Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Krise? Was für eine Krise?" Immer am Anfang des Jahres ist in Stuttgart die CMT, die große Urlaubsmesse. Und in meiner Zeitung stand ein Bericht darüber, der fing mit dieser Frage an: „Krise? Was für eine Krise?". Die Urlaubsbranche nämlich, die hat jedenfalls keine. Die Deutschen reisen mehr als je zuvor. 70 Millionen Urlaubsreisen waren es 2010 und in diesem Jahr werden es voraussichtlich noch mehr werden. Und die deutschen Urlauber reisen immer luxuriöser. In diesem Jahr werden acht neue Kreuzfahrtschiffe in Dienst gestellt.
Prima eigentlich, wer hart arbeitet, hat das auch verdient, der Akku muss wieder aufgeladen werden. Bloß: es reisen immer weniger Menschen! Weniger Menschen reisen öfter und luxuriöser - von den Leuten mit geringem Einkommen kann sich nur noch jeder zweite überhaupt Urlaub leisten. Das waren mal deutlich mehr. Aber hat eine Krankenschwester oder ein Hausmeister den Urlaub weniger nötig oder weniger verdient als ein leitender Angestellter oder eine Geschäftsführerin?
Die Krise spüren anscheinend bloß die, die sowieso wenig verdienen. Das mag sein, können Sie jetzt sagen. Das ist traurig, erst recht für die Kinder von Hausmeister und Krankenschwester. Denen täte ein Tapetenwechsel in den großen Ferien sicher auch gut. Aber was soll ich daran ändern?
Es ist wahr, Sie und ich, wir können nicht viel daran ändern. Aber immerhin, wir können auf Johannes hören, den wir Christen „den Täufer" nennen. Zu seiner Zeit gab es das auch, dass die einen mehr als genug hatten und die anderen nicht einmal das Nötigste. Und Johannes hat den Leuten klipp und klar gesagt: „Wer zwei Hemden hat, soll dem eins geben, der keins hat. Wer etwas zu essen hat, soll entsprechend handeln." (Lk 3, 11)
Und wer Urlaub hat? Ich kann doch nicht gut meine Tickets abgeben, lieber Johannes! Nein, das kann ich nicht. Die Dinge sind komplizierter. Aber ich kann jedenfalls hören, dass der Wohlstand der einen auch den anderen nützen soll, die viel weniger haben.
Sie und ich, wir können nicht unsere Tickets abgeben, aber wir können genau hinschauen. Damit wir sehen, wo die Krise ist, wen sie trifft und wen eigentlich nicht wirklich. Und dann bereit sein, den Aufschwung zu teilen. Damit die Krise nicht bei den einen hängen bleibt, während die anderen schon längst wieder im Urlaub sind. Dann können vielleicht auch die Kinder von Hausmeister und Krankenschwester in den Urlaub. Wahrscheinlich nicht mit dem Kreuzfahrtschiff. Aber vielleicht auf die schwäbische Alb, in den Schwarzwald oder an den Bodensee. Da kann man auch mit dem Schiff fahren.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9936
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