: Wenn ich bete, dass der geliebte Mensch an meiner Seite doch noch einmal gesund werden darf. Oder wenn ich bete um Frieden in der Welt. Wenn ich am liebsten laut schreien will: Das Beten lohnt sich doch sowieso nicht! Zeitverschwendung!
Trotzdem – schreibt der Apostel Paulus in seinem Brief: „Hört nicht auf zu beten!“ – Dran bleiben und den Kontakt nicht abreißen lassen. Gott ist da. Gott umgibt mich von allen Seiten und hält seine Hand über mir. Auch am äußersten Meer. Auch in Not und Finsternis. Sogar, wenn ich mich verlassen fühle und ohne Heimat. Oder keine Worte mehr finde und auch nicht mehr tanzen mag.
„Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand“, heißt es in einem Kirchenlied. Da wohnt meine Seele. Da darf sie ruhig werden. Und darauf vertrauen: Man kann wahrscheinlich gar nicht nicht beten.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41580SWR Kultur Lied zum Sonntag
Musik 1
„Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat.“
Mit diesen Worten werden im Buch des Propheten Jesaja Menschen in der Verbannung angesprochen. Aus dem kleinen Land Juda waren sie ins weit entfernte Babylon verschleppt worden. Nun soll sich ihr Schicksal drehen. Das mächtige Babylon wird selbst besiegt.
Aus den Versen der Bibel dichtete der Hamburger Pfarrer Waldemar Rode im Advent 1937 ein Lied. Er lernte den Kirchenmusiker Hans Friedrich Micheelsen kennen, der dazu ein paar Monate später die Melodie schrieb:
Musik 2:
1. „Tröstet, tröstet“, spricht der Herr, „mein Volk, dass es nicht zage mehr.“
Der Sünde Last, des Todes Fron nimmt von euch Christus, Gottes Sohn.
Ein Volk soll getröstet werden. Dabei ist es schon nicht leicht, einen einzelnen Menschen zu trösten. Wenn ich das versuchen will, muss ich dem Leid, dem Kummer, der Trauer standhalten – ohne mich selbst davon herunterziehen zu lassen. Das ist schon nicht einfach. Aber gleich ein ganzes Volk?
Der Prophet kann das, weil er die richtigen Worte findet. Er verschweigt nicht, was falsch gelaufen ist. Waldemar Rode nimmt das auf und bezieht es auf Christus, der die Last der Sünde wegnimmt. So werden die Worte des Propheten zum Adventslied. Damit konnte Rode im Jahr 1937 Hoffnung ausdrücken, kurz bevor Gewalt und Unrecht sich himmelhoch auftürmten und entsetzliche Abgründe aufrissen.
Musik 2:
3. Ebnet, ebnet Gott die Bahn, bei Tal und Hügel fanget an. Die Stimme ruft: „Tut Buße gleich, denn nah ist euch das Himmelreich.“
Der Weg zum Himmel führt über die Buße. Die getröstet werden sollen, die sitzen auf den Trümmern ihres Scheiterns und ihrer Schuld. Waldemar Rode lässt hier Jesus selbst predigen: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ Dadurch, dass der Himmel so nahe ist, wird die Buße möglich. Gott selbst schenkt die Zukunft. Nicht irgendwann vielleicht – jetzt. Der Himmel ist Gottes Licht mitten in dieser Welt, mitten in der Not und Schuld, dem Leid und dem Scheitern, mitten in alledem, was im Großen oder in meinem kleinen persönlichen Leben schrecklich schiefgehen kann. Gott kommt – ebnet ihm die Bahn!
Musik 2:
4. Sehet, sehet, alle Welt die Herrlichkeit des Herrn erhellt. Die Zeit ist hier, es schlägt die Stund, geredet hat es Gottes Mund.
„Geredet hat es Gottes Mund.“ Gottes Wort bleibt. Das ist der Trost, der sich nicht darauf beschränkt, die Wunden zu pflegen, sondern der einen Weg nach vorne bahnt. Die Getrösteten dürfen den Blick heben und dorthin schauen: wo Gott selbst ihnen entgegenkommt. Wo es hell wird, mitten in der Finsternis.
Das Adventslied spricht von Hoffnung – in einer Zeit, die wenig Grund zur Hoffnung gibt. Den Grund gibt Gott uns. Immer.
Musik 2:
6. Hebe deine Stimme, sprich mit Macht, dass niemand fürchte sich. Es kommt der Herr, eu’r Gott ist da und herrscht gewaltig fern und nah.
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Musik
„Tröstet, tröstet, spricht der Herr“ (EG 15)
Komponist
T: Waldemar Rode 1938
'M: Hans-Friedrich Micheelsen 1938
Musikquellen
Musik 1: [BR] 66039030Z00 01-001 / Tröstet, tröstet, spricht der Herr. Choral mit Orgelvorspiel / Tröstet, tröstet, spricht der Herr. Choral mit Orgelvorspiel / Micheelsen, Hans Friedrich; Schneidt, Hanns-Martin; ... Schneidt, Hanns-Martin; Chor der Himmelfahrtsk
Musik 2: [BR] 88055530Z00 01-002 / Tröstet, tröstet, spricht der Herr. Choral, EG 15 (EKG 13) / 3 Choräle aus dem Evangelischen Kirchengesangbuch (EKG) / Micheelsen, Hans Friedrich; Metzger, Hans-Arnold; ... Vokalensemble München
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41138SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Der alte Mann saß auf seinem Sessel, als der Tod leise ins Zimmer trat. Ebenso leise schloss er die Tür hinter sich. Der alte Mann hatte nichts gehört. Er hatte die Augen geschlossen. Das Buch, in dem er gelesen hatte, lag umgekehrt auf seinen Beinen.
Eine ganze Weile stand der Tod vor dem alten Mann und schaute ihn an. Schließlich öffnete der alte Mann die Augen, rückte seine Brille zurecht und blickte dem Tod ins Gesicht.
„Heute habe ich dich nicht erwartet“, sagte er. Der Tod verzog die Lippen zu einem Lächeln. „Ich komme meistens unerwartet“, antwortete er. „Ja“, nickte der alte Mann. „Zu früh. Oder zu spät.“
„Manchmal darf ich noch nicht“, sagte der Tod. „Dann scheint es euch zu spät.“
„Meine Frau hat Jahre lang gelitten“, stellte der alte Mann fest. „Sie hat sich so sehr gewünscht, dass sie endlich gehen könnte.“
Der Tod sagte leise: „Und bei eurer Tochter war ich zu früh dran.“ – „Viel zu früh. Warum?“
Der Tod schwieg lange. Dann sagte er: „Ihr sagt manchmal: Die Zeit von jemandem ist um. Aber ich bin es nicht, der darüber bestimmt. Ich komme nur, wenn es soweit ist.“
„Nun, bei mir ist es noch nicht soweit“, bemerkte der alte Mann. „Meine Enkelin wird morgen zehn. Ich hab ihr einen Kuchen gebacken und will ihr ein Lied singen. Übermorgen – da können wir drüber reden. Sie hat ja keine Mutter mehr. Und sie hat keine Oma mehr, auch der andere Opa ist schon tot.“
Der Tod dachte eine Weile nach. „Du weißt, dass ich nicht selbst bestimme, wann ich jemanden hole“, sagte er schließlich.
„Das kommt mir entgegen“, meinte der alte Mann. „Also bestimme ich, dass du heute zu früh gekommen bist. Aber wo du einmal da bist: Nimm Platz, wir können es uns gemütlich machen. Ich habe einen guten Cognac, den ich gerne mit dir teile.“
„Danke“, sagte der Tod. „Das ist ein großzügiges Angebot. Leider trinke ich keinen Cognac. Auch sonst nichts.“
Aber er nahm den Platz an, den der alte Mann ihm angeboten hatte. Und nahm das Foto, dass der alte Mann ihm hinhielt.
„Ich weiß“, sagte der Tod. „Das ist deine Enkelin.“
„Du kennst sie? Das gefällt mir nicht.“
„Ich kenne euch alle“, antwortete der Tod. „Aber hab keine Angst, ich habe keinen Auftrag, zu ihr zu kommen.“
„Aber zu mir sollst du kommen?“, fragte der alte Mann. „Gut. Von mir aus. Aber nicht heute. Und auch nicht morgen.“
Der Tod stand auf. „Also gut“, sagte er. „Ich komme ein anderes Mal wieder.“
„Übermorgen?“
„Wer weiß“, antwortete der Tod. „Ich habe Zeit.“
Er ging hinaus und schloss leise die Tür hinter sich.
Ein paar Wochen später kam der Tod wieder beim alten Mann vorbei. Inzwischen war es Herbst geworden. Der alte Mann saß wieder auf seinem Sessel. Heute hatte er eine Wolldecke auf den Beinen. Die letzten Sonnenstrahlen des Spätnachmittags fielen durch das Fenster. Wieder lag ein Buch umgekehrt auf seinen Beinen. Wieder hatte er die Augen geschlossen.
Doch er öffnete sie sofort, als der Tod hereinkam.
„Ich habe dich erwartet. Vielleicht nicht heute. Aber irgendwann die Tage jetzt.“
„Und heute willst du nicht, dass ich wieder gehe?“, fragte der Tod.
„Heute bin ich bereit“, erwiderte der alte Mann. „Soweit man das überhaupt sein kann. Das Leben ist immer noch schön.“
„Du hattest eine schöne Feier bei deiner Enkelin“, sagte der Tod. „Ja“, sagte der alte Mann. „Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich würde zu gerne sehen, wie sie groß wird.“
„Aber wenn es nun vorbei ist?“, fragte der Tod. „Heute?“
„Nun,“ sagte der alte Mann. „Sehen werde ich es doch vielleicht schon. Sie sieht nur nicht, dass ich es sehe. Aber vielleicht denkt sie ab und zu an ihren Opa.“
„Du hast keine Angst?“
„Ein bisschen traurig bin ich“, antwortete der alte Mann. „Sie wird mir fehlen. Aber ich habe versucht, ihr etwas da zu lassen.“
„Was?“, fragte der Tod.
„Gott hat uns Menschen die Ewigkeit ins Herz gelegt“, antwortete der alte Mann. „Aber viele haben keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich hatte jetzt viel Zeit. Und habe die Ewigkeit fest in meinem Herzen gespürt. Ich habe versucht, sie das auch spüren zu lassen.“
„Davon verstehe ich nichts“, sagte der Tod.
„Das ist wie bei einem Geschenk“, erklärte der alte Mann. „Da kommt jemand und bringt etwas mit. Wenn man es auspackt, kann man sich darüber freuen. So hat Gott uns die Ewigkeit geschenkt.“
Der alte Mann schloss die Augen wieder. Der Tod beugte sich langsam über ihn und ergriff sanft seine Hand. Zusammen gingen sie hinaus. Der Tod schloss leise die Tür.
Als man am nächsten Tag den alten Mann tot in seinem Sessel fand, lag auf seinen Beinen eine aufgeschlagene Bibel. Dort stand: „Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41091SWR Kultur Lied zum Sonntag
„Gott! Höre mein Gebet! Entzieh dich meinem Flehen nicht! Angstvoll schlägt das Herz in mir!“
Worte aus einem uralten Gebet. Als 55. Psalm steht es in der Bibel, hier übersetzt vom großen jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn. Bei seinem Enkel, dem Komponisten Felix Mendelssohn, klang das vor 180 Jahren so:
Musik:
Ich irre ohne Pfad in dunkler Nacht!
Hör mein Bitten, Herr, neige dich zu mir,
auf deines Kindes Stimme habe Acht!
Als Felix Mendelssohn sieben Jahre alt war, wurde er evangelisch getauft. Er wurde ein überzeugter Christ. Aber das schützte ihn zeitlebens nicht vor Antisemitismus. Vor dem Zehnjährigen spuckte ein Mitglied der königlichen Familie auf der Straße aus und beleidigte ihn antisemitisch. Richard Wagner, der von Mendelssohn gefördert worden war, fiel ihm in den Rücken mit einer anonymen Hetzschrift über das „Judentum in der Musik“. Wagners abfällige Urteile über Mendelssohns Musik wirkten lange nach, auch noch lange nach dem Dritten Reich.
Musik:
Die Feinde, sie droh'n, sie stellen uns nach
und halten die Frommen in Knechtschaft und Schmach.
Sie stellen uns nach: Das hat Felix Mendelssohn am eigenen Leib erfahren. Und nach ihm Millionen jüdische Menschen, die vertrieben und ermordet wurden. Bis heute ist dieser Hass eine reale Bedrohung. Wie sehr, das wurde vor einem Jahr bei dem Pogrom der Hamas deutlich. Es ist beschämend und furchtbar, dass Juden und Jüdinnen auch in Deutschland wieder in Angst leben. Dem Land von Felix und Moses Mendelssohn.
So spotten die Verfolger: Wo ist jetzt euer Gott?
Und die Verfolgten schreien zum Himmel: Gott, hör unser Flehn! Kämpfe für uns!
Musik:
Mich fasst des Todes Furcht bei ihrem Dräu'n!
Sie sind unzählige, ich bin allein.
Mit meiner Kraft kann ich nicht widerstehn.
Herr, kämpfe du für mich, Gott, hör mein Flehn!
Das Gebet des Bedrängten geht in einen sehnsüchtigen Wunsch über: Hätte ich doch Flügel und könnte fliehen! Fände Ruhe an einem schattigen Ort! Ein sicherer Ort. Wo ich auf Gottes Nähe vertrauen kann. Möge das Wirklichkeit werden! Für alle, die jetzt wieder ausgegrenzt werden. Für die Menschen, die seit einem Jahr in Tunneln oder anderswo gefangen gehalten werden. Bring them home!
Ich denke jetzt an den Juden Jesus, der ebenso verzweifelt zu Gott gebetet hat. Auch er wurde verhöhnt: Wo ist jetzt dein Gott? Jesus wusste wie der Psalmbeter: Gott ist da. Ich bete und finde Ruhe in Gottes Nähe. Auch wenn ich nicht fliehen kann. Ich bin bei Gott geborgen.
Musik:
… fände Ruhe am schattigen Ort.
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Musik:
"Hör mein Bitten“ (Felix Mendelssohn)
Komponist
M: Mendelssohn Bartholdy, Felix
T: Bartholomew, William (nach Ps 55,2-8)
Musik: M0013465(AMS); Hör mein Bitten Hymnus für Sopran, gemischten Chor und Orgel; Chormusik; 01-007; Bojack-Weber, Regina; Collegium Iuvenum Stuttgart; Keck, Friedemann
SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Wissen Sie eigentlich, welch Geistes Kind Sie sind? Die Jünger Jesu haben das nämlich einmal nicht gewusst. Sie waren mit Jesus unterwegs. Doch in einem Dorf, da wollten die Leute nichts mit ihnen zu tun haben. Die Jünger waren sauer. Gott sollte diese Leute bestrafen! Er sollte Feuer vom Himmel regnen lassen!
Jesus hat seine Jünger scharf zurechtgewiesen: „Wisst ihr denn nicht, welch Geistes Kinder ihr seid!?“ Die Jünger haben sich geschämt. Klar, sie wussten: Wir sind Kinder vom Geist Gottes. Wir sind Gottes Kinder. So hat der Apostel Paulus das einmal ganz direkt geschrieben: Die sich vom Geist Gottes leiten lassen, die sind Kinder Gottes.
Darüber muss ich jetzt nachdenken. Ich bin ein Kind Gottes. Und für ein Kind Gottes gehören sich bestimmte Dinge nicht. Die tut man dann einfach nicht.
Also, dass Feuer vom Himmel fällt – das habe ich noch nie jemandem gewünscht! Tod und Vernichtung – soweit bin ich noch nie gegangen. Aber wie oft habe ich schon hinterm Steuer gesessen und geschrien: Du blöder … Na ja, und so weiter. Was man eben so am Steuer schreit. Wenn da einer so dicht auffährt, ständig mit der Lichthupe!
Doch die Raser und Drängler, die waren nicht das Problem von den Jüngern. Sondern Leute, die etwas anderes dachten und glaubten. Und die deswegen nichts mit ihnen zu tun haben wollten. Auf aggressives Drängeln mit Schimpfen zu reagieren, ist das eine. Aber Menschen, die anders denken, Tod und Vernichtung zu wünschen – das ist schon eine andere Nummer. Wobei ich die Jünger auch verstehen kann: Diese anderen, die wollten einfach nichts mit ihnen zu tun haben! Denen war nicht einmal die Gastfreundschaft heilig.
Was mache ich mit Menschen, die mich komplett ablehnen? Denen nichts mehr heilig ist? Was Jesus und Paulus dazu sagen, das macht mich ehrlich gesagt etwas ratlos. Weißt du nicht, welch Geistes Kind du bist? Du bist ein Kind Gottes.
Das klingt so schön. Aber das hat eben Folgen, ganz konkret, in meinem Alltag. Schaffe ich das? Kann ich das: wie ein Kind Gottes leben? Wie ein Kind Gottes mit anderen umgehen, denen das völlig egal ist? Und wenn ich das nicht so richtig kann: Wie kann ich es üben?
Was habe ich als Kind geübt, bis ich Fahrrad fahren konnte! Und dann noch freihändig – das war dann schon sehr für Fortgeschrittene! Und die Vokabeln, die ich in der Schule pauken musste. Etwas üben, bis man es kann. Und wenn ich etwas nicht kann, dann bewundere ich, wenn andere das können. Und freue mich, wenn mir jemand zeigt, wie es geht. Dann kann ich es lernen.
Als Kind Gottes durch die Welt gehen: Das ist schon anspruchsvoll. So wie eine längere Strecke freihändig Fahrrad zu fahren. Aber ich will es üben.
Woran erkennt man ein Kind Gottes? Ich glaube, die beiden wichtigsten Merkmale sind Vertrauen und Hingabe. Grundvertrauen ins Leben haben. Voller Hingabe nach Gott suchen – gerade bei den anderen Menschen. Das klingt so leicht, so kinderleicht. Doch es muss geübt werden.
Vielleicht ist das so ein bisschen wie beim Seiltanz. Das war etwas, was ich als Kind besonders bewundert habe! Meine Lieblingsnummer, wenn ich den Zirkus besucht habe.
So eine Seiltänzerin – die hat hart geübt. Geübt, damit es ganz leicht aussieht. Vertrauen: darin steckt das Wort trauen. Wer vertraut, der traut sich etwas. Wie eine Seiltänzerin: Sie hat lange daran gearbeitet. Sie weiß, dass sie es kann. Aber ohne das entscheidende Stück Vertrauen würde sie nicht losgehen. Und da kommt die Hingabe ins Spiel. Ich habe getan, was ich konnte. Ich kann etwas. Ich habe es tausendmal geübt. Und jetzt gehe ich los. Auf dem schmalen Seil über dem Abgrund. Ich gebe mich völlig hin. Denn sonst könnte ich gar nicht losgehen.
So macht ein Kind Gottes das im Leben, in der Welt. Alles spricht gegen Vertrauen. Vertrauensselig – das ist fast ein Schimpfwort! Über jemanden, der so ist, schütteln alle den Kopf. Der ist doch zu gut für diese Welt!
Wer ein Kind Gottes ist, der muss das abkönnen. Der ist nicht immun gegen die Kritik anderer. Aber er ist schon einen Schritt weiter. Er ist schon auf dem Seil. Konzentriert balanciert er durch die Welt, die für ihn Spott, Geringschätzung, Verachtung und Gleichgültigkeit übrig hat.
„Ihr Christen glaubt ja noch an Märchen!“, heißt es da etwa. Na ja. Die so reden, die glauben meistens jeden Unsinn, der irgendwo im Internet steht. Aber ich wünsche ihnen nicht, dass ein Feuer vom Himmel sie verbrennt. Ich will ihnen als Kind Gottes begegnen. Nicht vertrauensselig – aber voller Vertrauen auf Gott, der Lust daran hat, dass wir leben. Wir alle.
Das ist schon mal wie ein Balanceakt auf dem Hochseil. Ich kann das auch noch nicht so gut, wie ich gerne möchte. Aber ich übe. Voller Vertrauen und Hingabe.
Man soll ruhig merken, welch Geistes Kind ich bin! Manchmal schäme ich mich, weil es wieder nicht geklappt hat. Aber nicht lange. Ich übe weiter. Ich will ein guter Seiltänzer im Glauben werden! Und zum Glück kenne ich Menschen, die mir beim Lernen und Üben helfen. Die wünsche ich Ihnen auch! Und einen gesegneten Sonntag!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40580SWR Kultur Lied zum Sonntag

Du hast mir das Herze genommen, meine Schwester, liebe Braut!
Von wem ist hier die Rede? Dieses uralte Liebeslied steht in der Bibel – in einer ganzen Sammlung solcher Lieder, dem Hohelied. Zwei junge Menschen singen über ihre Liebe.
Aber warum steht das in der Bibel?
Nun: Gott ist Liebe. Was, wenn nicht Liebeslieder, sollte dort stehen! Und dann hat man die Liebe hier als Gleichnis verstanden – für die Liebe zwischen Gott und Israel, oder zwischen Christus und der Kirche. Von wem ist hier also die Rede? Wenn Sie wollen: Von Ihnen!
Achtstimmig ist dieser festlich-schöne Gesang. Der junge Johann Crüger hat ihn im Jahr 1620 in Berlin für eine Hochzeit geschrieben. Wir kennen Crüger vor allem für seine Melodien auf Texte von Paul Gerhardt, die meisten davon regelrechte Kirchen-Schlager. Und nun dieses biblische Liebeslied! Ein wunderbares Menü tischen uns der alte Orient und das barocke Berlin gemeinsam auf – ein köstliches Hochzeitsmahl: „Deine Lippen sind wie ein triefend Honigseim. Honig und Milch ist unter deiner Zungen, und deiner Kleider Geruch ist wie der Geruch Libanon.“
„Liebe Braut: Wie schön und lieblich bist du!”
Die Idee, dass Gott in seine Menschen verliebt ist wie ein Bräutigam in seine Braut, die gefällt mir! Wie aufregend und bunt wird mein Leben, wie glühen meine Wangen, wie leuchten meine Augen! In welch leuchtenden Farben liegt der Weg meines Lebens vor mir!
Wenn Glaube so fröhlich und bunt sein kann, so heiter und so zärtlich – dann wird er ganz sicher Berge versetzen!
Die Liebe zwischen zwei Menschen als Gleichnis für die Liebe zwischen Gott und Mensch – das ist ein so genialer Gedanke, dass man sofort auf ihn kommen müsste, wenn er es nicht schon in die Bibel geschafft hätte. Gott hat sich in uns verliebt. Wie sollten wir nicht Tag und Nacht daran denken, wie wir diese Welt in den Lustgarten verwandeln können, als den Gott sie gemeint hat! Wir werden geliebt. Was sollte uns aufhalten?
Text: Hoheslied 4,9-11
Melodie: Johann Crüger
Du hast mir das Herze genommen
(für 8-stimmigen gemischten Chor und Basso continuo)
Wie mit vollen Chören (MarienVokalconsort, MarienEnsemble, Dir.: Marie-Louise Schneider)
Rondeau LC 06690 / 07 / [WDR] 6187956107.001.001
SWR4 Feiertagsgedanken
Heute liegen Blumenbilder auf den Straßen. Fahnen wehen. Die Menschen sind festlich gekleidet. Musikvereine und Blaskapellen spielen. Es ist Fronleichnam: ein großes Fest der katholischen Kirche. Das wird aber nicht in der Kirche, sondern auf der Straße gefeiert.
Ich bin evangelisch. Dieses Fest ist mir eher fremd, darum will ich gar nicht herumreden. Aber mit allen, die heute feiern, die sich heute freuen – mit denen freue ich mich gerne mit! Und wenn die Musik spielt, wenn ich die schönen Bilder aus den vielen Blumen sehe – dann habe ich auch etwas von ihrer Freude!
Ich lebe auf dem Hunsrück. Hier gibt es immer noch ganz katholische und ganz evangelische Dörfer. Die kleinen Städte dagegen, die sind seit Jahrhunderten gemischt. Aber zum Glück sind die Zeiten vorbei, in denen die Evangelischen an Fronleichnam den Mist gefahren haben. Und dafür die Katholiken an Karfreitag die Fenster geputzt haben. Stattdessen höre ich heute den Satz: „Wir haben doch alle einen Herrgott!“ Ja, da ist etwas dran. Trotzdem sind die Unterschiede zwischen Evangelisch und Katholisch noch da. Und die möchte ich nicht kleinreden. Jahrhundertelang wurde heftig darüber gestritten, wer jetzt richtig glaubt und wer auf dem Holzweg ist. Ganze Kriege wurden darüber geführt. Da empfehle ich etwas anderes: Schauen Sie doch einfach mal, was bei den anderen schön ist! Und schauen Sie dann bei sich selbst: Was ist in Ihrer eigenen Art zu glauben schön?
Das finde ich als Protestant bei den Katholiken schön: Wie hier das, was normalerweise in der Kirche passiert, auf die Straße getragen wird. Mit Blumen, Musik und feinen Kleidern. Wie das in der Gemeinschaft vorbereitet und gefeiert wird. Wie Menschen zeigen, was sie glauben, wie sie den Glauben schön herausputzen und herzeigen. Ein Glaube, den man sehen, hören, fühlen und schmecken kann. Ein Glaube für alle Sinne. Ein schöner Glaube. Ohne das würde auch mir etwas fehlen!
Es gibt Unterschiede zwischen den christlichen Konfessionen. Manches bleibt mir bei meinem Gegenüber fremd. Anderes bewundere ich. Meinem katholischen Gegenüber wird es mit mir genauso gehen. Und dann stimmt der Satz, den mir besonders ältere Menschen sagen: „Wir haben doch alle nur einen Herrgott!“ Ja, Gott ist einer. Aber wir Menschen, wir sind verschieden. Wie die verschiedenen Blumen, aus denen heute ein schönes Bild gelegt wird!
Zu einem schönen Glauben passen keine Missgunst, keine Gehässigkeit, kein Neid. Auch keine Angst und Bitterkeit, kein falscher Stolz, kein Triumph auf Kosten anderer. Ein schöner Glaube feiert und lernt. Er ist glücklich und teilt das gerne mit den anderen. So ist heute auch ein Fest für mich!
Und im Mittelpunkt dieses Festes steht Jesus. Wir alle gehören zu ihm. Auch wenn wir uns untereinander nicht immer verstehen. Auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, auch wenn wir uns streiten. Die ersten Jünger haben das auch getan.
Aber Jesus hat mit ihnen allen gefeiert. Er hat mit ihnen allen das Brot gebrochen. Und das ganze schöne Fest heute dreht sich um ein kleines rundes Stück Brot: die Hostie. In einem kostbaren Gefäß wird sie durch die Straßen getragen: Schaut her! Unser Geheimnis des Glaubens! Das ist wirklich ein Geheimnis, das ist wirklich kaum zu glauben: dass diese Hostie nicht einfach nur ein Stück Brot ist, sondern der Leib von Jesus Christus. So glauben es katholische Christen. Sie feiern, dass Jesus seinen Leib für uns Menschen gibt. Wir Evangelischen betonen eher etwas anderes: dass wir als Abendmahlsgemeinschaft selbst der Leib Christi sind. Alle zusammen und verbunden durch Brot und Wein. In unserer Kirche stehen wir beim Abendmahl im Kreis und fassen uns hinterher an den Händen. So kann man das sehen, was wir glauben. Wir feiern das sicher anders als unsere katholischen Geschwister. Aber dass es etwas zum Feiern ist, dass Christus uns verbindet, dass es schön sein und sich gut anfühlen soll – das haben wir uns dann vielleicht doch von ihnen abgeguckt! Denn früher war das Abendmahl bei uns Evangelischen oft eine todernste Angelegenheit.
Und diese Gemeinschaft als Leib Christi – die sollen wir auf die Straße tragen. Jesus Christus hat keine anderen Hände als unsere Hände. So heißt es in einem alten Gebet. Christus hat keine Füße, nur unsere Füße, er hat nur unsere Lippen. So sind wir wirklich der Leib Christi. Alle zusammen sind wir die Hände und Füße Christi, sind wir Jesu Mund und Jesu Ohren. Mit dem, was wir heute tun. Mit den Händen, die wir reichen und auflegen. Mit den Wegen, die wir zu anderen gehen. Draußen, auf den Straßen. Wo es regnen und stürmen kann, wo es auch übel und gefährlich werden kann. Caritas – Nächstenliebe – heißt das bei den Katholiken. Diakonie – Dienst – nennen wir Evangelischen es.
Wir sind der Leib Christi. Füreinander und für die Welt. So wünsche ich uns ein gesegnetes Fronleichnamsfest!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40005SWR Kultur Lied zum Sonntag
Vielleicht besuchen Sie heute einen Gottesdienst. Oder vielleicht gehen Sie stattdessen lieber in der Natur spazieren. Vielleicht machen Sie aber auch beides. Ich hätte da ein hübsches Lied, das auf jeden Fall für beide Gelegenheiten passt:
Musik 1: Strophe 1
„Himmel, Erde, Luft und Meer
zeugen von des Schöpfers Ehr.“
Das kann ich jetzt im Frühling gut nachvollziehen! Ich gehe an gelben Rapsfeldern entlang und weiter in grüne Wälder. Am Himmel wechseln Wolken und Sonne, in der Luft liegen verschiedene Düfte.
Wenn Himmel und Erde davon zeugen, wie wunderbar Gott alles gemacht hat, dann kann auch ich nicht schweigen:
„Meine Seele, singe du,
bring auch jetzt dein Lob herzu.“
Musik 1: Strophe 2
Diesen Lobgesang hat Joachim Neander geschrieben. Er lebte von 1650 bis 1680, davon entscheidende fünf Jahre als Prediger in Düsseldorf. Dort schrieb er viele Lieder, unter anderem dieses.
In der Nähe von Düsseldorf ist ein Tal nach ihm benannt: das Neandertal. Er besuchte es, so oft er konnte. Alte Bilder zeigen eine Schlucht, hohe Felsen umrahmen einen Bach. Wunderschön muss es dort gewesen sein. Heute sieht es dort ganz anders aus: Die Felsen wurden abgetragen und als Baumaterial verwendet. Wir Menschen machen uns alles zu Diensten und zu Nutzen. Haben wir noch Platz für das Lob des Schöpfers?
Musik 1: Strophe 3
Das alte Loblied öffnet mir eine neue Sicht: Etwas, das ich so besinge, das versuche ich auch zu schützen. Ich sehe, wie in der Schöpfung eins ins andere greift und alles seinen Platz hat. So suche auch ich meinen Platz darin. Die Welt ist Gottes Schmuckstück. Und Gott lässt nicht nach, immer wieder Neues zu schaffen. Als die Industrie das von ihr zerstörte Neandertal wieder sich selbst überließ, entstanden dort neue Schönheiten. Gottes Finger zeigen mir neue Wege.
Musik 1: Strophe 4
So, wie Neander die Vögel beschreibt, denke ich dabei auch an uns Menschen: Sie sind nicht allein, sie brauchen einander. So wie wir.
Donner, Hagel und Wind, die Naturkräfte, denen wir oft hilflos ausgeliefert sind: Neander nennt sie Gottes Diener. Ein steiler Gedanke! Doch: Wenn selbst der Sturm Gott dienen soll, dann ich erst recht.
„Ach mein Gott, wie wunderbar
nimmt dich meine Seele wahr!
Drücke stets in meinen Sinn,
was du bist und was ich bin.“
Was ich bin: nicht der, der das alles gemacht hat. Ich bin selbst ein Teil der Schöpfung.
Neanders Lied kam mit einer anderen Melodie ins Evangelische Gesangbuch. So singen wir – und singen zusammen als Gemeinde:
Musik 2: Strophen 5+6
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Lied: Himmel, Erde, Luft und Meer (EG 504)
Komponist
Text: Joachim Neander 1680
Musik 1: Lobwasser Psalm 136 / Lobet den Herren inniglich
Musik 2: Georg Christoph Strattner 1691
Musikquellen
Musik 1: Himmel, Erde, Luft und Meer / Fortune’s Musicke / Psalter und Harffe wach't auff (Aus dem Liederbuch des Joachim Neander) / Cantate LC: 00147, C58056 / 01
Musik 2: Himmel, Erde, Luft und Meer / Jugendkantorei Sennestadt / WDR-Kompilation / 6051582106. 001.001(DAAS)
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