Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Ohne Sonntag gibt's nur noch Werktage. Ich finde, das merkt man bei manchen Leuten, die viel am Computer arbeiten. Computerarbeit macht einen flexibel. Viele haben auch zu Hause Zugriff auf den Büro-PC. Dann kann man vieles auch wirklich von zu Hause aus erledigen. Das spart die oft lange Anfahrt zum Arbeitsplatz. Und man kann ohne Weiteres zwischendrin auch noch das erledigen, was sonst noch nötig ist: den Besuch beim Arzt, den Friseurtermin oder eine dringende Erledigung bei der Sparkasse. Dafür schaffe ich ja oft genug am Wochenende, sagt mir die Kollegin. Prima eigentlich. Aber es gibt dann keinen wirklichen Feierabend. Und auch kein richtiges Wochenende. Es ist immer das Gleiche, wie im Hamsterrad.
Ich habe gemerkt, dass mir das nicht gut tut. Ich brauche eine Struktur, einen Rhythmus für mein Leben, damit es nicht immer das Gleiche ist. Deshalb versuche ich, die Zeiten zu unterscheiden: Keine beruflichen e-mails im Urlaub - dann hätte ich meinen Kopf ja schon wieder bei der Arbeit und eben nicht frei.
Und vor allem den Sonntag versuche ich möglichst arbeitsfrei zu halten. Ich weiß, das geht nicht in jedem Beruf. Aber dann kann man sich vielleicht einen anderen Tag dafür aussuchen. Und dann versuchen, den konsequent freizuhalten für die anderen Seiten des Lebens. Regelmäßig, einmal in der Woche ein freier Tag, damit nicht alle Tage gleich sind. Der Rhythmus ist wichtig, finde ich - nicht unbedingt, an welchem Tag das ist.
Aber am Sonntag ist es leichter, weil da auch die meisten anderen frei haben. Und weil das Leben irgendwie ruhiger läuft als in der Woche. Ich kann mir was vornehmen. Manchmal nur, die Zeitung richtig zu lesen. Manchmal telefonieren: mit denen, von denen ich schon zu lange nichts mehr gehört habe. Wenn die Sonne scheint, ein langer Spaziergang, möglichst mit netten Leuten. Ich spüre so gern die Sonne im Gesicht. Am liebsten gleich morgens, wenn ich zum Gottesdienst gehe: Glockenläuten, Sonne, blauer Himmel, Orgelmusik, ich kann singen, wenn ich will, ich habe eine ruhige Stunde und ein paar kluge Gedanken, die mir ein anderer sagt. Wunderbar finde ich das. „Bei dir Gott ist die Quelle des Lebens und in deinem Lichte sehen wir das Licht" (Ps 36,10) hat vor zweieinhalb tausend Jahren einer gebetet. Am Sonntagmorgen verstehe ich das besonders gut. Für mich ist das eine Kraftquelle für die Woche, die kommt. Nur: der Alltag muss auch wirklich draußen bleiben - sonst verschüttet er die Quelle. Ich bin froh, dass nicht alle Tage gleich sind. Denn ohne Sonntag gibt's nur Werktage.

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