Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ich möchteIhnen heute eine Geschichte von Marie-Luise Kaschnitz erzählen. Weil sie mich nachdenklich stimmtund hoffnungsvoll zugleich, dass etwas bleibt von Weihnachtenüber Weihnachten hinaus. Sie handelt von einem kleinen Jungen, der offenbar keine Ahnung von Weihnachten hat. Eines Tages findet er in einer alten Schachtel neben Nähseide und anderem Kleinkram einen silbernen Stern. „Was ist das?" fragt er seine Mutter?  „Etwas von früher, antwortet sie, von einem Fest. „Was war das für ein Fest?", will der Junge wissen - Ein langweiliges sagt die Mutter schnell. Die ganze Familie stand in der Wohnstube um einen Baum herum und sang Lieder. Es war eine Tanne, die man mit brennenden Lichtern besteckte und an deren Zweige man bunte Kugeln hängte. Das kann nicht wahr sein, sagt das Kind. „Doch, sagt die Mutter, und an die Spitze des Baumes befestigte man den Stern, der sollte an den Stern erinnern, dem die Hirten nachgingen bis sie den kleinen Jesus in der Krippe fanden." „Den kleine Jesus?!" sagt das Kind völlig aufgeregt, wer soll das nun wieder sein? „Das erzähl ich dir ein andermal" weicht die Mutter aus. Doch der Junge lässt nicht locker:  „Das muss doch ein sehr schönes Fest gewesen sein?" „Nein", erwidert die Mutter heftig - „es war langweilig, alle hatten Angst davor und waren froh wenn es vorbei war. Ich schalt dir jetzt den Fernseher ein." „Ich will nicht Fernsehen", tobt der Junge, „ich will so einen Baum und ich will wissen was mit dem kleinen Sowieso war". Es war, sagt die Mutter unwillkürlich, zur Zeit des Kaisers Augustus, als alle Welt geschätzet wurde...doch dann erschrickt sie über sich selbst und all die Emotionen die in ihr hochsteigen und setzt dem Ganzen ein Ende indem sie dem Jungen den Stern in die Hand drückt und ihn einlädt diesen in den Müllschlucker zu werfen. „Du darfst ihn hinunterwerfen und aufpassen, wie lange Du ihn noch siehst." Das Kind wirft den Stern in die Röhre und lacht, als er verschwindet. Doch als die Mutter nach einiger Zeit wieder nach ihm schaut, steht das Kind immer noch über den Müllschlucker gebeugt. „Ich seh´ ihn immer noch", flüstert es, „er ist immer noch da.

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