Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit...". Dieses bekannte Adventslied kennt wohl jeder. Aber kennen Sie auch die Geschichte, die dazu gehört?
Es war Mitte des 17. Jahrhunderts in Königsberg, dem heutigen Kaliningrad, zur Zeit des 30jährigen Krieges. Es war die Zeit des Elends. Es gab nur wenig reiche Leute. Einer von ihnen war der Kaufmann Sturgis.
Sturgis kaufte sich ein großes Grundstück am Rande der Stadt und ließ darauf ein prachtvolles Haus errichten. Eigentlich hätte er sein Leben dort genießen können, wenn - ja wenn da nicht auf dem Nachbargrundstück ein Siechenheim gewesen wäre - ein Heim für Behinderte und Obdachlose würden wir heute sagen -; und wenn die Heimbewohner nicht ausgerechnet immer auf dem Fußweg neben Sturgis Haus in die Stadt gewandert wären.
Von seinem Wohnzimmer aus sah Sturgis täglich die behinderten und armen Menschen laufen. Und dieser Anblick von Armut und Elend störte ihn. Aber da er Geld hatte, konnte er an der Situation etwas verändern.
Er kaufte das Nachbargrundstück, auf dem der Fußweg lag, ließ darauf einen prächtigen Park anlegen und setzte einen hohen Zaun darum - mit zwei Toren, die den Fußweg abgrenzten: Eines hin zum Behindertenheim und eines in Richtung Stadt. Unnötig zu erwähnen, dass Sturgis beide Tore gut verschloss. Nun konnten die Heimbewohner den Weg nicht mehr benutzen und der reiche Kaufmann war vor dem Anblick der behinderten und armen Menschen geschützt.
Es wurde Advent. In Königsberg war es üblich, dass der Kirchenchor wohlhabenden Bürgern Weihnachtslieder sang. An diesem Sonntag war Kaufmann Sturgis an der Reihe. Er hatte das Tor zur Stadt weit geöffnet und wartete in seinem Haus auf den Pfarrer und seinen Chor. Aber er wartete vergebens. Denn der Pfarrer schritt den Fußweg entlang, ohne zu Sturgis Haus abzubiegen, und ging weiter bis an das zweite, verschlossene Tor, wo sich die Heimbewohner versammelt hatten, um dem Konzert zu lauschen.
Sturgis war entsetzt. Warum kam der Chor nicht zu ihm? Er machte sich auf Weg, um den Pfarrer zur Rede zu stellen. Und da begann der Chor zu singen - ein eigens für diesen Anlass geschriebenes Lied: „Macht hoch die Tür die Tor macht weit - es kommt der Herr der Herrlichkeit, ein König aller Königreich, ein Heiland aller Welt zugleich...".
Ernst hörte Sturgis zu. Bei der zweiten Strophe zog er den Schlüssel hervor und öffnete das Tor. Und dann bat er die Sänger, die Armen und Behinderten in sein Haus. Die Tore auf seinem Grundstück blieben von diesem Tag an immer offen.

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