Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

                                                                                             
Ich möchte Sie heute in die Stadt Barcelona entführen. Auf den Platz vor der Kathedrale. Im Reiseführer hatte ich gelesen, dass dort an Sonn- und Feiertagen getanzt wird, um die Mittagszeit, auf traditionelle Musik. Als ich Barcelona besuchte, war ich natürlich neugierig. Ich erwartete folkloristische Tänzer in katalanischen Trachten.
Von weitem höre ich bereits die Musik, eine Mischung aus mittelalterlichen Rhythmen, romantischen Melodien und gleichzeitig ein eigenartiges, eher modernes Klangvolumen: schmetternde Schalmeien, Trompeten, Posaunen, Flöten und kleine Trommeln und ein Kontrabass.
Überrascht und fasziniert bin ich, ganz normale Menschen beim Tanzen zu sehen. Ältere und Jüngere. Tänzer und Tänzerinnen in Jeans und T-Shirt, daneben Männer in Anzug und Krawatte, Frauen in schicken Sonntagskleidern, aber auch Menschen, die offensichtlich Touristen sind.
Die Tänzer stehen in mehreren Kreisen, fassen sich an den Händen. Es gibt kleinere und größere Kreise. In die Kreismitte legen sie ihre Taschen und Mäntel., Wenn es ihnen vom Tanzen zu warm wird auch Jacken und Pullis. Wie in einem Reigentanz bewegen sich die Kreise mal links, mal rechts herum, in wechselndem Tempo, meistens eher langsam. Die Tänzer sind konzentriert und mit Ernst bei der Sache. Die Menschen, so scheint mir, müssen die kurzen und langen Schritte, die kleinen Sprünge dazwischen genau abzählen. Trotzdem wirkt es auf mich nicht angestrengt, die tanzenden Menschen strahlen Gelassenheit und Lebensfreude aus. Das Orchester wird von einem jungen Mann angeführt, in der Linken hält er seine Flöte, und mit der rechten Hand spielt er eine kleine Trommel, wie ein Spielmann aus dem Mittelalter.
Der Musiker sagt mir später: „Die „Sardana", so heißt dieser Tanz, war früher beim einfachen katalanischen Volk genauso beliebt wie bei den Herrschern. Jeder kann in einen Sardana-Kreis eintreten oder einen neuen mit zwei, drei Gleichgesinnten eröffnen und zwar dann, wenn ihm selbst danach zumute ist. Es gibt keine Kleiderordnung. Wir sind „weltoffen", wir leben die Demokratie", sagt er.
Mich berührt dieses Symbol: der Tanz in einem Kreis, zur Harmonie der Musik sich die Hände reichen, sich bewegen im selben Rhythmus. Alle sind gleich. Jeder ist willkommen, in jedem Moment."

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