Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen. Schon seit Wochen hat sie gewusst, dass ihr Sohn nach Australien geht um für ein halbes Jahr dort zu arbeiten. Sie war stolz, hat sich für ihn gefreut und ihn bei seinen Vorbreitungen unterstützt. Sie hat ein kleines Abschiedsfest für ihn geplant und dann plötzlich eine Woche vorher gemerkt, dass ihr der Abschied schwer fällt. Sie war traurig und habe Angst bekommen. Was ist, wenn ihm dort etwas passiert? Wenn er nicht mehr zurück kommt? Vielleicht sieht sie ihn nie mehr. Und dort kann sie ihn nicht einfach besuchen. Immerhin gibt es heute Internet, hat sie sich beruhigt. Sie kann ihm jede Woche eine e-mail schicken. Eine Seite in ihr hat das alles lächerlich gefunden. Solange er in Köln, Frankfurt oder Heilbronn gelebt hat, haben sie manchmal zwei Wochen oder länger nichts voneinander gehört. Es war normal, dass sie sich mehrere Monate nicht gesehen haben. Auch in dieser Zeit hätte immer etwas passieren können. Und dann ist es einfach nur die Distanz von mehreren 1000 km zwischen Australien und Deutschland, die sie daran erinnert, wie schnell alles anders sein kann. Das Leben ist bedroht, zerbrechlich und endlich. Wir haben es nicht in der Hand. Seitdem ihr Sohn in Australien ist, lernt sie durch seinen Abschied. Distanz schärft manchmal den Blick. Es wird sichtbarer, wie jemand ist. Sie sieht mit anderen Augen, was er alles kann, dass er weiß, was er will und sich am anderen Ende der Welt gut zurechtfindet. Sie stellt fest, dass er viel Gutes mitbekommen hat auch von seinen Eltern. Sie freut sich, dass er als erwachsener Mann auch in schwierigen Situationen lebenstüchtig ist. Sie lernt loszulassen und ihn als verantwortungsvolle, eigenständige Person ernst zu nehmen. Und sie spürt die Verbindung. Dass sie sich nah sind  und einander vertrauen obwohl er so weit weg ist. Ihre Liebe bleibt und trägt. Manchmal ist es gut zu merken, was einem selbstverständlich vorkommt, obwohl es das nicht ist. Sie ist von Herzen dankbar, dass es ihren Sohn gibt. Sie erlebt ihre Dankbarkeit als Wohltat, als etwas das sie erfüllt. Sie lernt auszukosten, dankbar zu sein.

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