Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Menschen, die allein leben, die fürchten Weihnachten. Nicht alle, wahrscheinlich, aber doch viele. Was das ganze Jahr ok ist: Freiheit und Unabhängigkeit und keiner, der mir reinredet, an Weihnachten ist das anders. „Ich verreise dann, irgendwohin wo mich bestimmt gar nichts an Weihnachten erinnert" habe ich von einem Fernsehstar der jüngeren Generation gelesen. Ich weiß nicht so richtig, wem er da aus dem Weg gehen will. Aber so kann man es natürlich versuchen.
Schlimmer ist Weihnachten wahrscheinlich für die, die das nicht so können. Die an Weihnachten nicht freiwillig allein sind. Die vielleicht zum ersten Mal allein sind. Ich kann nur ahnen, wie das ist, manchmal erzählt mir jemand, wie er sich vor diesen Tagen fürchtet.
Ratschläge gibt es natürlich viele. Menschen, die allein sind, könnten sich zusammen tun. In meiner Stadt würde man wahrscheinlich in fast jedem Haus zwei drei Menschen finden, die Weihnachten allein verbringen. Viele Kirchengemeinden bieten nach dem Gottesdienst gemeinsame Weihnachtsfeiern an. „So schlimm ist es aber doch nicht mit mir, dass ich dahin gehen müsste", hat mir neulich eine ältere Dame gesagt. Vielleicht, habe ich hinterher gedacht, würde sie gerade deshalb dort gebraucht - von denen, für die es wirklich schlimm ist? Damit die nicht allein sein müssen, die sich davor so fürchten?
Und wenn das alles nicht geht oder nicht zu mir passt - was dann? „Dann bin ich allein mit den Erinnerungen und dann kriege ich das heulende Elend", auch das habe ich vor ein paar Tagen gehört. Aber warum eigentlich sind Erinnerungen zum Heulen?
Erich Kästner, der auch ein schwieriges Verhältnis zum Weihnachtsfest hatte, der hat eine kleine Geschichte geschrieben über die 46 Heiligabende[1], die er bis dahin erlebt hatte. Darin schreibt er: „Erinnerungen an schönere Zeiten sind kostbar wie alte goldene Münzen. Erinnerungen sind der einzige Besitz, den uns niemand stehlen kann und der, wenn wir alles verloren haben, nicht mit verbrannt ist."
Seit ich das gelesen habe, finde ich, das wäre doch ein lohnendes Vorhaben für den Heiligen Abend: Erinnerungen herauskramen, ganz bewusst nur die guten - wie goldene Münzen. Die Schätze des eigenen Lebens auf den Tisch legen. Wie die Heiligen drei Könige gewissermaßen, die ihre Schätze dem Jesuskind gebracht haben. Dann liegt da der ganze Reichtum eines Lebens. Dann kann man es machen wie Maria, die alles in ihrem Herzen bewahrte und bewegte. Und froh und dankbar sein für alles, was zusammen gekommen ist in einem kostbaren Leben.

 


[1] Erich Kästner, 46 Heiligabende, aus: Gesammelte Schriften für Erwachsene, Zürich 1969

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9670
weiterlesen...